Unser Fazit: Die Verfassungsreform hat sehr gute Ergebnisse gebracht. Bei der gebührenfreien Bildung gibt es aber noch einen erheblichen Nachholbedarf. – Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Berichterstatterin, Frau Wolff, und meine Vorredner haben bereits deutlich gemacht, dass viele der vorliegenden Gesetzentwürfe nicht nur von einer breiten Mehrheit, also von den vier beantragenden Fraktionen, sondern auch von uns LINKEN mitgetragen werden. Der Umstand, dass diese Gesetzentwürfe nicht von allen fünf Fraktionen dieses Hauses eingebracht worden sind, ist schlicht und ergreifend der Tatsache geschuldet, dass die größte Fraktion in diesem Haus nicht dazu in der Lage ist, gemeinsam mit uns einen Gesetzentwurf bzw. einen Antrag einzubringen.
Sie haben von der Berichterstatterin gehört, dass wir an einer oder zwei Stellen den Konsens verlassen. Deswegen möchte ich meine Rede damit beginnen, dass ich erläutere, warum wir zwei Änderungsanträge eingebracht haben.
Erstens geht es um die elektronische Verkündung von Gesetzen. In der Enquetekommission und auch in der Anhörung im Hauptausschuss ist immer wieder klar geworden, dass es insbesondere der Staatskanzlei darum geht, die Möglichkeit zu haben, Gesetze auch elektronisch zu verkünden. Das Wort „auch“ findet sich aber nicht im Gesetzestext. Das macht uns etwas misstrauisch.
Wir haben in diesem Raum gesessen und den Schülern gelauscht. Wir waren ganz erstaunt, weil uns diese „digital natives“ erklärt haben, dass sie ein Recht auf analoges Leben in der Hessischen Verfassung verankert sehen wollen. Wir haben uns gefragt, wie wir das umsetzen können, sind aber auf keine gute Idee gekommen. Hier ist eine Idee. Hier sagen wir, dass es immer auch ein Gesetzesblatt geben muss, weil nicht jeder elektronisch angeschlossen ist. Das steht in unserem Änderungsantrag.
Unser zweiter Änderungsantrag bezieht sich auf die Stärkung der Volksgesetzgebung. Wir vermuten, dass wir an dieser Stelle eher eine Täuschung des Volkes vornehmen, weil wir durch dieses Gesetz zwar das Eingangsquorum zur Volksgesetzgebung drastisch absenken – und das ist gut so –, dabei aber ein Ausgangsquorum schaffen, sodass mindestens ein Viertel der Abstimmungsberechtigten zustimmen muss. Dieses Quorum wollen wir deutlich senken.
Wenn wir dieses Quorum hätten, sodass 25 % der Abstimmungsberechtigten zustimmen müssten, dann hätten wir in Frankfurt am Main keinen Oberbürgermeister, und die Wetterau hätte keinen Landrat. So sehen die Abstimmungsverhältnisse in Hessen mittlerweile aus. Der sogenannte Erdrutschsieg des Frankfurter Oberbürgermeisters wäre nicht gültig mit einem Abstimmungsquorum von 25 % bei der Endabstimmung. Das muss also abgesenkt werden.
Zu den weiteren Gesetzen. Wir wollen vieles in die Verfassung aufnehmen, was bereits im Grundgesetz geregelt ist. Daher senden wir noch einmal positive Signale. Dabei geht es um die tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau. Dabei geht es selbstverständlich auch um das Streichen der Todesstrafe aus der Hessischen Verfassung.
Herr Heinz, in einem Wort von Ihnen ist gerade aufgeschienen, worüber wir bereits in der Einsetzungsdebatte diskutiert haben. Sie haben vorhin gesagt, die Bereinigung der Hessischen Verfassung solle erst in zehn oder 15 Jahren vorgenommen werden. Da tauchte noch einmal auf, was eigentlich auch eine Intention war. Ich bin sehr froh, dass wir das hier nicht gemacht haben, sondern dass der Friedensauftrag der Hessischen Verfassung eindeutig erhalten bleibt, dass die Wirtschaftsverfassung erhalten bleibt und dass die sozialen Rechte – das ganz große Plus dieser sehr frühen deutschen Verfassung – erhalten bleiben. Darüber sind wir sehr froh. Außerdem sind wir sehr stolz darauf.
Meine Damen und Herren, wir haben einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, mit dem wir das Recht auf Wohnen stärken wollen. Damit wollen wir in einer Zeit, in der die Wohnungsnot wirklich virulent ist, ein politisches Zeichen setzen. Wir haben in der Anhörung den Hinweis bekommen, dass man eine Änderung im Gesetzentwurf hätte machen können oder auch müssen. Ich hätte das auch gerne getan. Allerdings sind die Gepflogenheiten im Haus leider so, dass dann, wenn ich nach der Anhörung schlauer bin und den Text korrigieren möchte, wir das hier nicht durchbekommen, weil die Mehrheit das ablehnen wird. Politisch finden wir das immer noch richtig. Wir brauchen ein Recht auf Wohnen.
Ich kann mich den Worten von Herrn Schmitt von vorhin anschließen. Die Staatsrechtler fanden das schwierig. Die politischen Akteure haben gesagt: Ja, genau das brauchen wir. – Deswegen stehen wir auch dazu.
Eine letzte Bemerkung noch zu den vorliegenden Änderungsanträgen. Exemplarisch greife ich den Vorschlag der FDP zur Begrenzung der Amtszeit des Ministerpräsidenten auf. Sehr geehrter Herr Hahn, wir wollen Bouffier abwählen, ihn aber nicht durch Dr. Schäfer ersetzen. Das ist unsere Botschaft. Wir brauchen keine Amtszeitbeschränkung, sondern wir brauchen eine andere Regierungsmehrheit in diesem Land.
Eine allerletzte Bemerkung. Die Hessische Verfassung bleibt in ihrem Kern erhalten. Wir passen sie an einigen Punkten dem modernen Leben an. Viel entscheidender ist aber, dass wir den Auftrag der Hessischen Verfassung Wirklichkeit werden lassen, dass wir ihren Friedensauftrag wahrnehmen und dass wir die sozialen Rechte stärken. In der Hessischen Verfassung sind eine Sozialversicherung und ein Mindestlohn verankert, und es ist in ihr verankert, dass die Wirtschaft dem Wohl des gesamten Volkes zu dienen hat. Lassen Sie uns all das Realität werden. Das ist der Auftrag unserer Hessischen Verfassung.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was meine Vorredner gesagt haben, insbesondere zu dem Komplex, wo es um das Konsensuale ging, will ich nicht wiederholen. Ich kann mich insoweit darauf beziehen, weil das von uns inhaltlich voll geteilt wird.
Wir haben bereits in der ersten Lesung einen Überblick gegeben und gedankt. Wir werden das sicher auch in der dritten Lesung zum Abschluss noch einmal tun. Deshalb will ich heute zwei Themenbereiche speziell – und ein bisschen streitiger – ansprechen.
Zum einen geht es um die Verfassung als solche, als Grundlage für uns alle. Sie ist nicht dafür da, Kontroversen zu regeln. Das ist an dieser Stelle meine Botschaft. Die Verfassung ist nicht dafür da, Streitigkeiten zu lösen, die alltäglich auftreten. Dafür ist die Politik des Alltags da. Die Verfassung ist dafür da, möglichst viele Grundlagen für das Volk, für die Menschen, die zusammenleben, zu formulieren, damit sie sich auf diesen Grundlagen versammeln können.
Deshalb ist in diesem Hause bei der Betrachtung möglicher Änderungen der Verfassung ein Konsensverfahren gewählt worden, sowohl in der Vergangenheit als auch jetzt wieder, wiewohl das nach den formalen Regeln für uns natürlich ein Stück weit ein Verzicht ist – ich komme später noch einmal darauf zu sprechen –; denn wir könnten die Mehrheit in diesem Hause, die wir als die Regierung tragenden Fraktionen haben, nutzen, Gesetze zu verabschieden.
Wofür eine Verfassungsänderung ebenfalls nicht da ist – das sage ich in Richtung des Kollegen Wilken sehr deutlich –: Wir halten den Ansatz für falsch, in der Verfassung politische Zeichen zu setzen; denn politische Zeichen sind an Fragen der politischen Aktualität geknüpft.
Eine Verfassung – zumal eine wie die hessische –, die dafür gelobt wird, dass sie so stabil funktioniert hat, ist deshalb nicht geeignet, der aktuellen Politik geschuldete politische Zeichen zu setzen, weil sonst darüber kontroverser diskutiert werden müsste.
Meine Damen und Herren, ich sprach schon das Wort Verzicht aus. Die Mehrheitsfraktionen haben darauf verzichtet, ihre Möglichkeiten im Parlament zu nutzen. Die Opposition hingegen hat sich die Freiheit genommen, eigene Gesetzentwürfe vorzulegen. Ich will das deshalb noch einmal ansprechen, um deutlich zu machen – der Kollege Heinz hat es angedeutet –: Die Regierungsfraktionen haben das nicht getan, und der Grund hierfür ist nicht, dass uns nichts eingefallen wäre, sondern weil wir keine Gesetzentwürfe vorlegen können, denen wir anschließend nicht zustimmen. Wenn wir ihnen aber zugestimmt hätten, wären sie beschlossen worden, egal, wie sich die anderen Fraktionen dazu verhalten hätten. Ich denke, Sie erkennen das Problem. Deshalb ist der Verzicht ein Teil der Bereitschaft, uns auf eine breite Mehrheit zu stützen. Das sollte, das ist meine Bitte, von den anderen Fraktionen nicht genutzt werden, zu behaupten, die Regierungsfraktionen hätten ja nicht gewollt. Das ist aber nicht der Fall. Uns war bewusst – das betone ich hier –, dass wir uns zurücknehmen mussten, um ein konsensuales Verfahren oder zumindest breite Mehrheiten sicherzustellen.
Lieber Kollege Schmitt, Sie haben zum Schluss Ihrer Rede deutlich gemacht, wie traurig Sie in der Angelegenheit „Studiengebühren/kostenfreie Bildung“ sind. Dazu gab es in der Debatte und an verschiedenen Stellen aber mehr als einen Vorschlag. Es wurden dann aber eher apodiktische Forderungen gestellt – das ist ein Problem, das man an Sie zurückspielen muss –, als dass es den Versuch gab, aufeinander zuzugehen. Wir haben das eine oder andere in der Debatte erörtert, und es wäre nicht ausgeschlossen gewesen, dass wir in der Diskussion zu einer Einigung gekommen wären, die ein Stück weiter gegangen wäre als das,
was jetzt vorgelegt wird – und zwar in Richtung dessen, was Sie eigentlich gewollt haben, wenngleich es Ihre Forderungen nicht vollkommen erfüllt hätte. Insoweit besteht hier das gleiche Problem, das jetzt den FDP-Vorschlag trifft, was die Oppositionsrechte angeht. Sie haben eine mögliche Einigung platzen lassen, weil sie Ihnen nicht weit genug ging. Das ist zwar Ihr gutes Recht, Sie sollten dann aber nicht versuchen, bei uns die Verantwortung für dieses Ergebnis abzuladen. Das ist nämlich Ihrer eigenen Taktik geschuldet.
Ich komme zu dem eigentlichen Hauptpunkt meiner heutigen Ausführungen, nämlich zum Stichwort „Gesetzgebung in Hessen“. Die Art. 116 und 117 der Hessischen Verfassung, die auch nicht geändert werden, beschreiben zum einen die Formen der Gesetzgebung und zum anderen die Arten der Gesetzesinitiativen. Art. 116 beschreibt, dass die Gesetzgebung ausgeübt wird „a) durch das Volk im Wege des Volksentscheids, b) durch den Landtag“. In Art. 116 Abs. 2 heißt es: „Außer in den Fällen des Volksentscheids beschließt der Landtag die Gesetze nach Maßgabe dieser Verfassung.“ In Art. 117 werden die Arten der Gesetzesinitiativen aufgezählt: „Die Gesetzentwürfe werden von der Landesregierung, aus der Mitte des Landtags oder durch Volksbegehren eingebracht.“
Ich glaube, gerade das, was ich eben aus Art. 117 zitiert habe, wird zu oft übersehen, dass die Verfassung nämlich verschiedene – ich sage ganz eindeutig: gleichwertige – Wege der Gesetzgebung vorsieht. Die Verfassung sagt, das Volk kann und soll dem Landtag unmittelbar Gesetzentwürfe vorlegen können. Dazu gibt es das Instrument Volksbegehren. Deshalb ist auch noch einmal über das zu reden, was der Kollege Wilken kritisiert hat – Stichwort: Täuschung. Ich weise seine Kritik nachdrücklich zurück. Wir stärken die Gesetzgebung durch das Volk nämlich dadurch, dass wir das Quorum für das Bestehen eines Volksbegehrens deutlich senken: von 20 % auf 5 %. Damit erleichtern wir die Möglichkeit, dem Landtag Gesetzentwürfe vorzulegen, deutlich.
Um noch einmal klarzumachen, wie das zusammengehört: Wir haben die Regel – und wollen sie auch behalten –, dass es nur an einer Stelle eine Ausnahme gibt, nämlich bei einer Änderung der Verfassung. Da beschließt zwar der Landtag, aber das Volk hat als Souverän das letzte Wort und entscheidet, ob es das, was der Landtag vorlegt, haben möchte oder nicht. Im Rahmen dieses Prozesses sind wir gerade tätig. In allen anderen Fällen sind die verschiedenen Wege der Vorlage von Gesetzentwürfen gleichwertig. Deswegen ist es richtig und eine Stärkung des Instruments Volksbegehren, dass wir das Einleitungsquorum bei Volksbegehren deutlich heruntersetzen. Die bisherige Hürde war ja nicht nur eine solche, sondern sie führte zu einer Totalblockade.
Meine Damen und Herren, wenn ich das so sage, dann möchte ich gerne noch einmal auf die Anhörung sowohl im Ausschuss als auch in der Enquetekommission zurückkommen. Da haben wir nämlich mehrfach zu hören bekommen, die Regelung in Art. 124 Abs. 1 habe sich grundsätzlich bewährt. Das heißt, Anzuhörende haben uns erklärt, sie fänden es gut, dass die Hürden für ein Volksbegehren so hoch seien, dass in 72 Jahren des Bestehens der Hessischen
Verfassung Volksbegehren zu keinem Zeitpunkt erfolgreich waren. Ich finde, diese Aussage gehört hier zum einen angesprochen und zum anderen deutlich kritisiert, zumal es der Hessische Städte- und Gemeindebund war, der das vorgetragen hat. Der Hessische Städte- und Gemeindebund hat als Vertreter hessischer Gemeinden also gesagt: Den Weg, den die Verfassung für die Einbringung von Gesetzentwürfen durch das Volk vorsieht, wollen wir nicht. – Ich kann nur fragen: Was ist das für ein Demokratieverständnis?
Meine Damen und Herren, ich finde das für die Kommunalvertreter eher peinlich; denn wir wissen aus der Erfahrung, dass wir den Weg über die Volksgesetzgebung so gestalten müssen, dass es überhaupt eine Chance dafür gibt. Übrigens hat der Hessische Städtetag eher satirisch auf diesen Problembereich reagiert und uns erklärt, die Quoren seien – gemessen an seinen eigenen Regeln – noch viel zu hoch. Bei der Gelegenheit hat er wieder einmal völlig übersehen, dass die Gesetzgebung im Staat und die Entscheidung von Fragen per Bürgerentscheid in einer Gemeinde zwei verschiedene Dinge sind und dies auch sein müssen.
Ich will es zusammenfassen: Wir sprechen uns für ein Einleitungsquorum von 5 % aus. Dann kam Kritik auf. Es wurde gefragt, warum es auch bei der Entscheidung ein Quorum gibt. Wir haben auf dem Weg der Parlamentsgesetzgebung die Möglichkeit der Einbringung eines Gesetzentwurfs durch eine Fraktion im Landtag. Eine Fraktion kommt nur zustande, wenn eine Partei bei der Wahl nicht an der 5-%-Klausel scheitert. Wenn man eine Mehrheit im Landtag haben will, um ein Gesetz durchzubringen, muss man selbst bei – glücklicherweise noch nicht immer oder noch nicht ganz erreichten – Wahlbeteiligungsquoten von um die 50 % mindestens 25 % der Wählerinnen und Wähler für eine Parlamentsmehrheit zusammenbringen; sonst bringt man das Gesetz nicht durch.
Damit entspricht eine Mehrheit im Landtag – Stichwort: Gleichwertigkeit der Gesetzgebungswege – einem 25-%-Quorum der Stimmberechtigten bei der Volksentscheidung über einen Gesetzentwurf, den der Landtag vorher nicht wollte. Man darf nämlich nie vergessen, dass es den Zwischenschritt „Volksbegehren ja, Landtag entscheidet anschließend“ gibt. Das ist möglich. Wenn der Landtag das nicht will und es einen Volksentscheid gibt, muss die Mehrheit im Landtag einer Mehrheit im Volk entsprechen. Das heißt, das Quorum ist sinnvoll, damit wir unsere Gesetzgebungsverfahren gleichwertig gestalten.
Das war uns wichtig. Das wollte ich in der zweiten Lesung sagen. In der dritten Lesung werden wir das zusammenfassen und alles noch einmal loben. – Vielen Dank.