Protocol of the Session on July 23, 2015

Drittens. Es müssen körperliche oder psychosoziale Erkrankungen vorliegen.

Viertens. Es müssen Defizite in der Schul- und Berufsausbildung vorhanden sein.

Für die Projektentwicklung stellt das Land in dieser Legislaturperiode 10 Millionen € zur Verfügung. Diese Haushaltsmittel sind innerhalb des Sozialbudgets gesichert. Obwohl das Land gar nicht für die Arbeitsmarktförderung zuständig ist – zuständig ist der Bund –, wollen wir Impulse setzen, den Menschen, die im Arbeitsmarkt schlechte Startchancen haben, einen Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen. Das ist die richtige Prioritätensetzung, und dafür gebührt unserer Landesregierung und vor allem dem Sozialministerium Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen Anreize setzen, dass die Arbeitsmarktintegration von Menschen aus diesem Kreis vom Grundsatz „fördern und fordern“ geleitet wird. Programme müssen zielgenau und individuell an die betroffenen Personen angepasst sein. Das Programm muss regional entwickelt werden. Nicht jedes Detail muss staatlich vorgeschrieben sein. Die Arbeit im Unternehmen muss wesentlicher Bestandteil der Integration sein. Die Herausforderung Langzeitarbeitslosigkeit muss einen familienbezogenen Lösungsansatz beinhalten. Die Programme sollen in einem Wettbewerb zueinander stehen und lernende Systeme sein.

Wir erwarten, dass die Zuschüsse für das einzelne Projekt von bis zu 750.000 € bei einem Gesamtvolumen von 10 Millionen € durch Nachhaltigkeit, Nachahmung und ihren Modellcharakter eine deutlich größere Wirkung entfalten, als es der Betrag zunächst vermuten lässt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Ralf-Norbert Bartelt. – Das Wort hat der Abg. Wolfgang Decker, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Berg kreißte länger als ein Jahr, und er gebar am Ende ein Mäuschen. Ob daraus noch eine Maus wird, wird sich zeigen.

Dieses Fazit könnte man aus der Präsentation Ihres Konzepts ziehen. Vielleicht war das auch der Grund, warum nur – glaube ich – zwei Journalisten anwesend waren, als Sie es der Presse vorgestellt haben. Sie bezeichnen es als ein „innovatives Förderinstrument“. Wir haben Zweifel, dass das wirklich der große Wurf ist, an dem Sie, wie wir zumindest vermutet haben, zwölf Monate lang gearbeitet haben.

Aber besser spät als nie, und immerhin – das konzedieren wir Ihnen – ist es ein Schritt in die richtige Richtung.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Immerhin!)

Herr Ministerpräsident, es ist ihr gewiss ernst gemeinter Versuch, langzeitarbeitslose Menschen mit mehrfachen Handicaps in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen. Im Grundsatz begrüßen und unterstützen wir alles, was dazu beiträgt.

(Beifall bei der SPD)

Aber wird das von Ihnen vorgelegte Konzept am Ende wirklich zu dem Erfolg führen, den wir uns wünschen, nämlich die größtmögliche Zahl von Arbeitslosen in eine geregelte Arbeit zu bringen? Spätestens an diesem entscheidenden Punkt überfällt uns eine ziemlich große Skepsis.

Ich will das kurz begründen. Zum Beispiel ist Ihr Konzept an eine Vielzahl von Bedingungen geknüpft. Für Antragstellende wird es nicht einfach sein, sie alle zu erfüllen – wenn sie überhaupt in den Genuss einer Auswahl kommen und nicht schon im Vorabentscheid leer ausgegangen sind.

Die nächste Hürde ist, dass das Projekt zunächst auf acht Jahre befristet ist und wahrscheinlich maximal 300 Menschen erreichen wird. Diese Begrenzung führt wahrscheinlich auch dazu, dass nicht alle Regionen in Hessen zum Zuge kommen werden.

Ein ganz gravierender Punkt ist aber, dass die Konzepte von den Antragstellern bis zum 30. September – dieses Jahres, wohlgemerkt – eingereicht sein müssen. Wir schreiben heute den 23. Juli. Das wird an der Stelle verdammt eng. Über diese Frist sollten Sie noch einmal nachdenken. Wenn aufgrund der Ausschreibungsfrist kaum jemand erreicht werden kann oder die Menschen nur schlecht erreicht werden können, droht dieses Konzept, zum Flop zu werden, bevor es überhaupt begonnen hat.

Dies alles vorangestellt, sage ich: Ihr lange angekündigtes Förderprogramm ist eigentlich mehr eine Ausschreibung mit vielen Kriterien als ein Konzept. Da fragt man sich – das muss erlaubt sein –, warum Sie dafür so lange gebraucht haben. Sie haben es bereits vor über einem Jahr, nämlich in Ihrem Koalitionspapier, angekündigt.

Das, was Sie vorgelegt haben, hätte man sicherlich schon früher haben können, und dann hätten wahrscheinlich wesentlich mehr Bewerber Zeit gehabt, ein komplexes Konzept – das fordern Sie ein – fristgerecht vorzulegen.

(Beifall bei der SPD – Minister Stefan Grüttner: Warten wir es doch einmal ab!)

Das sage ich ja: Schaun mer mal. – Sosehr man hoffen mag, dass das vorgelegte Programm Langzeitarbeitslosen wirklich hilft, muss man aber auch endlich erkennen, dass dies angesichts der in Hessen konstant hohen Zahl langzeitarbeitsloser Menschen – Kollege Dr. Bartelt hat es zu Recht angesprochen – zu wenig ist und dass es einer weit größeren Anstrengung bedarf, um dieser Problematik Herr zu werden.

Um dies deutlich zu machen, haben wir mit Ihrem kollegialen Einverständnis unseren Antrag noch einmal mit aufrufen lassen. Wenn wir uns dieses Problems in Hessen ernsthaft und in noch größerem Maße als bisher annehmen wollen – wir Sozialdemokraten wollen das –, müssen wir zu anderen, effektiveren Instrumenten greifen. Der Passiv

Aktiv-Transfer z. B. wäre ein solches Instrument, mit dem man mehr Menschen erreichen würde als mit dem Programm, das vorgelegt worden ist.

Deshalb bleibt für uns in hohem Maße die Frage virulent, ob die Landesregierung und die schwarz-grünen Regierungsfraktionen eine notwendige Änderung der bundesgesetzlichen Regelung unterstützen würden oder nicht. Es ist selbstverständlich eine bundesgesetzliche Regelung, und es ist in erster Linie eine Aufgabe des Bundesgesetzgebers.

Aber wir haben in diesem Hause bei anderen Diskussionen an anderer Stelle schon mehrfach versucht, Ihnen eine Antwort auf die Frage zu entlocken, ob Sie sich einem Modell wie dem Passiv-Aktiv-Transfer annähern könnten, über das in Berlin schon längst diskutiert wird und das durchaus mit konkreten Papieren hinterlegt ist. Wir würden damit nämlich mehr Menschen erreichen. Wir würden uns freuen, wenn von Hessen aus ein Impuls nach dem Motto: „Wir unterstützen das von Hessen aus, wenn der Bundesgesetzgeber in der Richtung tätig wird“, nach Berlin gesendet würde. Deswegen appelliere ich an dieser Stelle noch einmal an Sie.

Alles in allem wird das am vergangenen Montag auf den Tisch gelegte hessische Förderprogramm voraussichtlich zu wenige Menschen erreichen. Wir würden es sehr bedauern, wenn es so käme. Wenn wir uns das genau anschauen, stellen wir fest: Die Skepsis scheint in der Tat groß zu sein, ob das wirklich ein effizienter Weg ist, um Langzeitarbeitslosen dauerhaft und in dem Maße zu helfen, wie wir es in Hessen eigentlich bräuchten.

Wir werden das Programm kritisch, aber konstruktiv begleiten. Das ist keine Frage. Meine Damen und Herren – insbesondere von CDU und GRÜNEN –, wir werden aber auch weiter darauf drängen, dass wir andere, weitreichende Wege zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit einschlagen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Decker. – Das Wort hat der Abg. Bocklet, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Decker, ich muss sagen, das war sehr moderat für eine Oppositionspartei. Das haben wir sehr gern zur Kenntnis genommen.

(Wolfgang Decker (SPD): Das war, weil du gestern zwei Tore geschossen hast!)

Weil ich zwei Tore geschossen habe. Vielen Dank, mein lieber Trainer.

(Heiterkeit)

Aber lassen Sie mich zusammenfassen, worum es in der Sache eigentlich geht. Aufgrund der guten Konjunktur haben viele Menschen Arbeitsplätze bekommen. Wir stellen aber fest, dass wir eine starke, verfestigte Arbeitslosigkeit bei einer speziellen Gruppe von Menschen haben, die länger als zwei Jahre arbeitslos sind. Die bisherigen Arbeitsmarktinstrumente auf der Bundesebene haben nicht dazu

geführt, dass wir diese Langzeitarbeitslosen in Arbeit bekommen.

Was ist das für eine Zielgruppe? Das sind Menschen, die mehr als zwei Jahre arbeitslos sind, die meistens eine schlechte Berufsqualifizierung haben und die trotz vieler Fortbildungen und Schulungen keinen Weg zurück in den ersten Arbeitsmarkt gefunden haben. Darüber hinaus – das weißt du auch, lieber Kollege – haben sie mit einer Menge an Problemen zu kämpfen, z. B. mit einer Sucht oder einer psychischen Erkrankung; sie sind isoliert, meist auch verschuldet, und sie haben sehr unstete Biografien, um es freundlich zu formulieren.

Wenn man das weiß, als Bundesregierung für diesen Arbeitsmarkt zuständig ist, immer wieder nur mit traditionellen Arbeitsmarktprogrammen reagiert – in dem Fall mit Lohnkostenzuschüssen – und dann feststellt, allein deswegen stellen die Unternehmen diese Menschen nicht ein, muss man sich etwas Neues einfallen lassen. Dann muss man sagen: Wir wollen dieser Gruppe von Arbeitslosen helfen, wir wollen sie nicht in der Langzeitarbeitslosigkeit sitzen lassen, wir wollen ihnen eine Perspektive geben, und wir wollen ihnen wieder einen Zugang zum Arbeitsmarkt verschaffen. Aber das, was wir bisher hatten, hat nicht gereicht.

Dann kommt das hessische Programm, über das wir heute hier diskutieren, das einen innovativen und kreativen Ansatz hat. Es enthält nämlich keinerlei strikte, unflexible Bindungen, wie es z. B. bei den Jobcentern oft der Fall ist. Damit gelingt Folgendes: Wir können den verschiedenen Akteuren vor Ort – mit den Kommunen, mit den Wohlfahrtsverbänden, mit den Beschäftigungsträgern und vor allem mit Unternehmen – gemeinsam etwas ausprobieren. In den nächsten fünf Jahren können wir uns an ein Experiment wagen: Wie bekommen wir Menschen wirklich aus der Arbeitslosigkeit? Das ist doch wirklich ein gutes Zeichen in dieser Stunde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Diese Menschen werden betreut. Sie werden begleitet, und sie werden beraten. Sie haben die Möglichkeit, ihre sogenannten Vermittlungshemmnisse zu überwinden: aus der Sucht oder aus der Verschuldung herauszukommen. All das gab es bisher in dieser intensiven Form nicht.

Das Herzstück dieses Programms ist aber – dafür werben wir auch –, dass sie nicht einfach für wenig Geld eingestellt werden, sondern sie bekommen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Warum? Es geht darum, diesen Menschen ihre Würde zurückzugeben und zu sagen: Ihr seid in der Mitte unserer Gesellschaft gewollt. – Wir wollen ihnen die Teilhabe ermöglichen. Das ist ein wichtiger sozialpolitischer Ansatz dieser Landesregierung. Das ist außerordentlich wichtig.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Jetzt kommt die spannende Frage: Wie kommt man auf die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze? Es gibt diese Diskussion schon lange.

Deswegen kann ich die Bundesregierung aus CDU und SPD leider nicht aus der Verantwortung entlassen. In dieser Diskussion, fachpolitisch Passiv-Aktiv-Transfer genannt, geht es darum, dass man die Sozialhilfeleistungen tatsächlich dafür aktivieren kann, dass man es den Men

schen in die Hand drückt und sagt: „Dafür finanzieren wir euch dauerhaft einen Arbeitsplatz“. Diese Diskussion um den Einstieg in den sozialen Arbeitsmarkt wird seit Jahren geführt.

Wir wissen, einer bestimmten Gruppe von Langzeitarbeitslosen werden wir momentan nicht in den ersten Arbeitsmarkt helfen. Sie brauchen aber eine Beschäftigung in Würde. Wenn man das weiß, muss man auf Bundesebene endlich die Regelung so schaffen, dass allen Langzeitarbeitslosen, die mit vielen Vermittlungsschwierigkeiten und großen Problemen kämpfen, dieser Weg eröffnet wird, dass man ihnen eine Beschäftigung in Würde geben kann. Meine lieben Damen und Herren, es ist notwendig, dass die Bundesregierung endlich die gesetzliche Regelung dazu schafft. Deswegen sind in Hessen so wenige Möglichkeiten. Wir würden gern mehr machen. Aber, liebe Leute, liebe SPD, lieber stellvertretender Parteivorsitzender Schäfer-Gümbel, helfen Sie uns in Hessen, sodass wir mehr Langzeitarbeitslose beschäftigen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Fazit: Ich glaube, das ist ein gutes, ein kreatives, ein innovatives Programm. Wir werden sehen, wie wir mit diesem Instrument tatsächlich die traditionellen Wege durch die Vernetzung verschiedener Akteure verlassen können. Wir sind auf die Ergebnisse im Hinblick darauf gespannt, wie es uns gelingt, diese verfestigte Arbeitslosigkeit aufzubrechen. Davon werden längst nicht alle Langzeitarbeitslosen profitieren können. Aber wir werden hoffentlich exemplarisch dokumentieren können, dass wir einen perspektivisch richtigen Weg zeigen. Wir stellen dafür 10 Millionen € zur Verfügung. Das sind wahrlich keine Peanuts. Das ist eine große Leistung für ein Land, das sich auf die Schuldenbremse festgelegt hat – 2 Millionen € jährlich und 10 Millionen € in fünf Jahren.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das ist ein großartiges Projekt. Ich glaube, wir können heute stolz auf dieses Projekt sein. Wir sind gespannt, wie es ausgeht. Es ist aber ganz sicher ein gutes Zeichen für die Langzeitarbeitslosen in Hessen. – Vielen Dank.