Protocol of the Session on November 22, 2017

Das Erste, was ich von vornherein dazu sage, ist, dass es da zwei Themen gibt, die für mich unverrückbar sind. Das eine Thema ist: Ich mische mich als Landesregierung nicht in die Tarifverhandlungen ein. Denn für mich ist die Tarifautonomie ein hohes Gut.

(Beifall des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Dennoch sage ich: Wir müssen trotzdem überlegen, ob wir nicht mit Steuermitteln den Versuch unternehmen sollten, Hilfestellung zu leisten. Denn die Tarifabschlüsse haben ein Ergebnis, das letztendlich dazu führt, dass der Beruf nicht unbedingt attraktiv ist.

Klammer auf: Ich habe zumindest an manchen Sachdiskusionen der Berliner Gespräche der letzten Wochen teilgenommen. Dort gab es bei all denjenigen, die an diesen Gesprächen teilgenommen haben, den Konsens, dafür auch Steuermittel in die Hand zu nehmen. Ich gehe einmal davon aus, dass es dazu in Zukunft entsprechende Entscheidungen geben wird. – Das war Nummer eins.

Was hat das Land noch an Möglichkeiten? Wir müssen zwischen ambulanter und stationärer Pflege unterscheiden. Nach wie vor werden rund drei Viertel der pflegebedürftigen Personen in den Familien versorgt, und zwar mit und ohne Unterstützung der Pflegedienste. Die Verordnung für haushaltsnahe Dienstleistungen und Unterstützungsleistungen, die wir zu Beginn des nächsten Jahres auf den Weg bringen werden, wird sicherlich einen wesentlichen Beitrag dazu leisten können, dass Familien unterstützt werden.

Da wird es ein ganz gestaffeltes System geben. Das wird von denjenigen reichen, die momentan bereits auf dem Markt tätig sind, bis hin zu gewerblichen Anbietern und einzelnen Personen. Aber auch das steht immer unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Menschen, die zu pflegen sind. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzes muss das mit einer entsprechenden Qualifizierung verbunden sein.

Spannend ist, dass die Anwürfe, die zum Teil auch heute gegenüber der Hessischen Landesregierung geäußert wurden, kein Thema im Landespflegeausschuss sind. Wir hatten in der letzten Woche die 67. oder 68. Sitzung des Landespflegeausschusses. Dort wurde der Pflegemonitor vorgestellt. Es war merkbar, dass wir gemeinsam um Wege ringen, welche Chancen wir überhaupt haben, Einfluss zu nehmen und entsprechende Rahmenbedingungen zu setzen.

Im Landespflegeausschuss ist die Frage der Höhe des Schulgeldes kein Thema. Es hat kein einziges Mal eine

Diskussion über die Frage nicht vorhandener Ausbildungsplätze gegeben. All das ist dort kein Thema. Im Landespflegeausschuss sitzen diejenigen, die aus den unterschiedlichen Sichtweisen heraus die Sache der zu Pflegenden oder der Institutionen vertreten.

Wir müssen uns dann auch noch anhören, wir würden nichts machen. Ich sage es noch einmal: Wir haben in den Schulen immer so viele Plätze, wie nachgefragt werden. Wir müssen nicht erklären, wir schaffen jetzt noch 1.000 Plätze mehr und hinterlegen sie mit Geld, um zu zeigen, wie wichtig das ist. Vielmehr geben wir die Garantie ab, dass jeder, der einen Ausbildungsplatz hat, auch einen Platz in der Schule bekommt. Er bekommt ihn finanziert, und das Schulgeld ist auch sichergestellt.

Ich finde, das ist eine weitreichende und wichtige Aussage. Wir haben in der Zwischenzeit über 5.400 Auszubildende in unseren Pflegeschulen. Das ist der historische Höchststand.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Zweiter Aspekt. Dass die Unterschiede zwischen den Krankenpflegeschulen auf der einen Seite und den Altenpflegeschulen auf der anderen Seite hier ein Thema gewesen sind, ist ein deutliches Plädoyer für eine generalistische Ausbildung. Die jeweiligen Ministerinnen oder Minister der 16 Länder der Bundesrepublik Deutschland, egal welcher Couleur, sind einhellig der Meinung, dass die generalistische Ausbildung zur Attraktivitätssteigerung dieses Berufs beitragen kann.

Wir werden das umsetzen, sobald wir das grüne Licht vom Bundesgesetzgeber bekommen. Darauf warten wir. Meine Gespräche mit Vertretern der Krankenpflegeschulen zeigten mir, dass sie sich inhaltlich darauf einstellen.

Aber das ist nicht nur eine Frage des staatlichen Handelns. Wir brauchen auch den Markt. Ich sage das sehr deutlich: Wir brauchen auch den Markt. Ich stimme ausdrücklich der Auffassung meiner Kollegin aus Rheinland-Pfalz, Frau Bätzing-Lichtenthäler, zu, die heute auf dem Kongress des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste in Rheinland-Pfalz gesagt hat, ohne das freie Unternehmertum würden wir in Zukunft die Herausforderungen in unserem Land bei der Pflege angesichts der demografischen Entwicklung nicht bewältigen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Ja, wir brauchen das. Frau Bätzing-Lichtenthäler ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und keiner anderen Partei. Insofern sieht man, dass das ausgesprochen wichtig ist.

Die nächste Fragestellung ist: Was machen wir eigentlich hinsichtlich der Werbung? Das kann ich Ihnen relativ deutlich darstellen. Ich glaube, es war eine meiner ersten Aktionen als hessischer Sozialminister – es war also schon frühzeitig –, dass ich mit Vertretern des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienst eine Initiative gemacht habe, aufgrund derer wir in die Schulen gelaufen sind und in Abschlussklassen für die Ausbildung geworben haben.

Damit haben wir nicht aufgehört. In der Zwischenzeit haben wir die sogenannten Gesundheitscamps. Das machen wir mit Schulen und anderen. Ich danke dem Kultusminister ausdrücklich für die Kooperation.

Wir haben gemeinsam ein Gesundheitscamp im HufelandHaus besucht. Wir führen dorthin 14- und 15-Jährige und zeigen ihnen, welche Möglichkeiten und Chancen bei den gesamten Pflegeberufen vorhanden sind. Das reicht von der Krankenpflege und der Gesundheitspflege bis hin zur Altenpflege. Da kommen die Schüler hin und lernen erstmals, ein Verhältnis zu diesem Beruf aufzubauen. Wir fangen damit frühzeitig an. Das ist eine Initiative, die von unserer Seite aus läuft.

Das Nächste ist Folgendes: Sie haben es wahrscheinlich mitbekommen. Wir, die Hessische Landesregierung, haben gemeinsam mit dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste – er ist an dieser Stelle ein wichtiger und guter Kooperationspartner – das ZIP gegründet. Das ist das Zentrum für die Anwerbung und die Integration ausländischer Fachkräfte in die Pflege- und Gesundheitsberufe.

(Zuruf)

Frau Schott, wir können doch nur versuchen, sie anzuwerben. Wir können uns die Leute nicht backen.

Wissen Sie, das ist eine spannende Sache. Da ist man permanent der Überzeugung, dass ausschließlich das Abitur die erstrebenswerte und einzige Form des Schulabschlusses ist.

(Janine Wissler (DIE LINKE): So ein Unfug!)

Gleichzeitig wundert man sich darüber, dass jemand, der Abitur hat, möglicherweise lieber an die Universität geht, als eine Ausbildung in der Altenpflege zu machen. Da muss man sich nicht wundern. Wir müssen da umdenken.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP))

Natürlich müssen wir auch den Abiturienten Karrierechancen in diesem Beruf eröffnen. Das machen wir, indem wir versuchen, der Akademisierung Vorschub zu leisten.

Aber das nutzt nichts. Wir brauchen auch diejenigen, die mit Empathie und Zuwendung die Menschen in einer stationären Einrichtung pflegen. Wir brauchen auch diejenigen, die die Familien in Form des ambulanten Dienstes mit unterstützen. Sonst würde das überhaupt nicht funktionieren.

Deswegen ist das nächste Thema Entbürokratisierung. Wir haben in Hessen den gemeinsamen Modellversuch mit der Heimaufsicht. Ich habe da den alten Begriff genannt. Dazu kommt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung. Da geht es um die Abstimmung der Kontrollbesuche, der Untersuchungen und anderes mehr.

Das hat im Übrigen auch in Mühlheim stattgefunden. Wir müssen immer das Verhältnis zwischen Vertrauen und Kontrolle wahren. Denn zuerst wurde, als das in Mühlheim auf die Tagesordnung kam, die Frage gestellt: Welche Versäumnisse des Landes hat es gegeben? – Es ging nicht um die Fragen, welche Verantwortung der Träger hat und was die einzelnen Mitarbeiter gemacht haben. Die erste Frage war: Welche Versäumnisse hat es seitens des Landes gegeben? Waren die Untersuchungen nicht engmaschig genug? Waren sie zu großmaschig? Wie sieht das aus? Gleichzeitig stellt man sich hin, spricht von Vertrauen und der möglichen Freiheit der einzelnen Betreiber. Das ist immer eine Gratwanderung.

Ich muss Sie an die Redezeit der Fraktionen erinnern.

Diese Gratwanderung nehmen wir auch gerne an. Wir sind da sehr selbstbewusst, indem wir sagen: Sowohl in den Abstimmungen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung als auch mit der – ich sage das in Anführungszeichen – Heimaufsicht, also der Betreuungs- und Pflegeaufsicht, sind wir auf einem guten Weg.

Wenn Sie sich den Kabinettbeschluss zum Entwurf des Landeshaushalts für die Jahre 2018 und 2019 ansehen, sehen Sie da ein neues Programm, nämlich „Sozialwirtschaft integriert“. Das lehnt sich an das sehr erfolgreiche Programm „Wirtschaft integriert“ an. Mit diesem Programm, das in den nächsten beiden Jahren mit insgesamt 10 Millionen € ausgestattet werden wird, werden wir insbesondere diejenigen, die als Flüchtlinge und Asylbewerber zu uns gekommen sind, in den Blick nehmen, um sie in diesen Beruf zu integrieren.

Neben dieser Fragestellung – das war einer der entscheidenden Punkte, dass wir gewusst haben, dass es hier noch eine Möglichkeit und Notwendigkeit von Sprachförderung gibt – haben wir allen Altenpflegeschulen zusätzlich 160 Stunden Sprachunterricht finanziert, damit die Integration schneller gelingen kann. Das, was wir als Landesregierung an dieser Stelle machen, machen wir im vollen Bewusstsein, dass das eine spannende und wichtige Aufgabe ist. – Aber zu sagen, wir würden die Augen vor dem Problem verschließen, oder wir würden keine Maßnahmen ergreifen, ist schlicht und einfach ohne Inhalt und ohne Sinn dahergesagt.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Vielen Dank, Herr Staatsminister Grüttner. – Es gibt noch eine Wortmeldung von Frau Kollegin Schott. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, Herr Minister! Sicher ist es richtig, dass Sie sich nicht in die Tarifverhandlungen einmischen. Das ist auch gut so. Aber richtig ist doch auch, dass wir eine Situation haben, wo wir politisch mit definieren, wie viel Geld in diesem Topf ist, aus dem das kommt und aus dem am Ende die Löhne der Menschen bezahlt werden, die in den Einrichtungen sind. Das Geld kommt aus dem Pflegetopf. Jetzt haben wir eine Situation, in der wir überlegen müssen und entscheiden können: Wie viel Geld geht in diesen Topf hinein? Das wird politisch darüber definiert, wie man die Beiträge zusammensetzt. Daher kommt doch ein Teil der Verantwortung, die wir politisch tragen und die wir auch tragen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist doch nicht so, dass die Mehrheit der Einrichtungen – da nehme ich nicht einmal die privatwirtschaftlichen aus – ihren Leuten nicht gerne mehr bezahlen würde, wenn sie denn könnte. Die Pflegesatzverhandlungen laufen aber so,

dass das Budget so eng ist, dass es an der Stelle richtig schwierig wird. Warum ist es so eng? – Weil wir eine Teilkaskoversicherung bei der Pflege haben, in die wir nicht genug hineingeben, damit am Ende die Löhne gezahlt werden können, die an der Stelle korrekt wären. Deshalb tragen wir da auch politische Verantwortung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die andere Geschichte ist die, dass wir uns anschauen müssen, wie wir mit den Pflegekräften umgehen. Natürlich kann man sie nicht beliebig vermehren. Aber wenn wir wissen, dass viele in Teilzeit arbeiten, weil das für die Arbeitgeber und vor allem für die, die ambulant unterwegs sind, einfach sinnvoller ist, dann müssen wir auch darüber nachdenken, dass wir Strukturen schaffen, damit wir nicht so viele Menschen in Teilzeit haben. Viele wollen das vielleicht auch gar nicht, sondern hätten gerne eine volle Stelle, wo sie ein Einkommen erzielen würden, von dem sie tatsächlich leben können.

Wir müssen auch noch einmal schauen, warum Arbeitsbedingungen so sind, dass wir Menschen so verschleißen, dass sie nicht mehr bei guter Gesundheit bis in den Ruhestand kommen, sondern vorher freiwillig in Teilzeit gehen oder aus dem Beruf ganz ausscheiden. Da verlieren wir einfach zu viele. Wir verlieren auch Menschen unterwegs, die sagen: Nein, unter diesem Druck und mit der körperlichen und psychischen Belastung kann und will ich nicht mehr arbeiten. Ich gehe lieber in irgendeinen Supermarkt und räume Regale ein. Da weiß ich, wann ich anfange und wann ich aufhöre. Ich verdiene zwar wenig Geld, aber ich habe auch wenig Verantwortung und komme aus diesem Druck heraus. – Wir müssen doch zusehen, dass wir Arbeitssituationen schaffen, die nicht so druckbelastet sind, damit die Katze an der Stelle aufhört, sich in den Schwanz zu beißen.

Ich habe es Ihnen auch noch nie zum Vorwurf gemacht oder irgendetwas daran kritisiert, dass der Deckel bei der Anzahl der Schülerinnen und Schüler in den Schulen weg ist. Das ist gut. Da, wo es gut ist, kann ich es auch anerkennen.

Aber Sie müssen schon zugeben, dass die Ausfinanzierung der Schulen nicht auskömmlich ist, auch wenn das an einer Stelle mal angehoben wurde – dafür ist es an anderer Stelle dann wieder ein bisschen gekürzt worden; also das hat schon ein bisschen was von einem Taschenspielertrick. Sie sagen, es wird hoffentlich besser werden, wenn wir die generalistische Ausbildung bekommen. Ich habe da meine Zweifel.

(Gerhard Merz (SPD): So ist es!)

Ich glaube – wenn man das nicht sauber eintütet –, dass wir mindestens in einer Übergangsphase so schwierige Verhältnisse bekommen, dass wir erst einmal massenhaft Menschen in der Altenpflegeausbildung verlieren werden,

(Beifall bei der LINKEN)

wenn wir uns nicht darauf einstellen, nicht damit umgehen und nicht sauber hinschauen, wie wir diese Übergangsphase gestalten. Alles, was ich bisher von Ihnen gehört habe, hatte wenig damit zu tun, das sauber zu gestalten. Das hatte eher so einen Duktus von: „Na ja, da müssen Kooperationen zwischen den bestehenden Schulen und Ausbildungsbetrieben geschaffen werden“ – das wars dann. Herr Minister, das wird nicht die Lösung sein. Das würde bedeuten: Wir werden Menschen verlieren, und zwar richtig

viele Menschen. Davor habe ich wirklich Angst. Diese Übergangsphase muss gut und sauber gestaltet werden. Ob am Ende das herauskommt, was man sich wünscht, nämlich eine Anhebung der Wertigkeit des Altenpflegeberufs, wage ich noch zu bezweifeln.