Protocol of the Session on December 18, 2014

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Na ja!)

Es war genau so, das lässt sich auch nachvollziehen, lieber Thorsten Schäfer-Gümbel.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das lag ausdrücklich nicht an den GRÜNEN!)

Deshalb finde ich es sehr enttäuschend, dass wir jetzt an einem Punkt, an dem wir in den letzten Jahren eine so große Einmütigkeit erzielt hatten, auf die wir sehr stolz waren, einstimmige Beschlüsse in diesem Landtag hinzubekommen, jetzt im Klein-Klein des Parteienstreits versinken sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Meine Damen und Herren, in diesem Jahr ist es 20 Jahre her, dass endlich der § 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Dieser Paragraf stellte einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern in Deutschland seit 1871 unter Strafe und wurde während des Nationalsozialismus nochmals verschärft.

Das bedeutete, damals konnten ein Brief, ein Blick, ein Lächeln, die vertraut auf die Schulter gelegte Hand als strafwürdig ausgelegt werden. Schwule Männer wurden zwischen 1933 und 1945 in Konzentrationslager deportiert, sie mussten den Rosa Winkel tragen, es wurden Zwangskastrationen durchgeführt, lesbische Frauen wurden in den Konzentrationslagern systematisch vergewaltigt. – Auch das ist Teil des schrecklichsten Kapitels deutscher Geschichte, für das wir uns heute schämen.

(Allgemeiner Beifall)

Leider aber hat sich dieser menschenunwürdige Umgang mit Lesben und Schwulen auch nach der Befreiung vom Nationalsozialismus fortgesetzt. Weder die Alliierten noch die junge Bundesrepublik waren in der Lage, die Ausgrenzung zu beenden und wenigstens die Verschärfung von § 175 aufzuheben. Stattdessen wurden sogar aus den KZs befreite Homosexuelle zur Verbüßung ihrer Reststrafe in den normalen Vollzug überstellt.

Der § 175 in der verschärften Form der Nazis galt in der Bundesrepublik bis 1969 fort. Die Polizei hat Razzien in Bars und an öffentlichen Treffpunkten durchgeführt, sie hat zu Denunziation aufgefordert, sie hat Strichjungen mit Versprechen auf Straffreiheit ausgehorcht. Mehrjährige

Gefängnisstrafen, der Entzug der Fahrerlaubnis und der Verlust des Arbeitsplatzes waren häufig die Folge.

Die Zerstörung der bürgerlichen Existenz hat das Leben einer ganzen Generation schwuler Männer massiv eingeschränkt und bedroht. Sie wurden ihrer Menschenwürde beraubt, in der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt und in ihrer Ehre verletzt. Dieses Versagen der jungen Demokratie muss uns, die wir uns so gern und oft zu den Werten unserer Verfassung bekennen, ebenso beschämen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LIN- KEN und der FDP)

Genau deshalb ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957, das in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt, auch so schmerzhaft.

§ 175, so urteilte damals das höchste deutsche Gericht, sei „ordnungsgemäß zustande gekommen“ und nicht „in dem Maße nationalsozialistisch geprägtes Recht“, dass ihm „in einem freiheitlich demokratischen Staate die Geltung versagt werden müsse“. Die Verfolgung schwuler Männer sei vielmehr durch das „hemmungslose Sexualbedürfnis“ des homosexuellen Mannes und „die sittlichen Anschauungen des Volkes“ gerechtfertigt. So sagte das Bundesverfassungsgericht 1957.

Was hieß das eigentlich im Jahr 1957 für Homosexuelle in der Bundesrepublik? – Das hieß nichts anderes, als dass Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes für sie nicht galten. Ihre Würde war antastbar, das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit galt für sie nicht.

Kein Wunder, dass viele nach diesem enttäuschenden und verletzenden Urteil und der sich anschließend fortsetzenden Polizeiwillkür resignierten. Der ehemalige Bundesrichter Manfred Bruns, heute 79 Jahre alt, hat das prägnant zusammengefasst:

Der § 175 hat mein ganzes Leben beeinträchtigt, weil er eine so starke Macht auf das kollektive Bewusstsein der Bevölkerung hatte.

Meine Damen und Herren, darum ist es so wichtig, dass der Deutsche Bundestag im Jahr 2002 die Urteile bis 1945 für ungültig erklärt hat. Leider gilt das noch nicht für die Urteile aufgrund des Paragrafen, die bis 1969 gefällt wurden. Das liegt eben an diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Es ist nur sehr schwer erträglich, dass im demokratischen Deutschland weiterhin Männer mit dem Stigma leben müssen, vorbestraft zu sein, nur weil sie schwul sind.

(Allgemeiner Beifall)

Wir begrüßen deshalb ausdrücklich, dass die Bundesregierung angekündigt hat, zu prüfen, welche verfassungsrechtlichen Möglichkeiten bestehen, um auch die Urteile nach 1945 aufzuheben. Genau deshalb ist es so wichtig gewesen, dass auch der Hessische Landtag im Jahr 2012 die Kraft gefunden hat, sich in einem einstimmig getroffenen Beschluss bei den Opfern des § 175 zu entschuldigen und ihre Ehre wiederherzustellen.

In einem zweiten Beschluss, wenige Monate später, ebenfalls einstimmig, haben wir gemeinsam beschlossen, die Landesregierung zu bitten, eine Ausstellung und Dokumentation der Schicksale dieser Menschen zu initiieren

und zu unterstützen. Ich will mich dafür von hier aus nochmals bei allen Fraktionen des Hauses bedanken.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die neue Landesregierung kommt diesem Auftrag auch nach. Mit dem Sozialbudget stehen dafür 100.000 € zur Verfügung. Mit dem im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration durchgeführten Fachtag am 4. April dieses Jahres „Homosexuellenverfolgung in Hessen“ wurde ein hervorragender inhaltlicher Grundstein gelegt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hätte mir gewünscht und habe auch darauf hingearbeitet, dass wir dieses Thema auch weiterhin gemeinsam bearbeiten und den Weg, den wir 2012 eingeschlagen haben, fortsetzen. Das ist diesmal leider nicht gelungen. Dennoch sollte uns das im Interesse der Betroffenen und der Behutsamkeit, die das Thema verdient hat, im Ziel nicht auseinanderführen.

Meine Damen und Herren, schwul oder lesbisch zu sein ist weder eine willentliche Entscheidung noch ein schweres Schicksal. Es ist eine Spielart der Natur, genauso wie es z. B. Linkshänderinnen oder Linkshänder gibt. Stellen Sie sich – vielleicht insbesondere die, die in diesem Raum Linkshänder sind – für einen kurzen Moment vor, linkshändig zu sein würde aufgrund gesellschaftlicher Konventionen geächtet, verfolgt und bestraft.

Obwohl das so ist, werden homosexuelle Menschen in vielen Ländern der Erde bis heute erheblichen Repressionen ausgesetzt. Viele schweben sogar in Lebensgefahr. Wir haben das ebenfalls in einem gemeinsamen Beschluss dieses Hauses mit Blick auf Russland im vergangenen Jahr angeprangert. Die Zustände auf dem afrikanischen Kontinent – derzeit vor allem in Uganda und Ägypten – sind mindestens ebenso grauenhaft. Verfolgung findet statt, täglich, stündlich, minütlich. Unsere Geschichte verpflichtet uns zu besonderer Verantwortung eben auch gegenüber lesbischen Frauen und schwulen Männern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Frankfurt am Main war 1994 die erste Stadt, die den verfolgten Homosexuellen ein Mahnmal in ihrer Mitte gewidmet hat. Auf dem Sockel dieses Frankfurter Engels, der vor einer knappen Woche seinen 20. Geburtstag gefeiert hat, ist zu lesen:

Homosexuelle Männer und Frauen wurden im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet. Die Verbrechen wurden geleugnet, die Getöteten verschwiegen, die Überlebenden verachtet und verurteilt. Daran erinnern wir in dem Bewusstsein, dass Männer, die Männer lieben, und Frauen, die Frauen lieben, immer wieder verfolgt werden können.

So ist es, meine Damen und Herren: Nichts ist garantiert. Es gibt auch in unserem Land Menschen, die den gesellschaftlichen Fortschritt rückgängig machen wollen. Freiheit, Akzeptanz und Gleichberechtigung müssen stets aufs Neue verteidigt und aktiv vorangetrieben werden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Herr Kollege Klose, Sie müssen langsam zum Schluss kommen.

Ich komme zum letzten Satz, Herr Präsident. Vielen Dank. – Der Frankfurter Engel erinnert an die Verbrechen der Vergangenheit. Mit dieser Erinnerung geht aber immer auch die Mahnung für Gegenwart und Zukunft einher. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Vielen Dank, Kollege Klose. – Das Wort hat der Abg. Florian Rentsch, Fraktionsvorsitzender der FDP.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sexuelle Orientierung ist, wenn sie nicht in Rechte anderer eingreift oder die Freiheit oder das Selbstbestimmungsrecht anderer angreift, reine Privatsache. Sie ist nicht die Sache des Staates. Sie ist vor allem auch nicht die Sache des Rechtsstaates. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal, das von diesem Parlament, von dieser ersten Gewalt ausgehen muss. Wir akzeptieren jede Entscheidung jedes Menschen, weil es selbstverständlich ist und unser Grundgesetz genau das den Menschen auf den Weg gibt: freie Selbstbestimmung und keine staatliche Aufsicht über die Frage, was man sexuell im Privatleben entscheidet.

(Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Kollege Klose hat darauf hingewiesen: Diese Grundhaltung muss immer wieder neu verteidigt werden. Sie ist aber außerdem – das ist jedenfalls mein Gefühl – heute an vielen Stellen Gott sei Dank nicht mehr zu erarbeiten, sondern sie gibt es. Es gibt immer wieder Ausnahmen dazu, keine Frage. Deshalb ist diese Debatte wichtig, damit wir wissen, wo wir herkommen.

Wer sich § 175 und seine Geschichte in Deutschland anschaut, nicht nur in der Bundesrepublik, weiß, dass seit 1872 sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe gestanden haben. 140.000 Männer – wir reden hier übrigens immer nur von Männern, nicht von Frauen – sind verurteilt worden. Wer sich diese Schicksale anschaut, die in vielen Dokumentationen mittlerweile aufgearbeitet sind, weiß, dass diese Männer an vielen Stellen mit der polizeilichen Ermittlung, mit den öffentlichen Verfahren in ihrem Leben so diskreditiert wurden, dass weder ein weiteres Privatleben, eine weitere Sexualität möglich war, noch dass ein bürgerliches Leben oder eine berufliche Karriere möglich war. Diese Schicksale sind an dieser Stelle zu benennen. Sie sind Gott sei Dank mit vielen Beispielen von Menschen, die sich dazu bekannt haben, das auch selbst gezeigt haben, aufgearbeitet worden.

Deshalb ist das kein abstraktes Thema, sondern ein Thema von vielen Männern, die heute Gott sei Dank noch in die

sem Land leben. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal auch an diese Personen, dass wir sagen: Wir entschuldigen uns für diese Taten, die im Namen des Rechtsstaats begangen worden sind.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- ten der LINKEN)

Die Historie dieses Paragrafen setzt sich fort. Die Nazis haben ihn verschärft. Damals reichte schon ein Kuss oder das Handhalten. 1988 hat die damalige DDR § 151 – das war der analoge Paragraf im Rechtswesen der Deutschen Demokratischen Republik – gestrichen. Wer das liest, kann zu dem Ergebnis kommen, die DDR war ein fortschrittlicher Staat, der sich genau entgegengesetzt entwickelt hat, wie wir ihr das vorwerfen.

Nein, im Gegenteil, die Argumentation war perfider, als man das eigentlich glauben kann. Die DDR hat mit ihren Diktatoren § 151 abgeschafft, weil es ja keine Homosexuellen in der DDR gab. Insofern brauchte man auch keinen Straftatbestand dafür. Das zeigt die Absurdität des Regimes, das dort geherrscht hat.

(Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Kollegen haben auf die strafrechtliche Entwicklung in der Geschichte der Bundesrepublik hingewiesen. Aber es war so, dass bis 1969 schwul zu leben ein Verbrechen in der Bundesrepublik war. Es ist für diese Personen – ich habe einige Dokumentationen vor mir liegen und die Namen, die dahinterstehen – eine lebenslange Bürde, sich damit überhaupt auseinandersetzen zu müssen, weil sie nichts Unrechtes getan haben.

Für etwas strafrechtlich verurteilt zu werden, was nicht Unrecht ist, ist für diese Menschen nicht nur eine persönliche Bürde. Es ist auch ein öffentliches Unrecht. Das ist der Grund, warum wir heute in diesem Landtag darüber debattieren müssen.