Protocol of the Session on May 26, 2015

Ein strafrechtliches Einschreiten ist bei Jugendlichen besonders dann erfolgreich, wenn die staatlichen Akteure wie Jugendhilfe, Schule, Polizei und Justiz sich abstimmen. Nur auf diese Weise können entstehende „kriminelle Karrieren“ möglichst schnell und nachhaltig beendet werden. Denn kriminelles Verhalten ist oft mit einer Suchtproblematik, fehlender Schul- oder Berufsausbildung oder Überschuldung verbunden. Sind solche Probleme vorhanden, müssen den jungen Menschen auch Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

Außerdem muss die Strafe, um Wirkung zu erzielen – besonders bei Jugendlichen –, auf dem Fuße folgen. Das setzen wir in den Häusern des Jugendrechts um. Die hessischen Häuser des Jugendrechts sind ein wertvoller Baustein zur Bekämpfung der Jugendkriminalität. Ich freue mich sehr, dass wir mit unseren Kooperationspartnern im März dieses Jahres das dritte und größte hessische Haus des Jugendrechts im Norden Frankfurts eröffnen konnten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wie Sie wissen, wurde im Vorfeld der Blockupy-Proteste ein Brandanschlag auf das Gebäude verübt. Wir sind der Gewalt aber nicht gewichen und wollten damit ein Zeichen setzen, für das das Konzept der Häuser des Jugendrechts auch steht, nämlich: Mit Gewalt erreicht man nichts, weder im eigenen Umfeld noch in der öffentlichen Debatte.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Thema häusliche Gewalt. Obwohl Gewalt grundsätzlich kein Mittel zur Lösung von Konflikten sein kann, ist Gewalt in Partnerschaften dennoch ein anhaltendes Problem. In Hessen gibt es pro Jahr rund 7.000 Fälle von häuslicher Gewalt. Das Dunkelfeld ist viel größer. Damit häuslicher Gewalt professionell und konsequent entgegengetreten werden kann, müssen Präventions-, Schutz- und Interventionsmaßnahmen aller Beteiligten gut miteinander abgestimmt werden. Der Landespräventionsrat hat dazu in der Vergangenheit bereits den Landesaktionsplan gegen häusliche Gewalt entwickelt. Wir werden dieses Konzept weiter ausbauen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt sich auch daran, dass wir im Koalitionsvertrag besonderen Wert darauf legen, den Schutz von Frauen vor Gewalt weiter zu stärken. Bei häuslicher Gewalt sind die Täter ganz überwiegend Männer.

In den letzten Jahren haben wir erhebliche Fortschritte bei der Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen, die

mit häuslicher Gewalt befasst sind, erzielt. Dieser Erfolg basiert maßgeblich auf dem Konzept der örtlichen Runden Tische gegen häusliche Gewalt. Ich will nur ein Beispiel nennen, das äußerst positiv funktioniert: das Marburger Modell mit dem sogenannten „Stop“-Training. Dort erfolgt eine schnelle Reaktion zum Schutz der Opfer, und den Tätern werden zeitnah Grenzen gesetzt.

Zum Thema Stalking. Häusliche Gewalt und Stalking haben vor allem eines gemeinsam: Die Opfer sind überwiegend Frauen. Stalking ist auf Initiative Hessens zwar seit 2007 ein eigener Straftatbestand. Dennoch bleiben die Opfer von Stalking in einer Reihe von Fällen leider immer noch schutzlos. Denn die Norm leidet an einem Konstruktionsfehler, den wir schon damals kritisiert haben. Stalking ist nämlich erst dann strafbar, wenn der Täter erreicht hat, dass sein Opfer seine Lebensgewohnheiten grundlegend umgestellt hat, z. B. durch einen Umzug. Opfer, die dem Täter nicht derart nachgeben oder ihre Lebensgewohnheiten aufgrund familiärer, beruflicher oder finanzieller Zwänge nicht ändern können, werden durch das Strafgesetz nicht geschützt.

Eine wirkungsvolle Prävention besteht für mich jedoch auch darin, gesetzgeberisch für einen möglichst wirkungsvollen Schutz potenzieller Opfer zu sorgen. Daher habe ich gemeinsam mit meinem bayerischen Kollegen im Mai 2014 eine Bundesratsinitiative zur Reform des StalkingTatbestandes gestartet.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr gut!)

Darüber hinaus sollten wir aus meiner Sicht aber auch die modernen technischen Möglichkeiten nutzen, um potenzielle Opfer von Straftaten zu schützen. Gerade in den Fällen von häuslicher Gewalt oder Stalking könnte die elektronische Aufenthaltsüberwachung mit GPS sinnvoll sein, um potenziell rückfällige Täter von den Opfern fernzuhalten. Zugleich würde Polizei und Justiz die Möglichkeit gegeben, im besten Fall noch eingreifen zu können, bevor es zu einer Straftat kommt.

Wir haben bereits gute Erfahrungen bei der Überwachung besonders gefährlicher Gewalt- und Sexualstraftäter im Bereich der Führungsaufsicht gemacht. Die Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder ist in Hessen angesiedelt, und wir in Hessen haben eine besondere Verantwortung, das von uns initiierte Projekt sinnvoll auszubauen.

Deshalb werde ich auf der kommenden Konferenz der Justizminister am 17. und 18. Juni 2015 eine Prüfung vorschlagen, ob die elektronische Aufenthaltsüberwachung stärker als bisher für den Opferschutz etwa im Bereich häusliche Gewalt und Stalking eingesetzt werden kann. Ich bin überzeugt, dass damit Straftaten verhindert werden könnten und sich solche Maßnahmen zum Schutz der Opfer „rechnen“ können.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Generell brauchen die Opfer von Straftaten den besonderen Schutz unseres Rechtsstaates. Dies ist mir auch persönlich ein wichtiges Anliegen. Opferschutz muss im strafrechtlichen Verfahren vor allem auf zwei Ebenen gewährleistet werden. Zum einen müssen die gesetzlichen Regelungen verbessert werden. Zum anderen ist es von großer Bedeutung, die Betreuung von Opfern auch außerhalb des Strafverfahrens auf der Ebene der Opferberatung sicherzustellen. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass die Opfer

einer Straftat ein zweites Mal zu Opfern werden, weil wir sie mit ihren Sorgen und Ängsten alleinlassen.

Wir in Hessen verfügen über ein flächendeckend ausgebautes Netz von Opferberatungsstellen. Diese Opferhilfeeinrichtungen beraten und unterstützen Opfer und Zeugen von Straftaten sowie deren Angehörige und Vertrauenspersonen. Ziel ist, bei der Bewältigung der Folgen einer erlittenen Straftat Unterstützung zu geben. Die Unterstützung erfolgt unabhängig davon, um welche Deliktsart es sich handelt und ob die Betroffenen Anzeige erstattet haben oder nicht. Die Beratung ist kostenlos und absolut vertraulich.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht bei dieser Beratung um praktische Hilfestellungen wie z. B. Behördengänge, Begleitungen zum Gericht sowie psychologische Beratung. Wir kümmern uns um diejenigen, die Zeuge bzw. Opfer einer Straftat geworden sind und deshalb vor Gericht aussagen müssen.

Beim Besuch einer Opferhilfeeinrichtung habe ich folgenden Satz mitgenommen, der diese Situation plastisch beschreibt:

Ich darf Sie an die Redezeit erinnern.

„Das schweigende Opfer darf nicht zur Waffe des Täters werden.“ Dafür wollen wir sorgen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gegen den Täter auszusagen ist für die Opfer aber nicht leicht. Zur Bewältigung dieser Situation gibt es bei fast allen Gerichten bereits Zeugenzimmer mit Zeugenbetreuern. Die Zeugenbetreuer stehen den Betroffenen zur Seite, indem sie beruhigen und informieren und als Ansprechpartner vor, während und nach der Verhandlung zur Verfügung stehen.

Für die Umsetzung der Opferberatung und der Zeugenbetreuung bei den Gerichten stellen wir bereits jetzt Zuwendungsmittel in Höhe von rund 660.000 € pro Jahr zur Verfügung. Angesichts unserer Verantwortung für eine wirksame Opferhilfe möchte ich vor allem das Projekt der betreuten Zeugenzimmer kontinuierlich ausweiten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einer der Bereiche, der uns besonders betroffen macht, ist der Bereich der Kinderpornografie und des damit verbundenen sexuellen Missbrauch von Kindern.

Ich habe bereits im vergangenen Jahr durch einen Entschließungsantrag im Bundesrat deutlich gemacht, dass der Bundesgesetzgeber hier zum Schutz der Kinder handeln muss. Der Antrag ist im Bundesrat auf breite Zustimmung gestoßen. Wir konnten erreichen, dass Strafbarkeitslücken im Bereich der Kinderpornografie zwischenzeitlich geschlossen wurden.

Genauso beharrlich werde ich mich aber auch dafür einsetzen, dass der Versuch des sogenannten Cybergrooming – also der Versuch einer sexuellen Belästigung Minderjähriger über das Internet durch meist ältere, fremde Männer – unter Strafe gestellt wird. Diese Forderung habe ich bereits zu Beginn der Diskussion über Cybergrooming erhoben. Ich werde weiter für diese wichtige Ergänzung der strafrechtlichen Vorschriften werben.

Aber auch im Bereich der Kinderpornografie und des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen kommt dem Präventionsgedanken entscheidende Bedeutung zu. Denn ohne pädophile Täter gibt es keine Opfer. Ohne Konsumenten von Kinderpornografie könnte der reale Missbrauch von Kindern erheblich eingedämmt werden. Jeder Klick im Internet von denen, die sich die Bilder im Internet anschauen, bedeutet ein Opfer mehr. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, pädophil veranlagte Männer, die für ihre Veranlagung nichts können, möglichst frühzeitig zu erreichen. Ihnen muss therapeutische Hilfe angeboten werden, bevor sie aufgrund ihrer Neigung Missbrauchstaten an Kindern begehen. Ich bin daher sehr froh, dass es uns gelungen ist, an der Gießener Universitätsklinik einen Standort des Netzwerks „Kein Täter werden“ einzurichten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine sehr erfolgreiche Anlaufstelle, und bei dem Erhalt dieser bundesweiten Strukturen sehe ich den Bund in der Pflicht, dieses wichtige Projekt weiter zu fördern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Thema Internetkriminalität. Bei allen dieser genannten Kriminalitätsbereiche – sei es Kinderpornografie, Stalking oder Jugendkriminalität – gewinnt das Internet als Tatmittel eine immer größere Bedeutung. Die Kriminalität im Internet ist längst zu einer realen Gefahr in unserem Alltagsleben geworden. Aus den vielfältigen Bemühungen, diese neuen und sehr unterschiedlichen Kriminalitätsformen zu verhindern, möchte ich Ihnen zum Schluss als Beispiel eine kriminalpolitische Initiative vorstellen, die ich mit meinen Kollegen auf der nächsten Justizministerkonferenz beraten möchte. Es geht um die Bekämpfung von sogenannten Botnetzen. Hierbei handelt es sich um eine Form der massenhaften unbefugten und heimlichen Benutzung fremder Computer. Diese Form der Kriminalität ist noch nicht allgemein bekannt. Sie betrifft uns als Computer- und Handynutzer aber alle.

Als ein Botnetz bezeichnet man eine große Anzahl von mit dem Internet ständig oder zeitweise verbundenen Computern, die unbemerkt mit Schadprogrammen infiziert sind und daher einer fremden Kontrolle unterliegen. Große Botnetze umfassen mehrere Millionen Opferrechner. Sie stellen eine der wichtigsten Infrastrukturen für Täter im Bereich der Cyberkriminalität dar. Botnetze werden genutzt zum Versenden von Spam-E-Mails, zur Begehung von Betrug im Onlinebanking, zur Verschleierung des Standorts von Servern mit kriminellen Inhalten oder für Angriffe auf Webseiten, die diese unerreichbar machen. Darüber hinaus können die Täter die gesamten Daten der infizierten Computer für ihre Zwecke verwenden, den Internetverkehr der Opfer manipulieren und die Hardware beliebig fernsteuern. Zum Beispiel können aus den Räumen der Opfer heimlich Videos übertragen oder Gespräche belauscht werden. Zurzeit gehen die Fachleute davon aus, dass etwa 40 % aller internetfähigen Computersysteme in Deutschland mit

Schadstoffsoftware verseucht sind und damit potenzielle Bots darstellen. Damit wird der heimische Laptop oder das Mobiltelefon zu einem machtvollen Ausspähwerkzeug in den Händen international agierender Cyberkrimineller.

Längst haben wir es aber auch mit einer neuen Dimension des Cyberterrorismus zu tun. Dies belegen die Attacken auf einen französischen TV-Sender. Selbst ernannte CyberDschihadisten haben Anfang April 2015 den Fernsehsender mittels eines gezielten Angriffs lahmgelegt. Auch die Social-Media-Auftritte des Senders brachten sie unter ihre Kontrolle und verbreiteten Propaganda. Die Terroristen begründeten ihren Angriff mit der Beteiligung Frankreichs an Luftschlägen gegen den IS im Irak. Die Cyber-Dschihadisten mussten für die Abschaltung der Systeme keinen einzigen Schuss im herkömmlichen Sinne abfeuern. Ein schwarzer Bildschirm ist in unserer freien Welt ein ebenso mächtiges Symbol.

Es bedarf wenig Fantasie, sich auszumalen, welche Möglichkeiten sich für Terroristen außerdem bieten, wenn sie Kraftwerke oder Staudämme durch Cyberangriffe beeinträchtigen oder außer Betrieb setzen. Die Werkzeuge, mit denen Straftäter solche Handlungen begehen, sind regelmäßig Botnetze. Wer den Kampf gegen den Cyber-Dschihad, aber auch andere Formen der Cyberkriminalität ernsthaft führen will, muss die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzen, kritische Infrastrukturen zu schützen und Cyberangriffe zu unterbinden. Dazu bedarf es auch strafrechtlicher Normen. Und deswegen ist dies ein Thema, das auf die Tagesordnung bei der Ministerkonferenz gehört. Meine sehr geehrten Damen und Herren, am Ende, wenn man Internetkriminalität beschreibt, brauchen wir eine digitale Agenda für das Strafrecht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss will ich sagen: Wer mehr über alle Facetten der Präventionsarbeit und vor allem über gelebten Opferschutz wissen will, sollte sich den 20. Deutschen Präventionstag am 8. und 9. Juni 2015 in Frankfurt am Main nicht entgehen lassen, zu dem ich Sie alle ganz herzlich einlade.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, die Redezeit für die Oppositionsfraktion ist auf 23 Minuten angewachsen.

Das Wort hat Frau Abg. Hofmann für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat, Prävention ist der beste Opferschutz. Es ist am besten, wenn Kriminalität erst gar nicht entsteht. Dabei ist Kriminalitätsprävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die unser aller Anstrengungen bedarf, und an dieser Stelle sei Dank an all diejenigen gesagt, die in Opferhilfen und entsprechenden Vereinen organisiert und tätig sind.

(Beifall bei der SPD)

Prävention rechnet sich. Der wirtschaftliche Schaden, der durch Kriminalität jährlich in Deutschland herbeigeführt wird, wird auf ca. 6 Milliarden € beziffert. Frau Justizmi

nisterin, Sie haben eben sinngemäß gesagt, im Bereich der Prävention haben wir schon einiges gemacht, wir haben viele Ideen, und das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger ist wichtig und muss sehr ernst genommen werden. Ich sage Ihnen eines: Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger hat in den letzten Jahren nicht zugenommen, sondern abgenommen.

(Beifall bei der SPD – Unruhe auf der Regierungs- bank)

Es wäre sehr nett, wenn der Ministerpräsident auch meinen Worten zuhören würde. – Der Bürger spürt nämlich sehr wohl, dass die allgemeine Bedrohungslage in unserem Land etwa durch den internationalen Terrorismus, Extremismus und die organisierte Kriminalität zugenommen hat.