Antrag der Fraktion der FDP betreffend Realitätsverweigerung im Kultusministerium gefährdet Bildungschancen – Drucks. 19/6588 –
Frau Präsidentin! Sie haben den Titel unserer Debatte schon beschrieben und zitiert. „Realitätsverweigerung im Kultusministerium gefährdet Bildungschancen“, das ist das Thema, um das es hier geht. Wir haben diesen Antrag im Juni eingereicht. Man hätte ja die Hoffnung haben können, dass man die Zwischenzeit nutzt, um vielleicht das eine oder andere zu verbessern, auch im eigenen Auftritt. Aber leider ist seit Juni dieses Jahres nichts besser geworden.
Sie berauschen sich an Zahlen. Die sind in der Tat nicht so schlecht. Das habe ich auch nie in Abrede gestellt.
Ihr Grundproblem ist: Sie blenden die harte Wirklichkeit an den Schulen aus – ebenso wie die Anhörung, die wir durchgeführt haben, nachdem Sie entsprechende Anträge der Sozialdemokraten genauso abgelehnt haben wie die von uns.
Am 14. Juni 2018 hatten wir im Rahmen der üblichen Einladung die Schulverbände hier. Wir haben uns einmal angehört, wie die Situation an den Schulen ist. Wer nicht kam und wer sich nicht dafür interessierte, waren die Koalitionsfraktionen, war natürlich auch der Kultusminister, war auch sein Staatssekretär. Wir hatten alle ausdrücklich eingeladen, aber man hätte ja unangenehme Tatsachen zu Kenntnis nehmen müssen. So ist es in der Tat auch gekommen. Sie alle kennen mittlerweile die Zusammenstellung der Stellungnahmen. Ich habe sie dem Kultusminister schon in der letzten Plenardebatte überreicht. Ich habe den Eindruck, er hat sie immer noch nicht gelesen, oder er hat die Botschaften noch nicht verinnerlicht, die sich aus diesen Stellungnahmen ergeben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit hat die Landesregierung erneut die Chance verpasst, sich mit den Problemlagen und Herausforderungen an den hessischen Schulen auseinanderzusetzen. Was Sie stattdessen getan haben, ist, dass Sie den Lehrerinnen und Lehrern sowie Schulleitungen in Hessen erneut Ihr mangelndes Interesse an den tatsächlichen Problemen gezeigt haben.
Wir – Kollege Schwarz, Kollege Degen, Kollege Wagner, manchmal stattdessen auch Kollege May – sind im Moment fast täglich unterwegs bei Veranstaltungen quer durch die hessische Landschaft, von der VhU bis zur GEW. Das Spannende, was man dort wahrnimmt, ist, dass diese Haltung, die ich hier beschrieben habe – Ihre Haltung –, in der hessischen Bildungslandschaft angekommen ist. Alle, aber wirklich alle, wissen mittlerweile, dass es das Motto von Schwarz-Grün ist, Probleme wegzudiskutieren und zu leugnen, statt sich den Realitäten zu stellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Schlimme daran ist, dass Sie durch diese Verweigerungshaltung die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen gefährden, weil Lehrkräfte, Schulleitungen und Mitarbeiter in den Schulverwaltungen durch die Vorgaben des Kultusministeriums über die Grenzen des Vertretbaren hinaus belastet werden. Das ist die schlichte Realität, die Ihnen überall an den Schulen entgegenschlägt.
Thema Lehrermangel. Der Streit ist jetzt nicht mehr so vehement wie früher. Kollege Wagner, der im Moment wohl verhindert ist, hat jetzt den Begriff der Lehrerknappheit eingeführt. Das ist eine schöne Umschreibung. Es geht um das Gleiche: Wir haben einen Lehrermangel an den Schulen. Das ist eine Realität, die Sie lange wegdiskutieren wollten, weil wir – das war immer Ihr Argument – ein paar Tausend Lehrerstellen mehr haben. Die haben wir in der Tat. Aber was wir nicht mehr haben, ist eine 105-prozentige Lehrerversorgung, wie wir sie vor fünf Jahren, als wir uns aus der Regierungsverantwortung verabschiedet haben, hinterlassen haben.
Woran liegt das denn? – Sie haben sich geweigert, die 100 %, die der Berechnung der 105 % zugrunde liegen, neu zu definieren, und zwar entsprechend den gewachsenen Aufgaben anzupassen. Wir haben das schon häufig diskutiert: das Thema Inklusion, das Thema Ganztag, das Thema Flüchtlingsbeschulung. Das alles sind Dinge, die jetzt zusätzlich gemacht werden müssen. Dafür reichen diese rund 4.000 zusätzlichen Stellen offenkundig nicht aus. Wir haben keine 105-prozentige Lehrerversorgung mehr. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Unser Ziel für die nächste Wahlperiode ist es, zu einer 105-prozentigen Lehrerversorgung zurückzukommen und dabei die Aufgaben als Maßstab zu nehmen.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf, unbesetzte Stellen im Bereich der Kollegien, Schulleitungen und der Schulverwaltung zügig neu zu besetzen, um die Arbeitsfähigkeit vor Ort zu gewährleisten.
Was steckt denn hinter dieser hoffentlich einleuchtenden Forderung? – Dahinter steckt, dass wir viele Verzögerungen bei den Stellenbesetzungen haben, weil es unerledigte Besetzungsverfahren gibt, weil es in der Folge von entsprechenden Widerspruchsverfahren Konkurrentenklagen gibt. Was ist der Hintergrund des Ganzen? – Der Hintergrund ist die schwarze Parteibuchwirtschaft, die seit vier Jahren in Hessen Einzug gehalten hat,
insbesondere im Kultusministerium. Nach dem, was man so in den letzten Tagen und Wochen hört, ist dort jetzt offensichtlich Panik ausgebrochen, weil man Angst hat, man könne die geplanten Stellenbesetzungen bis zum 28. Oktober nicht mehr durchziehen. Herr Kollege Bellino, da wird jetzt mit der Brechstange versucht, durch Druck auf Schulaufsichtsbeamte
die Beurteilungsverfahren zu beeinflussen und auf Teufel komm heraus Druck zu machen, um die Verfahren nur ja möglichst jetzt noch entscheiden zu können.
Ja, ich sage Ihnen, Herr Kultusminister: Sie können diese Verfahren vielleicht noch vor dem 28. Oktober entscheiden, aber Sie können sie nicht beenden.
Hören Sie auf damit. Sie werden keinen Erfolg haben. Aber Sie vergrößern mit jedem weiteren Schritt in dieser Art den Schaden für das hessische Schulsystem.
Der Landtag spricht sich dafür aus, die Forderungen der Lehrer-, Schulleiter- und Schulverwaltungsverbände endlich ernst zu nehmen und mit diesen Lösungskonzepte zu entwickeln. Hierzu ist es notwendig, in einem ersten Schritt die bürokratischen Dokumentationspflichten, Erlasse und Vorschriften zu überprüfen …
Was steckt dahinter? – Das Kernproblem der Bildungspolitik der letzten knapp fünf Jahre ist: Sie haben kein Vertrauen in die Lehrerinnern und Lehrer in Hessen. Sie haben kein Vertrauen in die Schulen, dass sie ihre Arbeit richtig machen. Der Kontrollwahn des Kultusministeriums, die parteipolitische Durchdringung bis ins letzte Klassenzimmer, wie es sich Herr Irmer immer gewünscht hat, behindern unsere Schulen auf allen Ebenen.
Unsere Antwort darauf lautet: Bürokratieabbau, Entlastung unserer Lehrkräfte und unserer Schulleitungen dadurch, dass man ihnen Vertrauen statt Misstrauen entgegenbringt, mehr Selbstständigkeit für unsere Schulen, mehr Mut in der Auseinandersetzung mit beharrenden konservativen Kräften in der schulpolitischen Auseinandersetzung. Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Solche konservativen Kräfte in der schulpolitischen Auseinandersetzung kommen nicht nur aus dem rechtskonservativen Lager, sondern auch aus dem linkskonservativen, wozu ich ausdrücklich die GEW zähle.
Genau, linkskonservativ und linksbeharrend und fortschrittshemmend – so, wie Sie das auch leben, Frau Kollegin Wissler.
Mir ist an dieser Stelle vorhin, als ich mir das stichwortartig notiert habe, Folgendes eingefallen. Diesen kleinen Exkurs müssen Sie mir erlauben. Die Übergänge zwischen rechts und links sind da in der Tat sehr fließend, wenn man durch Deutschland schaut. Ich nehme einmal das Beispiel aus der Enquetekommission, in der wir intensiv gearbeitet haben. Dort hat die grüne Fraktion Herrn Prof. Spitzer als Sachverständigen benannt. Das war eine gute Wahl. Das sehen Sie genauso wie die AfD. Sie hat ihn jetzt nämlich für die entsprechende Enquetekommission des Bundestages benannt.
Ja, gut, Frau Schott, auch das müssen wir nicht zur Kenntnis nehmen. – Die Weiterentwicklung der LUSD sowie die Einrichtung von Clouds sind die Voraussetzungen dafür, dass wir mit einer Modernisierung der hessischen Schulverwaltung beginnen können.
Wir haben ja die Situation, dass die Digitalisierungsverweigerung im Kultusministerium nicht nur die Digitalisierung der Bildung behindert, sondern Sie sind selbst in der Verwaltung nicht in der Lage, das nach vorn zu bringen. Hessen ist auch hier hinten.
Ich erinnere nur an die nicht total überraschende Reaktion aus dem Kultusministerium, als ich einmal gefragt habe, wie weit wir denn mit der Einführung der Möglichkeit von elektronischen Klassenbüchern sind. Angst war die Antwort aus dem Kultusministerium. Sie bleiben dabei: unzureichende Nutzung der LUSD, stattdessen knicken, lochen, heften – mit der besonderen hessischen Ergänzung: und dann möglichst schnell vergessen.
Ich nehme einmal das Beispiel von Krankheitsdaten und Unterrichtsausfall, die Sie weiterhin nicht erfassen.
Andere Dinge kann ich aus Zeitgründen nur stichwortartig erwähnen. Weitere ungelöste Probleme sind die digitale Bildung insgesamt. Lassen Sie einmal die Welt ins Klassenzimmer. Das Thema braucht eine Veränderung in den Köpfen. Dann gibt es das Thema Schule und Wirtschaft, berufliche Bildung, Mängel bei InteA – ein gutes Programm, das wir ja mit aufgelegt haben, das aber zu starr und zu unflexibel ist.
Frau Präsidentin, Folgendes ist mein Fazit. Was muss nach all dem, was ich beschrieben habe, in Hessen passieren? – Es darf eben kein „Weiter so“ geben. Wir müssen die Probleme identifizieren. Wir müssen die Probleme lösen. Wir brauchen die nächste Stufe Hessen – gerade auch in der Schulpolitik.