Wir bewerten, aber wir urteilen erst dann, Frau Faeser, wenn es dazu ausreichendes Material und Gelegenheit gibt, sich im Untersuchungsausschuss ein Urteil zu bilden –
anders als Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie offensichtlich Ihre Urteile schon gefunden haben.
Herr Schäfer-Gümbel hat damals das Nichteinsetzenwollen eines Untersuchungsausschusses durch die SPD mit dem Satz begründet:
Das hat viele Gründe. Ein wesentlicher ist, dass wir gerade bei diesem Thema aufpassen müssen, dass nicht der Eindruck entsteht, es würden bei einem so ernsten Thema parteipolitische Spiele gespielt.
(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schäfer- Gümbel (SPD): Das ist ungeheuerlich! – Weitere Zurufe von der SPD)
Vielen Dank, Herr Kollege Boddenberg. – Das Wort hat nun der Kollege Wagner, Fraktionsvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Meine Damen und Herren, wir hatten uns einmal vereinbart, wenn ein Redner ans Rednerpult geht, dass wir ihn nicht mit allen möglichen freundlichen, unfreundlichen Bemerkungen begleiten. Ich will es einmal so ausdrücken. Das ist keine Rüge an irgendeinen. Es soll jeder einmal schauen, wo er daheim ist. – Bitte sehr, Herr Kollege Wagner.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des NSU-Terrors am 23. Februar 2012 hat Frau Bundeskanzlerin Merkel gesagt – ich zitiere –:
Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
Das ist und bleibt der Auftrag für uns alle. Die Hessische Landesregierung und der Hessische Landtag stellen sich dieser Verantwortung mit einer Expertenkommission und mit einem eigenen Untersuchungsausschuss. Die parteiübergreifende Expertenkommission hat eine herausgehobene Stellung. Auch der Untersuchungsausschuss ist kein Untersuchungsausschuss wie andere vor ihm.
Ich habe mir einmal herausgesucht, womit sich dieser Hessische Landtag seit den Neunzigerjahren in Untersuchungsausschüssen beschäftigt hat. Da ging es einmal um die Berufung und die Entlassung eines Staatssekretärs, es ging um die Veräußerung einer landeseigenen Liegenschaft, Burg Staufenberg, oder es ging um die Förderung der European Business School. Das alles sind wichtige Themen, keine Frage – aber eben nicht vergleichbar mit
Hier geht es um Mord. Hier geht es um Terror. Hier geht es um die nach wie vor unfassbare Tatsache, wie uns diese Vorgänge so lange entgangen sein konnten, wie wir so lange nicht verstehen konnten, was dort tatsächlich passiert.
Deshalb ist dieser Untersuchungsausschuss kein Ausschuss wie jeder andere. Das ist kein Ausschuss, in dem sich Regierung und Opposition gegenüberstehen.
(Nancy Faeser (SPD): Das stimmt leider nicht! – Weitere Zurufe – Glockenzeichen des Präsidenten – Hermann Schaus (DIE LINKE): Warum verhaltet ihr euch dann so?)
Das ist kein Ausschuss, in dem sich Parlament und Regierung gegenüberstehen, sondern es ist ein Ausschuss, in dem wir alle diesen unfassbaren Morden gegenüberstehen, wir alle verpflichtet sind, aufzuklären, und wir alle dafür Sorge tragen müssen, dass sich so etwas nie wiederholen kann.
Weil das kein Ausschuss wie jeder andere ist, sollten wir auch nicht in die Rituale wie bei anderen Ausschüssen verfallen.
Alle sollten die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses nach Kräften unterstützen. Alle sollten zweimal nachdenken, bevor sie das große Ziel der Aufklärung zugunsten der kleinen parteipolitischen Münze hintenanstellen.
Alle sollten ihre Worte sorgsam wählen und bedenken, welche Bilder sie erzeugen oder welche Schlüsse sie nahelegen.
Das ist kein Ausschuss wie jeder andere. Vorhin habe ich einige Untersuchungsausschüsse genannt. Wenn wir in diesen früheren Ausschüssen über politische Verantwortung sprechen, dann sprechen wir über die Verantwortung für die Entlassung eines Staatssekretärs, für die Veräußerung einer Liegenschaft oder über die politische Verantwortung für die Förderung einer privaten Hochschule. In diesem Ausschuss reden wir, wenn wir über Verantwortung reden,
(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Und was ist mit Biblis? Oder den Steuerfahndern? Das sind nur Nebelkerzen!)
über die Verantwortung für Mord, für Terror, für das Versagen, diese Zusammenhänge rechtzeitig zu erkennen. Deshalb sollten wir sehr sorgfältig wägen, was wir in diesem Zusammenhang sagen.
Bevor wir Schlüsse, Vorwürfe, Verdächtigungen gegenüber Institutionen, einzelnen Personen oder auch Politikern nahelegen, sollten wir lieber zweimal statt einmal nachden
Damit gar kein Missverständnis entstehen kann: Nach der Aufklärung muss auch hart geurteilt werden. Nach der Aufklärung müssen auch Verantwortlichkeiten klar benannt werden. Aber bei diesem Ausschuss verbietet es sich, erst zu urteilen und dann aufzuklären.
Meine Damen und Herren, ich sage ausdrücklich: Auch wenn manche Vorgänge als „ausermittelt“ gelten, sollten wir trotzdem offen sein für neue Fragen und Erkenntnisse. Wir sollten offen sein für neue Antworten auf alte, ungelöste Fragen.
Lassen Sie uns alle gemeinsam fragen, wie wir bestmöglich zur Aufklärung beitragen können. Lassen Sie uns alle in uns gehen, wie wir das in der Arbeit dieses Untersuchungsausschusses noch besser machen können. Denn, meine Damen und Herren, dieser Untersuchungsausschuss ist kein Untersuchungsausschuss wie andere.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Wagner, in der Tat: Dieser Untersuchungsausschuss ist kein Untersuchungsausschuss wie jeder andere. Da stimme ich Ihnen zu, aber da endet auch schon fast die Zustimmung zu und die Übereinstimmung mit Ihrem Beitrag.
Denn über drei Jahre nach dem Auffliegen des Naziterrornetzwerks NSU gibt es noch viele offene Fragen. Aber nicht nur, es gibt zwischenzeitlich auch Antworten.
So haben Untersuchungsausschüsse festgestellt, dass die Gefahr durch Nazigewalt und -terror jahrelang falsch eingeschätzt wurde. Teilweise wurde diese Gefahr wissentlich heruntergespielt. Teils haben sich staatliche Akteure mitschuldig gemacht. Hoch kriminelle Nazis wurden als VLeute mit Staatsgeld bezahlt und vor Strafverfolgung geschützt.
Herr Wagner, bisher wurde nicht lückenlos aufgeklärt – anders, als es Angela Merkel den Opfern persönlich versprochen hat. Stattdessen wurden Akten geschreddert, Akten gesperrt, und die Verfassungsschutzbehörden sind durch die Bank einer Art Schwarmdemenz verfallen.