Protocol of the Session on May 26, 2015

Es wäre sehr nett, wenn der Ministerpräsident auch meinen Worten zuhören würde. – Der Bürger spürt nämlich sehr wohl, dass die allgemeine Bedrohungslage in unserem Land etwa durch den internationalen Terrorismus, Extremismus und die organisierte Kriminalität zugenommen hat.

In dieser Zeit ist es diese Landesregierung, die an dieser Stelle Personal bei Polizei und Justiz abbaut.

(Beifall bei der SPD)

Allein bei der Polizei sind aktuell 147,5 Stellen unbesetzt. Es fehlt an vielen Stellen fachspezifisches Personal bei der Polizei, etwa im Bereich des Vollzugs, im Fach- und Verwaltungsbereich, vor allem aber fehlt Polizei in der Fläche, in der Präsenz bei den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort.

Dazu kommt, dass die Polizei vor immer neuen und großen Herausforderungen steht, etwa angesichts neuer Gewaltphänomene, der Internetkriminalität oder des Staatsschutzes. Diese Aufgaben kommen zusätzlich auf die Polizei zu.

Dabei ist es Ihre Fiskalpolitik, die Sie auf dem Rücken der Beamtinnen und Beamten austragen, indem Sie sie zu immer neuen Sonderopfern heranziehen, wie etwa der Nullrunde, des Stellenabbaus oder der 42-Stunden-Woche, was dazu führt, dass – obwohl die Polizei sehr gute Arbeit leistet – ein hoher Frustrationsgrad unter den Beamtinnen und Beamten herrscht und sie oft nicht wissen, wie sie ihre Arbeit noch sachgerecht leisten sollen.

(Beifall bei der SPD)

Dabei geben sie unter diesen Rahmenbedingungen ihr Bestes. Und da reden Sie von guter Prävention?

Auch in der Justiz wurden bereits im Jahr 2003 800 Stellen abgebaut, und nun folgen weitere 360 Stellen weniger im Justizbereich. Ein Ende dieses Stellenabbaus ist nicht in Sicht.

Bei den Staats- und Amtsanwaltschaften haben wir eine hohe Belastungsquote. Diese wird nach PEBB§Y berechnet und liegt bei über 140 %. So ächzen Staats- und Amtsanwaltschaften unter massenhaften Verfahren. In vielen Fällen können Verfahren gar nicht mehr ausermittelt werden, sondern sie werden eingestellt. Ein weiteres Beispiel: Gerade der Täter-Opfer-Ausgleich, der für die Opfer so wichtig ist, weil das Opfer oft einen Ausgleich mit dem Täter herstellen kann, wird oft nicht durchgeführt, weil er in vielen Fällen zu zeit- und arbeitsintensiv und angesichts der Aktenberge nicht zu bewältigen ist.

Die Zunahme des islamistischen Terrorismus und Extremismus muss uns mit Sorge erfüllen. Das erfordert auch entschiedenes Handeln. Es ist unzutreffend, was die Frau Justizministerin an dieser Stelle gesagt hat: Deutschland war eines der ersten Länder, das die UN-Resolution umgesetzt hat und das mit der Strafverschärfung erreichen will, dass radikalisierte Straftäter nicht für den Dschihad ausrei

sen. Deutschland war eines der ersten Länder, die dies umgesetzt haben.

(Beifall bei der SPD)

Auch im Justizvollzug muss radikalisierten Straftätern eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Der muslimische Gefangenenseelsorger der JVA Wiesbaden, Husamuddin Meyer, hat in der „Frankfurter Rundschau“ jüngst gewarnt – ich darf an dieser Stelle zitieren –:

Das Potenzial der Radikalisierung in Gefängnissen wächst derzeit, weil nun auch radikalisierte Rückkehrer aus den syrischen und irakischen Kampfgebieten einsitzen. Außerdem haben mittlerweile mehr Gefangene als früher Kontakte in die salafistische Szene.

Ein zentraler Baustein bei der Entkriminalisierung dieser Gefangenen – die Worte von Herrn Meyer müssen uns wirklich mit Sorge erfüllen – ist eben die Seelsorge durch muslimische Imame. Das hat auch die Anhörung zum Thema Salafismus in diesem Hause sehr deutlich gemacht. Zwar sind die Mittel für die muslimische Seelsorge erhöht worden, aber sie sind noch immer ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man sieht, wie es realiter in der Praxis aussieht: Auf unseren Berichtsantrag mussten Sie antworten, dass in sechs Justizvollzugsanstalten Hessens gar keine muslimische Seelsorge angeboten wird. Meine Damen und Herren, da gibt es in der Tat noch erheblichen Nachbesserungsbedarf.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Zur Prävention gehört es nicht nur, Straffällige wegzusperren, sondern sie entsprechend zu behandeln, damit sie künftig ein Leben ohne Straftaten führen können, wenn sie aus der Haft kommen. Auch hier gibt es noch einiges zu tun: Im Justizvollzug mangelt es an Kräften des allgemeinen Vollzugsdienstes und der besonderen Fachdienste, etwa der Psychologen. Insbesondere der allgemeine Vollzugsdienst klagt über eine immer schwieriger werdende Gefangenenklientel, mangelnde Anerkennung, die 42Stunden-Woche, die dort im Schicht- und Wechseldienst absolviert werden muss, mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten, viele Überstunden und einen hohen Krankenstand.

Die Gefangenenklientel wird unter anderem deshalb immer schwieriger, weil die Anzahl der psychisch Auffälligen immer größer wird. In einzelnen Gefängnissen Hessens, beispielsweise in der JVA Butzbach, gibt es sogenannte spezialisierte Behandlungsstationen. Das aber reicht bei Weitem nicht aus. In Hessen fehlt ein stimmiges Konzept für psychisch auffällige Gefangene, ein entsprechendes Behandlungskonzept mit Fachpersonal, um diese Problematik in den Griff zu bekommen. Meine Damen und Herren, Sie haben es zu verantworten, dass dieses Problem bis zum heutigen Tage nicht gelöst ist.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen die Resozialisierung explizit als Vollzugsziel in das Gesetz mit aufnehmen – so weit, so gut. Wenn man sich aber den Entwurf anschaut, sieht man, dass der große Wurf ausbleibt. Sie haben ein paar Anregungen aus der Praxis aufgenommen, aber eigentlich ist nur vorgesehen, dass Ausführungen – nämlich von geeigneten Gefangenen – erleichtert werden – mehr nicht. Was man aber wirklich braucht, ist ausreichend viel Personal für die Behandlung

der Gefangenen, damit diese an ihrer Persönlichkeitsstruktur und ihrem Verhalten arbeiten können.

Das zweite wichtige Stichwort: Wir brauchen ein besseres Übergangssystem von der Strafhaft in die Außenwelt. Das ist übrigens auch eine Forderung, die die Straffälligenhilfe seit vielen Jahren erhebt. Das ist echte Resozialisierung und der beste Opferschutz.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Frau Justizministerin, Sie haben im Bereich der Jugendkriminalität die Häuser des Jugendrechts angesprochen. Das begrüßen wir ausdrücklich; denn es war eine Idee der SPD, die Häuser des Jugendrechts in Hessen einzuführen.

(Lachen des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Herr Hahn lacht, weil er es auch noch weiß. Es freut mich, dass Sie das so positiv unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Es war die SPD, die diese Idee bereits im Jahr 2008 nach Hessen gebracht hat. Deshalb unterstützen wir dieses Projekt. Aber es ist uns wichtig, dass diese Idee, die an drei Standorten praktiziert wird – nämlich in Zusammenarbeit zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Jugendämtern –, auch in die Fläche gebracht wird, nämlich in Landgerichtsbezirke, in denen wir diese Häuser des Jugendrechts nicht haben. Die positiven Erfahrungen und die Praxis der Häuser des Jugendrechts müssen in die Fläche gebracht werden – das muss der nächste Schritt sein, und das ist echte Prävention.

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, in der Tat ist das Internet der neue Tatort. Die Internetkriminalität steigt stetig an. Auch hier, angesichts dieser wachsenden Sicherheitsanforderungen, gibt es immer weniger Personal und immer mehr Personalabbau. Ich kann Ihnen nur sagen: Dies ist in solchen Zeiten der völlig falsche Weg.

Das Ausmaß an Gewalt gegen Kinder in Deutschland ist erschreckend. Jede Woche werden in Deutschland zwei Kinder getötet, pro Tag 40 Kinder sexuell misshandelt. Zudem sind der Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie laut dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes ein Massenphänomen. Eine US-Datenbank hat beispielsweise seit dem Jahr 2002 49 Millionen kinderpornografische Fotos und Videos erhalten und analysiert. Das müssen Sie sich einfach einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Diese Daten zeigen doch eines: Bei der Löschung kinderpornografischer Seiten und der Verfolgung dieser schrecklichen Taten müssen wir entschiedener vorgehen. Wir brauchen an dieser Stelle auch mehr qualifiziertes Personal. In der Tat ist es auch so, dass die Strafverfolger, die Ermittler in diesem Bereich, sich wie Sisyphos fühlen und dem nicht wirklich ernsthaft etwas entgegensetzen können, angesichts des Ausmaßes dieser Kriminalität.

Ein Weiteres kommt hinzu – das habe ich bei Ihnen vermisst, Frau Justizministerin –: Es ist nicht nur so, dass enorme Datenmengen ausgewertet werden müssen. Vielmehr müssen diese Daten so ausgewertet werden, dass sie gerichtsfest und beweiserheblich sind, also vor Gericht entsprechend verwertet werden können, sodass wir auf der einen Seite die Täter dingfest machen, auf der anderen Seite aber auch Kinder als Opfer identifizieren können. Das

ist eine schwierige Aufgabe, für die wir wirklich ausreichend qualifiziertes Personal brauchen.

(Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vorsitz.)

Sie haben es selbst erwähnt: Selbstverständlich müssen wir pädophile Täter beraten. Die Beratung solcher Täter kann dazu führen, dass Straftaten verhindert werden; ca. 50 % dieser Pädophilen begehen Straftaten. Da ist die Beratungsstelle in Gießen ein gutes Beispiel. Ich fordere Sie aber auf, dass die Finanzierung der Beratungsstelle in Gießen, die Ende dieses Jahres ausläuft, weiterhin gesichert wird. Das ist ganz wichtig.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ein Weiteres muss folgen. Wir hatten zum Thema Kindesmissbrauch eine Anhörung im Hessischen Landtag. Dort ist durch die Aussagen der Fachleute deutlich geworden: Es reicht nicht, in ganz Hessen eine Stelle zu haben. Wir brauchen ein dezentrales Beratungsangebot für pädophile Täter in ganz Hessen. Das ist das Gebot der Stunde, und das muss folgen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, durch das sogenannte Gewaltschutzgesetz des Bundes aus dem Jahre 2002 ist häusliche Gewalt glücklicherweise keine Privatsache mehr, zumindest in vielen Fällen nicht mehr. Diesen Straftaten wird Gott sei Dank viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet, auch aufgrund dieses Gesetzes und durch vernetztere Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Schließlich hat jede vierte Frau bereits einmal oder mehrfach in ihrem Leben körperliche Angriffe erfahren.

Im Rahmen der sogenannten „Operation düstere Zukunft“ hat aber die allein von der CDU geführte Regierung im Jahr 2003 die notwendigen Mittel für Frauenhäuser, Notrufe und Beratungsstellen völlig gestrichen oder merklich gekürzt. Diese notwendigen Mittel sind bis zum heutigen Tag nicht vorhanden, auch nicht durch Ihr sogenanntes schwarz-grünes Sozialbudget light. Meine Damen und Herren, das muss wieder rückgängig gemacht werden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Auch die SPD will den Opferschutz in strafrechtlichen Verfahren verbessern. Aber auch die Opferberatung und -betreuung außerhalb des Strafverfahrens muss weiter verbessert werden. Wir als SPD haben das schon vor vielen Jahren gefordert. Deshalb darf es nicht bei Zeugenberatungszimmern in einzelnen Landgerichtsbezirken bleiben. Nein, sie müssen flächendeckend vorhanden sein, mit entsprechenden Betreuungseinrichtungen wie z. B. in Rheinland-Pfalz, wo man das „Zeugenkontaktstellen“ nennt. Auch in Hessen muss es ein flächendeckendes Angebot geben für die Zeugen, die oft Opfer sind. Denn wir wollen nicht, dass sie durch eine erneute Konfrontation etwa mit dem Angeklagten, mit dem Täter, erneut traumatisiert werden. Deshalb brauchen wir auch dort ein flächendeckendes Angebot.

(Beifall bei der SPD)

Ein letzter Punkt, den wir als SPD seit vielen Jahren gefordert haben. Wir wollen, dass in Hessen eine sogenannte Opferstiftung geschaffen wird, die jenseits des Opferentschädigungsgesetzes Opfern schnell und unbürokratisch Hilfe leistet. Ich nenne Ihnen ein Fallbeispiel aus der Praxis. Frau M. wurde von ihrem Mann schwer misshandelt,

hat ihre Wohnung und ihre Arbeit verloren. Sie hat nach den gesetzlichen Bestimmungen keinen Anspruch auf Opferentschädigung im konkreten Fall. Die Stiftung hat ihr aber 2.000 € überwiesen. Sie kann mit diesen 2.000 € zumindest ihre Wohnung einrichten und die Kaution bezahlen. Das ist ein Fall aus der Praxis, und so gibt es viele, auch hier in Hessen.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen, dass es ein großer Fehler ist, dass die CDU in Hessen, aber auch Sie, Frau Kühne-Hörmann, Opfern von Straftaten diese unbürokratische Hilfe verwehren. Wir brauchen in Hessen endlich eine Opferstiftung.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, Hessen steht angesichts wachsenden Terrorismus und Extremismus, eines Anstiegs der organisierten Kriminalität und Internetkriminalität vor großen Herausforderungen für die Belange der Bürgerinnen und Bürger in der inneren Sicherheit. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Statt salbungsvoller Worte brauchen wir endlich Taten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))