Wir sind der Meinung, in Frankfurt handeln nicht die kriminell, die leer stehende Gebäude besetzen und sie einer sinnvollen Nutzung zuführen, sondern in erster Linie die, die mit Wohnraum spekulieren, die Gebäude grundlos leer stehen lassen und dadurch das ohnehin knappe Wohnungsangebot noch weiter verknappen.
Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich die Polizei- und Überwachungsgesetze, die in den letzten Jahren erheblich verschärft wurden. „Law and Order“ lautete das Motto hessischer Innenpolitik. Leider scheint es so, als würde das in der neuen Regierungskonstellation nicht wesentlich geändert. Das Wort Bürgerrechte kommt in diesem Koalitionsvertrag nicht ein einziges Mal vor – und das vor dem Hintergrund der NSA-Affäre und der massenhaften Ausspähung von Daten. Aber was die NSA im USHauptquartier in Wiesbaden-Erbenheim so treibt, das scheint die schwarz-grüne Landesregierung überhaupt nicht zu interessieren.
Hessen hat das schärfste Polizeigesetz, und die GRÜNEN haben sich in den letzten Jahren strikt gegen jede Form der Massenüberwachung eingesetzt. Jetzt kann man im Koalitionsvertrag nachlesen, dass man sich für die Anwendung modernster Ermittlungs- und Fahndungsmethoden in der Strafverfolgung ausspricht. Von Datenschutz, von Bürgerrechten, von Persönlichkeitsrechten ist in diesem Zusammenhang nicht die Rede.
Ähnlich wie die FDP scheinen sich die GRÜNEN in der Landesregierung von dem Ziel wegzubewegen, eine Bürgerrechtspartei zu sein. Sie wollen an den Überwachungsgesetzen offensichtlich nichts ändern. Wir sind im Übrigen sehr gespannt, lieber Herr Beuth, wie Sie sich als Innenminister einer schwarz-grünen Koalition bei den diesjährigen Blockupy-Protesten in Frankfurt verhalten werden. Herr Beuth, wir sind der Meinung, dass das Demonstrationsrecht ein hohes Gut ist; es muss respektiert werden und darf nicht ausgehöhlt werden.
Law and Order gilt an vielen Stellen. Bei der Bekämpfung der Steuerkriminalität gilt es leider nicht ganz so stringent. In dem Zusammenhang schöne Grüße an den CDU-Bundesschatzmeister, über den man heute so einiges liest. Ohne eine personelle Aufstockung wird es nicht möglich sein, die Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Wer Betriebsprüfungen intensivieren will, wer die Steuerfahndung stärken will, der braucht Personal. Auch dazu ist im Koalitionsvertrag leider nichts Konkretes geregelt.
Es gibt vernünftige Ansätze in Ihrem Koalitionsvertrag, aber die vollständige Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe, wie sie die GRÜNEN in ihrem Wahlprogramm gefordert hatten, findet sich im Koalitionsvertrag leider nicht wieder. Liebe GRÜNE, auch wenn die CDU hier offenbar behutsam an die Realität des 21. Jahrhunderts herangeführt werden soll: Ein bisschen mehr Konkretes wäre in dem Bereich schon schön gewesen.
Meine Damen und Herren, ich will ein weiteres Thema ansprechen: die Mordserie des NSU. Sie hat uns alle erschüttert. Ich denke, dass der Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen eine lückenlose Aufklärung dieser Mordserie verlangt. Wir fordern eine Aufklärung über das Agieren der Behörden, und wir fordern eine Aufklärung über die Verstrickung der Geheimdienste in diese Affäre.
Ich denke, das sind wir den Angehörigen schuldig; denn diese Menschen haben nicht nur den Verlust eines geliebten Menschen erlebt, sondern sie mussten auch ertragen, dass die Opfer seitens der Ermittlungsbehörden jahrelang falsch verdächtigt wurden, dass sie diffamiert wurden, statt dass die Behörden den Hinweisen auf das Vorliegen eines rassistischen Motivs nachgingen. Die Ermittlungen in den anderen Bundesländern und auch im NSU-Prozess fördern immer mehr unglaubliche Details zutage. Es werden immer mehr Ungereimtheiten und schwere Vorwürfe gegen die hessischen Sicherheitsbehörden öffentlich, ohne dass bis zum heutigen Tag eine Aufklärung in Hessen stattge
funden hätte. Nachdem die SPD damit gescheitert ist, eine Landtagskommission einzusetzen, sollten Sie, Herr Schäfer-Gümbel, endlich die Konsequenz ziehen und mit uns die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen.
Wir fordern das seit Langem, aber wir können einen Untersuchungsausschuss alleine nicht einsetzen. Am besten wäre es, wenn sich dieser Landtag einstimmig auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verständigen würde, wie das in anderen Ländern und im Bundestag erfolgt ist. Ich glaube, das wäre ein gutes Signal, dass es uns mit der Aufklärung dieser schrecklichen Verbrechen ernst ist.
Was nicht geht, ist ein weiteres Wegducken oder ein Wegdelegieren an intransparente Kommissionen. Das ist nicht akzeptabel. Genau darauf – das ist mein Eindruck – haben CDU und GRÜNE sich aber geeinigt. Die Regierung soll eine Kommission einsetzen, die dann die Regierung kontrolliert. Das kann nicht sein. Deshalb brauchen wir einen Untersuchungsausschuss.
Ich bin auch nicht der Meinung, dass wir darüber diskutieren sollten, wie eine Neuausrichtung des sogenannten Verfassungsschutzes aussehen soll, sondern ich glaube, dass man angesichts der Mordserie des NSU die Geheimdienste sehr grundsätzlich infrage stellen muss, weil sie nicht Teil der Lösung waren, sondern Teil des Problems.
Ich will einen Punkt ansprechen, der in der Regierungserklärung leider nur eine sehr untergeordnete Rolle gespielt hat. Hessen braucht eine andere Flüchtlingspolitik. Hessen braucht endlich einen humanitären Umgang mit Flüchtlingen.
Ich habe vor einiger Zeit einen jungen afghanischen Flüchtling in einer Gemeinschaftsunterkunft besucht. Er ist 24 Jahre alt und seit drei Jahren auf der Flucht. Er kam über das Mittelmeer nach Lampedusa. Es war Winter. Die Überfahrt hat fast 60 Stunden gedauert. Das Boot war völlig überfüllt, und ein Flüchtling hat die Reise nicht überlebt. Der junge Mann schlug sich bis nach Deutschland durch und kam in Frankfurt erst einmal drei Monate lang in Abschiebehaft – allein, getrennt von seiner Familie, krank und traumatisiert.
Jetzt lebt er seit zwei Jahren in Deutschland, immer in der Angst, dass er abgeschoben wird, ohne eine verlässliche Perspektive und ohne die Chance, seine Zukunft zu planen. Dabei hat sich dieser Mensch nichts zuschulden kommen lassen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben ohne Krieg hat er sein Leben aufs Spiel gesetzt. An diesem Krieg ist Deutschland leider aktiv beteiligt.
Herr Ministerpräsident, da Sie heute viel von Frieden und von der Verantwortung für den Frieden gesprochen haben, will ich noch kurz darauf hinweisen, dass wir gerade eine Diskussion haben, die von Herrn Bundespräsidenten Gauck, Frau von der Leyen und Herrn Steinmeier losgetreten worden ist. Sie alle haben davon gesprochen, dass Deutschland mehr internationale Verantwortung übernehmen müsse. Sie meinen damit neue Kriegseinsätze der Bundeswehr.
Wir sind der Meinung, Deutschland muss tatsächlich mehr internationale Verantwortung übernehmen, aber nicht
durch den Einsatz von Soldaten, sondern indem es endlich aufhört, Waffen an alle Welt zu liefern, und sich, auch in Europa, für eine andere Flüchtlingspolitik einsetzt.
Es ist doch eine Schande, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil sie keine Chance auf eine legale Einreise nach Europa haben. Wir wollen keine Festung Europa, und wir wollen, dass Frontex abgeschafft wird.
Man muss sich das vorstellen: Die Flüchtlinge, die im letzten Herbst vor Lampedusa ertrunken sind, bekommen ein Staatsbegräbnis, während die überlebenden Flüchtlinge ein Bußgeld und die Abschiebung bekommen. Deshalb brauchen wir eine andere Flüchtlingspolitik in Europa. Wenn Menschen vor Lampedusa ertrinken, ist das kein tragisches Unglück. Da steckt ein Vorsatz dahinter. Wer Fischer, die Ertrinkende retten, wegen Beihilfe zur illegalen Einreise anklagt, sollte wenigstens aufhören, danach Betroffenheit zu heucheln.
Eine andere Flüchtlingspolitik heißt auch, sich der unerträglichen Hetze, ob von rechts außen oder aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, entgegenzustellen. Da halte ich es für einen schlechten Witz, dass ausgerechnet der LINKEN von anderen Parteien vorgeworfen wird, sie sei europafeindlich,
während die CSU plakatiert: „Wer betrügt, der fliegt“. – Wer so agiert, handelt europafeindlich und schürt Ressentiments gegen die Freizügigkeit in Europa.
Wir wenden uns dagegen, Menschen in nützliche und in unnütze Zuwanderer zu sortieren; denn das ist schlicht menschenverachtend. Ich finde, dass man in einer Partei wie der CDU, die sich als christlich bezeichnet, über den Satz nachdenken sollte: Vor Gott sind alle Menschen gleich. – Ich glaube, man braucht kein Christ zu sein, um diese Botschaft zu verstehen.
Herr Ministerpräsident, wenn Sie davon sprechen, die Willkommenskultur in Hessen zu stärken, frage ich Sie: Was macht Herr Irmer bei Ihnen noch in der ersten Reihe?
(Beifall bei der LINKEN – Ministerpräsident Volker Bouffier: Lasst euch doch einmal etwas Neues ein- fallen!)
Herr Ministerpräsident, Sie wollen etwas Neues hören? Ich sage Ihnen etwas Neues: Auf der Titelseite der Januarausgabe des „Wetzlar Kuriers“ – Herausgeber ist Herr Irmer, wie allgemein bekannt – heißt es: „Islamische Verbände haben Grundgesetz nicht verstanden“. Herr Bouffier, dazu könnten Sie einmal etwas sagen.
In der aktuellen Ausgabe vom Februar beklagt Herr Irmer „Asylmissbrauch“ und eine „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Ist das eine Willkommenskultur?
Herr Ministerpräsident, wer, wie Sie es heute gemacht haben, davon spricht, dass Vielfalt eine Bereicherung ist, sollte der Einfalt in den eigenen Reihen vielleicht einmal etwas entgegensetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, um das noch einmal klarzustellen: Herr Irmer ist gerade als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU wiedergewählt worden. Er ist einer Ihrer neuen Partner, und ich habe den Eindruck, dass sich Herr Al-Wazir vielleicht ab und zu wünschen wird, er hätte auf seine Mutter gehört und wäre diese Koalition nicht eingegangen.
Ich komme zum Schluss. Wir hätten uns gewünscht, dass Schwarz-Gelb vollständig abgelöst wird. Wie bereits 2008 ist der Politikwechsel nicht an uns gescheitert. Wir haben nicht auf Maximalforderungen beharrt, sondern waren zu Kompromissen bereit. Herr Wagner, wir haben gemeinsam über 20 Stunden sondiert. Sie müssen Schwarz-Grün schon selbst verantworten. Nicht DIE LINKE ist schuld daran, dass Sie jetzt mit der CDU regieren, weder in Hessen noch in Darmstadt oder in Frankfurt. Das haben Sie selbst zu verantworten.
Wir waren aber nicht dazu bereit, unser Wahlprogramm für einen Sitz auf der Regierungsbank in die Tonne zu treten. Die neue schwarz-grüne Landesregierung scheint vor allem eines zu verbinden: der Wille zur Macht. Entscheidend ist aber nicht nur, wer regiert, sondern entscheidend ist auch, wer opponiert.
Wir LINKE werden alles dafür tun, dass wir die Opposition sind, die Schwarz-Grün verdient hat. Wir werden gemeinsam mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen von links Druck auf diese Landesregierung ausüben, sowohl im Landtag als auch außerhalb.
Wir werden unser Abstimmungsverhalten auch weiterhin vom Inhalt eines Antrags abhängig machen und nicht vom Antragsteller. Das hat uns bislang von der CDU unterschieden. Es kam zwar selten vor, aber auch CDU und FDP haben in der Vergangenheit einige wenige vernünftige Gesetzentwürfe vorgelegt. Ja, auch eine kaputte Uhr hat zweimal am Tag recht. Wenn dieses seltene Ereignis eingetreten ist, haben wir ihren Gesetzentwürfen zugestimmt. Das werden wir auch in Zukunft so halten.
In den letzten Tagen war sehr viel die Rede von einem neuen Stil im Landtag. Ich denke, wer den Stil wirklich verändern will, sollte das nicht großspurig in Interviews verkünden, sondern er sollte einfach danach handeln. – Vielen Dank.