Eine der Grundaussagen des Berichts ist doch, dass das Problem der Kinderarmut zunimmt. Sie lesen vor, was die Landesregierung alles macht, und der Bericht sagt uns: Die Kinderarmut wächst. – Da liegt doch der logische Schluss nahe, dass das doch nicht alles sein kann,
dass man vielleicht noch nicht die richtigen Analysen gesehen hat und dass man vielleicht noch überlegen kann, was man besser machen kann.
(Zuruf von der SPD: Ei, ei, ei! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Wo sind denn jetzt die richtigen Analysen?)
Das Positive war, dass wir immer noch ganz deutlich mit über 75 % mittlerer Einkommen eine ganz breite Gruppe in unserer Bevölkerung haben, die der Mittelschicht angehört, und dass diese Gruppe stabil ist. Ihre Größe bröckelt zwar leicht ab, aber die Gruppe ist stabil. Der Großteil der Menschen in unserem Land gehört dieser Gruppe an.
Man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass es an der einen oder anderen Stelle bröckelt und dass ebendiese Gruppe kleiner wird. Das kann auch statistische Effekte haben; darauf will ich nicht eingehen. Aber dieses Thema ist da. Wir stellen fest, dass sich Armut verfestigt und dass Menschen, die in Armut leben, generationsmäßig daraus nicht herauskommen.
Was unsere Gesellschaft ausmacht, dass man mit eigener Leistung und dem Anspruch, den Aufstieg zu schaffen, diesen auch hinbekommt, funktioniert in unserem Land nicht mehr so gut. Dabei gibt es in unserem Land momentan ein Problem. Das scheint nicht mehr so wie früher möglich zu sein.
Wenn man diesen Bericht analysiert, kann man feststellen, dass besondere Gruppen betroffen sind. Dann sind wir bei dem Thema, das DIE LINKE heute zu Recht auf die Tagesordnung gesetzt hat, nämlich bei der Frage der Kinder. Kinder sind ein Armutsrisiko in unserem Land. Kinder bzw. viele Kinder zu haben, stellt ein Armutsrisiko in unserem Land dar.
Man kann auch noch das Unglück haben – warum auch immer –, in einer Ein-Eltern-Familie zu leben. Das betrifft nicht mehr nur die Frauen. Wenn man sich Statistiken ansieht, merkt man: Jeder fünften Ein-Eltern-Familie steht ein Mann vor. Für mich war überraschend, dass es mittler
Bei diesem Sozialbericht ist interessant, bei vielen Dingen hinzusehen. Wenn man konkreter schaut, stellt man fest, dass 40 % der Alleinerziehenden durch Hartz IV finanziert werden. Wenn die Zahl der Kinder von einem Kind auf zwei Kinder steigt, ist bereits jede zweite Alleinerziehendenfamilie im Hartz-IV-Bezug. Da wird der Zusammenhang ziemlich deutlich, dass ein großer Teil der Kinder, die in unserem Land in Armut leben, aus dieser Gruppe von Menschen kommt, die, wie ich glaube, nichts dafür können, dass die Menschen nicht mehr in einer Paarfamilie leben, weil das Leben etwas anderes mit sich gebracht hat.
Wenn man feststellt, dass, wenn die Kinder älter werden, das Armutsrisiko, statistisch gesehen, sinkt und dass die höchste Risikogruppe Alleinerziehende mit kleinen Kindern sind, die besonders betroffen sind, kann man sich überlegen: Was könnte zielgerichtet helfen?
Wenn man schaut, welche Rolle der Migrationshintergrund beispielsweise bei der Frage der Armutsgefährdung spielt, dann lassen sich die Risikogruppen ziemlich gut eingrenzen. Dann kann man überlegen, wo man ansetzen kann, um diese Chancen zu verbessern.
Diese Analyse ist ideologisch wertfrei und zieht sich entlang der Fakten. An dieser Stelle möchte ich auf unseren Gesetzentwurf hinweisen, der in dieser Woche auch aufgerufen werden wird. Ich möchte dem einen oder anderen, der gutwillig ist, noch einmal ans Herz legen, wie wichtig die Arbeitsaufnahme von Alleinerziehenden ist, um Armut zu vermeiden. Es ist kontraproduktiv, wenn man ein kleines Kind hat und dieses Kind am Arbeitsort nicht betreuen lassen kann.
Die statistischen Zahlen machen deutlich, dass in Hessen die Möglichkeit, frei den Betreuungsort seines Kindes zu wählen, nicht gegeben ist. Wir haben einen Vorschlag gemacht, um diesem Problem abzuhelfen. An dieser Stelle sehen wir einen großen Handlungsdruck. Wir wollen, dass Eltern selbst entscheiden können, wo sie ihr Kind betreuen lassen. Für viele ist das eine existenzielle Frage.
Wenn man ein sehr kleines Kind hat, möchte man vielleicht nicht allzu weit weg vom Kind arbeiten für den Fall, dass es Probleme gibt. Insofern steht das einer Arbeitsaufnahme ganz entschieden entgegen.
Die Zahlen sind erschreckend. 15 % der unter Dreijährigen leben von Hartz IV. In Offenbach sind es 33 %.
Das ist doch ein besonderes Alarmsignal. Ich habe bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen. Wir wissen aus der Wissenschaft, dass ein Kind mit Migrationshintergrund mit einer 60-prozentigen Wahrscheinlichkeit in eine Einrich
tung geht, die zu über 50 % von Migranten besucht wird. Wir haben eine Ballung des Problems. Wir haben eine große Konzentration des Problems. Wir können die Zielgruppen eingrenzen. Wir können uns überlegen, wie wir diesen Zielgruppen helfen können, damit die Kinder in unserem Land nicht in Armut groß werden müssen.
Wir haben uns diesem Problem gestellt und einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, über den später noch diskutiert werden wird. Ich glaube, dass die Frage der Durchmischung eine große und wichtige Frage ist. Gleiches gilt für das Thema der Integration, das die Freien Demokraten bereits in der vergangenen Legislaturperiode ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt haben.
Das sind die entscheidenden Stellschrauben. Das macht der Landessozialbericht aus unserer Sicht sichtbar. Da brauchen wir keine Ideologie, sondern eine am Kindeswohl orientierte, lösungsorientierte Politik. Dazu sind wir jederzeit gern bereit.
Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Als nächster Redner spricht nun Kollege Bocklet für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich finde, in dieser Diskussion gibt es zwei Übereinstimmungen. Ich glaube, niemand in diesem Saal erträgt Kinderarmut. Jedes Kind, das in Armut lebt, ist eines zu viel. Dieser Saal sollte sich darin einig sein, dass wir alles unternehmen müssen, damit Kinder nicht in Armut leben. Darin sind wir uns sicher einig.
Zweitens sind wir uns sicherlich auch einig, dass dieser Sozialbericht eine deutliche Verbesserung gegenüber dem ersten Bericht ist. Ich darf zitieren aus dem Beitrag von Liga, Kirchen, DGB, VdK und agah:
Der zweite Hessische Landessozialbericht überzeugt im Vergleich zum ersten Hessischen Landessozialbericht durch einen klaren und konzentrierten Aufbau, eine sinnvolle inhaltliche Schwerpunktsetzung, eine gut aufeinander abgestimmte Arbeit der beteiligten Wissenschaftler, Institute und Vertreter/-innen der ministeriellen Fachabteilungen, die exemplari
Ich schließe mich diesem Urteil unabhängiger Organisationen an, die uns üblicherweise sehr oft und heftig kritisieren. Ich glaube, nicht nur wir GRÜNE, sondern auch die CDU schließen sich diesem Satz vollumfänglich an. Dieser Bericht ist ein guter Bericht.
Wir sind uns also einig, dass wir gemeinsam Kinderarmut bekämpfen wollen und dass der Landessozialbericht eine gute Grundlage ist. Schauen wir uns einmal an, was uns dieser Bericht an Hausaufgaben aufgibt. Ab Seite 260 findet sich eine Fülle von Handlungsempfehlungen von der Liga, von den Kirchen, vom DGB, vom VdK und von der agah. Sie geben uns Handlungsempfehlungen an die Hand. Ich will diese einmal ansprechen und auch gerne sagen, dass wir genau in diesen Feldern noch eine Menge Arbeit vor uns haben. Der erste Hinweis war, dass wir bei einem zukünftigen Bericht auch Betroffene und Beteiligte befragen sollen. Das ist in der Tat ein kluger Vorschlag.
Das sind die Themenfelder der unabhängigen Organisationen, die uns etwas in den Bericht hineingeschrieben haben. Wir setzen uns damit auseinander und nehmen das auf. Wir wollen konstruktiv damit umgehen. Das sollte nicht in einem verstaubten Aktenschrank landen. Es gibt aber kein Feld, auf dem bisher noch nichts passiert ist.
Wir wollen natürlich Beteiligte stärker integrieren bei einem zukünftigen Bericht. Das halte ich für einen klugen Hinweis.