Die SPD hat in ihrem Antrag eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Ich würde sagen: Da fehlt noch der eine oder andere; den könnten wir noch hinzufügen.
Aber wenn Sie konkret etwas machen wollen: Wie wäre es denn, wenn Sie dafür sorgten, dass der öffentliche Dienst in Hessen wieder vernünftig ausbildet? Das wäre etwas ganz Konkretes, das könnten Sie ganz schnell machen, Herr Wagner.
Herr Wagner, wenn Sie Interesse an einer vertieften Debatte haben – ich finde, dass von Herrn Greilich von der FDP doch ein vernünftiger Vorschlag gemacht wurde –, sollten wir hier eine öffentliche Anhörung zu dem Thema zu machen. Dann können wir alles miteinander diskutieren. Da können Sie doch einmal zustimmen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal feststellen – da bin ich ganz bei dem, was der Kultusminister gesagt hat –, dass ich mich über diese Debatte freue.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die Sie diesen Antrag gestellt haben, ich will zunächst einmal ganz nüchtern feststellen, dass ich mich freue, dass Sie sich in diesem Antrag intensiv mit der beruflichen Bildung und der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bil
dung beschäftigen. Sie müssen allerdings damit rechnen, dass wir Sie dann bei einem solchen Antrag, den Sie vorgelegt haben, in Zukunft auch ernst nehmen,
wenn es um die Frage geht: Wie schaffen wir diese Gleichwertigkeit? Herr Merz, wie schaffen wir es endlich, dass wir in dieser Gesellschaft einen Sinneswandel erreichen, indem mehr Menschen das so sehen, wie wir das als Union schon immer gesehen haben?
(Janine Wissler (DIE LINKE): Das würde schlecht aussehen für Sie! – Heiterkeit bei der SPD und der LINKEN)
Ich habe nur fünf Minuten, deswegen lasst uns doch einfach bei der Sache bleiben. – Es ist Ihr gutes Recht, dass Sie Dinge reklamieren und dass Sie sagen, es gibt eine Reihe von Dingen, die man verbessern kann. Ich habe jedenfalls niemand vonseiten der Regierungsfraktionen und auch nicht den Minister so verstanden, dass er sagt: Die Welt ist in Ordnung und es gibt keine – –
Ich möchte ungern lauter reden, jetzt lassen Sie es doch einmal. – Ich habe niemanden gehört, der das, was Sie unterstellt haben, so vorgetragen hat.
Ich will auf das grundsätzliche Problem eingehen, das wir in unserer Gesellschaft haben. Ich sage ausdrücklich: Statistik hin, Statistik her. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen ergeht, wenn Sie in Unternehmen in Hessen gehen. Ich habe gelesen, Herr Schäfer-Gümbel macht das hin und wieder, andere aber auch. Wenn ich in Unternehmen gehe und nach den zurzeit größten Herausforderungen frage, dann höre ich in neun von zehn Fällen, dass Unternehmen nicht in der Lage sind, ihre Ausbildungsplätze und ihre Facharbeitsplätze zu besetzen. In allererster Linie ist es schwierig, Ausbildungsplätze zu besetzen.
Wenn man sich fragt, woran das liegt, dann muss man sich mit einer bestimmten gesellschaftlichen Veränderung in diesem Land beschäftigen, nämlich damit, dass wir seit 2013 erstmalig in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland mehr Studienanfänger hatten als Anfänger in Ausbildungsverhältnissen. Das werden Sie nicht bestreiten.
Wenn es so sein sollte, dass sich das noch nicht in der Statistik niederschlägt, so verspreche ich Ihnen, dass ich heute Nachmittag Herrn Ehinger – das ist der Präsident der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main – anrufen und ihm sagen werde: Ihr solltet eure Betriebe bitten, diese offenen Stellen zu melden. Dabei haben wir nach wie vor ein großes Defizit.
Ich treffe in der Regel auf Betriebe, die sagen: Das hat überhaupt keinen Sinn. Ich brauche das gar nicht der Arbeitsagentur zu melden, weil ohnehin keiner kommt. – Ich halte das für falsch, Herr Merz. Das sage ich ausdrücklich. Ich will damit nur sagen, dass ich glaube, dass es völlig unstrittig ist, dass wir ein sehr großes Problem haben, junge Menschen in Ausbildungsverhältnisse zu bringen.
Wenn Sie hier sagen – anders, als Sie das häufig in bildungspolitischen Debatten intonieren –, dass Sie der Meinung sind, dass die berufliche Bildung absolut gleichwertig ist, dann sollten wir doch den nächsten gemeinsamen Schritt gehen, Herr Merz, und sagen, dass wir das den jungen Menschen auch sagen müssen. Dann müssen wir beispielsweise Eltern von Viertklässlern in der Grundschule bei der Entscheidung über eine weiterführende Schule sagen, dass es auch andere Wege als den Weg zum Abitur gibt.
Ich will das jetzt nicht überstrapazieren. Ich habe Ihnen und auch Herrn Schäfer-Gümbel konkret die Frage gestellt, ob der Satz der Vorgängerin noch gilt, dass alle anderen Wege außer zum Abitur nur nach unten führen. Aber lassen wir das einmal heute. Sie müssen sich bitte eindeutig dazu bekennen, dass das so ist und dass wir jeden Menschen so nehmen sollten, wie er vom lieben Gott, von der Natur – oder woran auch immer Sie glauben – ausgestattet worden ist. Ein Mensch sollte in seiner Individualität adäquat beschult werden.
Wir wären schon einen großen Schritt weiter, wenn wir jungen Menschen sagen würden, dass ein mittlerer Schulabschluss und eine daran anschließende Berufsausbildung und all die anderen Wege, die der Kultusminister beschrieben hat, genauso gut sind wie der unmittelbare Gang auf das Gymnasium. So könnte das Scheitern an einer Schulform verhindert werden, für die das Kind möglicherweise noch nicht oder nicht geeignet ist.
Ich gehe nicht so weit wie der damalige Berater von Bundeskanzler Schröder, Nida-Rümelin aus München, der von einem „Akademisierungswahn“ gesprochen hat. Wir müssen aufpassen, dass akademische Ausbildung und berufliche Ausbildung nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen Akademiker, gut ausgebildete Akademiker genauso wie gut ausgebildete Fachkräfte. Wir brauchen aber keineswegs Akademiker, die auf Druck ihres Umfeldes, möglicherweise auch auf Druck ihres Elternhauses, sich am Ende in die Hochschule gehangelt haben, um dort entweder in den ersten drei Semestern das Studium abzubrechen oder einen Studiengang zu belegen, der vielleicht schön ist, aber nicht so ganz marktkonform.
Frau Wissler, vielleicht sollten wir jungen Menschen sagen, dass sie bei Studienbeginn auch einmal danach schauen sollten, wie es mit den möglichen Anschlussverwendungen aussieht, sodass sie nicht einfach darauf los studieren.
Das gehört zu einer verantwortungsvollen Bildungspolitik genauso wie die Debatte, die wir heute hier führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin der SPD dankbar. Ich lade Sie ein, gemeinsam über die Individualität junger Menschen bzw. eines jeden Menschen und adäquate Bildungsabschlüsse zu diskutieren.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Machen wir jetzt die Anhörung?)
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin ja schon froh, dass man aus den Reihen der Regierungsfraktionen mehr als eine Platte zu hören bekommt. Das war beim Kollegen Boddenberg jetzt erfreulicherweise der Fall und beim Kultusminister jetzt schon zum zweiten Mal. Im Gegensatz dazu hat der Kollege Wagner nur eine Platte, und die ist extrem verkratzt.
Herr Boddenberg, dass Sie anerkannt haben, dass wir schon sehr lange von der Gleichberechtigung von akademischer und beruflicher Bildung reden, das ist auch gut. Jetzt lobe ich noch einmal. Das war aber natürlich ein Ablenkungsmanöver. Es tut mir leid, aber das war ein Ablenkungsmanöver.