Protocol of the Session on December 18, 2014

Welche Kraft die Auseinandersetzung in der kulturellen Debatte haben kann, können wir – und zwar in übelster Form – an der Denkmalstürmerei von der Antike bis zur Gegenwart sehen, wenn sie versucht, Geschichte zu verhindern.

Meine Damen und Herren, anderswo werden solche Debatten geführt. Am Montagabend dieser Woche hat der französische Staatspräsident Hollande das Nationale Museum für die Geschichte der Einwanderung in Paris eingeweiht.

Das Museum wurde bereits 2007 eröffnet. Es ging auf Jospin zurück, der sich als integrationsoffen erweisen wollte. Zu jener Zeit war allerdings Sarkozy Präsident, und dieser hat sich aus integrationspolitischen Erwägungen heraus geweigert, das Museum einzuweihen. Hollande holt die versäumte Einweihung sieben Jahre später demonstrativ als Bekenntnis zur Rolle Frankreichs als traditionelles Einwanderungsland nach, auch deshalb, um sich von dem wieder erstarkten Oppositionspolitiker Sarkozy und seinen Ideen abzugrenzen.

Dass an kulturellen und kulturpolitischen Symbolen grundsätzliche Fragen des Staates, der Gesellschaft, der Interpretation von Grundsatzfragen und Werteentscheidungen ausgetragen werden und ausgetragen werden können, ist richtig und sinnvoll. Die kulturpolitische Debatte – insbesondere dann, wenn am Ort der Spannungen geführt wird – ermöglicht ein elegantes, zugleich aber auch diskursfähiges An- und Aussprechen der Konflikte, die ausgetragen werden müssen. Sie ermöglicht die Klärung wichtiger und kritischer Fragen, die beratungsbedürftig sind. Einigkeit bedarf keiner Debatte. Sie quält allenfalls durch Langeweile.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Nun findet in dieser Plenarsitzung eine kulturpolitische Debatte statt. Dass das überhaupt passiert, ist allerdings ein Lichtblick. Und es ist nicht einfach nur ein Antrag: nein, in der wenigen Zeit, die für Debatten zur Verfügung steht, ein Setzpunkt, ein inhaltlicher Schwerpunkt der Mehrheitsfraktion. Doch was ist der Gehalt der Debatte? Was ist der Gegenstand der kulturellen Auseinandersetzung?

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Wir hörten eine schöne Einführungsrede – etwas zu früh. Der Kauf und der Erhalt des Brentanohauses werden nicht erst seit heute diskutiert. Die Frau Kollegin hat eben dankenswerterweise darauf hingewiesen, wie lange die Debatte schon geführt wird und wer sich engagiert hat. Die Sozialdemokratie hat letztes Jahr gar ein Nutzungskonzept vorgelegt. Niemand ist wirklich dagegen, und es geht ja auch um eine schöne Sache. Es ist zutreffend: Wir alle sind dafür.

Aber wenn es denn so einmütig ist, meine Damen und Herren, warum debattiert das Parlament darüber? Was ist der

Gehalt der Debatte? Sind wir der Werbeblock zur Verkündigung, sind Flyer zu teuer, sollen wir den Radiospot zur Einweihung ergänzen? Oder – das wäre schlimmer – traut die Mehrheit Ihrer Pressestelle nicht zu, die Pläne der Regierung ordentlich bekannt zu machen, Herr Staatsminister?

Was soll eine derartig unpolitisch-biedermeierliche Harmonie – noch dazu an einem Gegenstand der Romantik? Die Romantik: die Kultur der Leidenschaften, wo es stürmt und drängt, persönliche, kulturelle, soziale, in Poesie geformte Emotionalität, manchmal unheimlich, manchmal überzogen, manchmal gefährlich, aber immer offen, ehrlich, authentisch. Eine solche Debatte über Kultur wäre der Romantik angemessen. Und was machen Sie? Selbstloberfülltes, weihrauchvernebeltes Parlamentsgerede. Herr Staatsminister, Sie haben das doch gar nicht nötig.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Holger Bellino (CDU): Was haben Sie denn heute Morgen gefrühstückt? Gibt es das auch ohne Rezept?)

Im Gegenteil, wenn die Mehrheit mit solcher parlamentarischen Wucht ihre Initiativen kundtun muss, dann kommen einem doch eher Zweifel. Wir sind uns bezüglich Brentanohaus, Romantikmuseum und Osteinischer Park doch einig. Wenn es aber gar nichts auseinanderzusetzen gibt, dann bedarf es doch keiner Debatte an dem Ort, an dem der Wille des Volkes in allgemeine Gesetze zu überführen ist. Warum dann dieser Setzpunkt?

Schaut man sich die Reihe der Regierungserklärungen an, die wir in dieser Legislaturperiode erleben durften: ein Sammelsurium der Oberflächlichkeiten und der Nichtssagenheit. Dann allerdings passt der Antrag gut: biedermeierliches Stillhalten, bloß keine Substanz hervorkommen lassen. Eine Politik wie Kuschelrock und Helene Fischer.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei Abge- ordneten der LINKEN)

Und das ausgerechnet in einer kulturpolitischen Debatte. Statt produktiver Kräfte, die den Landtag und natürlich auch diese Koalition auszeichnen könnten, statt gesellschaftlicher Grundsatzreibungspunkte, aus denen produktive Bewegung entstehen könnte – endlich auch einmal in diesem Parlament –, schütten Sie uns zu mit Knödel-Kleister-Pampe aus Spitzwegbildchenküchen. Einen solchen Diskurs haben brentanosche Leidenschaften nicht verdient.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Holger Bellino (CDU): Ihre Rede hat er auch nicht verdient! Was für ein Unfug!)

Gerade die Romantiker wussten um das Risiko, mehr aber noch um den Wert der ausgesprochenen Leidenschaft, die das Leben in Bewegung und das Verständnis voranbringt. Was macht Ihnen denn solche Angst, dass Sie diese kulturpolitische Debatte so anlegen, dass Sie uns mit Kleber einlullen?

Meine Damen und Herren, Kulturdebatten sind zutiefst politisch, aber keineswegs parteilich, wenn sie denn ehrlich und authentisch sind. Sie bringen die Grundfragen auf den Tisch, und wenn sie erfolgreich sind, dann führen sie manchmal zu einem ganz unerwarteten Erkenntnisfortschritt aller Beteiligten. Wer schon alles weiß, kann keine Kulturdebatte führen.

Herr Staatsminister, was haben Sie diesen Leuten getan? Statt Ihnen die Gelegenheit zu einer diskursiven, wider

sprüchlichen, also spannenden Debatte jenseits von Pressemitteilungen zu geben, mit der die Regierung – das ist ihr gutes Recht, ja ihre Aufgabe – das Projekt sowieso begleiten wird, wird Ihnen mit trübem Weihrauch das strahlende Licht der Erkenntnis, das Leuchten der erhellenden Debatte, der Glanz des schimmernden Disputs verweigert. Was haben Sie nur für Freunde, Herr Staatsminister?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LIN- KEN)

Herr Staatsminister, wollen Sie ein Minister sein, der die Kulturpolitik auf ein paar wenige historisch konsensuale, einvernehmliche, aber gerade deshalb politisch und kulturell, auf die Gegenwart bezogen, doch eher belanglos-harmonische Einzelobjekte reduziert? Soll man sich so Ihrer erinnern? Biedermeierliches Pfeifenstübchen statt selbstbewusst-materialistischer Zigarre? Ich kenne Sie anders.

Man könnte das Ganze als possierliche Provinzposse abtun. Aber die Entpolitisierung der kulturellen Debatte ist in Wahrheit ein tiefer Sündenfall in einer langen Reihe von Anschlägen auf den Parlamentarismus durch Langeweile. Kunst ist immer ein Schritt aus der Gegenwart – hinaus in die Zukunft. Die Gegenwart rückblickend, wertend und weiterführend zu betrachten – das macht Kunst und Kultur politisch und spannend.

(Beifall bei der SPD)

Es ist nicht nur die Kunst selbst, wie eingangs dargelegt, sondern auch der kulturpolitische Dissens, der nach dem intellektuellen Florett verlangt, nach Klirren und Funkenstieben, auf dass im Disput die Synthese aus These und Antithese zu etwas Neuem führe. Ihre Entpolitisierung ist nicht nur langweilig, sondern auch gefährlich. Sie trägt zur Entpolitisierung der Debatten in der Gesellschaft insgesamt bei.

Gerade die Debatten, bei denen ein Symbol im Zentrum steht, gerade die Debatten um kulturelle Symbole ermöglichen eine gesellschaftliche Klärung. Sie machen das Politische spannend. Sie machen Politik attraktiv und reizvoll. Ehrliche und spannende Auseinandersetzungen verführen zur Partizipation. Harmoniesoße ist langweilig und unauthentisch. Sie macht das Politische unerheblich. Das führt zu Abwendung, Wahlabstinenz und Politikverweigerung.

Noch einmal, meine Damen und Herren: Brentanohaus, Osteinischer Park und Romantikmuseum sind schöne Dinge. Niemand bestreitet das – im Gegenteil. Aber die Trivialisierung des Politischen, der politischen Kultur und der Kulturpolitik, vor allem aber die Trivialisierung des Parlaments durch weihrauchdurchnebelte Selbstzufriedenheit stehen in der Kritik. Uns gegenseitig zu sagen, wie schön es ist, dass Schönes schön ist und noch schöner wird, ist geistiger Kleinmut, der dem Hohen Hause schlecht zu Gesicht steht und den hier niemand nötig hat. Mehr Mut zur Debatte, Herr Minister und Anhangsmehrheit. Es wäre der Mühe wert.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Das Wort hat die Abg. Nicola Beer, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, auch ich habe den Antrag mehrfach lesen müssen, weil ich hinsichtlich meiner Reaktion darauf längere Zeit geschwankt habe.

(Michael Boddenberg (CDU): Wir haben nicht geschwankt!)

Ich stimme zu: Wir führen nicht zu oft kulturpolitische Debatten in diesem Hause. Ich stimme zu: Es herrscht Einigkeit im Hinblick auf den in dem Antrag dargestellten Dreiklang und die nicht unerheblichen Investitionen, bei denen wir Hand in Hand mit dem Bund gehen, im Hinblick auf das Brentanohaus auch Hand in Hand mit dem Kreis und der Stadt. Wir haben gesehen, dass es hier ein ganz erhebliches zivilgesellschaftliches Engagement gibt, zumal die über 6 Millionen € für das Romantikmuseum in Frankfurt, die schon gesammelt worden ist, innerhalb kurzer Zeit zusammenkamen. Das kann sich wirklich sehen lassen.

Wir müssen als Politiker zugeben, dass wir von diesem Überschwang, dieser Euphorie für das Romantikmuseum durchaus angeschoben worden sind, was die Entscheidung betrifft. Das gilt für die Stadt Frankfurt, die lange zögerlich war bei der Entscheidung, und für das Land Hessen, das sich auch nicht leichttut. Ich glaube, gerade wir als Haushaltsgesetzgeber tun uns nicht leicht – wie ich feststelle, wenn ich mir die Diskussionen von gestern vor Augen führe –, solche Summen zu investieren. Trotzdem gibt es gleichzeitig eine Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen dieses Hauses, dass das eine gute Investition in die Zukunft unseres Landes ist.

Deswegen stellt sich für mich die Frage: Warum dann diese Debatte? Ich möchte aber ein bisschen anders darauf reagieren als der Kollege Spies,

(Beifall des Abg. Holger Bellino (CDU))

der offensichtlich eine Linie zwischen dem Schwärmerischen der Romantik und dem beißenden Spott der zeitgenössischen Kunst gesucht hat, um die Frage nach dem Warum der heutigen Debatte zu thematisieren.

Ich möchte an dieser Stelle den Schwerpunkt ganz bewusst auf die Frage „Warum die Romantik?“ legen. Sie ist nicht so simpel zu beantworten, dass man sich darauf zurückziehen könnte, zu sagen: „Diese kulturelle Bewegung, die ihren Ursprung in Deutschland hatte, ging eben auch von ganz wichtigen Orten in Hessen, in unserem Heimatland, aus“, sondern ich möchte mehr auf das eingehen, was in dieser Epoche passiert ist, und darauf, wie sie einzuordnen ist.

Es kommt nicht oft vor, dass der Landtag mit einer solch großen Übereinstimmung ausgerechnet über eine Epoche diskutiert, die vom Schwärmerischen, vom Gefühl, von der Leidenschaft und von der Individualität geprägt war und die sich mit der Seele, insbesondere mit der gequälten Seele, auseinandergesetzt hat. Das ist insofern erstaunlich, als hier doch eher nüchterne Daten, Zahlen und Fakten zur Sprache kommen und häufig die Polemik – vielleicht auch die Ironie – die Auseinandersetzung prägt.

(Michael Boddenberg (CDU): Das war ironisch gemeint! Jetzt wissen wir es!)

Als Liberale bin ich – Herr Kollege Boddenberg – natürlich sofort damit versöhnt, dass ausgerechnet diese Epoche herausgegriffen wird, erinnere ich mich doch an den fran

zösischen Lyriker Victor Hugo, der einmal gesagt hat: Die Romantik ist der Liberalismus in der Literatur. – Genau so war es in dieser Zeit, die für den Protest gegen die bürgerliche Alltagswelt steht: in der man dieser Alltagswelt die Welt der Fantasie und durchaus auch den Rausch als Alternative gegenüberstellte und dementsprechend schwerpunktmäßig im Fantastischen, im Gefühlvollen, im Wunderbaren, ja sogar im Märchenhaften seine Thematik suchte und letztendlich das Subjektive und seine Umsetzung in den Vordergrund rückte.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, damit gingen, wie wir uns erinnern, die Ablehnung des Zwangs zur Anpassung und zur Unterordnung sowie der Wunsch nach Freiheit einher, so, wie man sich als Freier Demokrat in unserer Zeit häufiger das Unangepasste, das Nichtkollektive, das Individuelle und das Freiheitliche wünschen würde. Dementsprechend wurden in der Romantik weder Form noch Inhalt festgelegt; es vermischten sich die Darstellungsformen von Prosa, Poesie, Liedern und Märchen. Die Romantik war somit eine Geistesbewegung, die sowohl Philosophie, Dichtung, Künste und Religion als auch Politik und Gesellschaft beeinflusste.

Insofern ist das ein gutes Konzept – Anerkennung an die Landesregierung –: nicht nur eine Gesamtschau der Orte, die hierfür in Hessen eine Rolle spielten, sondern auch eine Gesamtschau der verschiedenen Darstellungs- und Ausdrucksformen, von der Literatur über die Malerei bis zur Musik.

Bei aller Schwärmerei für das Sujet, die in Ihrem Antrag zum Ausdruck kommt: Ich glaube – das ist genau der Grund, warum ich meinen Redebeitrag eher entlang der historischen, auch der kulturell-historischen, Linie angelegt habe –, wir tun gut daran, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Epoche der Romantik, all dies Schwärmerische und Märchenhafte, auch mit einer Abwendung vom zeitgenössischen Geschehen verbunden war, dass man sich der Weltflucht hingab, also der Flucht ins Private und in die biedermeierlichen Welten, die das verklärten, was draußen tatsächlich geschah.

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Romantik von den aufkommenden nationalistischen Strömungen beeinflusst worden ist. Was damals noch die Suche nach der Identität der als Nation aufgefassten Gemeinschaft war, wurde in späteren Jahrzehnten zu einer unsäglichen Bewegung, von der sich letztendlich – wir erinnern uns daran, dass die Romantik Ende des 18. Jahrhunderts begann und bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hineinreichte – auch eine Linie ziehen lässt zu dem, was dann in den Kriegen des 20. Jahrhunderts, im Ersten und im Zweiten Weltkrieg, in unserem Land und darüber hinaus geschah.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von daher sage ich: Ja, auch wir tragen die Investitionen in diese Trias der Romantik mit. Aber ich habe die herzliche Bitte, dass wir als Vertreter und Diener dieses Volkes dies nicht nur in schwärmerischer Leidenschaft machen – so gern ich der Seele in der Politik das Wort rede –, sondern dass wir diese Epoche auch in einen historischen Gesamtzusammenhang stellen, der zeigt, es tut not, dass der Einzelne stets nicht nur sein Herz, sondern auch seinen Kopf in die gesellschaftliche Debatte mit einbringt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Das Wort hat Frau Abg. Feldmayer, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es bedauerlich, dass die heutige Debatte von der SPD – von Herrn Dr. Spies – nicht dazu genutzt wird, etwas mehr zur Kulturpolitik und zu dem vorliegenden Antrag zu sagen. Ich glaube, in den gestrigen Haushaltsdebatten hatten Sie nur noch 3 Minuten 26 Sekunden für das Thema Kultur und Wissenschaft übrig. Heute haben Sie eine Debatte darüber führen wollen, dass man nicht über Kultur debattieren soll. Das finde ich für den Vorsitzenden des Kulturpolitischen Ausschusses sehr bedauerlich.