Verheerend sind insbesondere die Regelungen zu Förderprogrammen zur Vorbereitung auf Ausbildung, die Regelung zu den Altersgrenzen und die Regelung zu den Praktika. Wir werden sehen, dass durch diesen Gesetzentwurf Förderprogramme für schwache Jugendliche – also solche mit einem schlechten oder gar keinen Schulabschluss –, die sie auf reguläre Ausbildung vorbereiten sollen, wegfallen, weil solche Förderprogramme häufig von Betrieben oder von den Sozialpartnern – also auch von den Gewerkschaften – organisiert werden, aber von der Mindestlohnregelung nicht ausgenommen sind.
Wir haben ferner die ausgesprochen widersinnige Regelung, dass der Mindestlohn bereits ab dem 18. Lebensjahr gezahlt werden soll. Das zeigt, dass man sich die tatsächliche Praxis in Deutschland nicht angeschaut hat. Die Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland, die in Ausbildung sind, ist älter als 18 Jahre. Das gilt ausweislich der Antwort der Landesregierung auf unsere Anfrage auch für Hessen, wo mehr als zwei Drittel aller Jugendlichen in irgendeiner Form in Ausbildung, in beruflicher Ausbildung, sind. Auch wenn man die an den Hochschulen Studierenden abzieht: Mehr als zwei Drittel sind über 18 Jahre alt.
Das bedeutet, dass sie bei regulärer Beschäftigung unter das Mindestlohngebot fallen. Das bedeutet in der Konsequenz – Herr Schaus, das müssen Sie den Menschen in Hessen dann aber auch sagen –, dass ein Packer bei Amazon das Doppelte dessen bekommt, was ein Lehrling bei irgendeinem Handwerksbetrieb verdient.
(Beifall bei der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Deshalb machen die jungen Leute keine Ausbildung mehr?)
Das heißt auch, dass Sie einen fatalen Anreiz setzen. Sie setzen den fatalen Anreiz, das in der Gegenwart schnell verdiente Geld mitzunehmen, statt in die eigene Zukunft Zeit zu investieren.
Ein Gesetz, das junge Menschen vor die Wahl stellt, Aushilfen statt Auszubildende zu werden, ist weder sozial noch gerecht, und es ist vor allem nicht nachhaltig.
Kommen wir zu der ebenso fatalen Praktika-Regelung. Praktika sind ein Teil der Qualifizierungsphase im Leben von Menschen. Sie sollen Einblicke in das Berufsleben, in die Berufswirklichkeit und das Kennenlernen betrieblicher Abläufe ermöglichen.
Herr Schaus, Praktika sind mitnichten das, wozu Sie sie zu stilisieren versuchen, nämlich dass Arbeitgeber Praktikanten als billige Arbeitskräfte missbrauchen.
(Hermann Schaus (DIE LINKE): Schauen Sie sich an, was bei den Architekten passiert! Da dauern die Praktika Jahre!)
Lieber Herr Schaus, es geht darum, dass man parallel zum Studium bzw. zur Ausbildung oder auch unmittelbar danach die Möglichkeit hat, bestimmte Berufsfelder kennenzulernen, gerade in Bereichen – Sie kennen ja den Kulturbereich in Hessen, deshalb kennen Sie auch die Diskussi
on –, in denen eine Ausbildung, ein Studium nicht gezielt auf die speziellen berufliche Tätigkeiten vorbereitet.
Wir werden sehen, dass viele dieser Praktikumsstellen wegfallen werden, weil die Ausbildungsbetriebe und die jungen Leute wissen, dass die sechs Wochen, die zukünftig für ein freiwilliges Praktikum nur noch zur Verfügung stehen, bevor Mindestlöhne gezahlt werden müssen, zu kurz sind, um tatsächlich einen Einblick zu bekommen, der nachher etwas für das Berufsleben bringt.
Wir werden sehen, dass die Betriebe unter diesen Bedingungen nicht mehr in der Lage sein werden, Praktika von drei Monaten Dauer oder gar länger anzubieten. Wenn Sie mit der Praktikaregelung wirklich die schwarzen Schafe erreichen wollen, die mit Praktika Missbrauch betreiben, dann wäre es besser, über Qualitätsstandards für Praktika im Hinblick auf Ausbildungsinhalte zu reden, um sicherzustellen, dass auch nach sechs Wochen Praktikum noch weiter Ausbildung betrieben wird. Das wäre besser, als die Betroffenen einer starren Mindestlohnregelung zu unterwerfen.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Stattdessen wird die Große Koalition in Berlin ein Gesetz beschließen, das das eigentliche Problem nicht löst. Es ist traurig, dass die Hessische Landesregierung, dass auch der Ministerpräsident mit seiner durchaus einflussreichen Stellung in der Bundespolitik dazu schweigt.
Es wäre wichtiger, für diese jungen Menschen eine breit angelegte Qualifikations- und Vermittlungsoffensive zu haben. Stattdessen bekommen wir ein Gesetz, bei dem offensichtlich die soziale Fassade wichtiger ist, als den Menschen in Deutschland tatsächlich zu helfen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bei der FDP-Fraktion dafür bedanken, dass auch sie endlich die Bedeutung des Themas erkannt und daraus eine Aktuelle Stunde gemacht hat.
Wir wollen Ihnen gern dabei behilflich sein, auch bei diesem Thema endlich auf den rechten Weg zu kommen. Dazu sollten wir allerdings den ansonsten sehr geschätzten Kollegen und Kolleginnen der FDP-Fraktion erklären, was da funktioniert und was garantiert nicht funktioniert.
Beginnen wir einfach einmal bei dem Titel der Aktuellen Stunde. Da fängt für uns im Prinzip der Humbug schon an. Die Rede der Kollegin Beer hat es nicht wesentlich besser gemacht. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Sie hat nämlich völlig offen gelassen, was Sie eigentlich mit den jungen Menschen vorhaben.
Nach Ihrer Rede wird es nämlich dabei bleiben, dass die jungen Menschen bis zu ihrem 25. Lebensjahr und darüber hinaus, auch wenn sie eine Ausbildung haben, immer noch mit 3,50 € bis 6,50 € abgespeist werden – nichts anderes.
Es wird Sie kaum überraschen, dass wir völlig andere Vorstellungen von den Zukunftschancen junger Menschen haben. Das geht bei uns mit einem gerechten Ausbildungsund Schulsystem los, und es geht bei uns mit einer Garantie auf qualifizierte Ausbildung weiter, und es geht darum, für die jungen Menschen, die studieren wollen, gute Bedingungen an den Universitäten zu schaffen. Das sind die richtigen Wege.
Wir wollen nicht, dass viele junge Menschen in der Endlosschleife „Dauerpraktikum, Befristung, Dumpinglöhne“ bleiben. Wir wollen, dass sie erst gar nicht da hineingeraten. Darum geht es – auch in unserem Gesetzentwurf.
Es wäre in Ordnung, wenn Sie an der Stelle wenigstens einen konkreten Vorschlag gemacht und uns gesagt hätten: 18 Jahre finden wir deswegen nicht richtig, weil wir für 20, 21, 22 oder 23 Jahre sind. – Dazu haben wir von Ihnen nichts gehört.
Genau an dieser Stelle treffen wir aber auf den Kern des FDP-Pudels. An dieser Stelle sehen wir: Sie wollen die dringend gebotene neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt einfach nicht, und zwar ganz und gar nicht. Das ist die typische Standardsituation für Sie von der FDP. Sie verfallen immer noch in den alten pawlowschen Reflex, wenn Sie die Wörter „Mindestlohn“ und „Fairness auf dem Arbeitsmarkt“ auch nur hören.
Aber ich sage Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich: Wir, die SPD auf Bundesebene und auch meine Fraktion in diesem Hause, wollen diese Fairness auf dem Arbeitsmarkt. Es ist gut, dass der Gesetzentwurf endlich auf den Weg gebracht worden ist.
Das ist deswegen gut, weil mit der Einführung des Mindestlohns schon ab dem 01.01.2015 fast vier Millionen Menschen bessere Einkommen und Lebensbedingungen erhalten. Es ist auch gut, dass der Mindestlohn in Deutschland einheitlich und flächendeckend gelten wird und dass die Tarifparteien die Gelegenheit erhalten, branchenspezifisch und tarifvertraglich Übergänge zu organisieren. Wir brauchen den gesetzlichen Mindestlohn schon deswegen, damit das Lohnniveau in Deutschland nicht immer weiter nach unten ausfranst. Das ist der wesentliche Punkt.
Es ist richtig, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in ein Maßnahmenbündel zur Stärkung der Tarif
autonomie eingebettet ist. Wir stärken damit unser bewährtes Tarifsystem, das wesentlicher Bestandteil unserer sozialen Marktwirtschaft ist und um das uns immer noch viele Staaten auf dieser Welt beneiden.
Die Kombination von Mindestlohn und Stärkung der Tarifverträge ist wichtig und richtig, weil sie zu einer wirksamen Eindämmung des Niedriglohnsektors beiträgt. Frau Kollegin Beer, die aktuelle methodisch fortgeschrittene Forschung kommt übrigens zu dem klaren Ergebnis, dass durch den Mindestlohn keine nennenswerten negativen Beschäftigungswirkungen eingetreten sind – auch bei den 14 Branchen nicht, die für sich schon einen Mindestlohn eingeführt haben.
Im Gegenteil ist allein durch die geplante Einführung des Mindestlohns eindeutig Bewegung in den Niedriglohnsektor gekommen. Ich nenne zwei Bespiele: das Friseurhandwerk und das Fleischerhandwerk. Das sind die Fakten. An denen sollten Sie sich einmal orientieren.
Sie sollten das Vehikel der Zukunftschancen junger Menschen bitte nicht dazu missbrauchen, um eine sozial dringend gebotene Gesetzesregelung wie den Mindestlohn hier mit Ihrer generell ablehnenden Haltung zu unterminieren. Kolleginnen und Kollegen der FDP und mögliche sonstige noch vorhandene Bedenkenträger im Hause, lassen Sie sich vom Coach der Landtagself den Rat geben: Vermeiden Sie künftig veraltete Standardsituationen, da fangen Sie zu viele Gegentore.
Vergessen Sie endlich die angeblichen Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. Die funktionieren nicht. Deshalb brauchen wir klare und faire Regelungen. Gehen Sie endlich mit uns den Weg der Vernunft, und – ich darf an alle Fraktionen in diesem Hause appellieren – unterstützen Sie die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. – Herzlichen Dank.