Protocol of the Session on May 22, 2014

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind bei dem Thema Toleranz und Akzeptanz gegenüber Schwulen und Lesben oder gegenüber Menschen anderer sexueller Identität ein ganzes Stück weit gekommen, wenn man die letzten zehn, 20, 30 Jahre zurückdenkt – ich will gar nicht einmal von den letzten 70 Jahren reden. Aber – und darauf haben einige Vorredner bereits hingewiesen – wir haben auch noch ein ganzes Stück an Weg zu gehen.

Von daher ist der Antrag auf eine Aktuelle Stunde in seiner Formulierung für mich eher als Auftrag zu sehen denn als eine Feststellung, dass das alles schon passieren würde.

Wir leben auch hier in Hessen in einem Land, wo uns immer wieder Menschen berichten, dass es schwerfällt, sich zu outen – in verschiedenen Situationen, auch am Arbeitsplatz, aber auch im Freundeskreis und auch in Alltagssituationen. Ein European Song Contest kann eben nicht darüber hinweg täuschen, dass es wurst sei, sondern es ist immer noch ein bedeutender Schritt.

(Beifall bei der LINKEN)

Von daher bin ich sehr froh, dass wir bei diesem Thema es als Hessischer Landtag immer wieder geschafft haben, eine gemeinsame Haltung und Stellungnahme abzugeben und ein gemeinsames Bild zu zeichnen. Das ist ein Bild dafür, dass wir uns für eine Gesellschaft einsetzen, die bunt ist, auch in der sexuellen Orientierung und der sexuellen Identität.

Ich möchte einen Gedankengang meines Vorredners aufgreifen, in dem ich ihm ausdrücklich Recht gebe: Bunt – das zeigen uns viele Initiativen –ist normalerweise der Gegensatz von braun. Das hängt zusammen: Rassismus, Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten mit einer Atmosphäre, die das Anderssein auch im Bezug auf sexuelle Identität und sexuelle Orientierung zusammenfasst.

Von daher würde auch ich gerne ergänzen: nicht nur gegen Homophobie, nicht nur gegen Transphobie, sondern selbstverständlich gegen Ausgrenzung und damit auch gegen Rassismus, so wie wir es gestern mit Teilen dieses Hauses vor der Staatskanzlei deutlichgemacht haben. Respekt ist die Antwort vor allem anderen. Dafür sollten wir uns einsetzen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nun leider auch so, dass wir trotz aller Aufklärungskampagnen über HIV-positiv Erkrankte bzw. Aids-Er

krankte vor dem Problem stehen, dass die Häufigkeit der Erkrankungen aktuell wieder zunimmt. Das heißt eben auch, dass wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen, sicherlich auch nicht in den Anstrengungen – Herr Lenders, ich gebe Ihnen da vollkommen recht –, deutlich zu machen, wer der typische Erkrankte ist. Das ist vollkommen klar. Aber es geht auch weiterhin um die Aufklärung darüber, dass es diese Krankheit gibt, und um eine Aufklärung darüber, dass die Erkrankten nicht zu diskriminieren sind. Beides ist entscheidend – sowohl die Prävention gegenüber dieser Erkrankung als auch die selbstverständliche Toleranz, die wir bei anderen Erkrankten auch an den Tag legen. Auch das gehört zum Thema.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der FDP)

Ein letzter Gedanke. Herr Lenders, ich glaube, dass es Ihnen eben nur herausgerutscht ist, dass Kinder keine Vorurteile hätten. Das stimmt leider nicht. Auch jedes zweite Urteil eines Kindes basiert leider auf Vorurteilen. Von daher gilt es in allen Lebensbereichen – auch in der Familie und auch in der Schule –, eine Atmosphäre der Toleranz aufzubauen, die lautet: bunte Vielfalt statt braunem Einheitsbrei, auch bei der sexuellen Orientierung und der sexuellen Identität. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wilken. – Als Nächste hat das Wort Frau Kollegin Arnoldt für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Im März-Plenum haben wir gemeinsam beschlossen, der Koalition gegen Diskriminierung beizutreten und uns gemeinsam gegen Diskriminierung jeglicher Art stark zu machen. Wir haben das getan, um uns für die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen einzusetzen und für ein offenes diskriminierungsfreies Leben aller Menschen in Hessen zu werben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Am 17. Mai fand der internationale Tag gegen Homophobie und Transphobie statt. Seit 2005 ist er eine feste Institution, um auf die Probleme und auf die Bedürfnisse von Lesben, Schwulen und Transsexuellen aufmerksam zu machen – aber nicht nur das. Er hat sich weiterentwickelt zu einem Aktionstag gegen die Ausgrenzung und Benachteiligung in allen Lebensbereichen.

Der 17. Mai ist ein wichtiger Tag. Denn an diesem Tag wurde 1990 der Begriff Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel der Weltgesundheitsorganisation gestrichen. Dieser Tag steht auch für den ehemaligen Paragraphen 175 Strafgesetzbuch und seine Opfer.

CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben auch deshalb in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, diese Schicksale wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. Diese Aktionstage sind wichtig, um auf diese Themen aufmerksam zu machen. Aber uns muss es darum gehen, im täglichen Leben die Gesellschaft dafür zu sensibilisieren, was es bedeutet,

diskriminiert zu werden und wo Diskriminierung bereits im Kleinen anfängt.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- KE))

Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, äußerte sich in den letzten Tagen in einer Pressemitteilung besorgt darüber, welche Entwicklungen heute auf der Tagesordnung stehen. Besonders unter Jugendlichen wird das Wort „schwul“ als Beschimpfung und vielseitig negatives Merkmal benutzt. Auch im Sport, gerade im Fußball, ist dieses Thema immer noch heikel. Selbst nach seinem Outing sagte Thomas Hitzlsperger noch: Der Kampf ist nicht zu Ende. – Leider Gottes hat er damit recht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) und Janine Wissler (DIE LINKE))

Immer wieder muss der DFB gegen homophobe Banner, Plakate und Aktionen bei Fußballspielen ermitteln. Mittlerweile verhängt er empfindliche Strafen. Viele Spieler haben Angst vor dem Outing, denn es könnte ihre Karriere beenden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, homosexuell sein ist keine Krankheit. Es ist auch kein heikles Thema, über das wir nicht sprechen könnten. Ganz im Gegenteil ist es ein Thema, über das wir nicht nur reden sollten, sondern zu dem wir auch etwas tun sollten.

Gerade wir als Union dürfen nicht tatenlos zusehen, wenn Menschen diskriminiert werden. Diskriminierung jeder Art ist schädlich für eine freie solidarische Gesellschaft, für die wir stehen.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich wiederhole mich gerne: Wir sind der Koalition gegen Diskriminierung beigetreten, um die freie Entfaltung, die Entscheidung jedes Einzelnen, wie er leben möchte, zu ermöglichen und zu unterstützen. Aus diesem Grund begrüßen wir es, dass unser Koalitionspartner dieses Thema zur aktuellen Stunde gewählt hat. Wir arbeiten daran und werden das auch weiter tun. Mit Stefan Grüttner haben wir einen engagierten Sozialminister, der sich in diesem Netzwerk ein hohes Ansehen erarbeitet hat.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Er ist gar nicht da!)

Mit dem Bevollmächtigten für Antidiskriminierung, Staatssekretär Jo Dreiseitel, haben wir nicht nur irgendeine Stelle geschaffen, sondern wir haben dem Thema Vielfalt einen herausgehobenen Stellenwert gegeben und es zu einem Schwerpunkt unserer Politik gemacht.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hessen steht für eine tolerante und offene Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt. Wir begreifen die Vielfalt unserer Gesellschaft als Bereicherung. Diese Bereicherung fördern wir. Wir unterstützen die Netzwerke, und wir dulden keine Ausgrenzung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Arnoldt. – Für die Landesregierung spricht Herr Staatssekretär Dreiseitel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr spät, aber immerhin am 17. Mai 1990 wurde bei der Weltgesundheitsorganisation die Homosexualität aus der Liste der psychischen Krankheiten gestrichen. Seit 2005 wird international daran erinnert, aufgeklärt und sensibilisiert. Ich bin sehr froh, dass auch hier in Hessen in vielen Städten kreative Aktionen stattgefunden haben, um sich in diese internationale Tradition zu stellen. Ich bedanke mich ganz ausdrücklich, dass Mitglieder des Hessischen Landtags und auch Regierungsvertreter und -vertreterinnen an verschiedenen dieser Aktionen teilgenommen haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Homophobie ist eine gegen nicht heterosexuelle Menschen gerichtete irrationale, sachlich nicht begründbare Feindseligkeit, die sich gegen homosexuelle, bisexuelle und transsexuelle Menschen und ihre Lebensweisen richtet. Das reicht von Vorurteilen und Beleidigungen bis hin zum offenen Hass und zur Ausübung von körperlicher und seelischer Gewalt.

Leider ist Homophobie immer noch ein aktuelles Thema, nicht nur unter Jugendlichen, sondern eine weit verbreitete Form der Ausgrenzung und Diskriminierung, oft gepaart mit Gewalt.

In einer aktuellen Umfrage stellten knapp die Hälfte, 47 %, der Befragten kürzlich fest, sie seien im vergangenen Jahr mindestens einmal wegen ihrer sexuellen Orientierung einer Diskriminierung ausgesetzt gewesen. 25 % haben berichtet, dass sie innerhalb der letzten fünf Jahre Opfer tätlicher Angriffe und körperlicher Gewaltandrohung geworden sind.

Leider können sich viele noch nicht offen im Alltag und im Beruf zeigen, sondern führen ein anstrengendes und menschenunwürdiges Doppelleben. Homophobie ist eine intolerante Haltung, und es gilt, sie politisch und gesellschaftlich zu bekämpfen und zu ächten. Sie ist ein gravierender Verstoß gegen die Menschenwürde.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich will daran erinnern, dass in 77 Ländern der Welt immer noch Homosexualität als schwerer Straftatbestand existiert. In sieben Staaten droht homosexuellen Menschen die Todesstrafe per Gesetz. Das ist Grund genug, in Hessen, in Deutschland und in der Welt offensiv und aktiv für volle Gleichberechtigung unterschiedlicher Lebensweisen und für das Recht auf selbstbestimmter sexueller Orientierung einzutreten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nancy Faeser und Lothar Quanz (SPD))

Die Hessische Landesregierung hat sich verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass jeder Mensch, ungeachtet seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität, gesellschaftliche

Akzeptanz erfährt und ein Leben ohne Benachteiligung und Diskriminierung gestalten kann. Es besteht bereits eine gute Tradition der Zusammenarbeit mit Selbstvertretungsorganisationen in Hessen. Dies spiegelt sich unter anderem wider in den durch das Ministerium für Soziales und Integration organisierten runden Tischen und Fachveranstaltungen wie zuletzt im April zum Thema „Homosexuellenverfolgung in Hessen“.

In der Koalitionsvereinbarung steht unmissverständlich:

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit und volle gesellschaftliche Teilhabe setzen voraus, dass jeder Mensch, ungeachtet seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität, gesellschaftliche Akzeptanz erfährt und sein Leben ohne Benachteiligungen und Diskriminierungen gestalten kann.

Auf diesem eingeschlagenen Weg werden wir fortfahren, auch auf der Basis des Beitritts zur Koalition gegen Diskriminierung. Wir werden, zusammen mit der Zivilgesellschaft, einen Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt erarbeiten, und wir werden uns dafür einsetzen, dass eine bessere Begleitung gerade junger Menschen in der oftmals sehr schwierigen Phase des Coming-out ermöglicht wird. Wir wollen für dieses Thema in den Schulen noch stärker sensibilisieren, unter anderem mit den bereits vorhandenen SchLAu-Projekten.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatssekretär, ich muss Sie darauf hinweisen, dass die für die Fraktionen geltende Redezeit erreicht ist.

Noch bitte einen Moment.