Wir haben diese Entwicklungen schon einmal in der Geschichte unseres Landes gehabt. Sie sehen sicherlich niemanden vor sich, der eine umfassende und von oben nach unten organisierte Funktional- und Flächenreform in Hessen organisieren möchte. Wir Freien Demokraten möchten, dass vor Ort Anreize geschaffen werden, dass Kommunen, ja, sogar Kreise miteinander arbeiten können, dass sie sich vielleicht sogar zusammenschließen und effiziente und effektive Strukturen organisieren können. Ich darf all denjenigen – dazu gehörte ich bis vor vier Wochen auch –, die die Rechtslage der HGO und der HKO nicht zu 100 % auswendig gelernt haben, sagen: Auf kommunaler Ebene haben Städte und Gemeinden laut HGO, §§ 16 und 17, die Möglichkeit, sich freiwillig zusammenzulegen. Die Voraussetzungen für die freiwilligen Zusammenlegungen sind zum einen ein Bürgerentscheid und zum anderen der Beschluss der jeweiligen Gemeindevertretung.
Sie können sich daran erinnern, jedenfalls diejenigen, die aus Südhessen kommen und damit beschäftigt waren: So eine Diskussion hatten wir vor einigen Jahren, im Jahr 2007, zwischen Michelstadt und Erbach. Da hatten die kommunalen Gebietskörperschaften beschlossen, dass sie sich zusammenlegen wollten, dass die beiden Städte zusammengehen wollten. Aber es waren dann die Bürgerinnen und Bürger, die gesagt haben: Nein, wir möchten das nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger ist von besonderer Bedeutung; denn Zusammenschlüsse kann man nur machen, wenn die Bürgerinnen und Bürger auch mitmachen. Ich sage hier einfach nur: Stadt Lahn – ein klassisches Beispiel dafür, dass man, von oben nach unten oktroyiert, eine Zusammenlegung nicht durchführen kann. Diesen Fehler, der in den Siebzigerjahren von unseren Ahnen gemacht worden ist, wollen wir auf keinen Fall machen.
Deshalb wollen wir, das ist unser Vorschlag, nicht nur auf der Ebene der Städte und Gemeinden, sondern auch auf der
Ebene der Kreise eine Entscheidungsbefugnis vor Ort einführen, dass die Menschen, die Politiker vor Ort entscheiden können: Ja, wir möchten zusammengehen. – Nicht mehr und nicht weniger: Freiwilligkeit wollen wir in die HKO hereinbringen.
Wir geben auch offen und ehrlich zu, dass diese Diskussion ein bisschen angestachelt ist durch den scheidenden Landrat Wilkes, der ein entsprechendes Papier im Zusammenhang mit den Landkreisen Bergstraße und Odenwald vorgelegt hat. Wir haben Sympathie dafür,
dass insbesondere diejenigen, die vor Ort aktiv sind, entscheiden können, ob sie eine bessere Struktur, eine effektivere Struktur in ihrer Verwaltung haben wollen, ja oder nein. – Lieber Herr Schork, ich antworte ganz entspannt darauf: Wenn die Bürgerinnen und Bürger im Odenwald und an der Bergstraße sagen würden: „Ja, wir möchten einen gemeinsamen Kreis bilden“, dann wird jedenfalls Jörg-Uwe Hahn im Landtag nicht dagegen stimmen, und ich schätze, Herr Schork auch nicht.
Der Bürger hat aber derzeit nicht die Möglichkeit, darüber abzustimmen – das ist der zweite Teil meines Hinweises auf die Rechtslage –, weil wir zwar in den Kommunen einen Bürgerentscheid haben, nicht aber auf Kreisebene. Jetzt kann ich Ihnen, da ich ein bisschen nachgelesen habe, auch sagen, warum dieser Unterschied gemacht worden ist. Kreise können nur durch ein Gesetz zusammengelegt oder getrennt werden, das der Hessische Landtag zu beschließen hat. Aber wir möchten dazu ermuntern, dass die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, zu entscheiden: Es ist vernünftig, dass unsere Kreise zusammengehen, und – das ist der zweite Punkt – das rechnet sich auch für meine Kommune.
Ganz klar ist, dass nicht der jeweilige Finanzminister dann den Profit, den Mehrwert aus dem Zusammenschluss abfiltern kann, irgendwie in den KFA hereinrechnen kann, sondern dann müssen wir uns in diesem Haus darauf verständigen, dass alles, was an Positivem mit dem Zusammenschluss zu tun hat, vor Ort in der Gemeinde bleibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gehe für die Freien Demokraten in diesem Haus sogar noch einen Schritt weiter und sage: Wir möchten, dass sich das Land daran intensiver als bisher beteiligt. Wir möchten, dass das Land stärkere Anreize für freiwillige Zusammenschlüsse setzt. Wir möchten, dass das Land versucht, in absehbarer Zeit Kreise zu finden, die bereit sind, dieses Experiment zu wagen, und die dann auch als Pilotprojekt unterstützt werden. Letztlich nützt das nämlich auch dem Land. Wenn wir weniger, aber besser organisierte Ansprechpartner vor Ort haben, so haben wir als Land auch weniger Kosten.
Deshalb will ich die vorgeschlagene Zeit von zehn Minuten gar nicht auskosten und ausnutzen. Ich will Ihnen sagen: Es gibt konkrete Überlegungen der Gemeinden Beerfelden, Sensbachtal, Hesseneck und Rothenberg im Odenwald, sich zu der Stadt Oberzent – über Namen kann man sich sicherlich streiten; man sollte es einfach lassen, wenn man da nicht wohnt – zusammenzuschließen. Wir finden
es gut, wenn die Bürger vor Ort das nach den bestehenden Regeln der HGO machen. Wir möchten aber auch, dass solche Ideen wie die von Herrn Wilkes und anderen aus dem Odenwaldkreis und der Bergstraße umgesetzt werden können, dass wir auch in Kreisen diese Diskussion zu einem positiven Ende führen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Land Hessen muss stärkere Anreize für freiwillige Zusammenschlüsse setzen. Dazu gehört unter anderem auch eine Änderung der hessischen Kommunalordnung. Das regen wir mit dieser Debatte nunmehr an. – Vielen herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, ich begrüße auf der Besuchertribüne den Marschall des Senats der Republik Polen, Herrn Bogdan Borusewicz, sowie die Mitglieder seiner Delegation. Seien Sie herzlich willkommen bei uns im Hessischen Landtag.
Ich rufe den nächsten Redner auf, das ist der Kollege Bauer von der CDU Fraktion. Herr Kollege Bauer, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Reformen hinsichtlich der Verwaltungsstruktur und eines Staatsgebietes sind vielleicht so alt wie die Staaten selbst, die gab es schon im Römischen Reich. Für Gebietsreformen gibt es verschiedene Grundsätze, die man berücksichtigen soll. Die fangen schon lange im Vorfeld bei der Vorbereitung an, dann bei der eigentlichen Umsetzung, und auch im Nachhinein bei der gelebten Praxis der neuen, größeren Einheit muss man viele Dinge beachten – ein sehr sensibles Thema, wie wir, unserer eigenen Zusammenlegungspraxis in den Siebzigerjahren geschuldet, wissen.
Meine Damen und Herren, die Ziele einer solchen Strukturreform und Verwaltungsreform sind häufig unter anderem Einsparungen und auch Effizienzsteigerungen der Kommunalverwaltungen und anderer Einrichtungen. Die müssen allerdings, auch das zeigt die Erfahrung der Vergangenheit, nicht notwendigerweise eintreten. Vielmehr können Zusammenlegungen auch zu einer Verringerung von Effizienz und Effektivität führen. Man muss also schon sehr genau hinschauen.
Sie wissen selbst, und Kollege Hahn hat es auch angesprochen: Zwischen 1967 und 1978 reduzierten zahlreiche Länder der Bundesrepublik Deutschland die Zahl ihrer Gemeinden. Dies wurde teils durch Vereinbarungen zwischen den Gemeinden auf freiwilliger Basis oder auch durch Hoheitsakte erreicht. Die Gebietsreform in Hessen wurde von 1972 bis 1977 durchgeführt. Ziel war es damals, mittels größerer Verwaltungseinheiten leistungsfähigere Gemeinden und Landkreise zu schaffen.
Im Jahr 1969 gab es in Hessen 2.642 Gemeinden, 39 Landkreise und neun kreisfreie Städte. Die damalige Hessische Landesregierung mit Ministerpräsident Albert Osswald
setzte sich damals das Ziel, die Zahl der Gemeinden und Kreise zu reduzieren. Heute gibt es in Hessen 421 Gemeinden in 21 Landkreisen und fünf kreisfreie Städte.
Für die Gemeinden wurden damals – ich lege großen Wert darauf, dass man das in der weiteren Debatte berücksichtigt – Anreize für einen freiwilligen Zusammenschluss geschaffen, unter anderem durch Vergünstigungen im Kommunalen Finanzausgleich. Nach der deutschen Wiedervereinigung gingen auch in den ostdeutschen Ländern die Gemeindereformen voran. In einzelnen ostdeutschen Ländern sind sie bis heute noch nicht abgeschlossen.
Die heutige Wissenschaft beurteilt die damaligen Fusionen durchaus als gelungen, sie waren allerdings auch dem Zeitgeist der Technokratie geschuldet. Die Verbesserungen an Effizienz und Effektivität werden jedoch häufig bezweifelt; denn es gibt empirisch keinen Automatismus, dass größere Einheiten automatisch effizienter wirtschaften. Kritiker bemängeln, dass in vielen kleineren Gemeinden, die zusammengelegt worden sind, häufig das Wir-Gefühl verloren gegangen sei und auch die Bereitschaft, sich für das eigene Dorf zu engagieren.
Meine Damen und Herren, ich kenne auch heute noch Debatten, in denen es um die Befürchtung geht, wenn sich z. B. Ortsteilfeuerwehren zusammenschließen sollen, um gegebenenfalls effizienter aufgestellt zu sein, dass die Identifikation verloren geht und das persönliche Engagement abnimmt, wenn man sich für die neue Einheit einsetzen soll. Deshalb ist es ganz wichtig – das ist für die CDU der Maßstab –, die Bürgerinnen und Bürger bei solchen Prozessen mitzunehmen. Das ist das A und O.
Wir sehen das ähnlich. Denn die Zusammenarbeit muss wachsen. Bei Fusionen ist der Bürgerwille der entscheidende Impulsgeber. Wenn die Bevölkerung das will, dann kann man den Weg auch gehen. Wir haben deshalb schon bei der letzten Überarbeitung der Hessischen Gemeindeordnung im Jahr 2011 – nach den Erfahrungen von Michelstadt und Erbach, die Kollege Hahn geschildert hat – den Weg für Fusionen von Städten und Gemeinden bewusst vereinfacht. Man hat aus gescheiterten Fusionsbemühungen gelernt, nämlich dass der Bürgerwille am Anfang des Prozesses stehen muss und nicht am Ende von politischen Verhandlungen.
Deshalb wurde damals mit § 8b der Hessischen Gemeindeordnung der Gemeindevertretung das Recht eingeräumt, die Entscheidung über die Fusion von Gemeinden an das Volk, an den Souverän, zurückzugeben, und ein sogenanntes Ratsbegehren wurde eingeführt. Ein solcher Prozess ist grundsätzlich auch für die Fusion von Landkreisen denkbar. Ganz entscheidend ist aber: Kreise, Städte und Gemeinden sind die Orte, wo der Bezugspunkt zum alltäglichen Leben der Menschen liegt. Menschen identifizieren sich über ihren Ort, über ihre Region, teilweise auch über ihren Landkreis. Es ist nicht überall in Hessen nur ein Kunstprodukt. Das hat auch etwas mit regionaler Identität zu tun. Es sind die kommunalen Entscheidungen vor Ort, die sich in Stadtteilen niederschlagen, die sich unmittelbar auf das Leben von Menschen entsprechend auswirken.
Gerade vor diesem Hintergrund und auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels brauchen wir nach wie vor die Bereitschaft der Menschen, sich für ihren Ortsteil einzusetzen und nicht für ein anonymes Gebilde, zu dem sie gegebenenfalls keinen eigenen Bezug mehr entwickeln können.
Es bedarf deshalb – das ist der nächste Gedanke – der Identifikation mit einer etwaigen größeren Einheit, die vielleicht besser wirtschaften kann, in der aber die Menschen vielleicht den Bezug zu der eigenen Mitgestaltung verlieren können. Deshalb sagen wir Christdemokraten: Die Kooperation steht für uns vor etwaigen Fusionsgedanken. Das muss der Anfang eines Prozesses sein, und es ist bekanntlich ein sehr komplizierter Prozess.
Für die Kooperationen gibt es schon seit vielen Jahren tatkräftige Unterstützung vom Land Hessen, um die uns viele andere Bundesländer beneiden. Es gibt Kooperationsideen, die wir im Koalitionsvertrag ausdrücklich würdigen. CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben vereinbart, den Ausbau der interkommunalen Zusammenarbeit weiterhin zu stärken. Dem messen wir eine große Bedeutung bei und müssen dafür weiterhin entsprechende Anreize bereitstellen.
Sie wissen selbst, dass wir die freiwillige Zusammenarbeit von Kommunen und auch von Landkreisen fördern, z. B. in dem Kompetenzzentrum für Interkommunale Zusammenarbeit, dem K-IKZ in Wiesbaden. Das K-IKZ wird gemeinsam vom Land und den drei Kommunalen Spitzenverbänden betrieben. Seit Gründung im Jahr 2009 wurden insgesamt 9,5 Millionen € Zuschüsse an Städte, an Kooperationen, an Verbünde ausgezahlt, die die entsprechende Kooperation verstärkt, vertieft und damit ihre Strukturen modernisiert und effizienter ausgerichtet haben. Ich denke, das ist ein guter Weg, den wir auch mutig fortsetzen müssen. Das geschieht nicht nur aus der Not vor Ort heraus, sondern der Bund der Steuerzahler mahnt uns ja regelmäßig, dass wir bei den Kommunen entsprechende Effizienzbemühungen einfordern sollen.
Angefangen hat die Kooperation der Kommunen bei ganz banalen, alltäglichen Dingen, wie bei der Fusion von Standesämtern, etwa der Stadt Taunusstein mit der Gemeinde Hohenstein im Untertaunus, oder auch bei der Zusammenlegung von Standesamtsbezirken. Inzwischen gibt es Teamarbeiten von Kommunen im Bereich des Finanzwesens, der Personalverwaltung, der EDV. Viele Regionen sind da sehr aktiv. Das größte Projekt in der Vergangenheit war die Fusion von Bauhöfen. Es gibt viele vernünftige, effiziente Lösungen vor Ort, die Ressourcen und den Bürgern letztendlich Geld sparen.
Meine Damen und Herren, auch Kreise können stärker zusammenarbeiten. Sie wurden in den Förderungskatalog der IKZ aufgenommen. Da sind die Kooperationsmöglichkeiten bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Deshalb sollte man zunächst schauen, in welchen Bereichen man kooperieren kann, damit man für die entsprechenden Bemühungen, dass man auch zusammenwächst, frühzeitig die richtigen Weichen stellt und den Weg dann auch beschreiten kann.
Einvernehmliche Zusammenschlüsse sind in Hessen auch auf der Kreisebene von der Landesregierung gesetzgeberisch stets positiv unterstützt worden. Um Ihr Beispiel zu nehmen: Wenn die Bergstraße und der Odenwald fusionieren wollen – ich habe da allerdings sehr unterschiedliche
und gespaltene Signale gehört –, dann wird sich das Hohe Haus sicherlich nicht dagegen aussprechen und sich nicht dem Willen in den Weg stellen. Aber man muss zunächst einmal vor Ort schauen: Ist das, was man hier unterstellt, überhaupt der Fall?
Will der Kreis Bergstraße mit seinen Gremien und den Menschen, die dort leben, überhaupt in den Prozess einsteigen? Wollen das die Personen im Odenwald? Da habe ich schon sehr differenzierte Signale gehört. Deshalb ist unser Appell: Lassen Sie uns gerade bei solchen Überlegungen die Kooperation stärken, bevor wir über Fusionen fabulieren und nachdenken.
Ich bin der Auffassung: Wenn sich alle vor Ort einig sind – so kann ich es zum Schluss meiner Rede relativ einfach sagen –, dann wird sich niemand in den Weg stellen. Wenn die Betroffenen das wollen und es keine gewichtigen Einwände dagegen gibt, kann man das auch jetzt schon machen. Dazu brauchen wir keinen FDP-Antrag. Man kann den Rahmen des rechtlich Möglichen jetzt schon ausschöpfen. – Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Bauer. – Als nächster Redner spricht Kollege Eckert von der SPD-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege. Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nirgendwo ist die Politik den Menschen so nah wie auf der kommunalen Ebene – in den Städten, Gemeinden und Landkreisen unseres Landes.