Ein letztes Zitat. Ich zitiere aus einem Papier der SPD, der GRÜNEN und der LINKEN in Thüringen aus den Sondierungsgesprächen zur Regierungsbildung:
Für eine Aufarbeitung in die Gesellschaft hinein ist es von Bedeutung festzuhalten: Die DDR war eine Diktatur, kein Rechtsstaat.
… weil jedes Recht und Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat. Daraus erwächst besondere Verantwortung.
Vielen Dank, Herr Kollege Quanz. – Das Wort hat Herr Kollege Frömmrich, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank an Lothar Quanz für diese wirklich beeindruckende Rede. Ich hätte mir gewünscht, dass der Kollege Wilken hier vorne einmal Klartext reden würde, was die Frage des Unrechtsstaates DDR angeht.
Warum können eigentlich die LINKEN in Thüringen etwas sagen und niederschreiben, was die LINKEN in Hessen nicht können? Diese Frage müssten Sie sich einmal stellen, Herr Kollege Wilken.
In einem Kommentar des „Tagesspiegel“ sagt der Journalist Matthias Meisner dazu, dass es die Demokratie aushält, wenn Egon Krenz meint, „Unrechtsstaat“ sei ein Schmähbegriff. Schlimm ist aber, dass führende Kader der Linkspartei genauso reden, dass sie sich mit der Denke des letzten SED-Chefs gemein machen. Ich stelle fest: die Linkspartei in Hessen Hand in Hand mit Egon Krenz.
Herr Kollege Wilken, Ex-Vorsitzender der LINKEN in Hessen, sagt, „Unrechtsstaat“ sei ein diffuser Begriff, und die Debatte sei ein Stöckchen, das insbesondere von den GRÜNEN gern hingehalten werde.
Nein, der Begriff „Unrechtsstaat“ ist nicht diffus, und er ist an der Stelle nicht falsch. Ich stelle fest: Sie haben immer noch ein ungeklärtes Verhältnis zur jüngeren deutschen Geschichte, und Sie können sich nicht entscheiden, ob Sie für einen Politikwechsel zur Verfügung stehen oder ob Sie immer noch im Ost-Heimatmuseum beheimatet sind.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Für Krieg sind wir nicht zu gewinnen!)
Sie zeichnen ein verklärtes Bild der DDR. Sie haben nicht die Kraft und nicht den Willen, staatliches Unrecht als staatliches Unrecht zu bezeichnen. Die DDR war ein Unrechtsstaat. Was sollte die DDR sonst gewesen sein?
Wenn ein Staat seine Bürgerinnen und Bürger einschüchtert und drangsaliert, wenn Andersdenkende mit Berufsverboten belegt werden, wenn Kinder wegen der politischen Überzeugung der Eltern schulisch und beruflich benachteiligt werden, wenn die Stasi Menschen bespitzelt und in ihre Gefängnisse wirft, dann ist das staatliches Unrecht.
Wenn ein Staat seine eigenen Bürgerinnen und Bürger hinter Mauern und Stacheldraht einsperrt, wenn freie Meinungsäußerungen unterbunden werden, wenn Gerichte willkürlich urteilen, dann ist das ein Unrechtsstaat. Was soll das denn sonst sein?
Es ist bedauerlich, dass die Linkspartei nicht die Kraft und nicht den Willen hat, das so klar und eindeutig zu benennen. Der Kollege Wilken sagt, dass die Debatte ein „Stöckchen“ sei, das den LINKEN hingehalten werde. Das ist sie eben nicht. Sie von der LINKEN verkennen, dass viele
Menschen, Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, die sich in der DDR unter großen persönlichen Risiken für Meinungsfreiheit und Demokratie, für demokratische Wahlen und unabhängige Richter eingesetzt haben, persönlich gelitten haben.
Für diese Menschen ist diese Debatte kein „hingehaltenes Stöckchen“, sondern für sie ist es wichtig, dass Unrecht wirklich Unrecht genannt wird und dass ein Unrechtsstaat als Unrechtsstaat bezeichnet wird.
Was ist falsch an dem Satz in dem Papier, dass LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei den Verhandlungen über eine mögliche Regierungsbildung in Thüringen formuliert haben? Das Papier trägt übrigens die Überschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar – Zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR“. Dort heißt es:
Weil durch unfreie Wahlen bereits die strukturelle demokratische Legitimation staatlichen Handelns fehlte, weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ein Ende haben konnte, wenn einer der kleinen oder großen Mächtigen es so wollte, weil jedes Recht und Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat.
Was ist an dieser Beschreibung, an dieser Formulierung falsch? An dieser Beschreibung ist nichts falsch. Daher frage ich mich: Warum kann das nicht auch DIE LINKE im Hessischen Landtag, DIE LINKE in Hessen sagen?
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das haben wir doch gerade gemacht!)
Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich, bevor ich zu der inhaltlichen Debatte komme, eine Bemerkung machen, die ein bisschen aus persönlicher Betroffenheit entstand. Alle meine Vorredner haben sich mit dem Thema beschäftigt. Dazu komme ich gleich.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD – Manfred Pentz (CDU): Das müssen Sie sich schon sagen lassen!)
Herr Kollege Pentz, ich glaube, Sie übertreiben gerade. Ihr derzeitiger Koalitionspartner wollte unter Andrea Ypsilanti und Tarek Al-Wazir im Jahr 2008 mit den Roten in Hessen eine Regierung bilden. Si tacuisses, philosophus mansisses.
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Herr Abgeordneter, übersetzen Sie das für mich! – Heiterkeit bei der SPD)
Wir führen die Debatte nur deshalb, weil in einem benachbarten Bundesland die Möglichkeit einer Koalition – entweder unter Frau Lieberknecht oder unter Herrn Ramelow – diskutiert wird. Das war ja wohl der Grund, warum unser Kollege Wilken dadurch, dass er in einem Interview – ich glaube, mit der „Frankfurter Neuen Presse“, und bei anderen Journalisten hat er noch nachgelegt – das Wort „Unrechtsstaat“ geleugnet hat, dieses Thema auf die Tagesordnung der hessischen Politik gesetzt hat.
Das ist nicht die einzige derartige Äußerung eines führenden hessischen LINKEN. Man konnte im „Tagesspiegel“ in den letzten Tagen mehrfach nachlesen, wie sich der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrke, auch aus Hessen – aus Frankfurt –, mit dem Thema auseinandersetzt: Das Wort sei – ich zitiere ihn, damit es kein Missverständnis gibt – „historisch falsch, politisch interessengelenkt und wissenschaftlich unhaltbar“. – Es ist unfassbar, dass ein Mitglied des Deutschen Bundestags so einen Unsinn erzählt.
Es ist unfassbar, dass ein Mitglied des Deutschen Bundestags die Historie bezweifelt und davon ausgeht, dass dieser Begriff ausschließlich politisch interessengelenkt genutzt wird.
… die Brandmarkung der DDR als „Unrechtsstaat“ entwertet, ob gewollt oder nicht, die Lebensleistung vieler Bürgerinnen und Bürger dieses Staates.
Wo lebt denn eigentlich Herr Gehrke? Die Bürgerinnen und Bürger des Unrechtsstaates DDR zeigten vor 25 Jahren, was sie von dem Unrechtsstaat gehalten haben.