Protocol of the Session on February 1, 2018

Auch auf die Zahlen will ich zu sprechen kommen. Die Förderquote, d. h. die Quote von Schülerinnen und Schülern in Hessen, die einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung haben, ist gestiegen, und zwar von 4,38 % auf 5,65 %. Das finde ich schon erstaunlich, dass hier immer mehr Kinder so etikettiert werden. Das ist sicherlich keine erfolgreiche Schulpolitik in Hessen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Inklusionsquote ist die geringste überhaupt in Deutschland mit 1,54 %. Kein anderes Bundesland hat so wenige Schülerinnen und Schüler in der Inklusion. Das spricht leider nicht mehr für „Hessen vorn“. Das ist „Hessen hinten“.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Förderschulbesuchsquote ist mit 4,11 % dafür relativ hoch. Allerdings – auch das muss man sagen – ist das nicht überall im Land so. Beispielsweise im Main-Taunus-Kreis sind es nur 1,67 %, und im Landkreis Kassel sind es 2,3 %. Es geht also auch anders. Das heißt, auch hier gibt es Beispiele, auf denen man aufbauen kann.

Dann komme ich noch einmal zu einem konkreten Punkt. Ich habe mir die Frage 70 herausgegriffen, weil ich glaube, dass Evaluation hier eine wichtige Rolle spielen sollte. Das wird immer wieder angeführt, wenn ich frage, wie die Schulen das evaluieren und was wir da wissen. Da wird verwiesen auf die Checkliste Inklusion. Wenn ich dann aber frage, wie oft diese Checkliste denn eingesetzt wurde, dann ist die Antwort – wer kommt darauf? –: Dazu liegen uns keine Erkenntnisse vor.

Ebenso ist es bei der Frage nach der Umsetzung von Standards für eine inklusive Schule. Auch hier ist die Antwort leider, dass dies nicht einmal bei der Schulevaluation ein fokussierter Gegenstandsbereich gewesen sei. Sie wissen am Ende wieder gar nichts. Nichts wird evaluiert, und eigentlich haben Sie keine Ahnung von der Realität an hessischen Schulen in der Inklusion.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe über Standards gesprochen. Beim gemeinsamen Unterricht war einmal Standard, dass es eine Doppelbesetzung gibt. Immerhin ist hier noch die Regel, dass bei geistiger Behinderung ein Förderschullehrer bis zu elf Stunden mit dabei sein darf. Da dachte ich mir, ich frage einmal in der Großen Anfrage, in wie vielen Fällen zwischen 2012 und 2015 den Schulen auch wirklich die immer wieder angeführten elf Stunden eines Förderschullehrers zugewiesen wurden. Was meinen Sie, was die Antwort ist?

(Zuruf von der SPD: Keine Erkenntnisse!)

Keine Erkenntnisse. Hierzu liegen keine Daten vor.

Wenn Sie nicht einmal wissen, wie oft es überhaupt diese elf Stunden gab, dann spricht das für mich dafür, dass Sie sie wahrscheinlich nie herausgegeben haben. Sie schwurbeln herum mit irgendwelchen Aussagen „von … bis …“, aber am Ende wurden Standards auch unter dieser Landesregierung weiter abgebaut.

Spannend ist auch die Frage der Fachberatung. Denn gerade die inklusive Schulentwicklung ist so wichtig, sowohl für die Regelschulen als auch für die Förderschulen. Was kommt hier heraus? – Im Schuljahr 2015/2016 gab es noch 15 Stellen für Fachberatung an den Schulämtern. Im Schuljahr 2016/2017 waren es gerade noch 6,75. So kommt inklusive Schulentwicklung nicht voran. Das muss sich wieder ändern.

(Beifall bei der SPD)

Beim Nachmittagsunterricht ist es ganz ähnlich. Auch hier ist klar: Wenn Schule länger dauert, braucht man doch natürlich mehr Förderunterricht, um auch am Nachmittag die Inklusion zu unterstützen. Auch hier die Antwort: Was denn nachmittags getan wird und was es an Zuschüssen gibt, darüber liegen dem HKM keine Informationen vor.

Ganz spannend ist auch Folgendes. Herr Kultusminister, ich stelle nur diese eine Frage. Denn sie ist mir wirklich wichtig. Das ist Frage 53. Da geht es um folgenden Punkt: Es war mal ein Ziel im Aktionsplan: „An einer Schule im Förderschwerpunkt Lernen werden keine Schülerinnen und Schüler mehr aufgenommen“. Das steht im Aktionsplan der Landesregierung. Das ist ein gar nicht unambitioniertes Ziel. Niedersachsen macht das so. Aber im Umsetzungsstand steht es plötzlich nicht mehr drin. Sie sagen, das sei Verwaltungshandeln. Ist es Verwaltungshandeln, dass nicht mehr eingeschult wird an Förderschulen mit Schwerpunkt Lernen? Oder weshalb ist dieses Ziel nun wirklich herausgefallen? – Da bitte ich doch noch um eine Erklärung.

(Beifall bei der SPD)

Ein letzter Punkt zu den Arbeitsbedingungen. Auch das ist ganz interessant: Seit vier Jahren steht im Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün, dass Lehrkräfte und Förderpädagogen nur noch an möglichst einer Schulform eingesetzt werden sollen. Das ist nach wie vor noch nicht überall im Land der Fall. Wann kommen wir endlich dahin, dass die Menschen mehr Zeit in den Klassen verbringen als im Auto und auf der Straße?

(Beifall bei der SPD)

Genauso ist es bei folgendem Punkt. 2013 hat der Kollege Wagner hier noch kritisiert, dass durch die unterschiedliche Dauer von Unterrichtsstunden bei Förderpädagogen und Regelpädagogen die Förderlehrer eben mehr Arbeitszeit in der Inklusion haben als an den Förderschulen. Das wurde kritisiert. Hier wird leider gesagt, dass das nach wie vor so hingenommen wird und man nichts dagegen unternimmt. Da würde ich doch gern wissen, wie die GRÜNEN sich heute dazu verhalten.

Am Schluss stelle ich fest: Was will die SPD? – Wir wollen zu einer deutlich besseren Lehrerversorgung kommen. Das heißt, wir müssen vor allem deutlich mehr, als das bisher die Regierungsfraktionen tun, in die Lehrerausbildung investieren und deutlich mehr Kapazitäten schaffen, um am Ende zu einem Schlüssel zu kommen, den wir in Südtirol kennengelernt haben, nämlich 1 : 100 an einer Regelschule. Das ist ein Sonderpädagoge bzw. Förderpädagoge auf 100 Schüler. Wir wollen, dass die Lehrerausbildung auch für die Regelschullehrer angepasst wird, nämlich durch inklusive Grundkompetenzen für alle. Wir wollen, dass die Rahmenbedingungen verbessert werden.

Herr Degen, Sie hatten zwar begründet, dass Sie mehr Zeit brauchen. Sie bekommen sie aber nicht. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich bin bei meinem letzten Punkt. – Die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden, damit auch der Ganztag wirklich für die Inklusion funktioniert.

Wir wollen, dass am Ende jedes Kind in der Lage ist, die Schule – sowohl im Grundschulbereich als auch im weiterführenden Bereich – in der Nachbarschaft zu besuchen. Am Ende müssen alle Schulen inklusive Schulen werden – nicht sofort, aber schrittweise. Schwerpunktschulen kön

nen dazu nicht das Endziel eines inklusiven Schulsystems sein. – Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Degen. – Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Ravensburg das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage mit – Herr Degen, Sie haben das erwähnt – 231 Fragen ist umfangreich. Deshalb auch einmal ein herzlicher Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kultusministerium.

(Zuruf von der SPD)

Dies will ich zum Anlass nehmen, um die für uns besonders wichtigen Punkte der Inklusion an den hessischen Schulen darzustellen.

Die Hessische Landesregierung baut die inklusive Beschulung in Hessen kontinuierlich aus. Das ist erst einmal eine Feststellung. Das will ich Ihnen auch mit Zahlen belegen.

Im Schuljahr 2012/13 wurden 20,5 % der Schüler mit Förderbedarf inklusiv beschult. Im Schuljahr 2016/17 waren es bereits 27 % und damit 8.285 Schüler. Das, was sich vielleicht auch Herr Degen einmal genau anschauen sollte, ist Folgendes: Wir haben nämlich noch 33.429 Schüler, für die vorbeugende präventive Maßnahmen in den allgemeinen Schulen zur Förderung hinzukommen.

Sehr geehrter Herr Degen, vielleicht sind wir der SPD bei der Umsetzung nicht schnell genug.

(Zuruf des Abg. Christoph Degen (SPD))

Das schließe ich auch aus Ihren Fragen nach der Umsetzung in den anderen Bundesländern. Wir sagen aber: Geschwindigkeit ist für uns kein Kriterium, wenn es um einen so umfassenden Prozess geht wie die Umsetzung der Inklusion hier in Hessen.

(Beifall bei der CDU)

Andere Bundesländer sind vorgeprescht, wie z. B. NRW oder Niedersachsen. Doch sie haben vergessen, dort die Eltern und die Schulen mitzunehmen. Das Ergebnis konnte man bei den Wahlen besichtigen.

(Beifall bei der CDU)

Wir achten und respektieren den Elternwunsch. Eltern können in Hessen wählen und haben auch die Möglichkeit, sich ausführlich in unseren Beratungs- und Förderzentren beraten zu lassen, um den besten Weg für ihr Kind zu finden. Denn das steht im Vordergrund.

Wahlfreiheit heißt aber auch, dass es eine Wahlmöglichkeit geben muss, nämlich zwischen dem Unterricht in den Förderschulen und dem inklusiven Unterricht. Deshalb werden wir in Hessen auch die Förderschulangebote aufrechterhalten.

Deswegen frage ich mich, Herr Degen, was Sie auf Ihre Frage hören wollen, wenn Sie die Frage stellen, wann die Inklusion in Hessen umgesetzt sei.

(Zuruf von der SPD: Die Wahrheit!)

Ich sage ganz klar: Wir sind nicht der Auffassung, dass Inklusion erst dann umgesetzt ist, wenn es keine Förderschulen mehr gibt.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD)

Ich sage Ihnen: Wir setzen die Inklusion bereits heute um und bauen sie kontinuierlich in unseren inklusiven Schulbündnissen flächendeckend aus. Das Wort haben Sie sehr bewusst vermieden.

Für uns ist klar: Inklusion muss immer vom Kind her gedacht werden.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb wollen wir ein Schulangebot, das jedem Kind die jeweils bestmögliche Beschulungsmöglichkeit bietet, und zwar – auch das sage ich bewusst – allen Kindern, mit oder ohne sonderpädagogischen Förderbedarf.

Inklusion ist ein Prozess, der sich entwickeln muss und Unterstützung braucht. Die Grundlage ist der hessische Aktionsplan, in dem die Grundsatzziele dafür formuliert sind. Ein solcher Prozess kann nur erfolgreich sein, wenn er dann auch gemeinschaftlich durch enge Zusammenarbeit – Schule, Eltern, Schüler, Lehrkräfte, Verwaltung, Verbände und Kommunen – erfolgt.

(Zuruf von der SPD)

Genau das ist schon in den Modellregionen inklusive Bildung umgesetzt worden. Dort haben nämlich die Kreise und Schulämter eng zusammengearbeitet, um beste Bedingungen für Wahlmöglichkeiten der Schüler zu schaffen und diese zu verbessern. Deswegen sage ich auch hier ganz klar: Förderschulen waren auch in den Modellregionen immer ein wichtiger Bestandteil.