Der Herr Ministerpräsident ist leider nicht anwesend. Er hat vorhin vom „Miesmachen“ gesprochen. Es geht ausdrücklich nicht um ein Miesmachen. Aber eine ehrliche Bestandsaufnahme – eine ehrlich erstellte Datengrundlage – ist die Voraussetzung dafür, um richtige und gute Lösungen zu finden.
Da ich mir denken konnte, dass einige hier das wieder nicht wahrhaben wollen, nenne ich ein Beispiel. Nehmen wir das böse Wort, das mit dem Buchstaben U anfängt und wieder überall im Land präsent ist: das Wort „Unterrichtsausfall“. Meine Damen und Herren, in Hessen fällt Unterricht aus.
Allein im Schulsport fällt ein Viertel der vorgesehenen Unterrichtsstunden aus. Das haben wir nicht vom Herrn Minister gehört, sondern diese Information haben wir dem Hessischen Rundfunk zu verdanken, der Zugriff auf ein internes Papier des Kultusministeriums bekommen hat. In Hessen fällt ein Viertel der Unterrichtsstunden im Schulsport aus. Wir würden gern wissen, wie das in anderen Fächern ist; aber das bleibt in Hessen ein Staatsgeheimnis.
Dabei müssten Erhebungen zum Unterrichtsausfall zu den Kernaufgaben des Landes gehören; denn Unterricht ist die Kernaufgabe des Kultusministeriums. Damit das Parlament nicht jedes Jahr von Neuem darum betteln muss, Zahlen zu bekommen, fordern wir – das haben wir auch schon in der Vergangenheit getan – einen jährlich erscheinenden Landesbildungsbericht.
In fast jeder zweiten Antwort des Herrn Ministers auf Anfragen heißt es, der Verwaltungsaufwand sei enorm hoch; man könne das nicht beantworten, weil keine Kapazitäten dafür da seien.
Da muss ich einmal in die Haushaltspläne schauen. 2013 gab es im Kultusministerium noch 273,5 Stellen. 2017 waren es 297 Stellen. Jetzt sind noch einmal einige hinzugekommen. Herr Kultusminister, Sie blähen die Zahl der Stellen im Ministerium auf, weigern sich aber mit der Begründung, Sie hätten keine Kapazitäten, Antworten auf Anfragen des Parlaments zu geben.
Der Unterrichtsausfall hat auch viel mit dem Lehrermangel zu tun. Das ist eines der weiteren Probleme: In Hessen fehlen Lehrerinnen und Lehrer. Erst am Montagmorgen las ich auf Facebook den Beitrag einer Mutter: Wer von euch ist oder kennt eine ausgebildete Grundschullehrerin, die eine Anstellung sucht? Bitte melden. – Wer von Ihnen kennt eine Grundschullehrerin oder einen Grundschullehrer, die oder der bereit wäre, in Bruchköbel zu unterrichten? Bitte melden Sie sich bei mir. Ich gebe das gern weiter. Ich fürchte aber, die Suche wird relativ erfolglos sein.
Was ist das für ein Land, in dem die Eltern selbst nach Lehrkräften suchen müssen? – Das ist das Land, in dem die CDU seit fast 20 Jahren regiert.
Hinzu kommen Tausende Lehrkräfte ohne eine einzige pädagogische Grundqualifikation, die Klassen leiten und Noten geben. Währenddessen bleiben Stellen unbesetzt. An Förderschulen ist der Zustand inzwischen fast katastrophal. Während Lehrer für Gymnasien fast über Bedarf ausgebildet werden, spart die Landesregierung auf Kosten der Schwächsten an den Grund- und Förderschulen. Die Verschleierung des Lehrermangels muss endlich beendet werden. Wir brauchen eine ehrliche Bedarfsplanung, und vor allem brauchen wir Qualifizierung, Qualifizierung und noch einmal Qualifizierung.
Es wird nicht reichen, nun ein paar Hundert Leute, die Lehramt an Gymnasien oder Lehramt an Haupt- und Realschulen studiert haben, für das Lehramt an Grundschulen und das Lehramt an Förderschulen weiterzuqualifizieren. Das wird nicht reichen. Wir brauchen vielmehr die Qualifizierung von Seiteneinsteigern, gerade von den Leuten, die Sie fünf Jahre lang auf befristete Verträge setzen, die fünf Jahre lang ausgenutzt werden, die keine Fortbildungen bekommen und dann geschasst werden, damit sie sich nicht einklagen können. Es muss viel mehr getan werden, um diese Lehrkräfte zu qualifizieren und ihnen eine Perspektive zu bieten.
Der Lehrermangel hat auch Auswirkungen auf die Kolleginnen und Kollegen, die bereits an den Schulen sind; denn er bedeutet Mehrbelastungen für die anderen. Das ist mit ein Grund für die steigende Zahl von Überlastungsanzeigen, und das ist, ebenso wie die zunehmende Gewalt gegen Lehrkräfte, ein Grund dafür, dass sich Lehrkräfte ausgebrannt fühlen und unter Burn-out leiden.
Aber von alldem will die Landesregierung nichts wissen. Sie pfeift auf ihre Fürsorgepflicht für 60.000 Lehrkräfte. Sie hat keine Ahnung von Krankheitstagen, und ohne eine Analyse des Krankenstands kann nun einmal kein vernünftiges Gesundheitsmanagement entwickelt werden.
Das muss nicht so sein. Rheinland-Pfalz, ein an Hessen angrenzendes Bundesland, legt jährlich einen Gesundheitsbericht über die staatlichen Bediensteten im Schuldienst vor. All die Daten, die wir uns wünschen, sind darin enthalten. Übrigens wird dieser Bericht vom Institut für Lehrergesundheit herausgegeben. Wenn man will, kann man so etwas einrichten, um solche Daten konsequent zu erheben.
In Rheinland-Pfalz sind das pro Jahr 8,9 Fehltage pro Bediensteten. Solche Daten kann man erheben, wenn man will und wenn man Verantwortung für seine Lehrkräfte übernimmt.
Deswegen sage ich: Wir fordern ein Konzept für ein schulisches Gesundheitsmanagement. Wir fordern eine unabhängige Ombudsstelle, an die sich Lehrkräfte, die sich Gewalt oder Belastungen ausgesetzt sehen, wenden können. Wir brauchen vor allem wieder ein Miteinander auf Augenhöhe, das durch Respekt gekennzeichnet ist, um der Arbeit der Lehrkräfte und der Schulleitungen wirklich gerecht zu werden. Dazu gehört auch eine Anhörung. Aber die Durchführung einer Anhörung wurde von CDU und GRÜNEN wieder einmal abgelehnt.
In der aktuellen Forsa-Umfrage wurde auch der Sanierungsstau genannt. Auch da haben wir uns erdreistet, einmal nachzuhaken: Liebes Land, du hast Pläne für die Ganztagsschulen und die Inklusion. Du musst doch auch wissen, dass das Konsequenzen für die Schulbauten hat. Da muss man sich zumindest einmal einen Überblick über die Lage verschaffen. – Wie ist die Antwort darauf? Die Antwort lautet:
Die Hessische Landesregierung hat keine Erkenntnisse über den gesamten Investitionsbedarf für Sanierung, Neubau und Erweiterung im Bereich von Schulen und Schulsportstätten in den kommenden zehn Jahren.
Kein Wunder, dass die Landesregierung hier ausweicht. Sie hat die Kommunen jahrelang kaputtgespart, um sich auf deren Kosten zu sanieren.
Auch hier gibt es Vorschläge. Seit Jahren fordern wir, dass sich das Land endlich für die Abschaffung des Kooperationsverbots einsetzt, damit uns der Bund helfen kann, hier weiterzumachen, nicht nur bei finanzschwachen Kommunen; denn das ist ein Problem, das weit über diese hinausgeht. Dementsprechend brauchen wir eine Verstetigung der Ausgaben für Schulsanierungen und Schulmodernisierungen, unterstützt durch Land und Bund.
Da reicht es nicht, immer nur mit Mogelpackungen zu agieren. Das ist das Gleiche wie beim ländlichen Raum – wir haben die „hessischen Bitcoins“ inzwischen auch im Kultusministerium –: Da wird in die Mottenkiste gegriffen. Erst in der letzten Woche ist ein Leitfaden zum Umgang mit Schulvermeiderinnen und Schulvermeidern öffentlichkeitswirksam vermarktet worden. Diesen Leitfaden habe ich gefunden; es gab ihn mindestens schon 2008. Das ist bloß eine Neuauflage, aber nichts Neues, genauso wenig wie der Bildungs- und Erziehungsplan, den es seit vielen Jahren in Hessen gibt, der in der Plenardebatte im Januar
Da wird alles doppelt vermarktet. Statistische Mittelwerte werden in den Vordergrund gestellt und schöngerechnet. Der Pakt für den Nachmittag ist nach wie vor eine Mogelpackung. Es gibt Schulgeld am Nachmittag, und es sind kaum mehr Ganztagsangebote entstanden. All das sind Ihre Versuche, Ihre Verfehlungen in den letzten fast 20 Jahren zu verschleiern. Damit kommen Sie nicht weiter. Diese Verschleierung muss endlich aufhören. Das fordern wir.
Die Landesregierung ist überfordert. Sie wissen ganz genau, dass Sie die wesentlichen Probleme, die es hier gibt, bis zum 28. Oktober nicht werden lösen können. Deswegen agieren Sie panisch mit solchen Mogelpackungen.
Es ergibt keinen Sinn, hier über Qualität zu reden und Qualität einzufordern, wenn man seinem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. Dafür fehlt dieser Landesregierung die Kraft. Wir werden dafür sorgen, dass sich das ab dem 28. Oktober in Hessen ändert.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sie von der CDU behaupten immer, Sie seien Wirtschaftsexperten. Aber was würden Sie sagen, wenn man in einem Unternehmen nicht wüsste, wie viele Beschäftige dort befristet oder unbefristet angestellt sind?
Wie würden Sie die Arbeit des Managements bewerten, wenn sie nicht benennen könnten, wer mit welchen Qualifikationen im Betrieb beschäftigt ist, wie viele ungelernte Arbeitskräfte und wie viele Quereinsteiger dort arbeiten? Würden Sie sich schützend vor einen Arbeitgeber stellen, der so unorganisiert ist, dass er weder die Fehlzeiten der Belegschaft noch die Krankheitstage benennen kann? – Meine Damen und Herren von der CDU, ich bin mir sicher, dies würden Sie ziemlich befremdlich finden. Genau eine solche konfuse Unstrukturiertheit dulden Sie aber im Kultusministerium. In seinen Antworten auf die Anfragen der SPD behauptete der Kultusminister tatsächlich, alle diese Informationen nicht zu haben – keine Krankheitstage, keine ausfallenden Arbeitszeiten, keinen Überblick über die Qualifikation der Beschäftigten und deren Anstellungsverhältnisse.
Meine Damen und Herren, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Kultusminister wird in seiner Planlosigkeit von Ihnen kritiklos getragen und geschützt, oder – das er
scheint mir wahrscheinlicher – der Opposition werden diese Informationen nicht unbedingt mitgeteilt. Oder haben Sie eine andere Erklärung dafür, warum ausgerechnet ein CDU-geführtes Kultusministerium nicht über die Basics eines Arbeitgebers verfügen sollte? Natürlich weiß auch der Kultusminister, dass es haufenweise Brandbriefe und Überlastungsanzeigen gibt. Er hat sie auch zugeschickt bekommen. Aber leider wird weiterhin nach dem gleichen Schema vorgegangen, das schon Schwarz-Gelb in der letzten Legislaturperiode praktiziert hat, nämlich schönzureden, was nicht schön ist, und vor allem möglichst lange die Augen zu verschließen.
Die Kolleginnen und Kollegen der SPD haben in ihrem Antrag niedergeschrieben, was wir schon seit Jahren anprangern: Der Hessische Kultusminister fühlt sich anscheinend für seine annähernd 60.000 Lehrkräfte nicht wirklich verantwortlich. Herr Lorz, wenn Sie sich verantwortlich fühlen würden, wüssten Sie, wie viel Unterricht ausfällt und wie der Krankenstand ist. Die Schätzungen der GEW hierzu sind seit Jahren alarmierend. Hier wurde auch schon mehrmals über die niedersächsische Studie zur Lehrkräftebelastung gesprochen. Damals wurde deutlich, dass die wenigsten Lehrerinnen und Lehrer glauben, ihr Rentenalter ohne ernsthafte berufsbedingte Erkrankungen zu erreichen.