Sehr verehrter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenige Tage, nachdem im Plenarsaal des Hessischen Landtags eine Anhörung zu dem zugegebenermaßen recht umfänglichen Gesetzesvorhaben stattgefunden hat, haben wir die Gelegenheit, noch vor der zweiten Lesung im Plenum erneut über dieses Thema zu diskutieren. Das begrüße ich ausdrücklich. Gleichwohl hätte ich mir gewünscht, dass Sie eine Chance genutzt hätten, zwischenzeitlich eingetretene Weiterentwicklungen in den Prozess einzubeziehen und nicht darauf zu vertrauen, dass die Redemanuskripte von vor vier Wochen weiterhin Gültigkeit und Bestand haben würden.
Lassen Sie mich zunächst einmal darauf hinweisen, dass der eine oder andere Teilnehmer an der Diskussion offensichtlich hellseherische Fähigkeiten hat. Wenn der Vertreter des Hessischen Städtetages vorträgt, bis zum Jahre 2018/2019 würden den Kommunen 1 Milliarde € entzogen, dann muss er hellseherische Fähigkeiten haben. Er muss nämlich in der Lage sein, die Entwicklung der kommunalen Bedarfe genauso vorherzusehen wie Veränderungen in der Bundesgesetzgebung und die Entwicklung der Steuereinnahmen. Wenn es solche Menschen gäbe, würde ich sie gerne für das Finanzministerium verpflichten, denn das würde die Validität unserer Haushaltsplanung sehr nachdrücklich stützen.
Insofern sind es grobe Schätzungen, die dort interessengeleitet – das ist ja in Ordnung – vorgetragen werden.
Tatsache ist: Bei einem Vergleich des alten und des neuen System fällt die Berechnung des KFA nach dem neuen System im Jahre 2016 um 60 Millionen € höher aus, als wenn das alte System weiterhin gelten würde. Das ist eine Tatsache und Bestandteil der haushaltsmäßigen Veranschlagung, die mit den Spitzenverbänden bereits erörtert worden ist. Die Erwähnung dieses Umstands habe ich in der bisherigen Debatte ein Stück weit vermisst.
Ein zweites Beispiel für Hellseherei: die Auswertung der Anhörung durch den Kollegen Schmitt. Obwohl die Anhörung am letzten Mittwoch erst gegen 17:30 Uhr geendet hat, hat er der erstaunten Öffentlichkeit per Pressemitteilung bereits um 15:02 Uhr mitgeteilt, dass die Anhörung ein vollständiger Verriss gewesen sei. Auch die hellseherischen Fähigkeiten des Kollegen Schmitt bewundere ich an der Stelle ausdrücklich.
Was nicht Gegenstand der politischen Erörterung war, war der Umstand, dass wir der kommunalen Familie an dem Wochenende vor der Anhörung die Ergebnisse der Bedarfsberechnung für das Jahr 2016 mitteilen konnten. Das hat sich in der Anhörung nicht in jedem Beitrag niedergeschlagen; möglicherweise war die Schlussredaktion der jeweiligen Vortragsmanuskripte ein Stück zurückverlagert worden, sodass keine Chance bestand, diese Neuerungen
Die Gesamtsumme der der kommunalen Familie zur Verfügung stehenden Mittel – die Addition der eigenen Einnahmen und dessen, was aus dem KFA hinzukommt – steigt im Vergleich zu unserer Modellbetrachtung aus dem Jahr 2014 von damals 13,8 Milliarden € bis zum Jahre 2016, also dem ersten Jahr, in dem das neue System scharf geschaltet wird, um 1,4 Milliarden € auf 15,1 Milliarden €. Das sind ungefähr 10 % mehr an verfügbarer Masse – innerhalb von zwei Jahren. Die Mittel der Landkreise steigen von 2,7 Milliarden € auf knapp 3 Milliarden €. Die Mittel der kreisfreien Städte steigen von 3,9 Milliarden € auf gut 4,2 Milliarden €, und die kreisangehörigen Gemeindinnen und Gemeinden – – „Gemeindinnen und Gemeinden“: Sie sehen, wie weit man an der Stelle schon ist.
(Große Heiterkeit und Beifall – Florian Rentsch (FDP): Wenn man mit den GRÜNEN regiert, kommt das dabei heraus!)
Herr Kollege Rentsch, wenn man mental so durchgegendert ist wie ich, dann braucht man keine koalitionären Veränderungen, sondern es sind hier Intuition und die Fähigkeit zur Empathie in besonderer Weise bemüht worden.
Für die kreisangehörigen Städte und Gemeinden steigt das Volumen von 6 Milliarden € auf 6,7 Milliarden €.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zuwächse sind beträchtlich und beachtlich. Sie werden dafür sorgen, dass sich die Defizite in den Kommunen, die noch Haushaltsdefizite haben – es werden immer weniger –, zunehmend schließen.
Meine Damen und Herren, eben wurde von „kommunaler Wirklichkeit“ gesprochen. Die kommunale Wirklichkeit ist nicht überall gleich, aber sie wird an vielen, vielen Stellen deutlich besser, was die monetäre Lage betrifft. Die Defizite des letzten Jahres betrugen noch knapp 70 Millionen €. In diesem Jahr werden die hessischen Kommunen aller Wahrscheinlichkeit, allen Zahlen nach, die wir haben, eine schwarze Null schreiben. Möglicherweise werden sie sogar einen soliden Überschuss erwirtschaften, während alle anderen staatlichen Ebenen eher im Defizit landen. Vor allem das Land hat noch ein Stück des Weges zur Einhaltung der Schuldenbremse zurückzulegen. Das ist die Wirklichkeit – nicht das Zerrbild, das Sie hier immer zu zeichnen versuchen.
Herr Kollege Schmitt, eines hat mich ein Stück weit persönlich geärgert: der Versuch, Teilen des Hauses die Nähe zur kommunalen Seite abzusprechen. Ich finde, das sollten wir wechselseitig nicht tun. Hier im Hause sitzen, überschlägig berechnet, wahrscheinlich 1.000 Jahre kommunale Erfahrung, wenn Sie alle Mandatszeiten auf kommunaler Ebene addieren. Es wäre möglicherweise des Schweißes der Edlen wert, das zu tun, obwohl es nichts mit der Bedarfsberechnung zu tun hat. Uns aber wechselseitig abzusprechen, dass wir Verständnis für die kommunale Familie haben und in diese integriert sind, hilft niemanden – am allerwenigsten dem Ansehen dieses Hauses.
Stichwort Diskussionsbereitschaft mit der kommunalen Familie. Nachdem die sozialdemokratische Pressemitteilung abgesandt worden war, haben die Kollegen Kaufmann und Schork in ihren Schlusserklärungen nach der Anhörung noch einmal ausdrücklich hervorgehoben, dass wir zu Anpassungen im weiteren parlamentarischen Verfahren bereit und zur Diskussion in der Lage sind – so, wie wir den Prozess von Beginn an angelegt hatten: Diskussion von Beginn an, aber auch Diskurs und Anpassungsbereitschaft bis ans Ende des Verfahrens.
Dem einen oder anderen ist vielleicht auch entgangen, dass auf dem Weg zur Bedarfsberechnung für 2016 die eine oder andere Anregung, die in dem schriftlichen Anhörungsverfahren vorgetragen worden ist, bereits Eingang in die Berechnungsparameter gefunden hat, beispielsweise der Einwand des Landkreistages zur Frage der Validität der Daten, die in einem Zweijahresvergleich ausgewertet worden sind. Wir haben die verfügbaren Daten des Jahres 2013 mittlerweile eingearbeitet, aber nicht den Zweijahresvergleich bemüht, also das erste Jahr „abgeschnitten“, sondern stellen jetzt, um die Daten ein Stück weit gleichförmiger zu machen und Ausschläge zu verringern, auf einen Dreijahresdurchschnitt ab. Das war ein Anliegen des Landkreistages, das wir aufgenommen haben.
Wir haben bei der Frage der Gewerbesteuerverteilung zwischen den kreisfreien Städten und den kreisangehörigen Gemeinden jetzt auf einen Fünfjahresdurchschnitt abgestellt – ebenfalls ein Anliegen der kommunalen Familie, um die Gleichmäßigkeit der Entwicklung der nächsten Jahre ein Stück weit zu sichern.
Wir haben bei der Frage, wie wir die Bedarfe fortschreiben, Abstand von dem alten Verfahren genommen, den Verbraucherpreisindex zur Hochrechnung hinzuzuziehen. Vielmehr orientieren wir die Fortschreibung der Bedarfe – das ist auch die Antwort auf die Frage des Kollegen Hahn – nunmehr an dem durchschnittlichen Aufwuchs der gesamten Ausgaben der kommunalen Familie. Für das Jahr 2016 wird das ein Hochrechnungsfaktor von 7,3 % sein. Die Auswertung der Ausgabenzuwächse in den letzten Jahren ist auch ein Anliegen der kommunalen Familie, dem wir zwischenzeitlich entsprochen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es bleibt also dabei: Wir gehen fair und offen mit der kommunalen Familie um. Dass dort der Wunsch besteht – das wurde auch in der Anhörung vorgetragen –, vom Land noch mehr Geld zu generieren, ist doch verständlich. Oder hätten Sie erwartet, dass hier ein Bürgermeister auftritt und sagt: „Vielen Dank, Land, eigentlich habt ihr uns schon zu viel gegeben; ich bringe euch das Geld bar mit, das wir euch am Ende zurückgeben“? Das ist schon denklogisch ausgeschlossen.
Aber es bleibt dabei: Wir werden weiter konstruktiv und fair einen Diskurs mit der kommunalen Familie suchen. Das Gesetzgebungsverfahren wird im Juli einen Abschluss finden – so scheint es im Moment zu sein –, und wir werden genau darauf schauen, was das Ergebnis möglicher weiterer Gespräche ist. Wir sind weiterhin offen. So war das Verfahren von Beginn an angelegt – möglicherweise zur Überraschung des einen oder anderen in der Opposition. Aber so arbeiten wir an diesem Projekt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erster Hinweis. Wir hören sehr gern, dass Sie möglicherweise bereit sind, den Gesetzentwurf an der einen oder anderen Stelle zu korrigieren. Sie werden heute bei der Abstimmung Gelegenheit haben – wir haben einen entsprechenden Antrag gestellt –, zu dokumentieren, ob das, was Sie eben gesagt haben, tatsächlich Ihrer Auffassung entspricht und ob dort auch etwas aus dem Diskussionsprozessen in der Anhörung und aus der heutigen Debatte einfließt.
Zweiter Hinweis. Herr Kollege Schork, Sie haben davon gesprochen – der Herr Minister deutet es auch immer an –, die Kommunen hätten mit der Neuordnung eine Kaskoversicherung erhalten. Der Nachteil dieses Modells ist aber, dass die Versicherung nur 91 % bzw. 88 % abdeckt.
Diese geringen Prozentzahlen bedeuten aber, dass die Versicherung um 1 Milliarde € unterdeckt ist. Wenn Sie das schon mit einer Versicherung vergleichen, sorgen Sie bitte dafür, dass tatsächlich eine volle Deckung vorhanden ist. Dann könnten wir über diesen Gesetzentwurf in der Tat sagen: Das wäre die richtige Versicherung.
Wissen Sie, was in dem Gesetzentwurf vor allem fehlt? Es fehlt eine Diebstahlversicherung: die Versicherung, dass Bundesmittel nicht nur das Land Hessen entlasten, sondern auch tatsächlich bei den Kommunen ankommen, dass also das Land nicht sozusagen mit klebrigen Fingern genau diese Mittel wegnimmt und sie somit den Kommunen stiehlt. Deswegen bedarf es in diesem Gesetz auch einer Diebstahlversicherung.
(Beifall bei der SPD – Holger Bellino (CDU): Was ist denn das für eine Wortwahl? Diebstahlversicherung! Das ist eine unangemessene Wortwahl!)
Was Beiträge und Gebühren betrifft: Frau Goldbach, ich muss mich nach Ihrem Beitrag wirklich zügeln. Aber einen Hinweis möchte ich zu der Beitrags- und Gebührendebatte geben: Oftmals ist das strukturelle Defizit einer Kommune insgesamt ziemlich identisch mit dem durch die Kinderbetreuung entstehenden strukturellen Defizit.
Das ist der zentrale Punkt. Genau an dieser Stelle – da geht es auch um die Frage, wie man U 3 finanziert, also ob es unabhängig von der Finanzkraft finanziert wird – haben Sie ein dickes Problem in Ihrem Gesetzentwurf. Ich sage Ihnen: Wenn Sie das nicht korrigieren, wird das sicherlich zu juristischen Weiterungen führen. Das ist völlig klar.
Aber es ist ein Beispiel dafür, dass Ihre Behauptung, Gebühren könnten nicht verändert werden, falsch ist. In vielen Kommunen, z. B. in meiner Heimatkommune, ist in den letzten Jahren – Stichwörter: Schutzschirm und Auflagen – genau an dieser Stellschraube gedreht worden.
Das ist so. – Auf die Ausführungen von Frau Goldbach eingehend, kommen wir zu einem weiteren zentralen Problem: Sie hat versucht, bei dem Thema Investitionen einen Widerspruch in unserer Argumentation aufzuzeigen. Ich will es Ihnen an dieser Stelle noch einmal erklären.
Im Jahr 2010 – die Quelle ist das Hessische Statistische Landesamt – gab es kommunale Investitionen in einer Höhe von 2,23 Milliarden €. Im Jahr 2014 betrugen die kommunalen Investitionen 1,48 Milliarden €. Sie waren also exakt um 750 Millionen € geringer als im Jahr 2010. Das ist die Argumentation, die wir Ihnen dargelegt haben: dass die Kommunen in den vergangenen Jahren gezwungen worden sind, massiv zu kürzen. 750 Millionen € sind wirklich eine massive Summe.
Jetzt komme ich zu dem zentralen Problem: die Bedarfsermittlung. Dass notwendige Investitionen in den vergangenen Jahren nicht getätigt wurden, ist in die Bedarfsberechnungen nicht eingeflossen. Unterlassene notwendige Investitionen kommen in Ihrer Bedarfsberechnung nirgendwo vor.
Deswegen habe ich Herrn Prof. Junkernheinrich gefragt: Herr Prof. Junkernheinrich, wie kann man das erfassen? Ihr Kollege Kaufmann hat eingeworfen, wir könnten nicht das „Wünsch dir was“ der Kommunen finanzieren. Da sind wir gleicher Meinung. Herr Prof. Junkernheinrich hat eindrücklich dargestellt, wie man das erfassen könnte und wie man endlich dazu kommt, dass in der Bedarfsberechnung, die vorgelegt wird, auch notwendige Investitionen aufgeführt werden. Das ist ein zentraler Punkt.
Deswegen sage ich abschließend: Nicht nur die FDP wird Änderungsanträge einbringen – ich habe das schon nach der Anhörung angekündigt –, sondern auch die SPD, nämlich zu der zentralen Frage, ob es wirklich so irre zugeht, dass die Bundesmittel nur das Land entlasten und nicht die Kommunen. Es geht auch um die Frage, ob die Kommunen angemessen an den Steuerzuwächsen des Landes beteiligt werden, um ihnen wieder eine Perspektive zu verschaffen. Auch an dieser Stelle wird es Änderungsanträge der SPD geben.
Wir werden uns mit dem Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung auseinandersetzen. Sie von den GRÜNEN und der CDU haben jetzt noch einen Monat Zeit. Ich kann Ihnen nur sagen: Nutzen Sie diese Zeit. Sie wissen, dass das notwendig ist, wenn Sie die Situation der hessischen Kommunen kennen. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schmitt, ein paar Ihrer Ausführungen machen es notwendig, dass man dazu Stellung nimmt. Sie haben die Frage der Versicherung angesprochen. Dass es eine Versicherung gibt und dass der neue KFA, insbesondere in Zeiten sinkender Steuereinnahmen, einen Systemwechsel hin zu mehr finanzieller Sicherheit für die Kommunen bedeutet, wurde in der Anhörung von keinem bestritten.