Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend Innenministerium muss Beachtung gerichtlicher Entscheidungen durchsetzen – Drucks. 19/6331 –
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend klares Bekenntnis gegen Extremismus und für den Rechtsstaat – Drucks. 19/6332 –
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Herr Ministerpräsident, ich bin Ihnen sehr dankbar für den Abschlusssatz, was in Hessen gilt. All das, was zu Antisemitismus gesagt wurde, das gilt meines Erachtens auch für den nächsten Tagesordnungspunkt; denn Rechtsstaatlichkeit ist für Deutschland insgesamt ein ganz hohes Gut.
Ich habe gestern die eine oder andere Bemerkung von mir nahestehenden Abgeordneten erhalten. Ich möchte das Thema nicht nur als Jurist, sondern auch als Demokrat hochhalten. Ich glaube schon, dass das Thema nicht nur juristisch wichtig ist und hochgehalten werden muss, sondern dass es uns alle als Demokraten, als Landtagsabgeordnete und jeden Bürger in Deutschland betrifft.
Demokratie ist gewiss ein preisenswertes Gut, Rechtsstaat ist aber wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken und wie Luft zum Atmen, und das Beste an der Demokratie gerade dieses, dass nur sie geeignet ist, den Rechtsstaat zu sichern.
Ich glaube, dass das, was er 1946 geschrieben hat, nach wie vor Bestand hat und dass wir alle, die das Grundgesetz hochhalten und das, was wir festgeschrieben haben, daran festhalten müssen.
Ja, in einem Rechtsstaat zu leben, tut auch manchmal weh; denn das kann bedeuten, dass ein Kindermörder wie Gäfgen Schmerzensgeld erhält, weil ihm widerrechtlich Folter
angedroht wurde. Es kann bedeuten, dass man einer rechtsextremen Partei wie der NPD, die nur aufgrund der Tatsache, dass sie für ein Verbot zu irrelevant ist, zugelassen bleibt, ein öffentliches Gebäude für einen Wahlkampfauftritt überlassen muss.
Normalerweise läuft es dann so – das ist der Klassiker aller Jurastudenten in der Vergangenheit, der von der Rechtsprechung so betonsicher ist, dass er nicht wiederholt werden muss –: Die NPD will in die Halle, die Stadt sagt Nein, und die NPD klagt sich ein.
Im Fall von Wetzlar lief dies aus meiner Sicht, aus der Sicht meiner Fraktion leider nicht so. Ich lasse auch dahingestellt – das war der zweite freundliche Hinweis –, ob der Magistrat das insgesamt mitgetragen oder nicht mitgetragen hat, weil das, was rechtsstaatlich gilt, keine Frage der Couleur ist und dessen, was gefällt. Vielmehr ist es das, was rechtsstaatlich von allen zu beachten ist, auch vor Ort.
Hier bleibt festzustellen, dass der Magistrat sich monatelang geweigert hatte, der NPD die Stadthalle zu vermieten, obwohl er juristisch in allen Instanzen unterlegen war. Sogar über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat er sich hinweggesetzt, und das mit Rückendeckung des Regierungspräsidiums in Gießen.
Hierzu wäre die Stadt Wetzlar, die als vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 GG), aufgrund des Gewaltenteilungsprinzips (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) verfassungsrechtlich verpflichtet gewesen.
Dies, so prägnant festgestellt, ist ein Zitat. Das sollte uns allen hier ins politische Buch geschrieben bleiben.
Dafür hat der Magistrat auch eine entsprechende Antwort, ich glaube sogar, eine ironische Klatsche aus Karlsruhe erhalten. Dort wurde in einer Presseerklärung geschrieben:
Offensichtlich bestanden bei der Stadt Wetzlar Fehlvorstellungen über die Bindungskraft richterlicher Entscheidungen und den noch verbleibenden Spielraum für eigenes Handeln. Um künftigen Überforderungen von Kommunen in derartigen Situationen vorzubeugen, hat der Vorsitzende des Ersten Senats, Herr … Kirchhof, in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten angeregt, vonseiten der Kommunalaufsicht
Das muss man sich hier doppelt und dreifach anhören. Das kann nicht sein. Jetzt kommt es. Was erwidert der Regierungspräsident?
Wir werden die Anregungen des Bundesverfassungsgerichts aufgreifen und prüfen, wie wir diese praktisch umsetzen können.
Hier scheint es auch beim Regierungspräsidenten „Fehlvorstellungen über die Bindungskraft richterlicher Entscheidungen und den noch verbleibenden Spielraum für eigenes Handeln“ zu geben.
Noch deutlicher als das Bundesverfassungsgericht – ja, das geht – wird Prof. Gärditz im Fachmagazin „Legal Tribune Online“. Er nennt das Verhalten des Wetzlarer OB eine „unsägliche Rechtsverweigerung“. Wenn die Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen erodiere, sei das keine gute Entwicklung, sondern folge dem – das ist ein Zitat –, „was in der Türkei passiert ist“.
Ja, ich danke. – Der Vorgang ist, ohne übertreiben zu müssen, geeignet, Grundfesten der Verfassung, nämlich die Bindung der Exekutive an Recht und Gesetz und den Grundsatz der Gewaltenteilung, infrage zu stellen. Was sind Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts künftig wert? Im Antiterrorkampf haben wir das mit der Passagiermaschine, wir haben den Kessel in München, wir haben viele andere Beispiele. Das ist, was zu beachten ist.
Es nicht zu tun bedeutet, die Büchse der Pandora zu öffnen. Aus diesem Grunde bin ich auch dankbar für den Antrag der Koalition. Wir werden diesem zustimmen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die Ereignisse rund um die NPD-Veranstaltung in Wetzlar am 24. März haben wir bereits im März-Plenum diskutiert. Das Ganze hat eine politische Seite und auch eine rechtliche.
Politisch sind wir uns hier im Hause einig, dass es für uns Demokraten eine Zumutung ist, mit diesen Rechtsextremen auf einem Wahlzettel zu stehen und ihre Plakate im Wahlkampf zu sehen.
Es ist auch eine Zumutung, ihre menschenverachtenden Parolen zu hören und ihre Veranstaltungen ertragen zu
müssen. Jeder legale Protest und Widerspruch, jeder legale Versuch, diesen Unverbesserlichen das Leben schwer zu machen und dem Extremismus in Hessen keinen Raum zu geben, finden unsere Zustimmung. – Das ist die politische Seite.
Rechtlich handelt es sich aber um eine Partei, die nicht verboten ist und daher auch ihre Rechte hat. Sie darf an Wahlen teilnehmen, Veranstaltungen abhalten und für ihre Positionen werben, so widerlich das manchmal sein mag. Es fällt uns schwer, aber wir haben es zu akzeptieren.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar 2017 so entschieden, als es das Verbot der NPD abgelehnt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat per einstweiliger Anordnung der Stadt Wetzlar am 24. März aufgegeben, der NPD die Stadthalle für ihre Wahlkampfveranstaltung zu überlassen.
Inwieweit es sich wirklich um eine Wahlkampfveranstaltung handelte und nicht vielmehr um ein Konzert von rechtsextremen Bands, haben wir im März-Plenum bereits ausführlich debattiert. Fakt ist aber: Die Verwaltungsgerichte und das höchste deutsche Gericht haben im Sinne der NPD entschieden; und in einem Rechtsstaat steht niemand über dem Gesetz. Dem Urteil hat auch die Politik Folge zu leisten. Dem hessischen Richterbund – der Kollege hat es bereits zitiert – ist zuzustimmen. Die Gewaltenteilung muss stets geachtet werden, um das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht zu untergraben. Gleichwohl haben wir auch Verständnis für die Situation, in der sich die Stadt Wetzlar befand. Sie hat einen gewissen rechtlichen Handlungsspielraum angenommen, der aber nicht vorhanden war. Sie tat dies irrtümlich und sicherlich nicht mit Vorsatz, Karlsruhe hat sie jedoch eines Besseren belehrt.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich am 20. April nach der von ihm aufgegebenen Aufklärung des Sachverhalts durch die kommunale Aufsichtsbehörde, das Regierungspräsidium in Gießen, noch einmal zu Wort gemeldet. Der Vorsitzende des Ersten Senats, Prof. Kirchhof, regt an, durch geeignete Maßnahmen die Befolgung gerichtlicher Entscheidungen sicherzustellen. Dem wird man ganz gewiss nachkommen. Wir Christdemokraten haben – das darf ich zum Abschluss sagen – eine klare Haltung zum Thema Extremismus: Wir dulden keine Gewalt, keine Hetze und keine Ausgrenzung, unabhängig davon, mit welchen Argumenten versucht wird, sie zu rechtfertigen, seien es rechte, linke oder religiöse Extremisten. Rechtsextremismus und Rassismus im Speziellen lehnen wir entschieden ab. Rechtsextreme Gewalt hat in Hessen keinen Platz.