Protocol of the Session on February 5, 2014

Ich muss doch noch etwas Wasser in den Wein schütten. Der zugrunde liegende Gesetzentwurf verzichtet leider nicht auf eine Reihe Ausschlusskriterien, wie etwa eine Verurteilung zu einer Strafe ab 50 Tagessätzen bzw. 90 Tagessätzen bei ausländerrechtlichen Verstößen. Solche Strafen sind schnell erreicht, z. B. dann, wenn aufgrund des fehlenden Zugangs zum Arbeitsmarkt einer irregulären Beschäftigung nachgegangen wurde.

Vermeintliche Täuschung über die Staatsangehörigkeit oder die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten sind als weitere Ausschlussgründe aufgeführt. Solche Vorwürfe werden in der Praxis der Ausländerbehörden jedoch teilweise vorschnell und häufig auch zu Unrecht erhoben. Wir, die Mitglieder der LINKEN im Bund und in den Ländern, fordern deshalb bereits seit vielen Jahren eine großzügigere humanitäre Bleiberechtsregelung für langjährig

Geduldete, also eine ohne die genannten Ausschlussregelungen.

(Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Aber bei aller Kritik an den bisher vor allem von der Bleiberechtsbewegung erkämpften, noch unzureichenden Beschlüssen haben hiervon insgesamt doch Zehntausende Menschen profitieren können. Deshalb begrüßen wir die Initiative der SPD und freuen uns, wenn das dahinter stehende menschenrechtliche Anliegen zu einem Anliegen des ganzen Hauses wird. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Das Wort hat Herr Staatsminister Beuth.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn kurz darstellen, Frau Kollegin Cárdenas, dass sowohl im Lande Hessen als auch in der Bundesrepublik Deutschland Abschiebemaßnahmen, ausländerrechtliche Maßnahmen selbstverständlich ausschließlich auf der Basis von Recht und Gesetz erfolgen. Frau Kollegin Wallmann hat zu Recht vorgetragen, dass die Frage der Humanität in Hessen in besonderem Maße berücksichtigt wird, wie all die Regelungen, die wir uns gegeben haben, z. B. im Petitionsrecht, beweisen. Insofern will ich Ihre Vorwürfe zurückweisen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, die Hessische Landesregierung begrüßt das Vorhaben der Koalitionsfraktionen auf Bundesebene, nunmehr ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht zu schaffen. Maßgebliche Einreisestichtage für das gesetzliche Bleiberecht waren der 30. Juni 1999 bzw. der 30. Juni 2001. Eine große Anzahl inzwischen gut integrierter geduldeter Ausländer reiste erst danach ein. Sie werden seit mittlerweile 14 bzw. zwölf Jahren von keiner Bleiberechtsregelung begünstigt. Betroffene, die danach in die Bundesrepublik eingereist sind, sich nachhaltig integriert haben und straffrei geblieben sind, konnten von diesen begünstigenden Regelungen nicht profitieren. Diese Situation soll durch die Änderung des Aufenthaltsgesetzes nunmehr vermieden werden. Mit der beabsichtigten Gesetzesänderung seitens der Bundesregierung wird eine Vereinfachung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht nur für gut integrierte Jugendliche, sondern auch für Erwachsene geschaffen. Hessen hat sich schon im letzten Jahr offen gegenüber der Bundesratsinitiative Hamburgs gezeigt; das beweist auch unser Abstimmungsverhalten im Bundesrat.

Der Gesetzentwurf des Bundes ist in Bälde zu erwarten. Für den Übergangszeitraum haben wir uns entschlossen, eine Vorgriffsregelung zu schaffen. Ich sage mit großem Respekt vor diesem Hause, dass ich gleichwohl in Erwartung einer positiven Entscheidung, nachdem sich alle Redner hier entsprechend geäußert haben, die Erlasslage so herstellen würde, auch wenn das parlamentarische Verfahren möglicherweise nicht nach dieser Debatte, sondern erst nach dem nächsten Plenum beendet wäre. Ich glaube, das ist im Interesse des Hauses.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danach sollen die Ausländerbehörden, bevor etwaige Rückführungsmaßnahmen durchgeführt werden, prüfen, ob die ausreisepflichtige Person unter Zugrundelegung der in der zuvor erwähnten Bundesratsdrucksache genannten Voraussetzungen voraussichtlich begünstigt ist. Im Ermessenswege erhalten die Betroffenen dann eine Duldung.

Konkret bedeutet dies, dass künftig einem Jugendlichen oder heranwachsenden jungen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a erteilt wird, wenn – jetzt kommen wir zu dem Teil, den ich auch sehr wichtig finde, Frau Kollegin Cárdenas, weil es mit dazugehört; natürlich können wir nicht willkürlich entsprechende Duldungen erteilen – bestimmte Kriterien ein Stück weit den Integrationserfolg nachweisen. Ich finde, dass wir nicht zu viel verlangen, wenn wir z. B. bei den Jugendlichen oder Heranwachsenden davon ausgehen, dass sie sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufhalten, dass sie erfolgreich eine Schule besucht haben und dass gewährleistet erscheint, dass sie sich aufgrund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Bundesrepublik einfügen können. Das ist nicht zu viel verlangt. Das sind Kriterien, die wir hier zugrunde legen. Im Ergebnis führt das dazu, dass gut integrierte, lange in der Bundesrepublik lebende Jugendliche und Heranwachsende sowie deren Eltern stichtagsunabhängig Zugang zu einer Bleiberechtsregelung erhalten.

Weiterhin ist mit dem neu einzufügenden § 25b des Aufenthaltsgesetzes eine Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration verbunden. Danach soll einem geduldeten Ausländer „eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat“. Das ist auch hier insbesondere dann der Fall, wenn der Ausländer Kriterien erfüllt, die den Integrationserfolg ein Stück weit dokumentieren, wie: Er hält sich seit mindestens acht Jahren bei uns auf, er bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, er kann seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern, er bringt Deutschkenntnisse mit, und er muss nachweisen, dass seine Kinder im schulpflichtigen Alter die Schule besuchen. Ich finde auch hier: Das sind maßvolle Kriterien, die aber ein Stück weit den Integrationserfolg dokumentieren, die wir zu Recht anlegen können und müssen.

Frau Kollegin Cárdenas, Sie haben gerade vorgetragen, dass Sie nicht vorschnelle Vorwürfe zu Ausschlussgründen machen wollen. Wenn es sich dabei aber um Verurteilungen mit einem Strafmaß von 50 oder 90 Tagessätzen handelt, dann geht es dabei nicht um vorschnelle Vorwürfe oder Anwürfe, sondern dann geht es um Urteile, die in unserem Rechtsstaat durch Richter gefällt worden sind. Das ist doch etwas anderes als das, was Sie hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich bin ganz und gar nicht Ihrer Auffassung, dass die vorsätzliche Täuschung bei den Angaben zu Identität, Staatsangehörigkeit, Nationalität eine Lappalie ist,

(Beifall bei der CDU)

sondern das ist genauso zu berücksichtigen, wie wir nicht dulden können, dass wir Menschen mit einer solchen Bleiberechtsregelung begünstigen, die etwa Bezüge zu extre

mistischen oder terroristischen Organisationen haben. Auch das ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Das können, wollen und werden wir nicht zulassen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, zum Ende: Unter den genannten Voraussetzungen soll die Abschiebung nach einer Einzelfallprüfung ausgesetzt werden. Damit wird verhindert, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor die begünstigende Bundesregelung in Kraft tritt. Das werde ich in Erwartung einer positiven Entscheidung, wie ich sie Ihren Wortmeldungen entnehmen konnte, so vorsehen, auch wenn das parlamentarische Verfahren nach der Debatte noch nicht abgeschlossen sein sollte. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister Beuth. – Ende der Debatte.

Es ist gewünscht, dass wir direkt über die beiden Anträge abstimmen. Ich rufe den Antrag der Fraktion der SPD, Drucks. 19/17, auf. Wer dem seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD, FDP, DIE LINKE. Wer ist dagegen? – CDU und GRÜNE. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 37 auf, Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP, Drucks. 19/74. Wer stimmt dem zu? – Wer ist dagegen? – Keiner. Damit ist der Antrag einstimmig verabschiedet.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 12 auf:

Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Fortsetzung der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Hessen – Drucks. 19/27 –

Er wird zusammen mit Tagesordnungspunkt 38 aufgerufen:

Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Kommission des Hessischen Landtags für das Forschungsvorhaben „Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen“ und „NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter“ – Drucks. 19/75 –

Fünf Minuten Redezeit. Es beginnt der Kollege Hermann Schaus, DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor zwei Wochen haben alle Abgeordneten des Landtags die umfangreiche Dokumentation einer hier im Hause im März des letzten Jahres durchgeführten Fachtagung zur NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter erhalten. Die zweitägige Fachtagung im Landtag war eine herausragende Veranstaltung. Sie hat einen wesentlichen Beitrag zur offenen und ehrlichen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter geleistet.

Dieser Tagung war eine umfangreiche Vorstudie vorausgegangen, die von einer durch die Kommission des Hessischen Landtags beauftragten Arbeitsgruppe unter maßgeblicher Beteiligung von Herrn Dr. Albrecht Kirschner erstellt wurde, nachdem unsere Fraktion bereits Anfang Mai 2011 eine durch den Historiker Dr. Hans-Peter Klausch erstellte Studie mit dem Titel „Braunes Erbe – NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter der 1. bis 11. Wahlperiode (1946 – 1987)“ vorgestellt hatte.

In unserer Studie wurde seinerzeit aufgrund der vorhandenen Unterlagen des früheren Berlin Document Centers, heute das Bundesarchiv in Berlin, nachgewiesen, dass entgegen bisherigen Darstellungen nicht drei, sondern mindestens 75 von 330 untersuchten ehemaligen Landtagsabgeordneten vor 1945 Mitglied der NSDAP waren.

Durch die seinerzeit von allen Fraktionen des Hessischen Landtags daraufhin unterstützten weiteren Untersuchungen konnte bei 92 von 403 ehemaligen Abgeordneten des Landtags und dessen beider Vorparlamente eine NSDAPMitgliedschaft nachgewiesen werden. Ferner fanden sich zahlreiche Nachweise über Mitgliedschaften in weiteren Partei- und parteinahen Organisationen der NSDAP, darunter 26 Mitgliedschaften in der SA und zwölf Mitgliedschaften in der SS und in der Waffen-SS.

Heute gilt unser Dank den Wissenschaftlern der eingesetzten Arbeitsgruppe sowie der Historischen Kommission des Landtags unter Vorsitz von Herrn Landtagspräsidenten Kartmann. Sie erst haben die umfangreichen Aufarbeitungen und die fachorientierte Debatte ermöglicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Martina Feldmayer und Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dass neben der Erstellung dieser Studie auch eine Fachtagung im Landtag durchgeführt werden konnte, ist einzigartig. Damit hat Hessen eine Vorreiterrolle in der Aufarbeitung dieses Teils der Vergangenheit übernommen. Schon auf der Fachtagung waren sich alle Beteiligten darüber einig, dass allein der Hinweis auf eine frühere Mitgliedschaft von ehemaligen Landtagsabgeordneten in der NSDAP nicht aussagekräftig genug ist, sodass deshalb – allerdings nur zu einem kleinen Teil der Personen – eine weiter gehende, vertiefende Forschung sinnvoll erscheint. Zudem waren die Teilnehmer dieser Fachtagung der Auffassung, die weitere Aufarbeitung sei ein kontinuierlicher Prozess, der fortgeführt werden sollte.

Diese Anregung möchten wir mit unserem Entschließungsantrag aufgreifen. Deshalb unterbreiten wir in diesem Antrag weitere Vorschläge, in welchen Themenfeldern und zu welchen Personenkreisen weitere Untersuchungen erfolgen sollten. Dabei erscheint es uns vorrangig, nun auch sozusagen die andere Seite der Vergangenheit der ehemaligen Landtagsabgeordneten zu betrachten und in einer weiteren Studie deren Widerstandstätigkeit in der NS-Zeit wie auch deren politische Verfolgung erforschen zu lassen. Zudem sollten die Untersuchungen auch auf ehemalige hohe und höhere Beamtinnen und Beamte des Landes Hessen ausgedehnt werden.

Wie gesagt, dies sind unsere Vorschläge. Wir haben sie aufgrund der Diskussion dieser Fachtagung formuliert.

Aus diesem Grund möchten wir diesen Entschließungsantrag heute auch nicht zur Abstimmung stellen, sondern bitten um Überweisung an den Ältestenrat, wie das vereinbart

wurde. Dort sollte dann – möglichst im Konsens aller Fraktionen – die Weiterarbeit am Thema im Detail beraten werden.

In diesem Sinne verstehen wir den kurzfristig vorgelegten Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP als eine sinnvolle Ergänzung unseres Antrags und werden ihn ebenfalls unterstützen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Kollege Schaus. – Ich schaue in die Runde und frage, ob es weitere Wortmeldungen gibt.

(Wortmeldung der Abg. Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ja. Seid so lieb. Irgendwann einmal hatten wir die Rednerliste geschlossen, aber heute machen wir das nicht? – Gut.

Das Wort hat Frau Kollegin Feldmayer, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Vorstudie zur NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter und die anschließende Fachtagung, an der sich viele von Ihnen, zusammen mit der Kommission, hier beteiligt haben, war ein sehr später, aber sehr wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Hessen.