Protocol of the Session on March 1, 2018

Meine Damen und Herren, derzeit erleben wir etwas, was mich mit einer gewissen Sorge erfüllt. Manche der Vorurteile, die den Frauen vor der Einführung des Wahlrechts entgegenschlugen, scheinen nämlich bis heute nicht ausrottbar zu sein. Den Frauen wurde – selbstverständlich – die für das Wählen notwendige Intelligenz abgesprochen, aber es wurde ihnen auch die Zuständigkeit für den Haushalt als natürliche Bestimmung zugeschrieben, und dazu gehörte, nicht in die Politik oder in die Öffentlichkeit zu gehen.

Es stimmt mich sehr bedenklich, wenn es wieder politische Strömungen gibt, die die traditionelle Familie in den Mittelpunkt stellen, sich den Erhalt des Staatsvolks auf ihre Fahnen schreiben und dies als ihre wesentliche Aufgabe betrachten. Dieses Frauenbild wirft Frauen in die Zeit des Nationalsozialismus zurück, als es untersagt war, den Frauentag zu feiern, und Frauen auf ihre angebliche Rolle als Mütter und Familienfrauen reduziert wurden.

Solchen Bestrebungen müssen wir alle entschieden entgegentreten. Sie zeigen, dass Frauen- und Menschenrechte aufs Neue verteidigt werden müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)

Sie zeigen, dass wir das gemeinsam machen müssen, nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer. Gemeinsam müssen wir dafür eintreten, dass Frauen- und Menschenrechte immer wieder aufs Neue verteidigt werden.

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Frau Präsidentin, ich komme zum Ende. – Einen Gedanken möchte ich hier noch anbringen: Wir hatten in der Vergangenheit ein sehr traditionelles Familienbild, das es Frauen lange Zeit untersagt hat, berufstätig zu sein. Das hat Nachwirkungen bis heute. Wir wissen, dass die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen nach wie vor groß ist. Das ist eine weitere Aufgabe, an der wir künftig arbeiten müssen. Ich glaube, das geht nur gemeinsam. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth. – Als nächster Redner spricht Herr Kollege Rock, FDP-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Frauen der FDP sind da! Alle! – Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Herr Wagner, ich empfinde es nicht als – wie soll ich es ausdrücken? – Herabsetzung, dass ich als Mann heute etwas zur Durchsetzung und zur Wertschätzung des Frauenwahlrechts in Deutschland sagen darf.

Aber Sie wissen, ich habe ein großes Faible für Gesellschaftsgeschichte. Schauen wir uns das einmal an: Ein Jahr früher als in Deutschland wurde das Frauenwahlrecht in Großbritannien durchgesetzt. Der Jahrestag liegt jetzt ein paar Tage zurück. Ich glaube, es war in einem Februar, als in Großbritannien die Frauen zum ersten Mal wählen und gewählt werden durften. Ein Jahr später war es in Deutschland so weit.

Man muss auch wissen, wie die Durchsetzung des Frauenwahlrechts gelungen ist. In Großbritannien hat man 50 Jahre dafür gekämpft. Historisch gesehen, hat die besondere Situation des Weltkriegs eine große Rolle gespielt: als die Frauen in die Produktionsstätten gegangen sind, als sie sich unersetzlich gemacht haben und als dann auch ihr Selbstbewusstsein gewachsen ist – nicht nur bei einigen wenigen Frauen, die sozusagen die Speerspitze gebildet haben, sondern in der ganzen Gesellschaft. Solche Ereignisse haben eine große Rolle gespielt, und darum ist in Großbritannien und in Deutschland nach dem großen Völkerringen das Frauenwahlrecht durchgesetzt worden. Das spielte damals eine wichtige Rolle. So etwas ist immer im historischen Kontext zu betrachten.

In der Bundesrepublik Deutschland gab es eine Frau, die eine ganz besondere Rolle gespielt hat: Elisabeth Selbert, eine Hessin. Ich muss sagen, ich hätte sie gern persönlich kennengelernt. Sie muss eine wirklich beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein; denn sie hat es geschafft, in der von Männern dominierten Versammlung, in der das Grundgesetz formuliert worden ist, diese wichtigen Passagen durchzusetzen. Das war sicherlich nicht einfach. Aber das hat sich zu einer ganz wichtigen Prägung dieser neuen Republik entwickelt, auf der auch aufgebaut wurde.

Meine Kollegin von den GRÜNEN hat eine sehr stark elitenorientierte Sicht auf das Frauenwahlrecht und die Gleichberechtigung vertreten. Sie hat viel über Parlamente und Aufsichtsräte gesprochen. Ich will noch etwas zur gesellschaftlichen Entwicklung sagen. Das ist manchen nicht klar. Ich glaube, jungen Frauen ist nicht klar, dass sich die Gleichberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland erst durchsetzen musste. Im Juli 1958 wurde im Deutschen Bundestag ein Gleichberechtigungsgesetz beschlossen. Das hat es ermöglicht, dass Frauen über ihr Geld selbst bestimmen und selbst ein Bankkonto einrichten.

Das ist jetzt nicht 100 Jahre her. Man würde sagen, dass das jüngere Zeitgeschichte ist. Man muss sich klarmachen, dass erst 1977 – das war vielleicht schon gängige Praxis – die Frauen tatsächlich selbst entscheiden durften, ob sie arbeiten wollten oder nicht und nicht die Zustimmung des Mannes benötigt haben. Das ist für uns – auch in meiner Generation – irgendwie sehr weit weg. Aber das war die Rechtslage in Deutschland. Ich glaube, darauf muss man auch hinweisen.

Das Thema Frauenrechte und Frauenbewegungen betraf eigentlich immer zwei Pole: Zum einen war es die juristische Gleichberechtigung, und der zweite Pol war immer das Thema Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft. Das waren immer zwei ganz wichtige Bereiche, in denen die Frauenbewegung ihre Schwerpunkte gesetzt hat.

Da ging es also auch um das Thema Gewalt gegen Frauen. Dazu ist im Jahr 1997 – das muss man sich einmal vorstellen – beschlossen worden, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar ist. Das muss man sich einmal klarmachen. Gesellschaftlich waren wir weiter. Aber juristisch sind das sicherlich besondere Punkte, die man herausstellen muss und die auch einen Blick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Gleichberechtigungsdebatte, ihre Durchsetzung, diesen Kampf und diese immer wieder hier in den Parlamenten geführten Diskussionen ermöglichen und die zeigen, wie das dann auch mit der Entwicklung in der Gesellschaft nachvollzogen wurden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn ich sage, dass einer der letzten Durchbrüche auf juristische Ebene 1997 war, dann sieht man auch, wie aktuell diese Debatte eigentlich ist und bleibt.

Vorhin habe ich gesagt, es gab ein historisches Ereignis, das den Durchbruch zum Frauenwahlrecht in Deutschland und Großbritannien bzw. in Europa gebracht hat. Das war die Erfahrung, dass Frauen in der Gesellschaft nicht entbehrlich sind. Sie haben in den Rüstungsbetrieben im Krieg gearbeitet. Es wurde deutlich, Frauen haben ihren Stellenwert in der Gesellschaft; und die Frauen haben das Selbstbewusstsein gewonnen, das auch einzufordern. Das war ein äußeres Ereignis, das das ausgelöst und in einer männlich dominierten Gesellschaft auch durchgesetzt hat.

Jetzt haben wir, auch historisch gesehen, in der Gesellschaft eine Entwicklung, die vielleicht Ähnliches bewirken wird. Wir sind darauf angewiesen – und immer mehr Frauen wollen und tun das auch –, dass Frauen berufstätig sind und sich voll in die Arbeitsabläufe und die Wertschöpfung einbringen. Sie wollen arbeiten, Karriere machen, sich verwirklichen, ihren Beruf ausüben, und versuchen, das mit der Familie in Einklang zu bringen.

Ich glaube, ein wichtiger Schritt dazu ist, zu akzeptieren, dass Familien in unserer Gesellschaft das gemeinsam bewältigen und dass die konfrontative Haltung zwischen den Geschlechtern, die in der Debatte einfach auch zwingend notwendig war, sich ein Stück weit auflöst. Denn es ist in unserer Gesellschaft immer gängiger, zu sagen, dass die Dinge, die früher vielleicht einfach bei der Frau abgeladen wurden – Haushalt, Erziehung und Familie –, immer mehr in einer Partnerschaft gemeinsam geleistet werden. Die Partnerschaft muss keine Ehe sein, aber eine Partnerschaft oder ein Zusammenleben, egal mit welchen Geschlechtern. Klar ist dort, dass man gemeinsam für diese Erziehungsaufgaben und diese Partnerschaft gemeinsam seine Leistung bringt und es nicht entscheidend ist, welches Geschlecht man hat.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich glaube, dieses Bewusstsein ist wirklich wichtig, und es ist in unserer Gesellschaft langsam immer stärker ausgeprägt.

Wenn wir uns über die Frage der Gleichberechtigung Gedanken machen, sollten wir uns auch die Reichweite von Gesetzen klarmachen. Es ist eine gesellschaftliche Entwicklung, dass immer mehr Frauen arbeiten. Es ist eine gesellschaftliche Entwicklung, dass unsere Kinder immer länger in Einrichtungen sind. Es ist eine Entwicklung, und es ist eine Chance – eine Chance für die Gleichberechtigung. Diese Herausforderung, dass wir als Gesellschaft das benötigen und die Frauen das auch immer stärker tun, wird mindestens genau so viel dazu beitragen wie Regeln und Gesetze, dass die Gleichberechtigung, die juristisch in vielen Bereichen schon vollständig gegeben ist, dann auch tatsächlich funktioniert und nicht an gläsernen Decken in unserer Gesellschaft endet. Das ist meine Hoffnung. Darum ist es besonders wichtig, dass wir die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter konsequent vorantreiben und auch umsetzen.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch einen Aspekt in dem Bereich ansprechen, der jetzt in dem Antrag nicht den Schwerpunkt gebildet hat, auf den ich hingewiesen habe und der in der Frauenbewegung immer eine Rolle gespielt hat. Das ist zum einen die Frage der Gleichberechtigung, aber eben auch das Thema Gewalt gegen Frauen. Da gibt es in unserer Gesellschaft eine Entwicklung, wo wir wieder hinschauen müssen. Da müssen wir deutlich machen, dass die Errungenschaften, die wir in unserer Gesellschaft als selbstverständlich empfinden, auch für alle in der Gesellschaft gelten, die hier leben. Da müssen wir auch klar Farbe bekennen.

Es gibt Bereiche, in denen wir keine Toleranz üben dürfen. Das betrifft die Frage, ob Frauen denselben Stellenwert in unserer Gesellschaft haben oder nicht. Auch da müssen wir, ohne irgendwelchem Populismus hinterherzulaufen, ganz klar als Gesellschaft, als Parlament und überall in der Zivilgesellschaft dagegenhalten.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU)

Ich bin sicherlich nicht der einzige Abgeordnete, der diese Beispiele vorgetragen bekommt. Da dürfen wir nicht aus falsch verstandener Toleranz wegschauen, sondern da müssen wir klar Farbe bekennen. Wir müssen die Frauen unterstützen, die dann auch sagen: Nein, das akzeptiere ich nicht, da stelle ich mich entgegen, und da halte ich dagegen. – Da darf es keine falsche Toleranz geben. Das ist eigentlich das, was ich noch hinzufügen möchte zu diesem Antrag, den wir für gut und unterstützenswert halten.

Darum möchte ich vielen Dank sagen dafür, dass wir die Möglichkeit hatten, diese gesellschaftliche Entwicklung hier noch einmal nachzuzeichnen und auch unsere Wertschätzung für die Leistungen der Gleichberechtigung in unserer Republik noch einmal darzulegen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Rock. – Als nächste Rednerin spricht nun Frau Kollegin Schott von der Fraktion Die LINKE. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bin auch sehr froh, dass wir hier heute über dieses Thema reden können. Denn es ist ein Grund für uns alle, für die gesamte Gesellschaft, sich zu freuen, dass die Entwicklung es dazu gebracht hat, dass wir seit nunmehr 100 Jahren ein Frauenwahlrecht haben, dass wir es in Europa zwar nicht seit 100 Jahren, aber jetzt doch überall haben. Es hat in manchen Ländern doch ziemlich lange gedauert. Es hat mutige und starke Frauen gegeben, die dafür gekämpft haben. Und es gibt immer wieder auch mutige und starke Frauen, die sich für Frauen und ihre Interessen einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Aber ich glaube, wir brauchen noch eine Menge mehr, als nur an einem Tag wie heute mit freundlichem Beifall zur Kenntnis zu nehmen, dass wir dieses Wahlrecht haben. Denn wenn wir Gleichberechtigung mit Leben füllen wollen, dann bedeutet das mehr, als eine Form abzuarbeiten. Die Form ist erledigt: Wir haben das Wahlrecht.

Wie sieht aber die politische Realität im Alltag aus? Wie sieht sie für Frauen aus? Und wie sieht sie in den Parlamenten, in den Kommunen, im Bundestag und den Landtagen aus?

Wenn wir uns das anschauen, sehen wir, dass wir schon noch eine Menge Arbeit vor uns haben. Ich spreche in diesem Fall bewusst von „wir“. Denn wir alle erleben tagtäglich die Situation, aber nehmen sie als gegeben hin. Wir haben ja Frauen, und damit ist das Ganze erledigt. Aber wenn wir uns anschauen, wie der Anteil der Frauen aussieht und dass er – hoffentlich zu unser aller Entsetzen – in der Bundesrepublik sogar rückläufig ist – gerade im Bundestag kann man das aktuell sehr genau sehen –, dass wir hier auf der Regierungsbank durchaus ein gerüttelt Maß an männlichem Übergewicht haben – –

(Allgemeine Heiterkeit – Hermann Schaus (DIE LINKE): Übergewicht an Männern! – Dr. h.c. JörgUwe Hahn (FDP): Das ist auch diskriminierend! – Michael Boddenberg (CDU): Sie meint Alexander Lorz! – Anhaltende Zurufe)

Ich bitte wieder um etwas Ruhe.

Ich wusste doch, dass an dieser Stelle alle aus dem Suppenkoma erwachen. Ich weiß, dass die einen Hunger haben und sich kaum konzentrieren können und dass die anderen gerade essen waren und es deshalb kaum können. Trotzdem wäre es, so glaube ich, schön, wenn wir uns für diese Debatte ein bisschen zusammenreißen würden.

Wir haben also eine Situation, in der wir genau hinsehen müssen, was gerade passiert und was in den letzten Jahren passiert ist. Wie machen wir eigentlich Politik?

Politik ist nach wie vor männlich – egal, wie viele Frauen wir da aktuell haben. Wenn wir uns die Debattenkultur anschauen: Sie ist männlich. Wenn wir uns die Art und Weise anschauen, wie Parteien organisiert sind: Sie ist männlich.

Wenn wir uns anschauen, wie sich Kreisverbände organisieren: Das ist eine sehr männliche Art, dies zu tun. Man macht es in Sitzungen mit einem strengen Reglement, mit Abstimmungen, mit Mehrheiten, mit „verloren“ und „gewonnen“. Die Minderheiten haben Pech gehabt, und häufig ist der Ton rau. Hier ist der Ton ganz oft rau. Ich stelle mir vor, dass sich dies Frauen von draußen anschauen, und dann wird – –

(Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Genau, gerade von der LINKEN! Dass der Schaus so etwas macht!)

Hier ist der Ton ganz besonders rau, weil ehemalige Minister dazwischenbrüllen, wenn Frauen reden.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und der SPD – Holger Bellino (CDU): Weil Frauen hier die Gewalt haben!)

Daher müssen wir uns doch einmal überlegen, welchen Eindruck das auf die Frauen macht und ob es nicht sehr abschreckend ist. Ich weiß von vielen Männern, aber vor allem von Frauen, die sagen: Ich erlebe Formen von Missachtung, Diskreditierung und Nicht-erfolgreich-Sein in meinem Berufsleben sowie in meinem sonstigen Umfeld. Ich muss das aushalten, weil ich dort meine Brötchen verdiene. In meiner Freizeit möchte ich gern etwas machen, wo ich Anerkennung erfahre, was mir Spaß macht und womit es mir gut geht. Das muss ich dann nicht wiederholen, indem ich zu einer Parteisitzung gehe.

(Holger Bellino (CDU): Was ist das denn für ein Esoterikvortrag?)