Wir erwarten, dass die etablierten Konzepte der Leistungsrückmeldung beleuchtet werden und geprüft wird, wie aussagekräftigere Leistungsmessungen und Leistungsdokumentationen gerade vor dem Hintergrund der individuellen Förderung möglich sind. Wir erwarten, dass darüber geredet wird, wie ein Weg aussehen kann, an dessen Ende die tatsächliche Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention steht, und wie wir zu einem echten inklusiven Schulsystem kommen.
Sehr geehrter Herr Minister Dr. Lorz, verzeihen Sie mir meine kleinteilige Aufzählung. Möglicherweise haben Sie all dies bei Ihren Ausführungen mit bedacht, wenn auch nicht mit gesagt.
Bitte beziehen Sie es einfach in Ihre künftigen Überlegungen bis zum Sommer mit ein. Meine Damen und Herren, niemand greift eine Hand, die ihm im Halbdunklen entgegengestreckt wird. Erhöhen Sie die Beleuchtung, und dann sehen wir weiter. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Degen. – Als nächster Redner spricht Kollege Wagner von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Verlässlich gestalten, Perspektiven eröffnen“ ist der Titel des Koalitionsvertrages von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier in Hessen. Und dieses Prinzip, verlässlich gestalten und Perspektiven eröffnen, gilt insbesondere für die Bildungspolitik dieser Landesregierung, meine Damen und Herren.
Wir wollen, dass sich die Schulen darauf verlassen können, unter welchen Rahmenbedingungen sie arbeiten. Und wir wollen den Schulen neue pädagogische Perspektiven eröffnen, damit sie Schülerinnen und Schüler noch besser individuell fördern können, damit sie noch mehr dafür sorgen können, dass der Bildungserfolg eben nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt, und damit neue pädagogische Ansätze auf den Weg gebracht werden können.
Wir wollen verlässlich gestalten und Perspektiven eröffnen, aber nicht nur zwischen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sondern wir reichen die Hand. Wir wollen in einem Bildungsdialog gemeinsam mit den Fraktionen in diesem Hause und mit den Akteuren im Bildungswesen diesen Weg gehen. Wir wollen uns darüber verständigen, was unsere Schulen brauchen. Wir wollen zuhören, welche Probleme unsere Schulen haben. Und wir wollen gemeinsam zu Antworten kommen, wie wir unsere Schulen auf
Ich glaube, in dieser lagerübergreifenden Koalition von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liegt gerade im Bildungsbereich eine riesengroße Chance – gerade in der lagerübergreifenden Koalition.
Wie war denn die Situation in den letzten Jahren und Jahrzehnten? Meine Damen und Herren, ich möchte sagen: Wie ist die bildungspolitische Situation seit den Tagen von Alfred Dregger und Ludwig von Friedeburg in den Siebzigerjahren gewesen? – Es war ein einziger Bildungskampf. Es standen sich zwei Fronten unversöhnlich gegenüber. Jeder hat für sich aus seiner jeweiligen Sicht in Anspruch genommen, die alleinige Wahrheit zu haben.
Jetzt wollen wir den Versuch machen, diese 40 Jahre alten Gräben zu überwinden und neue Antworten für die nächsten Jahre der Schulen zu finden – und nicht für die Vergangenheit der bildungspolitischen Debatten in Hessen.
Wir wollen gemeinsam mit Ihnen allen nicht darüber reden, was uns bildungspolitisch trennt, nicht – Herr Kollege Degen – in den Krümeln suchen, wo man noch kritisieren kann,
sondern miteinander darüber ins Gespräch kommen, was das Gemeinsame ist, wo wir gleiche Ziele haben, wo wir dasselbe für unsere Schulen wollen und wo wir es unseren Schulen auch einmal ersparen können, jeden Tag den kleinen parteipolitischen Kampf zu führen.
CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geht es um die Beendigung des jahrzehntelangen Schulkampfes. Wir stehen für Schulfrieden, und wir wollen diesen Schulfrieden gemeinsam mit Ihnen verwirklichen. „Verlässlich gestalten“ bedeutet für unsere Schulen verlässliche Lehrerversorgung von 105 % im Landesdurchschnitt.
Jetzt kann man immer sagen: Das ist zu wenig, und das müsste noch mehr sein. – Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, zeigen Sie mir doch bitte einmal ein einziges Bundesland, wo es auch nur diese Versorgung gäbe. Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen für unsere Schulen, dass es diese Versorgung auch weiterhin gibt.
Verlässlichkeit bedeutet, alle Lehrerstellen bleiben im System. Obwohl in den nächsten Jahren die Schülerzahlen deutlich zurückgehen werden, sagt diese Koalition von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jede Lehrerstelle bleibt im System; jede Lehrerstelle wird dazu verwendet, individuelle Förderung noch besser zu machen, soziale Ungerechtigkeiten noch besser auszugleichen. – Jetzt kann man sagen, das sei zu wenig, es müssten noch mehr Lehrer
ins System. Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, zeigen Sie mir ein Bundesland, das dieses klare Bekenntnis zur Lehrerausstattung abgibt.
„Verlässlich gestalten“ bedeutet keine individuellen Zwangsbeglückungen, sondern die Schulen können sich darauf verlassen, dass das bessere Argument zählt, dass das wirksame pädagogische Konzept und nicht das zählt, was sich irgendwelche Bildungstheoretiker vor 40 Jahren vielleicht einmal ausgedacht haben und von dem man immer noch glaubt, es zwanghaft allen vorschreiben zu müssen. Bei uns zählen Elternwille, das bessere Argument und das, was pädagogisch wirkt.
Verlässlichkeit bedeutet, zuzuhören, welche Sorgen Schulen haben, zuzuhören, welche Bedürfnisse Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Schülerinnen und Schüler haben. Es bedeutet auch, im Zweifel zu sagen: Der andere könnte recht haben. – Und manchmal hat der andere auch recht. Sie sehen diese Offenheit der Koalition von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN exakt an dem Gesetzentwurf, über den wir heute reden, indem wir auch die laufenden 7. Klassen noch aufgenommen haben, weil wir zuhören, weil wir nicht ideologische Politik machen, sondern weil wir nach Lösungen der Probleme unserer Schulen suchen.
„Perspektiven eröffnen“ bedeutet, mehr individuelle Förderung und gemeinsame Gerechtigkeit in unserem Bildungswesen zu verwirklichen. Schule allein kann keine sozial gerechte Gesellschaft schaffen. Da würden wir unsere Schulen überfordern. Aber, meine Damen und Herren, unser Schulsystem muss einen Beitrag zu einer gerechten Gesellschaft leisten und dafür sorgen, dass alle Kinder ihre Begabungen entfalten können, dass Bildungserfolg nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Diese Perspektive wollen wir den Schulen eröffnen, dass sie dieser großen gesellschaftlichen Aufgabe besser gerecht werden können.
Herr Kollege Degen, genau deshalb setzen wir einen Schwerpunkt bei dem Thema individuelle Förderung, alle Begabungen verwirklichen, und beim Thema soziale Gerechtigkeit. Wenn ich Ihnen das noch einmal verdeutlichen kann – ich kann nämlich Ihren Vorwurf schlicht nicht nachvollziehen, dass wir dieses Thema nicht bearbeiten würden –: Diese Koalition verdoppelt die Lehrerzuweisung nach Sozialindex von 300 auf 600 Stellen, 600 Stellen, die sich ausschließlich um Schülerinnen und Schüler mit spezifischen Förderbedarfen kümmern, 600 Stellen, die ausschließlich in Schulen eingesetzt werden, die eine sehr herausfordernde Schülerschaft haben, 600 Stellen, die ausschließlich Kindern zur Verfügung stehen, deren Elternhäuser sich, aus welchen Gründen auch immer, eben nicht so gut um die individuelle Förderung kümmern können. Wo sehen Sie da einen Mangel an Gerechtigkeit in der Politik dieser Landesregierung?
Herr Kollege Degen, warum setzt diese Koalition unter anderem einen Schwerpunkt auf die frühkindliche Bildung? – Das machen wir doch genau deshalb, weil uns alle Bildungsexperten sagen: Wenn wir zur besseren Förderung aller kommen wollen, wenn wir zu mehr Gerechtigkeit kommen wollen, dann müssen wir am Anfang ansetzen, und dann müssen wir den Schülerinnen und Schülern ein solides Rüstzeug in ihre Schullaufbahn mitgeben. – Deshalb werden wir die Zahl der Schulen verdoppeln, die den flexiblen Schulanfang anbieten können. Deshalb werden wir die Bildungs- und Betreuungsgarantie für alle Grundschüler machen, damit alle von Anfang an gut gefördert werden und gut in ihre Schullaufbahn starten können.
Sie sprachen von den Menschen, die als Quereinsteiger in unser Schulsystem kommen, weil sie nach Deutschland zugereist sind und dann erst später in das Schulsystem gekommen sind; oder Sie sprachen auch von Menschen mit Migrationshintergrund, die teilweise spezifische Förderbedarfe haben. Genau dazu steht etwas im Koalitionsvertrag. Wir wollen diesen Schülerinnen und Schülern spezifische Förderangebote machen.
Herr Kollege Degen, dieser Koalitionsvertrag formuliert meines Wissens nach in Hessen zum ersten Mal, dass wir das Ziel verwirklichen wollen, jedem jungen Menschen eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, was fehlt Ihnen an sozialer Gerechtigkeit in diesem Koalitionsvertrag?
„Perspektiven eröffnen“ bedeutet, dass die Eltern Wahlfreiheit beim Thema G 8/G 9 bekommen. Wir werden das weiter stärken. Ich werde nachher bei der Besprechung des Gesetzentwurfs noch darauf zurückkommen.
Perspektive hinsichtlich der Ganztagsschulen und der Ganztagsangebote bedeutet, dass sich diese Koalition das große Ziel vorgenommen hat, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode für alle Grundschülerinnen und Grundschüler ein Bildungs- und Betreuungsangebot von 7:30 Uhr bis 17 Uhr haben werden. Das ist eine epochale Veränderung hinsichtlich der Förderung der Grundschülerinnen und der Grundschüler. Das ist eine epochale Veränderung hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn am Ende dieser Legislaturperiode kann sich jede Mutter und jeder Vater sicher sein, dass ihr Kind ein hochwertiges Bildungs- und Betreuungsangebot bis zum Ende der Grundschule, also für die Jahre null bis zehn, haben wird. Das wird ein riesiger Kraftakt werden.
Wir wollen mit längerem gemeinsamen Lernen Perspektiven eröffnen. Auch darüber hat Herr Kollege Degen gesprochen. Er hat gesagt, bei einem Element des Prozesses des Schulfriedens in Nordrhein-Westfalen sei es genau um die Frage gegangen, wie man den Schulen, die das wollen, ein längeres gemeinsames Lernen ermöglichen kann. Ein Ergebnis in Nordrhein-Westfalen ist, dass sich die Schulen
entscheiden können – Herr Kollege Degen, das tun sie übrigens freiwillig –, ob sie längeres gemeinsames Lernen anbieten wollen, ob sie also nach äußerer Differenzierung Angebote machen wollen, ob sie, wie die integrierten Gesamtschulen heute, mit Kursen differenzieren oder – das war das Neue und Innovative in Nordrhein-Westfalen – ob sie auf eine äußere Differenzierung vollständig verzichten wollen.
Herr Kollege Degen hat gesagt, das sei ein wesentliches Element der aus seiner Sicht richtigen Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen. Exakt diese Möglichkeiten sieht der Koalitionsvertrag für die integrierten Gesamtschulen vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, was wollen Sie eigentlich?