Protocol of the Session on July 16, 2014

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Abschließend will ich nur noch sagen – weil Herr Bellino auch die Enquetekommission ins Spiel gebracht hat –: Ich will nur daran erinnern, dass es ohne die Initiative meiner Fraktion in der letzten Wahlperiode nicht dazu gekommen wäre, dass man sich zum ersten Mal seit Bestehen des Landes Hessen im Landtag oder in Ausschüssen des Landtags so konstruktiv und einvernehmlich über diese Problematik unterhalten hat. Sie können der SPD dankbar sein, dass sie das in der letzten Wahlperiode auf den Weg gebracht hat.

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Da haben wir gerade noch auf Sie gewartet! – Manfred Pentz (CDU): Integration war schon immer unser Thema!)

Frau Mürvet Öztürk, abschließend: Die Opposition ist nicht dazu da, der Regierung zu sagen, wie das Land denn künftig regiert werden soll. Sie müssen schon selbst wissen, was Sie in den nächsten Jahren in Bezug auf die Integration machen wollen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wofür ist sie dann da?)

Als Nächste hat Kollegin Cárdenas, DIE LINKE, das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich muss mich über die Diskussion, die im Augenblick abläuft, doch sehr wundern. Ich denke, dass gerade Herr Di Benedetto, der in den letzten Jahren Vorsitzender des Ausländerbeirats gewesen ist, ein Fachmann ist und dass wir etwas stärker darauf achten sollten, was seine Meinung zur Politik der letzten Jahre und seine jetzige Beurteilung der hessischen Integrationspolitik ist.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Alexander Bauer (CDU): Dann muss er doch wissen, was gelaufen ist!)

Die Zahlen zur Bevölkerungsstatistik verdeutlichen, wie wichtig eine zukunftsgerichtete Integrationspolitik für Hessen ist. Während bundesweit etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund sind, liegt dieser Anteil in Hessen bei etwa 25 %; in manchen Stadtteilen, in mancher hessischen Stadt hat fast jeder zweite Einwohner bzw. jede zweite Einwohnerin ausländische Wurzeln. Die Hinwendung zu einer inklusiven und flächendeckenden Integrationspolitik, die darauf gerichtet ist, Diskriminierungen zu beseitigen und gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten zu ermöglichen, ist daher nicht nur ein Erfordernis einer von Menschen- und Bürgerrechten geleiteten Politik, wie wir sie uns wünschen; sie ist angesichts der demografischen Situation und der weiteren demografischen Entwicklung in Hessen für den gesellschaftlichen Frieden in den Kommunen und im Land unverzichtbar.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Von einer solchen Politik ist Hessen, wo in der jüngsten Vergangenheit viel Porzellan zerschlagen wurde, leider weit entfernt. Hessen ist das Bundesland, in dem immer wieder Wahlkampf auf dem Rücken der Migrantinnen und Migranten gemacht wird, wo ein Roland Koch, gezielt rassistische Ressentiments schürend,

(Michael Boddenberg (CDU): Unerhört ist das!)

Unterschriften gegen die Doppelpasspläne der damaligen rot-grünen Bundesregierung sammelte oder gegen die, um in seinen Worten zu bleiben, „kriminellen jungen Ausländer“ wetterte.

(Janine Wissler (DIE LINKE) zur CDU gewandt: Allerdings, da habt ihr alle mitgemacht!)

Hessen ist auch das Bundesland, das muslimischen Frauen verbietet, im öffentlichen Dienst ein Kopftuch zu tragen, zugleich aber christliche Symbole privilegiert und damit ein höchst fragwürdiges Signal an die hessischen Muslime sendet, Herr Bellino.

(Beifall bei der LINKEN)

Hessen ist auch das Land mit einer Regierungspartei, deren bildungspolitischer Sprecher kaum eine Gelegenheit auslässt, sich abfällig über Muslime und Asylbewerberinnen und Asylbewerber zu äußern. Dieser trat 2012 wegen der Einführung des islamischen Religionsunterrichts als schul

politischer Sprecher zurück und wurde 2014 gleichwohl wieder in dieses Amt gewählt.

Meine Damen und Herren, dieses Land hat also in besonderem Maße eine Bringschuld, wenn von einer Willkommens- und Anerkennungskultur die Rede ist. Wenn von Integration die Rede ist, muss es mehr liefern als das Förderprogramm WIR, das angesichts der hessischen Zustände kaum mehr kann, als an der Oberfläche zu kratzen.

(Beifall bei der LINKEN)

In vielen hessischen Kommunen wird – das möchte ich ausdrücklich noch einmal betonen – durch Vereine und Verbände, durch bürgerschaftliches Engagement, das oft ehrenamtlich erfolgt, ein wichtiger Beitrag dazu geleistet, die gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten zu fördern – sei es bei der Unterstützung beim Spracherwerb, bei der Betreuung von Geflüchteten oder bei der Qualifizierung für den Arbeitsmarkt. Das Förderprogramm WIR, das offensichtlich das Flaggschiff schwarz-grüner Integrationspolitik ist, kann hierbei in gewissem Umfang – Frau Öztürk, das wollen wir gar nicht bestreiten – eine Unterstützung sein.

Wer sich aber zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen, deren Ursachen auf der Hand liegen, erst noch auf die Suche nach innovativen Projekten mit Modellcharakter machen muss, wie es das Landesprogramm tut, wer die strukturellen Defizite, die einer sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe von Migrantinnen und Migranten entgegenstehen, nicht angeht, weil er sie nicht sieht oder sehen möchte, wer Willkommensrhetorik mit nachhaltiger Migrationspolitik verwechselt, wird mit seiner Integrationspolitik nicht nur scheitern, sondern die Probleme in unserem Land nur noch weiter verschärfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zentrale Problem an der Politik der Hessischen Landesregierung und ihrem Förderprogramm WIR ist, dass auf dramatische Weise verkannt wird, dass Integrationspolitik nicht isoliert neben anderen Ressorts bestehen kann. Da waren wir schon einmal weiter. Die Möglichkeit, unter gleichen Chancen an allen gesellschaftlichen Lebensbereichen zu partizipieren und einen gerechten Zugang zum gesellschaftlichen Leben zu haben, ist für ein zukunftsgewandtes Modell der Integration essenziell. Dies setzt aber strukturelle gesellschaftliche Veränderungen voraus und erfordert zuvorderst ein Bewusstsein für Integrationspolitik als Querschnittsaufgabe. Eine Integrationspolitik aber, die sich allein auf die Koordinierung und Förderung kommunaler Projekte beschränkt und diese, seien sie noch so innovativ, nicht in ein Gesamtkonzept von auf Chancengleichheit zielenden Reformen in der Sozial-, Bildungsund Innenpolitik einbettet, kann und wird nicht funktionieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es ist ein großes Problem für Hessen, dass die Landesregierung – nur so lässt sich dieser Antrag verstehen – ihre Pflicht, einen geeigneten Beitrag zur Lösung aktueller Probleme der Einwanderungsgesellschaft zu erbringen, offensichtlich an kommunale Akteure outsourcen möchte. Dabei gäbe es genügend Politikfelder, die ein Handeln der Landesregierung erforderten. Erst vergangene Woche war etwa im „Wiesbadener Kurier“ nachzulesen, dass mehr als 13 % der Einwohner Hessens mit ausländischen Wurzeln keinen Schulabschluss haben, wäh

rend es bei den Einwohnern ohne Migrationshintergrund knapp 2 % sind. Bildung ist einer der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten. Hessens Bildungssystem aber, bei dem der Bildungserfolg stark von der sozialen Herkunft abhängt, ist bisher nicht in der Lage, eine solche Chancengerechtigkeit herzustellen.

Ein inklusives Schulsystem, das die diskriminierend wirkende Mehrgliedrigkeit überwindet, eine gezielte Sprachförderung, insbesondere auch der Muttersprachen, und eine beitragsfreie U-3-Betreuung, die auch Kindern aus sozial schwachen Familien den Besuch von Kindertagesstätten ermöglicht, wären nur ein paar Beispiele für Reformansätze zu mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit in Hessen.

(Beifall bei der LINKEN)

Hierzu hätte ich in dem Antrag der Landesregierung gerne ein paar Zeilen gelesen. Meine Damen und Herren, die Chance, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, setzt voraus, dass Bürgerinnen und Bürgern ein Mindestmaß an Rechten gewährt wird. Menschen ohne Aufenthaltsstatus, Illegalisierte, haben derzeit noch nicht einmal sicheren Zugang zu medizinischer Versorgung.

In New York hingegen, um eine alternative Handlungsoption aufzuzeigen, erhalten demnächst 500.000 Einwanderer ohne gültige Papiere städtische Ausweise, damit sie städtische Dienstleistungen wahrnehmen können. Ich frage die Landesregierung: Welches Konzept haben Sie für Menschen, die durch die europäische Dublin-Verordnung, durch das rigide deutsche Asylverfahren in die Rechtlosigkeit getrieben werden?

Langjährig Geduldete, also Bürgerinnen und Bürger mit einem extrem unsicheren Aufenthaltsstatus, die gleichwohl nicht selten ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht haben, müssen ein Bleiberecht und auf diese Weise endlich Rechtssicherheit haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie müssen sich endlich frei bewegen können. Diese Bewegungsfreiheit wird ihnen, das hat das Ergebnis unserer Kleinen Anfrage zur Residenzpflicht gezeigt, in zahlreichen hessischen Kommunen verwehrt. Diese in Europa einzigartige Einschränkung von Menschenrechten muss endlich aufhören.

Daher meine Bitte und Aufforderung an die Landesregierung: Wenn Sie es ernst meinen mit der Willkommenskultur, dann verschwenden Sie nicht so viel Zeit mit Ihrer Selbstbeweihräucherung um das Programm WIR, gewähren Sie menschenrechtliche Mindeststandards in Hessen, schaffen Sie die diskriminierende Residenzpflicht vollends ab, und machen Sie sich Gedanken, wie strukturelle Defizite der Einwanderungsgesellschaft in Hessen nachhaltig angegangen werden können. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht Kollege Rock, FDPFraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin zwischendurch erschrocken, dass es zeitweise so konfron

tativ zum Thema Integrationspolitik zugegangen ist. Ich kann für meine Fraktion nur sagen, dass wir das nicht auf diese Art und Weise weiter betreiben sollten. Integrationspolitik war in diesem Haus nicht immer zwingend Streitpunkt. Es gab Auseinandersetzungen, die sehr sachlich geführt wurden. Ich fand auch die Kritikpunkte, die Herr Di Benedetto vorgetragen hat, keinen Grund dafür, sich derartig ins Zeug zu legen. Damit kann man sich sachlich auseinandersetzen. Man muss nicht alles teilen, was er vorgetragen hat. Die Punkte, die er aufgeführt hat, sind einen Blick wert; auf den einen oder anderen werde ich eingehen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Integrationspolitik, Willkommenskultur – wir haben uns in den letzten fünf Jahren an eine sehr sachliche Debatte gewöhnt. Ich erinnere mich daran, als wir Liberale 2009 in einer neuen Landesregierung mit einer klaren Zielsetzung angetreten sind: der Integrationspolitik einen neuen Stellenwert in der hessischen politischen Landschaft zu geben.

Wir haben auch gleich wichtige Themen angepackt. Dabei handelte es sich um wichtige Symbolthemen, aber auch um Themen in der Fläche. Wir haben einen Minister gestellt, der sich als Querschnittsminister und stellvertretender Ministerpräsident dieses Thema auf die Fahnen geschrieben hat. Damit wurde deutlich gemacht, dass es sich bei dem Thema Integration nicht nur um ein sozialpolitisches, sondern um ein gesellschaftspolitisches Thema handelt, das in ein Querschnittsministerium gehört, also an eine Stelle, an der wir breit in viele Bereiche einwirken können.

(Beifall bei der FDP)

Darum betrachten wir jetzt mit kritischen Augen die Veränderungen. Wir wollen das noch nicht abschließend bewerten. Wir empfinden es aber zumindest aus dem Bauchgefühl heraus als eine Zurücksetzung der Integrationspolitik. Ob sich das so bewahrheitet – dafür gibt es bereits Indizien –, wird sich zeigen. Wir wollen der Landesregierung die Möglichkeit geben, sich ein bis eineinhalb Jahre zu bewähren. Das sollte man auch einräumen.

Liebe Kollegen von den GRÜNEN, der SPD, der CDU und der LINKEN, in den letzten fünf Jahren haben wir viele Bereiche, die hoch strittig waren, in ein breites Einvernehmen gebracht. Dabei hatte die FDP-Fraktion einen großen Stellenwert.

Ich erinnere mich an die ersten Debatten im Jahr 2009, als wir die Beschulung von Kindern mit nicht gesichertem Aufenthaltsstatus in hessischen Schulen diskutiert haben. Das Problem ist gelöst worden.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Mürvet Öz- türk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir erinnern uns an die intensive Diskussion zum Thema bekenntnisorientierter Religionsunterricht. Auch das ist gelöst worden.

(Beifall bei der FDP)

Wir erinnern uns an das Thema Residenzpflicht. Auch das haben wir in großen Teilen, soweit Hessen das lösen kann, gelöst.

Wir haben, das muss man an der Stelle auch noch mal klar hinterlegen, einen Diskurs geführt. Der zuständige Minister hat den Diskurs mit allen in der Integration tätigen Organisationen geführt. Es wurden Projekte entwickelt, es