Kolleginnen und Kollegen, guten Morgen! Ich eröffne die 133. Plenarsitzung und stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.
Kolleginnen und Kollegen, zur Tagesordnung. Erledigt sind die Punkte 1 bis 3 und 5. Auf Wunsch der antragstellenden Fraktionen soll Tagesordnungspunkt 15 nach Tagesordnungspunkt 57 aufgerufen und ohne Aussprache abgestimmt werden.
Noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend gute Bedingungen für Auszubildende in Hessen, Drucks. 19/6188. Die Dringlichkeit wird bejaht? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann wird dieser Tagesordnungspunkt 59 und zusammen mit Tagesordnungspunkt 41 zu diesem Thema aufgerufen werden.
Weiter eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend duales Studium stärken – Fachkräftemangel entgegenwirken – Land Hessen als Arbeitgeber gefordert, Drucks. 19/6191. – Auch in diesem Fall wird die Dringlichkeit bejaht. Dann wird dieser Tagesordnungspunkt 60 und zusammen mit Tagesordnungspunkt 44 zu diesem Thema aufgerufen.
Heute tagen wir vereinbarungsgemäß bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden. Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 41 zusammen mit Tagesordnungspunkt 59. Dann folgt Tagesordnungspunkt 44 zusammen mit Tagesordnungspunkt 60. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 40.
Entschuldigt fehlen heute Herr Ministerpräsident Bouffier und Herr Staatsminister Lorz ab 15 Uhr wegen der Trauerfeier für Kardinal Lehmann, Frau Staatsministerin Puttrich ab 13 Uhr und Frau Staatsministerin Hinz ab 12:30 Uhr. Entschuldigt sind auch die Abg. Dorn und Löber. Sie sind erkrankt.
Heute Abend, ab 19 Uhr, findet der parlamentarische Abend der Technischen Universität Darmstadt im Restaurant des Hessischen Landtags statt. Außerdem tagt im Anschluss an die Plenarsitzung der Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung in Sitzungsraum 204 M.
Kolleginnen und Kollegen, ich habe noch zu einem Geburtstag zu gratulieren. Seinen Geburtstag begeht heute Abg. Heiko Kasseckert.
Kolleginnen und Kollegen, damit können wir in die Tagesordnung einsteigen. Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 41:
Antrag der Abg. Gnadl, Alex, Decker, Di Benedetto, Merz, Roth, Dr. Sommer (SPD) und Fraktion betreffend Ausbildung garantieren – Fachkräftebedarf sichern – jungen Menschen Perspektiven geben – Drucks. 19/6160 –
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend gute Bedingungen für Auszubildende in Hessen – Drucks. 19/6188 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als Erste spricht Kollegin Gnadl für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer ohne Schulabschluss oder ohne Ausbildung bleibt, ist einem viel höheren Risiko ausgesetzt, arbeitslos oder langzeitarbeitslos zu werden, als solche Menschen, die sowohl eine Schulausbildung als auch eine Berufsausbildung erfolgreich absolviert haben.
Bildung und Ausbildung sind der Schlüssel zu einem beruflichen, aber auch zu einem persönlichen Erfolg im Leben. Deshalb dürfen wir es nicht hinnehmen, dass so viele junge Menschen in Hessen noch keinen berufsqualifizierenden Abschluss erreicht haben.
Knapp ein Viertel der jungen Menschen in Hessen ist ohne einen berufsqualifizierenden Abschluss. Besonders benachteiligt sind dabei diejenigen, die über keinen oder über einen schlechten Hauptschulabschluss verfügen, oder diejenigen, die einen Migrationshintergrund haben oder aus sozial benachteiligten Familien kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer ohne einen solchen berufsqualifizierenden Abschluss bleibt, der arbeitet später eben auch eher in prekären Beschäftigungsverhältnissen und ist auch häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Diese Selektivität des deutschen Schulsystems setzt sich beim Zugang zur Berufsausbildung fort. Umso wichtiger ist es deshalb, dass wir für mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem und zwischen den Ausbildungswegen sorgen.
Es müssen alle Ausbildungswege gleichermaßen ausgestattet sein. Deswegen ist für uns die Gebührenfreiheit für alle Bildungswege besonders wichtig. Das ist für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wichtig, und zwar von der Kita bis hin zum Meister oder auch zum Master; denn Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als ich mir die Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom September 2017 angeschaut habe, konnte ich es kaum glauben: Hessen steht hinsichtlich der Zahl der gemeldeten Berufsausbildungsstellen je Bewerber bzw. je Bewerberin mit 0,86 im Bundesländervergleich besonders schlecht da.
Nur in Nordrhein-Westfalen ist das Angebot unter den westdeutschen Bundesländern noch schlechter. Hessen ist im Bundesländervergleich hierbei wirklich auf den hintersten Rängen, insbesondere unter den westdeutschen Bundesländern.
Da frage ich Sie: Wie kann das eigentlich sein? Warum ist in Hessen das Verhältnis zwischen Bewerbern und angebotenen Stellen besonders schlecht? Wo sind die Erfolge auch Ihres Bündnisses für Ausbildung, wenn wir im Bundesländervergleich so schlecht dastehen?
Das muss doch dringend geändert werden. Gleichzeitig sorgen Sie als Landesregierung dafür, dass die Zahl der neuen Ausbildungsverträge im öffentlichen Dienst sinkt. 2011 waren es noch 806 Ausbildungsstellen in der Landesverwaltung. 2015 waren es nur noch 531.
Diese Reduzierung haben Sie bewusst mit der Begründung herbeigeführt, mit dem demografischen Wandel würden weniger Ausbildungsstellen gebraucht. Aber das ist doch falsch. Wenn man sich die Zahlen anschaut, die ich Ihnen eben genannt habe, dann sieht man, dass diese Begründung falsch ist und dass im Vergleich der Bundesländer zu wenige Ausbildungsstellen in Hessen angeboten werden. Dann muss eine Landesregierung doch selbst mit gutem Beispiel vorangehen, statt die eigenen Ausbildungsstellen zurückzufahren.
Sie selbst geben weniger jungen Menschen die Chance auf eine Ausbildung und erhöhen damit zugleich das Risiko, dass der öffentliche Dienst selbst auf ein Nachwuchsproblem hinsteuert.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die Anzahl der hessischen Betriebe, die ausbilden, ist zurückgegangen. 2016 haben sich nur noch 19 % aller Betriebe an der Ausbildung beteiligt. Die Anzahl der Ausbildungsbetriebe sank im aktuellen Berichtsjahr nochmals um 200 Betriebe. Im Vergleich zum Jahr 2008, das einen Hochpunkt der Ausbildungsbeteiligung bildete, haben sich rechnerisch 14 % der Betriebe aus der Ausbildung zurückgezogen. Darunter sind vor allen Dingen auch Kleinstbetriebe. Deswegen muss ich an dieser Stelle sagen, dass das Bündnis für Ausbildung seinen eigenen Ansprüchen und seinen eigenen Zielen nicht gerecht wird.
Das zeigt einmal mehr, dass es einer wesentlich größeren gemeinsamen Kraftanstrengung zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik bedarf, um mehr junge Menschen in Ausbildung zu bringen. Dafür brauchen wir eben auch mehr Engagement seitens der Betriebe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, besonders erschreckend finde ich, dass der sogenannte Übergangsbereich in Hessen ebenfalls in den letzten Jahren gewachsen ist. Immer mehr Menschen stecken in berufsvorbereitenden Maßnahmen, die nicht unbedingt direkt in Arbeit vermitteln und die sich immer mehr zu Warteschleifen für junge Menschen entwickeln statt zu einer tatsächlichen Berufsvorbereitung.
Es ist nach wie vor nicht erkennbar, dass Sie und wie Sie das Übergangssystem so reformieren wollen, dass dieses Übergangssystem einen tatsächlichen Übergang in eine Ausbildung oder in einen Beruf darstellt.
Gerade in diesen Bereich fließen unglaublich viele Mittel. Die steigenden Zahlen zeigen uns, dass wir in diesem Bereich nicht mehr Geld brauchen, sondern dass wir endlich darangehen müssen, die bei den unterschiedlichen Akteuren vorhandenen Mittel gezielter einzusetzen. Es bedarf einer grundlegenden Reform dieses Übergangssystems. Das ist unsere Auffassung.
Unsere vordringliche Aufgabe muss es sein, dafür zu sorgen, dass alle jungen Menschen einen Schulabschluss erlangen, um dann mit einer Ausbildung oder einem Studium die Möglichkeit zu erhalten, ihr eigenes Leben zu gestalten. Dabei ist es uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wichtig, wieder ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass eine Berufsausbildung genauso viel wert ist wie ein Studium.
Berufliche und akademische Ausbildung sind für uns gleichwertig. Wichtig ist, dass wir junge Menschen dazu befähigen, am Ende den für sie richtigen Weg zu finden und diesen Weg auch einzuschlagen.
Damit sie diesen Weg einschlagen können, muss wesentlich mehr im Bereich der Berufsorientierung getan werden, und zwar in allen Schulformen und endlich auch frühzeitig. Die Probleme müssen frühzeitig angegangen werden. Wir wollen damit ab Klasse 5 anfangen. Zentraler Ansatzpunkt ist für uns als Sozialdemokratie das Fach Arbeitslehre. Berufsorientierung, wie sie im Fach Arbeitslehre vermittelt wird, muss auch an den Gymnasien mit Pflichtstunden unterlegt werden; denn Berufsorientierung nur mal so nebenbei funktioniert nicht.
Behandeln Sie das Fach Arbeitslehre nicht weiter so stiefmütterlich, und verstärken Sie die Ausbildung auch der Lehrerinnen und Lehrer in diesem Bereich. Dafür müssen mehr Studienplätze angeboten werden. Der hohe Anteil an fachfremdem Unterricht in der Arbeitslehre durch Lehrerinnen und Lehrer, die nicht für das Fach ausgebildet sind, muss zurückgefahren werden.
Auch außerhalb der Schule bedarf es guter Angebote, die Jugendliche beim Übergang in das Berufsleben beraten und unterstützend zur Seite stehen. Repräsentative Umfragen haben gezeigt, dass sich nur die Hälfte der Schülerinnen und Schüler überhaupt gut informiert fühlt, welche beruflichen Möglichkeiten ihnen offenstehen. Dies gilt für alle Schulformen, meine sehr verehrten Damen und Herren.