Wir müssen darauf achten, dass die Bildungsgänge an den beruflichen Schulen stärker strukturiert werden, um die Angebote noch besser mit der Wirtschaft koordinieren zu können. Ziel ist es – auch da besteht, glaube ich, weitgehende Einigkeit –, mehr Schulabgänger auf direktem Weg, also ohne Umwege, in eine duale Ausbildung zu bringen. Mit der Reform haben wir in der letzten Wahlperiode begonnen. Das muss jetzt konsequent fortgeführt werden.
Ich will von all den Teilzielen, die man dort formulieren kann, drei entscheidende nennen: Das erste Teilziel ist der Ausbau der Präventivmaßnahmen, um die Zahl der Schüler ohne Schulabschluss zu reduzieren. Das zweite Teilziel ist – ich habe das schon erwähnt – eine rechtzeitige und nachhaltige Berufsorientierung in allen Schulformen. Das dritte Teilziel ist die Weiterführung der Unterstützungssysteme, die wir brauchen, um die Abbruchquote weiter zu reduzieren. Dort werden nämlich Ressourcen verschwendet, sowohl individuelle, also bei den betroffenen jungen Menschen, als auch die unseres Bildungssystems.
Wir haben in der letzten Wahlperiode mit der gestuften Berufsfachschule den Reformprozess in Gang gesetzt. Diese Idee muss in Zukunft fortgeführt werden. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, da ist mir Ihr Antrag schlichtweg zu unkonkret. Bis auf ein paar wolkig formulierte Bitten findet sich dort nicht allzu viel.
Ein Wort zu dem Thema duale Ausbildung: Das duale Ausbildungssystem hat sich bewährt. Deshalb muss es neben dem beruflichen Abschluss Möglichkeiten geben, sich lebenslang weiterzuqualifizieren. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die Angebote des Fremdsprachenzertifikats oder auch die des Europäischen Computerführerscheins. Das führt weiter.
Aber ich will hier einen Gedanken in die Diskussion werfen, den Sie von mir immer weiter hören werden: Wir müssen auch darüber nachdenken, ob wir unser Bildungssystem auf der administrativen Ebene richtig organisieren und ob wir nicht vielleicht ein Bildungsministerium schaffen sollten, in dem unter anderem auch die Zuständigkeit für die dualen Ausbildungen, d. h. für die beruflichen Bildun
gen, konzentriert wird. In der Vergangenheit hatten wir eine Zersplitterung: vom Sozialministerium über das Wirtschaftsministerium bis zu den beiden Bildungsministerien, nämlich dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst und dem Kultusministerium. Ich meine, darüber nachzudenken, ob man dies zusammenführt, wäre hilfreich.
Ich will abschließend einige wenige Worte zu dem SPDAntrag sagen. Frau Kollegin Gnadl, es ist eine gewisse Fleißarbeit, eine Blaupause anzufertigen, nämlich die Blaupause des Projekts „Kein Abschluss ohne Anschluss – Übergang Schule-Beruf in NRW“. Das haben Sie gemacht. Die Einzelheiten dieses Projekts aus NRW werden wir anhand Ihres Antrags im Ausschuss noch einmal erläutern können.
Aber Sie haben – wenn Sie schon von einem Projekt aus NRW abschreiben – einen wesentlichen Aspekt, der dazugehört, leider ausgelassen: Mit diesem nordrhein-westfälischen Konzept ist wesentlich der sogenannte Konsolidierungsgedanke verbunden. Sie werden fragen, was der Konsolidierungsgedanke damit zu tun hat. In NRW wird einem das vorgeführt: Dort soll eine Präventionsrendite – ich finde, das ist ein toller Begriff für Sparmaßnahmen – in Höhe von etwa 500 Lehrerstellen erwirtschaftet werden, und zwar zulasten der beruflichen Schulen. Das ist dort klar erkennbar. Der Bereich der Bildung, der in Hessen in den letzten fünf Jahren von Sparbemühungen ausgenommen war und es nach den Ankündigungen auch bleiben soll, ist in NRW zum Steinbruch geworden.
Ich darf zum Abschluss kurz aus den Erläuterungen zum Einzelplan Kultus der Frau Kraft für das Jahr 2015 zitieren. Dort heißt es:
Im Schulbereich soll durch den Abbau von sogenannten Warteschleifen eine Präventionsrendite im Umfang von 500 Stellen erwirtschaftet werden, die der Konsolidierung des Landeshaushalts zugutekommt.
Das ist mein letzter Satz: Das Opfer dieser Politik der SPD sind die Schüler. Das Opfer hat seit heute auch einen Namen. Es heißt Marvin.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Hessische Landesregierung und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich viel Mühe gemacht und eine Broschüre herausgegeben, die „Berufsausbildung in Hessen 2014“ heißt. Wenn wir uns diese Broschüre vor einer solchen Debatte anschauen würden, könnten wir uns den groben Streit über Zahlen schenken. Das wäre wenigstens eine Basis, auf der man operieren kann.
Frau Gnadl und alle weiteren Antragsteller der SPD, ich zitiere – es steht auf Seite 59; Sie können es mitlesen, wenn Sie wollen –:
Trotz absehbarer Fachkraftengpässe hat erneut eine hohe Zahl ausbildungsinteressierter Jugendlicher nicht den gewünschten Ausbildungsplatz gefunden.
1.400 Jugendliche sind demnach unversorgt, weitere 6.100 befinden sich in sogenannten Alternativen, beispielsweise im Übergangsbereich. Alles in allem sind 7.500 Bewerber ohne eine konkrete Perspektive.
Wenn man die insgesamt rund 23.900 Jugendlichen im Übergangssystem als Problem hinzunimmt, kann man in diesem Haus nicht daran zweifeln, dass der Handlungsbedarf groß ist. Niemand – auch Schwarz-Grün nicht – bestreitet dieses Problem.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))
Deshalb wurde, übrigens schon im Dezember, im Koalitionsvertrag festgestellt – das möchte ich gern zitieren; auch da finden wir schnell eine Basis –:
jedem jungen Menschen eine Ausbildung zu ermöglichen, bevorzugt im bewährten dualen System oder – falls dies nicht gelingt – durch eine geförderte, möglichst praxisnahe vollqualifizierende Berufsausbildung.
Ich kann nur sagen: Diese Regierung hat das Problem erkannt und sich zum Ziel gesetzt, es zu lösen. Ich glaube, wir haben hier eine gemeinsame Basis. Wir sollten da an einem Strang ziehen. Ich finde, das ist gut so.
Dass die SPD nun einen Antrag mit einem nahezu gleichlautenden Titel vorlegt, ist natürlich purer Zufall, zeigt aber, dass das, was im Koalitionsvertrag steht, nicht ganz falsch sein kann. Wir freuen uns darauf, in der Kooperation mit Ihnen nicht nur bestimmte Titel zu formulieren und Probleme festzustellen, sondern auch über die Frage zu diskutieren: Wie genau wollen wir es verändern? Was sind die Konzepte?
Ich glaube, der ins Leben gerufene Bildungsgipfel mit seiner Arbeitsgruppe unter der Leitung von Tarek Al-Wazir wird sich genau damit befassen. Ihr Antrag umfasst 13 Punkte. Bei den Punkten 9 und 10 handelt es sich um nichts anderes als um Zielformulierungen. Auch Sie vermeiden konkrete Vorschläge. Sie formulieren Ziele und Wünsche.
Aber die spannende Frage ist doch: Wie genau setzen wir sie um? Wie erarbeiten wir die Veränderungen gemeinsam mit den Akteuren, die sich auf diesem Feld tummeln, mit den vielen Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Kommunen, Trägern und Weiterbildungsinstitutionen? Das Entscheidende wird doch die Frage sein, wie wir das gemeinsam schaffen. Dafür gibt es eine Arbeitsgruppe, und das ist richtig.
Was die Fragen betrifft, die Sie stellen: Wir laden Sie dazu ein, mit uns darüber zu diskutieren. Machen Sie selbst Vorschläge, statt nur etwas zu postulieren. Dann wären wir auch in dieser Frage einen Schritt weiter.
Aber zur Fairness und zur Wahrheit gehört auch, anzuerkennen, dass schon eine ganze Menge passiert. Nicht alles ist, wie wir festgestellt haben, hinreichend. Frau Gnadl, Sie beschreiben das – zu Recht – aus einer persönlichen Sicht, nämlich anhand des Beispiels von Marvin, wie Sie ihn nennen.
Ich selbst habe lange Jahre bei einem Träger der Berufsbildung gearbeitet, und ich kann Ihnen sagen: Mir geht es ähnlich wie Ihnen. Ich finde, bei jedem einzelnen Jugendlichen handelt es sich um ein persönliches Schicksal. Das braucht man nicht zu dramatisieren, und da braucht man auch nicht pathetisch zu werden. Aber es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass jeder Einzelne dieser Tausenden von Jugendlichen, die wir hier erwähnt haben, das Gefühl hat, dass er nicht dazugehört, dass er am gesellschaftlichen Leben nicht wird teilhaben können und dass er kein ausreichendes eigenes Einkommen erwirtschaften wird, sodass er an all die schönen Dinge, die es in diesem Leben gibt, nicht herankommt. Das ist ein ganz übles Gefühl von Ausgrenzung. Wir müssen um jeden Jugendlichen kämpfen. Deswegen steht im Koalitionsvertrag auch: „kein Kind zurücklassen“.
Ich finde, es gibt eine Fülle von Maßnahmen; Herr Kollege Klein hat schon versucht, sie aufzuzeigen. Sie alle zu benennen, dafür würde die Zeit überhaupt nicht reichen. Lassen Sie mich aber wenigstens versuchen, anhand der Chronologie einer Biografie eines solchen Jugendlichen klarzumachen, was es zu tun gilt.
Erstens. Wenn so ein Jugendlicher, meist bildungsfern, in der Schule ist, wissen wir um die Problematik, dass er oder sie oft schlecht lesen, schreiben oder rechnen kann. Wir müssen also viel früher ansetzen, damit sich die Qualität des Unterrichts tatsächlich so verbessert, dass am Ende ein Abschluss erzielt werden kann. Das passiert auch; und das muss man verstärken. Auch das hat diese Regierung in den Koalitionsvertrag geschrieben.
Zweitens. Wenn man feststellt, dass es eben nicht nur die schulischen Leistungen von bildungsfernen Jugendlichen sind, die sie daran hindern, einen Abschluss zu erzielen, und wenn man weiß, dass viele soziale Kompetenzen fehlen, dann ist es, finde ich, genau der richtige Ansatz, den unter anderem das Projekt SchuB und die Fortführung des Projektes SchuB beinhalten, nämlich dass am Ende alle Schülerinnen und Schüler einen Schulabschluss haben.
Das wollen wir, und dafür wird Richtiges geleistet. Das ist sozusagen die Frage: Wie gehen wir in den Hauptschulen oder hauptschulnahen Zweigen damit um, dass der Unterricht besser wird und dass er direkt und konkret zu einem Abschluss führt? Ich finde, es gibt richtige Ansätze; diese müssen noch konsequenter sein und zugespitzt werden. Ihr Antrag spricht von der 8. Klasse, unser Koalitionsvertrag von der 7. Klasse. Wir wollen das schon früher. Wir sind in einem Ideenwettbewerb, in einem konzeptionellen Umsetzungswettbewerb. Ich finde das auch richtig. Das wird
die Debatte befruchten, denn wir alle haben das Ziel: keinen Jugendlichen ohne Abschluss. Da sind wir in einem Boot.
Zu dem zweiten Bereich. Wenn nun ein Schüler oder eine Schülerin ohne Abschluss die Schule verlässt, dann wird es um die Frage gehen: In was fällt er oder sie hinein? – Da sprechen Sie von 30.000, 29.000 oder 23.000 Jugendlichen. Es sind zu viele Jugendliche, die in einem Übergangssystem, in Warteschleifen hängen. Darin sind wir uns einig. Wir werden konsequent daran arbeiten müssen, alle Maßnahmen genau daraufhin durchzubürsten: Führen sie zu einem Abschluss? Führen sie dazu, dass ein Jugendlicher am Ende des Tages tatsächlich eine anerkannte Ausbildung hat, sodass er überhaupt die Möglichkeit hat, in den Berufsalltag einzusteigen? Auch dabei sind wir auf dem richtigen Weg.
Drittens. Oft ist die Situation nun so – ich als Sozialarbeiter kann das durchaus bestätigen –, dass die Jugendlichen zwar ihren Abschluss, begleitet von vielen Anstrengungen, geschafft haben und in die Ausbildung gehen, wir aber unglaublich viele – es ist einfach eine eklatant hohe Zahl – Ausbildungsabbrecherinnen und -abbrecher haben. Sie beenden die Ausbildung erfolglos. Daher finde ich den dritten Schwerpunkt, den wir auch vereinbart haben, sehr wichtig, dass es ausbildungsbegleitende Hilfen gibt, Begleiter, die darauf achten, dass die Jugendlichen nicht so schnell zusammenbrechen, dass sie durchhalten und eine Lehre tatsächlich beenden können und später vermittelbar sind. Auch hierzu gibt es gute Programme, aber auch hier brauchen wir eine Verstärkung.
Ich wiederhole: Diese drei Schwerpunkte – Hilfen in der Schule, kurz nach der Schule und ausbildungsbegleitend – sind richtig. Wir haben sie als Problemstellung erkannt; wir haben Zielideen; diese wollen wir in einer Arbeitsgruppe mit den Beteiligten konkret formulieren. Ich finde, das ist eine gute Ausgangsposition, die Landesregierung ist da gut aufgestellt, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich will damit sagen: Lassen Sie uns ein bisschen weniger darüber streiten, wie die Zahlen nun genau sind. Ich glaube, ob es nun 5,6 oder 5,7 % sind, wird den Problemlagen der Jugendlichen nicht gerecht. Wir wissen, dass jeder Jugendliche in der Arbeitslosigkeit, in Perspektivlosigkeit einer zu viel ist. Wir haben die Ziele hier gemeinsam gesteckt. Es gibt die Einladung der Landesregierung über den Bildungsgipfel an dieser Diskussion konstruktiv teilzunehmen. Ich glaube, so wie wir momentan aufgestellt sind und wie wir uns die Arbeit vorgenommen haben, sind die schwarz-grüne Landesregierung und der Hessische Landtag gut beraten, das Thema anzugehen. Wir wollen all unseren Jugendlichen eine Zukunft bieten. – Danke schön.