Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich habe mich herausgefordert oder, wenn Sie so wollen, provoziert gefühlt, mich zu Wort zu melden wegen dieses Hohelieds des Marktes,
das die Kollegin Klaff-Isselmann eben angestimmt hat und das auch René Rock ein bisschen angestimmt hat.
Ich will nur darauf hinweisen: Es gibt Bereiche der menschlichen Tätigkeit, die Marktstrukturen zugänglicher sind, und es gibt Bereiche, die einer stärkeren Regulierung bedürfen. Ich glaube, dass alles, was in den sozialen und den Gesundheitsbereich gehört – ich sage das mit aller Zurückhaltung, weil es nie absolut stimmt –, jedenfalls nicht einer vollständigen Marktregulierung unterliegt und unter
liegen darf, weil es keine Märkte sind wie alle anderen. Wir reden hier nicht über die Produktion von Schrauben, sondern wir reden über die Pflege von kranken, alten und hilfebedürftigen Menschen.
Sie könnten übrigens mit derselben Begründung alle Standards im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zu den Akten nehmen. Sie könnten alle Standards des Kinderförderungsgesetzes zu den Akten nehmen und sagen: Das wird der Markt schon regeln. – Wir wissen, dass er das nicht tut, weil erstens im Markt Erwägungen fehlen, wie sie hier eine entscheidende Rolle spielen, nämlich auch die Frage von menschlicher Zuwendung und manchem, was damit zu tun hat. Kollegin Wiesmann wurde nicht müde, nicht zu Unrecht, über Bindungen in diesen Fragen zu sprechen. – In einer Marktkalkulation spielt das aber überhaupt keine Rolle, Frau Kollegin.
Wenn wir uns darüber einig sind, dann ist es gut. Dann können Sie hierherkommen und das klarstellen. Ich warne davor, und ich widerspreche heftig einer einseitigen Marktlogik im Bereich der sozialen Arbeit und insbesondere im Feld der Alten- und Krankenpflege, über das wir hier reden.
(Irmgard Klaff-Isselmann (CDU): Nein! Das ist nicht nötig! Ich habe eine umfassende Darstellung gegeben!)
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, über zwei Dinge sind wir uns hier im Hause einig. Wir alle hier im Hause wollen, dass ältere, pflegebedürftige Menschen die bestmögliche Pflege bekommen, und zwar ambulant vor stationär – also beste Pflege, ob sie sich das zu Hause wünschen oder ob sie in eine stationäre Einrichtung gehen.
Das sollte uns doch einen. Wir alle wollen an dem gemeinsamen Ziel arbeiten, dass die Pflege und die Pflegekräfte bestmöglich ausgestattet sind. Wir wollen für die Menschen, die gepflegt werden, eine höchstmögliche Konzentration an Qualität. Das sollte uns doch einen.
Die Frage, die die Partei DIE LINKE heute aufgeworfen hat, lautet: Wird dieses Ziel tatsächlich in befriedigender Weise verfolgt? Ist es so, dass die Landesregierung das in ihrer Macht Stehende tut? Ist alles Notwendige vorhanden, oder ist man der Meinung, man könne noch mehr tun? Ich finde, darüber kann man tatsächlich diskutieren. Man muss darüber auch diskutieren und nachweisen, was passiert ist.
Frau Klaff-Isselmann hat zu Recht gesagt, dass an dem, was die Bundesregierung getan hat, auch die SPD beteiligt war. Das waren nicht alles nur schlechte Gesetze, ganz im Gegenteil. Die Pflegegesetze haben deutliche Fortschritte gebracht, haben klare Vorteile gebracht – das kann man
Die Vorbemerkung, die natürlich gestattet sein muss: Ja, wir haben ein Problem bei den Fachkräften. Wir haben Fachkräftemangel bei Erzieherinnen und Erziehern, bei Lehrerinnen und Lehrern, bei Polizisten und auch bei Pflegerinnen und Pflegern, ob im Krankenhaus oder in der Altenpflege. Ja, wir haben diesen Fachkräftemangel.
Deswegen gibt es eine Fachkräftekommission der Landesregierung, wo man mit vielfältigsten Expertinnen und Experten, mit Akteuren, Initiativen, Institutionen und Organisationen zusammensitzt. Dort stellt man sich genau diese Frage, wie man den Fachkräftemangel in den Griff bekommen kann. Ich glaube, es ist keine billige Ausflucht, zu sagen, dass das eine komplexe Angelegenheit ist und dass da mit schlechten und schnellen Lösungen gar nichts geht. Daran muss man hart arbeiten.
Am Ende liegt es auch daran, ob wir Menschen davon überzeugen können, diese Berufe auszuüben. Wir können niemanden mit vorgehaltener Pistole dazu bringen, eine Lehrstelle als Erzieherin oder in der Altenpflege übernehmen. Die Anreize und die Arbeitsbedingungen müssen stimmen. In diesem Gesamtkontext haben wir ein Problem.
In der Tat, mit dem demografischen Wandel haben wir immer weniger junge Menschen und zugleich immer mehr ältere Menschen. Was entsprechende Fachkräfte betrifft, haben wir ein Problem. Böse Zungen könnten sagen: Wir hätten längst schon über ein Einwanderungsgesetz nachdenken müssen, das genau diese Frage regelt, wie man benötigte Fachkräfte tatsächlich zuwandern lässt. Aber vielleicht gelingt es ja einer zukünftigen Bundesregierung, diese Frage endlich befriedigend zu regeln.
Wenn wir uns fragen, was das Land tun kann, ist es sehr wichtig, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen: Aus der Antwort auf Ihre Kleine Anfrage, Frau Abg. Schott, wird klar, dass wir im Jahr 2017 einen historischen Höchststand bei der Zahl der Auszubildenden in den Altenpflegeberufen haben. Über 5.300 Ausbildungsstellen in der Altenpflege fördert das Land. Im Jahr 2015 waren es noch 4.052, wie in Drucks. 19/5075 auf Seite 3 nachzulesen ist. Das bedeutet einen deutlichen Anstieg.
Aber auch hier gilt, dass das Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht. Man kann diese Angebote zwar schaffen und kann auch dafür Sorge tragen, dass die Obergrenze an Schulplätzen aufgehoben wird – das hat die Landesregierung 2012 auch schon getan. Schließlich hat sie die Schulgeldpauschalen zum 1. Januar 2016 noch einmal deutlich erhöht. Die Frage, ob das Land besser und schneller dabei helfen kann, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, ist also befriedigend beantwortet. Wir könnten auch 10.000 Schulplätze finanzieren – nur müssen sie auch besetzt werden. Wenn Schulplätze leer bleiben, nutzt uns das auch nichts.
Es gibt einen historischen Höchststand an Ausbildungsstellen, und das ist ein gutes Signal. Die Landesregierung unterstützt, dass mehr ausgebildet wird.
Die zweite Frage lautet, ob die Ausbildung attraktiv ist. Ich finde die Beschlüsse auf Bundesebene wegweisend und richtig. Die Pflegeausbildung wurde reformiert. Ich glaube, das macht den Pflegeberuf später attraktiver. Auch diese Aufgabe ist erfüllt.
Zu Ihrer Frage nach Mindeststandards für das Personal: Ja, ich bin dazu bereit, darüber zumindest nachzudenken – im Gegensatz zu Herrn Kollegen Rock. Ja, es ist immer eine Abwägungsfrage, wie stark man sich an bestimmte Standards kettet, die man später unter Umständen nicht erfüllen kann. Ich erinnere mich noch gut an Diskussionen über die Jugendhilfe, als Sie forderten, man brauche Mindeststandards in der Jugendhilfe, um dann eine halbe Stunde später zu sagen: Die Standards erdrücken uns in unserer Arbeit.
Dieser Ambivalenz unterliegen selbst die Träger. Das wird auch hier so sein. Dennoch muss es eine Abwägungsfrage sein. Ich weiß, dass die noch geschäftsführende Bundesregierung lange mit den Akteuren in der Altenpflege diskutiert hat, damit es tatsächlich eine Bundesverordnung gibt. Wir haben darauf gewartet und warten noch immer. Vielleicht gelingt es der neuen Bundesregierung, eine Bundesverordnung zu schaffen.
Auch in Hessen läuft die Diskussion darüber, ob solche Personalmindeststandards sinnvoll sind und in welcher Form. Da kommt es auf das Kleingedruckte an. Man darf nicht – was Herr Kollege Rock wiederum zu Recht anspricht – die Flexibilität zerstören, die man braucht, um die Probleme in den Altenpflegeheimen zu lösen. – All das zu Punkt 2.
Sie sprechen zwei weitere Aspekte an. Bei der Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 14 € pro Stunde weiß ich nicht, warum man sich gerade diesen Beruf herauspickt und nicht andere nimmt. Das war der zweite Vorschlag der LINKEN.
Der dritte Vorschlag bezog sich auf eine Bürgerversicherung. Auch dieser Diskussion stehe ich sehr aufgeschlossen gegenüber, aber sie hat natürlich nur äußerst indirekt mit der Frage zu tun, was sich in hessischen Altenpflegeheimen oder in der Pflege in Hessen verbessern kann.
Frau Klaff-Isselmann hat das sehr schön ausgeführt, wie ich finde. Wir haben in Hessen eine Fülle von Maßnahmen eingeleitet. Hier sei noch einmal der Pflegemonitor erwähnt. Ich finde es wichtig, dass die professionelle Pflege dadurch engmaschig begleitet wird. Der wachsende Bedarf an Pflegekräften in allen Versorgungssektoren, insbesondere in der Altenpflege, wird damit ganz schnell erfasst. Man kann den Regionaldossiers tatsächlich noch einmal nachgehen und sehen, was man nachsteuern kann. Das finde ich richtig.
Sie haben es angesprochen: Gemeinsam mit dem Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft, der AOK und anderen sind unterschiedlichste Initiativen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie ergriffen worden. Die Fachstelle für Wohnberatung bei der Arbeiterwohlfahrt, die Pflegemedaille, eine Broschüre: Auf vielfältigste Art und Weise werden Maßnahmen eingeleitet, um das Thema Pflege bekannter zu machen, um Pflegeberufe attraktiver zu machen und um die Pflege tatsächlich zu verbessern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich selbst war im Vorstand des Frankfurter Vereins für Altenpflege. Wir hatten schon damals große Probleme, Fachkräfte zu finden, und hatten schon damals Probleme mit der Qualität. Man muss aber auch klipp und klar sagen, dass das ein Prozess ist. Wenn dort Menschen arbeiten, werden auch Fehler gemacht.
Wenn wir über den Fall Mühlheim sprechen und wenn ich an dieser Stelle die Missstände in diesem Pflegeheim einmal ansprechen darf: Wir haben es hier nicht mit einem x-beliebigen Träger zu tun. Das war das Deutsche Rote Kreuz, an sich ein durch und durch guter Träger. Trotzdem sind diese Missstände aufgetreten, trotzdem haben die Menschen dort unverantwortlich gearbeitet. Das wird allerdings richtig sanktioniert, und dem wurde, wie ich finde, auch korrekt nachgegangen.
Ich dachte, dass es in den Heimen viel weniger unangemeldete Besuche gibt. Damit wurde jedoch noch einmal klar, dass zur Kontrolle der Qualität dauernd unangemeldete Besuche stattfinden. Niemand von uns will dem Risiko ausgesetzt sein, von bösartigem Personal betreut zu werden, weder zu Hause noch im Heim. Ich glaube, in diesem Punkt kann man den Aufsichtsbehörden kaum Vorwürfe machen.
Man muss sich aber auch klarmachen, dass die Menschen, die dort arbeiten, eine unglaublich hohe Verantwortung tragen. Sie dürfen die Situation nicht ausnutzen. Diese Gefahr besteht, wenn Menschen ihren Helferinnen und Helfern ausgeliefert sind.
Wir müssen Kontrolle stärker ausüben. Ich glaube aber, dass die Instrumente, die wir dazu haben, tatsächlich nicht so schlecht sind. Man muss darüber nachdenken, ob man in solche Heime noch häufiger und mehr Kontrollpersonal bringt. Dieser Idee stehe ich sehr aufgeschlossen gegenüber, dem muss man nachgehen.
Doch wenn man sieht, wie viele Tausende von Menschen gepflegt werden und in welchem Umfang wir Pflegepersonal einsetzen, kann man insgesamt feststellen, dass dort hervorragende Arbeit geleistet wird. Die Pflegekräfte unterstützen Menschen, die Hilfe brauchen. Ich glaube, alles in allem sind wir in Hessen sehr gut aufgestellt.
Ich glaube aber auch, dass es unser aller fünf Parteien hier benötigt, um diesen Beruf nicht schlechtzureden und die Situation nicht zu dramatisieren, sondern nüchtern und sachlich heranzugehen und zu sagen: Ja, wir wollen die Ausbildung Schritt für Schritt attraktiver machen, den Beruf attraktiver machen. Wir wollen die Qualität in den Heimen verbessern. Am Ende des Tages – vielleicht trifft es uns irgendwann alle selbst – wollen wir eine wirklich gute Pflege. – Ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Überhaupt keine Frage, wir haben eine schwierige Fachkräftesituation in der Altenpflege. Dieser Befund ist eindeutig und braucht nicht wegdiskutiert zu werden.
Wenn Frau Dr. Sommer hier Zahlen zum Bedarf genannt hat, bezieht sie sich auf den Hessischen Pflegemonitor. Dies ist ein Instrument, das es nur in Hessen gibt. Ohne dieses Instrument wären die Zahlen überhaupt nicht präsent. Sie liegen auch für die einzelnen Landkreise und
Städte vor, weil sich die Lage in den Regionen sehr unterschiedlich darstellt. Es gibt jetzt die Ergebnisse der fünften Befragung des Pflegemonitors, womit wir über die Daten von zehn Jahren verfügen. Damit sind diese Daten ausgesprochen aussagekräftig.
Das zeugt auch davon, dass wir als Hessische Landesregierung dieses Thema – ich sage das in Anführungszeichen – nicht wegnuscheln, sondern offensiv angehen. Wir schaffen Transparenz über eine Situation, die uns alle beschäftigen muss. Im zweiten Schritt muss die Frage gestellt werden, welche Befugnisse und welche Einflussmöglichkeiten letzten Endes die Landesregierung hat, um an dieser Stelle tätig zu werden, um Abhilfe in den verschiedensten Bereichen zu schaffen.
Das Erste, was ich von vornherein dazu sage, ist, dass es da zwei Themen gibt, die für mich unverrückbar sind. Das eine Thema ist: Ich mische mich als Landesregierung nicht in die Tarifverhandlungen ein. Denn für mich ist die Tarifautonomie ein hohes Gut.