Protocol of the Session on October 16, 2014

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind nämlich auf die Straße gegangen, und sie haben die Freiheit erkämpft. Sie hatten von diesem Unrechtsstaat die Schnauze voll – Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung. – Die LINKEN Wilken und Gehrke spielen es herunter, indem sie sagen: Nein, wenn man das sagt, ist das eine Beleidigung der Bürger. – Es ist vielmehr eine Beleidigung der Bürger, wie sich die Postkommunisten mit den ehemaligen Bürgern der DDR auseinandersetzen. Das ist die Beleidigung.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Eine Beleidigung der Opfer!)

Lassen Sie mich deshalb zum Abschluss sagen: Ramelow hat recht. In einem Interview in der „Welt“ vor zwei oder drei Tagen hat er gesagt, Recht sei in der DDR angewandt worden, „aber die Anwendung des Rechts endete dort, wo die Mächtigen eingegriffen haben“. Das ist eine Übersetzung von „die DDR ist ein Unrechtsstaat“. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Hahn. – Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Puttrich. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wie notwendig es ist, über dieses Thema hier zu diskutieren, zeigt der Wortbeitrag des Abg. Wilken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind in einer Zeit, in der wir der Menschen gedenken, die in der Zeit der DDR-Diktatur umgekommen sind, weil sie in die Freiheit wollten. Wir denken an die Menschen, die die ersten Protestdemonstrationen in Leipzig, in Plauen und in Berlin durchgeführt haben, die auf die Straße gegangen sind und nicht wussten, welchen Schaden sie damit persönlich erleiden würden. Wir sind im Gedenken an diejenigen, die mit Bürgerprotesten erreicht haben, dass die Mauer gefallen ist. Da kann ich nur sagen: Es ist mehr als zynisch, dass ein Abgeordneter in dieser Diskussion von den „belegbaren Vorzügen des Lebens in der DDR“ spricht.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Eva Goldbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich empfinde es als nochmalige zynische Steigerung, dass Sie „mehr Gelassenheit in der Diskussion“ anmahnen.

(Manfred Pentz (CDU): Das ist unglaublich! – Zuruf der Abg. Astrid Wallmann (CDU))

In dieser Diskussion kann man nicht gelassen sein, weil es in diesem Fall zu viele Betroffene gibt.

Es gibt mehrere, die mit dem Eingestehen des Unrechtsstates ihre Probleme haben. Ich möchte die Zitate nicht wiederholen, weil sie im Einzelnen schon genannt wurden. Man denke hierbei an Gysi, der immer hin und her schwankt und mit dem klaren Begriff Unrechtsstaat ein Problem hat, man denke an Frau Enkelmann, die Chefin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, an das gerade genannte Zitat des hessischen Abgeordneten Gehrke oder an das von Lothar Quanz vorgetragene Zitat von Gesine Lötzsch.

(Manfred Pentz (CDU): Ganz genau!)

Was verbirgt sich dahinter? Man tut sich schwer, zuzugeben, dass es einen Unrechtsstaat gegeben hat, und man versucht, daraus eine akademische und theoretische Diskussion zu machen. Das ist das Ungeheuerliche. Es geht hier nicht um eine akademische oder theoretische Diskussion, sondern es geht um Schicksale. Es geht um Menschen, die gestorben sind oder Leid erlitten haben, weil sie Freiheit und Demokratie wollten. Es geht um Menschen, deren Würde in einem Unrechtsstaat gebrochen wurde. Ich sage ganz klar: Das kann in den Ohren der Opfer nur zynisch klingen, und da kann man keine Gelassenheit anmahnen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Man halte sich vor Augen, dass – zumindest gezählt – 136 Todesopfer zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer zu beklagen sind. Herr Wilken, wir „würdigen“ die Toten im Übrigen nicht, sondern wir betrauern sie. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

136 Menschen sind von DDR Grenzsoldaten aufgrund des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze erschossen worden. Wir wissen heute, dass nach Angaben der zentralen Erfassungsstelle in Salzgitter 872 Todesopfer an der innerdeutschen Grenze zu verzeichnen sind. Das sind Zahlen, die uns genannt werden, wobei wir aber nie genau erfahren werden, ob sie stimmen, ob die Zahlen ausreichend hoch sind, weil es zu dem Unrechtsstaat gehörte, dass man es vertuschte, dass man es verschleierte und nicht jedes einzelne Opfer zählte.

Bis zu 6.000 Menschen haben sich in der DDR jedes Jahr das Leben genommen. Die Selbstmordrate in der DDR war größer als in anderen Ländern. Es war eine der weltweit höchsten Selbstmordraten. Ist das nicht ein Zeichen des Unglücks vieler Menschen in diesem Unglücksstaat?

Die DDR-Regierung ließ zwischen 1,3 und 1,4 Millionen Minen an der Grenze verlegen und 55.000 Selbstschussanlagen anbringen, die montiert wurden, weil man verhindern wollte, dass die eigenen Bürger den sogenannten antifaschistischen Schutzwall überwinden, der nichts anderes war als eine menschenverachtende Grenze mit einem Todesstreifen, in dem die Menschen ermordet wurden, die das Land verlassen wollten.

(Beifall bei der CDU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich frage Sie: Wer wollte das nicht als Unrecht bezeichnen? 1988 lebten knapp 17 Millionen Einwohner der DDR in Unfreiheit. Meinungsfreiheit gab es nicht. Für den Staat unangenehme Meinungsäußerungen endeten schlicht und einfach damit, dass man die Menschen in Gefängnisse brachte. Es war überhaupt nicht daran zu denken, dass man hätte frei wählen können, und es war gar nicht daran zu denken, dass die Menschen hätten dorthin reisen können, wohin sie reisen wollten. Ich frage Sie: War das kein Unrecht?

(Manfred Pentz (CDU): Genau!)

Mehr als 4 Millionen Menschen verließen damals ihre Heimat – oftmals auch ihre Familien –, weil sie es nicht mehr aushalten konnten, in Diktatur und Unfreiheit zu leben. Familien wurden auseinandergerissen. Sie wurden getrennt oder trennten sich, weil sie es nicht mehr aushalten konnten. Ich frage Sie: Ist das kein Unrecht? Gehen wir noch ein Stück weiter.

Angesichts eines Staates, in dem es keine Gewaltenteilung gab, keine freien Wahlen, keine demokratisch legitimierte Regierung, sondern eine, die rücksichtslos auf Bürger schießen ließ, die das Land verlassen wollten, frage ich Sie allen Ernstes – die Frage richte ich an die Linkspartei –: Ist das nicht unerträglich? Ist das nicht ein Grund, zu sagen: „Das war ein Unrechtsstaat“?

Ich möchte Herrn Gauck, den Bundespräsidenten, zitieren, der am 9. Oktober 2014 beim Festakt „25 Jahre Friedliche Revolution“ in Leipzig klare Worte gefunden hat:

Die DDR war ein Unrechtsstaat, es gab keine unabhängige Gerichtsbarkeit, schon gar nicht ein Verfassungsgericht. … Dafür existierte Willkür, die das Land beherrschte. Wehrdienstverweigerer mussten mit Gefängnisstrafen rechnen, jungen Leuten wurden Bildungswege verbaut und Zukunftschancen verstellt.

Ich glaube, diesen Worten von Joachim Gauck ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP – Zurufe von der SPD)

Frau Ministerin, ich darf Sie an die Fraktionsredezeit erinnern.

Ich komme gleich zum Schluss. – Sehr geehrte Damen und Herren, seit dem Fall der Mauer wird das Unrecht des SED-Unrechtsstaats aufgearbeitet. Ich finde, insbesondere wenn ich mir die Äußerungen anhöre, die vom – von mir aus gesehen – linken Flügel kommen, es ist sehr notwendig, dass die Hessische Landesregierung dieses Unrecht weiterhin aufarbeitet

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das sollten Sie aber genau sagen! Wen meinen Sie mit dem „linken Flügel“?)

Wir haben die Pflicht, jungen Menschen zu sagen, was in der DDR passiert ist. Wir haben die Pflicht, den Menschen mit den Aktivitäten, die wir im Rahmen der politischen Bildung anbieten, deutlich zu machen, dass das, was hier gesagt wird, Unrecht ist. Insofern sehen wir uns als Hessische Landesregierung dauerhaft in der Pflicht, aufzuklären und insbesondere den jungen Menschen klarzumachen, was in der DDR passiert ist und dass sie ein Unrechtsstaat war.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Zur eigenen Vergangenheit kein Wort!)

Wir sind ebenso verpflichtet, es den Opfern zu sagen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Ministerin. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit stelle ich fest, die Aktuelle Stunde ist abgehalten.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 50 auf – Setzpunkt der FDP –:

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend Flughafen Frankfurt braucht die Kapazitätserweiterung – Terminal 3 sichert Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft in der Region – Drucks. 19/968 –

in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 88:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Terminal 3 am Frankfurter Flughafen: Vorhaben kritisch prüfen – Drucks. 19/1024 –

Das Wort hat zuerst Herr Abg. Rentsch, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute Morgen ist der Dax unter 8.500 Punkte gefallen. Die Prognosen in den Wirtschaftsteilen aller Zeitungen – „Handelsblatt“, „FAZ“, „Wirtschaftswoche“ – für die Konjunkturentwicklung sind ebenfalls besorgniserregend. Diesen Eindruck erhält man, wenn man sie genau liest.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Kollegin Wissler, wenn man sich das Herbstgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute in diesem Land anschaut, sollten wir uns – jeder, der in diesem Landtag Verantwortung trägt – Gedanken über die Wirtschaft in Deutschland machen:

(Janine Wissler (DIE LINKE): Mache ich!)

ob sie weiterhin für Arbeitsplätze und Wohlstand in diesem Land steht oder ob wir, wenn das eintritt, was die Analysten prophezeien, in eine ganz andere Situation kommen, die zum Schluss dazu führt, dass wir in diesem Land weniger Arbeitsplätze und weniger Wohlstand haben.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dann brauchen wir ein Konjunkturprogramm!)

Deshalb sind wir alle aufgerufen, uns über dieses Thema Gedanken zu machen.