Protocol of the Session on October 15, 2014

Guten Morgen, Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 24. Plenarsitzung und stelle die Beschlussfähigkeit fest.

Zur Tagesordnung: Erledigt sind die Punkte 1, 2, 12, 21, 23, 27, 31 und 81.

(Unruhe)

Kolleginnen und Kollegen, ich darf um etwas mehr Ruhe bitten. – Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend jedem jungen Menschen eine Berufsausbildung ermöglichen, Drucks. 19/1015. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird dieser Dringliche Antrag Tagesordnungspunkt 82 und wird, wenn dem niemand widerspricht, mit Tagesordnungspunkt 48 zu diesem Thema aufgerufen werden. – Das ist der Fall.

Ich komme zum Ablauf der Sitzung. Vereinbarungsgemäß tagen wir heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 48. Das ist der Antrag der Fraktion der SPD betreffend „Für ein Recht auf eine berufliche Qualifizierung“ – kein Abschluss ohne Anschluss – Ausbildungsgarantie jetzt, Drucks. 19/966. Dann folgt Tagesordnungspunkt 58. Das ist der Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Neuordnung des Kommunalen Finanzausgleichs erfolgt klar, fair und ausgewogen – Dialog mit den Kommunen wird fortgesetzt, Drucks. 19/977. Tagesordnungspunkt 79 wird mit aufgerufen werden. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 47. Das ist Drucks. 19/964. Er wird zusammen mit Tagesordnungspunkt 53 aufgerufen werden.

Entschuldigt fehlen heute Herr Staatsminister Axel Wintermeyer ab 12:30 Uhr und Frau Staatsministerin Lucia Puttrich ab 12:30 Uhr.

Dann möchte ich noch einige Hinweise geben. Heute steht die Wiederholungswahl der nicht richterlichen Mitglieder des Staatsgerichtshofs an. Hierfür wurden auf Ihren Plätzen die entsprechenden Wahlvorschläge, Drucks. 19/99 bis Drucks. 19/101, sowie die Hinweise zu den Drucks. 19/99 und Drucks. 19/101 ausgelegt. Zur Veranschaulichung wurden die Hinweise in den Drucksachen entsprechend umgesetzt.

Kolleginnen und Kollegen, dann möchte ich noch auf eine gemeinsame Veranstaltung des Landtags und des japanischen Generalkonsulats im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Partner im Dialog“ hinweisen. Sie findet heute um 19 Uhr in der Ausstellungs- und Eingangshalle sowie im Medienraum statt.

Damit können wir in die Tagesordnung einsteigen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 48 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend „Für ein Recht auf eine berufliche Qualifizierung“ – kein Abschluss ohne Anschluss – Ausbildungsgarantie jetzt – Drucks. 19/966 –

Zusammen damit rufe ich Tagesordnungspunkt 82 auf:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend jedem jungen

Menschen eine Berufsausbildung ermöglichen – Drucks. 19/1015 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten je Fraktion. Als Erste erhält Frau Kollegin Gnadl für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Derzeit sind in Hessen 18.640 junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren arbeitslos. Ich möchte diese Zahl verdeutlichen: Das ist ungefähr die Einwohnerzahl von Schwalmstadt. Das entspricht einer Jugendarbeitslosenquote in Hessen von 5,8 %.

Im Alter bis zu 35 Jahren besitzt etwa ein Sechstel der Menschen keine Berufsausbildung. Dieses Sechstel ist somit überproportional gefährdet, Niedriglöhner zu werden, häufiger und länger arbeitslos zu sein und später unter Altersarmut zu leiden.

Doch was heißt es konkret für diese 18.640 jungen Menschen, arbeitslos zu sein? Diese jungen Menschen haben keine Perspektive. Sie haben keine Orientierung; und sie haben keinen Halt.

Welche Schicksale stecken hinter dieser Zahl? Was tun wir, um jungen Menschen eine Perspektive zu bieten? Wie verhindern wir, dass sich diese jungen Menschen, die noch das ganze Leben vor sich haben, selbst abschreiben oder von anderen abgeschrieben werden? Wie können wir die Rahmenbedingungen so setzen, dass sie ins Arbeitsleben einsteigen können?

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Bisher ist es so, dass sich jährlich rund 17.000 Jugendliche in den sogenannten Übergangssystemen wiederfinden. Für manche junge Menschen beginnt hier eine Warteschleife oder eine Endloswarteschleife. Oft wird das Problem nur vertagt. Von einem wirklichen Übergang kann oftmals nicht die Rede sein.

In vielen Fällen sind die Maßnahmen zeitlich befristet. Oftmals sind sie nicht zielgerichtet. Vor allen Dingen sind sie unübersichtlich. Sie sind nicht auf den einzelnen jungen Menschen ausgerichtet und setzen zu spät an.

Was bedeutet das konkret? – Das will ich Ihnen anhand eines drastischen Beispiels aufzeigen. Das können Sie ähnlich in den unterschiedlichen Landkreisen in Hessen wiederfinden.

In dem Beispiel geht es um Marvin. Marvin ist 17 Jahre alt und besucht gelegentlich den Hauptschulzweig der örtlichen Gesamtschule. Seine Eltern sind geschieden. Zu Hause herrscht ein rauer Ton. Diesen Ton bringt Marvin ebenso wie seine körperliche Art, zu kommunizieren, gewohnheitsmäßig mit zur Schule.

Den Berufsberater hat er inzwischen zweimal besucht. Unter Berücksichtigung der Umstände sehen sich die Lehrer veranlasst, Gnade walten zu lassen und ihm den Hauptschulabschluss zu geben. Sie haben Angst, dass er ohne Abschluss ganz untergehen würde.

Da er noch nicht gearbeitet hat und sich auch nicht zur Ausbildungssuche aufraffen konnte, bekommt er erst einmal die Regelleistung, die ihm bei Anrechnung der Bedarfsgemeinschaft auch zusteht. Er wäre jetzt eigentlich

schon ein Fall für eine außerbetriebliche Ausbildung – aber nicht für den Gesetzgeber.

Jetzt sollte man annehmen, dass sich auch jemand um Marvins soziale Probleme kümmert. Das könnte beispielsweise ein Sozialarbeiter sein. Aber nein, weit gefehlt, nun wird er mit allen Leuten der Region, auf die in etwa die gleichen Rahmenbedingungen zutreffen, in eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme gesteckt. Er fühlt sich in der – das sage ich in Anführungsstrichen – „Arbeitsamtsschule“ ganz wohl, weil er da viele Freunde und Gleichgesinnte trifft.

Doch was passiert jetzt mit Marvin? Wie kann seine Geschichte weitergehen? – Marvin könnte eine Ausbildungsstelle finden, fliegt aber während der Probezeit heraus. Er kommt dann wieder in eine andere berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme.

Vielleicht bekommt Marvin auch eine Einstiegsqualifizierung in Kombination mit einer ausbildungsbegleitenden Hilfe genehmigt. Er wird dann aber nicht übernommen, weil der Betrieb von Anfang an kein Geld für einen Auszubildenden hatte.

Vielleicht bekommt Marvin auch eine außerbetriebliche Ausbildung in Kombination zwischen Träger und Betrieb in Verbindung mit einer ausbildungsbegleitenden Hilfe genehmigt. Er wird dann aber nicht ins zweite Ausbildungsjahr übernommen.

Vielleicht hat Marvin einen Anspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung, die ich am Anfang schon erwähnt hatte, hat aber seinen Fördertermin verpasst und sitzt nach der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme erst einmal auf der Straße.

Diese Grausamkeiten, die ich anhand dieses Beispiels aufgezeigt habe, könnte man unendlich lang fortsetzen.

(Beifall bei der SPD)

Eines ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten klar: Auch Marvin muss ein Recht auf eine berufliche Qualifizierung bekommen. Kein junger Mensch in Hessen darf ohne eine berufliche Qualifikation bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Denn dies ist die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Marvin ist nur ein Beispiel dafür, dass die Maßnahmen oftmals zu spät ansetzen und nicht zur Problemlösung beitragen.

Es gibt aber auch andere Jugendliche – die Gründe sind sehr vielfältig –, die vielleicht nicht wissen, was sie wollen. Andere bemühen und bewerben sich, bekommen aber keine Ausbildungsstelle, warum auch immer. Wiederum andere haben gar keinen Schulabschluss.

Bei 18.640 jungen Menschen in der Jugendarbeitslosigkeit und rund 17.000 jungen Menschen, die jährlich neu in das Übergangssystem hinzukommen, können wir feststellen, dass die derzeitigen Rahmenbedingungen nicht dazu führen, dass jeder Jugendliche einen qualifizierten Ausbildungsplatz bekommt oder einen Studienplatz erhält.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Es fehlen geeignete Unterstützungs- und Fördermaßnahmen in den allgemeinbildenden Schulen, z. B. die Schulsozialarbeit. Der Übergang von der Schule in den Beruf wird oft unzureichend vorbereitet. Das Angebot der Berufspalette ist für viele unüberschaubar. Die verschiedenen Akteure und Träger sind oft unzureichend vernetzt.

Ein Element, das in der Vergangenheit geholfen und den Übergang aus der Schule erleichtert hat, war das Fach Arbeitslehre. Aber gerade dieses Fach wurde in Hessen von der CDU-geführten Landesregierung abgeschafft. Das war eine bewährte Orientierungshilfe.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Die hessische SPD hat sich, zusammen mit dem DGB, bereits im Frühjahr 2013 für eine verbindliche Ausbildungsgarantie für alle unter 35 Jahren eingesetzt. Wir haben dies gefordert und dazu ein Papier vorgelegt. Wir sind nach wie vor davon überzeugt, dass ein auf mindestens zehn Jahre angelegtes Programm, gemeinsam mit den Sozialpartnern, aufgelegt werden muss, das jedem und jeder einen Anspruch auf eine berufliche Qualifikation eröffnet.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Zentrum dieses Konzeptes steht für uns die Stärkung des Erfolgsmodells der dualen Ausbildung. Hier muss vor allen Dingen den Betrieben die Ausbildung erleichtert werden. Erst wenn das duale Ausbildungssystem allein nicht zur Erfüllung der Ausbildungsgarantie reicht, sollen nach unserem Konzept außerschulische Ausbildungsbestandteile ergänzend hinzukommen.

Wichtig ist: Das bisherige System der Warteschleifen, bei dem junge Menschen viel zu oft von einer Qualifizierungsmaßnahme in die nächste durchgereicht werden, muss endlich durchbrochen werden.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Dazu müssen bereits bestehende Qualifizierungsangebote auf ihre Wirksamkeit evaluiert werden. Vor allen Dingen müssen sie besser koordiniert werden. Es bedarf individueller, auf die einzelnen jungen Menschen abgestimmter Qualifizierungsangebote. Vor allen Dingen muss es zwischen Schule, Betrieb, Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und den weiteren sozialpädagogischen Begleitangeboten Hand in Hand gehen. Wir brauchen eine stärkere Verzahnung aller Akteure. Vor allen Dingen brauchen die jugendlichen Menschen eine einzige Anlaufstelle und nicht so viele, wie das bisher der Fall ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Andere Bundesländer haben sich schon auf den Weg gemacht, beispielsweise Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Hessen darf hier nicht abgehängt werden, sowohl im Interesse der betroffenen jungen Menschen als auch im Interesse der hessischen Wirtschaft, denn die ist auf qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen. Wenn wir die Rahmenbedingungen nicht grundlegend ändern, dann verlieren wir diese jungen Menschen. Viele steigen dann aus dem ganzen System aus, sind nicht mehr erreichbar und wollen es vielleicht auch nicht mehr sein.

Wir sind es den jungen Männern und Frauen schuldig, ihnen eine Perspektive zu eröffnen. Lassen Sie uns gemeinsam dieses Problem lösen. Dieses Thema taugt nicht für parteipolitische Spielchen. Jeder und jede von uns trägt die Verantwortung dafür, dass wir in Zukunft die Zahl der arbeitslosen jungen Menschen verringern und allen eine berufliche Qualifizierung bieten. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)