Protocol of the Session on September 27, 2017

Die Errungenschaften der Reformation haben die abendländische Kultur geprägt und wirken auch heute, in einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft, fort. Nach vielen schmerzhaften Auseinandersetzungen hat das Reformationsgeschehen mit dazu beigetragen, Regelungen zu schaffen, die ein friedliches Nebeneinander und inzwischen sogar ein ökumenisches Miteinander getrennter und einst verfeindeter Konfessionen ermöglichen. Für die Verständigung der Religionen sind diese Errungenschaften auch heute noch wichtig, und für unsere Rechtsordnung sind sie prägend.

Hessen hat heute eine multikonfessionelle Bevölkerung mit unterschiedlichen religiösen und spirituellen Traditionen. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung für unser Land. Das friedliche Miteinander der Religionen ist eine Errungenschaft unserer Zeit, die wir nicht durch Fanatiker, skrupellose Machtmenschen, Kriminelle, die ihre menschenverachtenden Verbrechen religiös bemänteln, oder ausländerfeindliche Populisten zerstören lassen dürfen.

(Allgemeiner Beifall)

In Hessen hat nach dem Zweiten Weltkrieg die keineswegs immer leichte Integration der Vertriebenen das ökumenische Miteinander vorangebracht. Die praktischen Herausforderungen des Alltags machten die Überwindung konfessioneller Differenzen notwendig. Für die CDU darf ich auch erwähnen: Damals vereinigten sich ganz bewusst Politikerinnen und Politiker beider Konfessionen zu einer Partei und gründeten somit die Christlich Demokratische Union Deutschlands.

Heute stehen wir erneut vor einer Herausforderung. Es geht um die Integration des Islams und um seine Rolle in unserer Gesellschaft, die aus evangelischen, katholischen, orthodoxen und jüdischen Gläubigen, aber auch aus Menschen ohne religiöse Bindung besteht. Die Erfahrungen der Reformation und der daraus mühsam erlernte Umgang mit religiösen Konflikten können uns dabei helfen. Der durch Reformation und Aufklärung verstärkte Prozess der institutionellen und theologischen Modernisierung und der rationalen Debatte über Glaubensfragen, den beide christlichen Konfessionen durchlaufen mussten, könnte auch für die Repräsentanten muslimischen Glaubens beispielgebend sein. Der Friede unter den Konfessionen und Religionen ist und bleibt eine entscheidende Voraussetzung für ein Gelingen des Zusammenlebens.

Zum Schluss und aus aktuellem Anlass möchte ich sagen: Während des Bundestagswahlkampfs warb die NPD mit einem Porträt von Martin Luther. Diesen fremdenfeindlichen Herren möchte ich abschließend folgendes Zitat von Martin Luther auf den Weg geben:

Unser Nächster ist jeder Mensch, besonders der, der unsere Hilfe braucht.

(Anhaltender allgemeiner Beifall)

Vielen Dank, lieber Kollege Tobias Utter. – Das Wort hat Herr Kollege Ernst-Ewald Roth, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Tritt frisch auf! Tu’s Maul auf! Hör bald auf!“ – das ist die kürzeste Rednerschulung, die ich kenne: die Predigtlehre Martin Luthers. Ob das, insbesondere an diesem Ort, immer gelingt – gerade das baldige Aufhören –, sei dahingestellt.

Ich will mit dem Bild anfangen, das Tobias Utter an den Schluss seiner Rede gestellt hat. Wann immer ich in den letzten Wochen durch die Stadt ging, leuchtete mir – zum Glück hoch aufgehängt – ein Plakat entgegen, auf dem Martin Luther zu sehen war. Darunter stand der Satz: „Ich würde NPD wählen – Ich könnte nicht anders.“

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bäh!)

Ja, das ist widerlich.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist wirklich widerlich!)

Aber wer das nicht will, muss anderen Dingen Vorschub leisten. Es geht nicht, dass jemand Martin Luther für sich vereinnahmt, glaubt, damit auf Stimmenfang gehen zu können, und ihn dann auch noch völlig falsch zitiert. Der Satz von Martin Luther „Ich stehe hier und kann nicht an

ders“ macht deutlich, dass er zu den zentralen Fragen der damaligen Gesellschaft einen Standpunkt hatte, und auf diesen kommt es an, auch in der heutigen Debatte über diesen Punkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, lassen Sie mich das humorvoll und heiter sagen: Nachdem es der ehemalige Nachbarbischof, Kardinal Lehmann, im Landtag nur zu einer Aktuellen Stunde mit einer Redezeit von fünf Minuten gebracht hat, haben es die Reformatoren, Martin Luther und all die anderen, jetzt immerhin zum Setzpunkt gebracht, und wir haben die Gelegenheit, darüber zehn Minuten lang zu sprechen.

(Holger Bellino (CDU): Das nächste Mal machen wir eine Regierungserklärung!)

Aber, ich glaube, es ist nicht angemessen, den Menschen, um die es in der Reformation geht, nur einen Setzpunkt einzuräumen, wo es doch eigentlich – das habe ich eben versucht mit dem Satz deutlich zu machen, ich habe das Anliegen verstanden – auf den Standpunkt ankommt. Wenn Luther und all die anderen nicht widerstanden hätten, wären die Geschichte unseres Landes und die Geschichte Europas und darüber hinaus an vielen Stellen anders gelaufen. Das ist unbestritten. Dennoch ist die Frage gestattet, und ich frage das bewusst als Theologe: Darf man theologische und politische Aussagen so einfach in einen Zusammenhang bringen, wie es unter anderem in dem Entschließungsantrag an der einen oder anderen Stelle passiert ist?

Das schmälert aber das Verdienst der Reformation nicht, ganz im Gegenteil. Ich will auf einen Punkt konkret eingehen: Am Ende wird das Gemeinsame betont, das durch die Reformation gekommen sei. Stellen wir miteinander aber doch fest: Zunächst ist die Reformation Trennung, Spaltung und Schisma, wie manche sagen. Das ist so; und beide Kirchen leiden darunter bis heute, dass das so ist. Dass im letzten Jahrhundert ökumenische Bewegungen wirklich in Gang gekommen sind, darüber kann sich doch jeder nur freuen, der am gesellschaftlichen Zusammenleben in unserem Land Interesse hat. Natürlich ist das so.

Aber erinnern wir uns an den Anfang. Als Jesuitenschüler bin ich mit Ignatius von Loyola und seinen Schriften sehr vertraut. Dieser sprach vom Protestantismus immer wieder als „Gift“ und als „Krebsgeschwür“. Im Gegenzug sprach Martin Luther, wenn er vom Papst sprach, von dem „Dreck, den der Teufel in die Kirche geschissen hat“. Das ist die Realität, von der die Reformation ihren Ausgang genommen hat.

Damit habe ich noch nicht die gesellschaftlichen Situationen beschrieben, die damals galten und die mit dazu geführt haben. Das Reformationsjubiläum heute, 500 Jahre später, hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass wir versöhnter und versöhnlicher mit dieser Geschichte umgehen können. Die evangelische Kirche war vom Anfang der Vorbereitungen dieses Jubiläums an darum bemüht, diese 500 Jahre nicht triumphalistisch zu feiern. Ich finde, das ist ihr gelungen. Eher nachdenklich – Tobias Utter hat es angesprochen – ist der Umgang mit der Judenfrage. Das Jubiläum begann mit einem Schuldbekenntnis, also alles andere als triumphalistisch; und sie hat es ökumenisch angelegt, um gerade nicht die 500 Jahre Trennung zu feiern, sondern das Gemeinsame in dieser Zeit in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist bewundernswert.

Dass das Land Hessen – das will niemand leugnen, und das verschweigt auch niemand – einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, dass wir solch ein kulturelles Erbe in unserem Land pflegen und weitertragen, das mit so einer Einrichtung wie dem Lutherweg unterstützt wurde, erkennen und anerkennen wir. Das ist überhaupt keine Frage. Wenn gestern Kardinal Marx bei der Bischofskonferenz festgestellt hat, dass es eigentlich nichts Kirchentrennendes mehr gibt, ist das ein weiterer Beleg dafür, wie eng diese Gruppierungen in dieser Gesellschaft zusammengekommen sind – wohl wissend, dass es dennoch zwei getrennte Konfessionen sind.

In dem Entschließungsantrag der Koalition – das soll mein letzter Punkt sein – steht etwas von Vielfalt, Pluralität und Toleranz. – Ja, da sind wir heute angekommen; dies aber der Reformation selbst zuzuschreiben, ist, bei allem positiven Blick darauf, falsch.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Pluralität und Toleranz sind keine Kinder der Reformation, allenfalls deren Urenkel. Das hat sich im Laufe der Zeit entwickelt, und wir sind Gott sei Dank dorthin gekommen. Aber die Reformation selbst war davon weit entfernt. Das sagt nichts gegen irgendeine Kirche oder für eine – ganz im Gegenteil –, man muss nur die geschichtliche Wirklichkeit im Blick behalten.

Ich darf abschließend sagen: Kein anderer Deutscher hat die Geschichte Europas zwischen Mittelalter und Moderne stärker geprägt als Martin Luther. Der Mönch von Wittenberg hat dem Kaiser, dem Papst und der Kirche die Stirn geboten. Er hat die universale Reform der Christenheit gewollt, aber – das sage nicht ich; das sagt einer der europäischen Historiker – den Protestantismus begründet.

Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere mich gut an die drei Vorträge, die wir auf Einladung des Landtagspräsidenten im Zusammenhang mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie der Wiedervereinigung hatten, die in den Mittagspausen der Landtagsdebatten stattgefunden haben. Das war großartig. Ich selbst bin nicht auf die Idee gekommen, aber es wäre ein angemessenes Zeichen gewesen, einen solchen Vortrag in der Mittagsstunde zu halten, um sich mit Reformation und Reformationsgeschichte auseinanderzusetzen.

Bei aller Zustimmung zu dem einen oder anderen Inhalt halten meine Fraktion und ich es nach wie vor für falsch, dass wir dies im normalen parlamentarischen Alltag diskutieren. Denn wie sollen wir am Ende in einem Entschließungsantrag gegen oder für Reformation, gegen oder für Reformationsgeschichte abstimmen? Deshalb werden wir uns an der Abstimmung über die Anträge nicht beteiligen.

Von den vielen Büchern zur Reformation und Reformationsgeschichte, die ich kenne, möchte ich noch auf das Buch von Heinz Schilling mit dem Titel „Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ hinweisen. Wer das von vorne bis hinten gelesen hat, kann nur zu dem Ergebnis kommen, dass wir gut beraten sind, auf die Trennung von Kirche und Staat größten Wert zu legen, damit sich die Dinge in unserem Land nicht vermischen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Kollege Ernst-Ewald Roth. – Nächster Redner, Kollege Wolfgang Greilich, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Unwidersprochen ist die Reformation ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung, welches weitreichende Veränderungen bewirkte. Genau so steht es in Ihrem Antrag zum Reformationsjahr 2017. Das Reformationsjubiläum wird untermalt von zahlreichen eindrucksvollen Veranstaltungen, Fachtagungen, Diskussionsforen, Gottesdiensten, Vorträgen, Ausstellungen und künstlerischen Auseinandersetzungen. All dies ist uneingeschränkt zu begrüßen.

Viele Akteure beteiligen sich in Hessen in ganz unterschiedlicher Weise. Das ist richtig, und es ist richtig, sie in ihrem Engagement zu unterstützen. Dabei steht es jedem von uns frei, sich diesbezüglich zu engagieren und daran teilzunehmen. Aber, das darf ich dazusagen, das hat auch etwas mit dem persönlichen Glauben und der persönlichen Einstellung zu tun. Dazu bedarf es keiner besonderen Aufforderung, insbesondere nicht durch den Hessischen Landtag.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Viele engagierte Menschen beschäftigten sich bereits seit Jahren mit der Reformation und mit der Persönlichkeit Martin Luther, und das schon seit Beginn der Luther-Dekade, die schon seit 2008 diesem Jubiläum den Weg bereitete.

Das weite Spektrum der Reformation und ihrer Impulse, die bis in unsere heutige Zeit reichen, wurde in den vergangenen Jahren aufgenommen. Im Zuge dessen wurde der Einfluss der Reformation auf Bildung, auf Musik, auf Kunst und Sprache ebenso aufgegriffen und behandelt wie der Einfluss und die Einordnung in den Bereichen Politik, Toleranz und Freiheitsverständnis. Herr Kollege Roth, ich bin dankbar für Ihre Hinweise.

Diese letztgenannten Punkte sind aus unserer Sicht für die heutige Debatte zentral. Denn, wie Sie auch in Ihrem Antrag festgestellt haben, sind die Auswirkungen der Reformation auf unser Verständnis der Trennung von Staat und Kirche bis heute spürbar. Das ist eine Errungenschaft, die wir ebenso verteidigen werden wie die untrennbar damit verbundenen Freiheitsrechte, wie beispielsweise Glaubensfreiheit und Meinungsfreiheit.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die historische Einordnung und Analyse der Auswirkungen auf den christlichen Glauben, die Kirche und die Gesamtgesellschaft in Europa und der gesamten Welt sollten wir außerhalb dieser Debatte mit den Experten, den Kirchen im Rahmen der historisch-politischen Bildung und Begegnung usw. vornehmen, vielleicht auch im Rahmen einer Festveranstaltung oder eines Symposiums im Hessischen Landtag. Herr Kollege Roth hat das Thema ebenfalls angesprochen.

In den letzten Jahren haben wir immer wieder Debatten zu historischen Ereignissen in das Plenum getragen – ich will einmal sagen, Sie haben immer wieder Debatten zu historischen Ereignissen in das Plenum getragen. Dabei haben wir gemeinsam darüber debattiert, ob dieser Plenarsaal

wirklich der richtige Ort ist, solche historischen Ereignisse angemessen zu würdigen.

Diese Ereignisse und die damit verbundenen Themen sind von zentraler Bedeutung für unser Land. Sie sind für unser kulturelles Gedächtnis unverzichtbar. Wir werden auch in Zukunft eine entsprechende Erinnerungsarbeit benötigen. Aber auch hier wäre es einmal mehr wünschenswert, wenn Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der derzeit regierenden Koalition, es geschafft hätten, dem Versuch zu widerstehen, diese Erinnerungstage zu politisieren.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn ich es richtig gesehen habe, spricht nach mir Herr Kollege Schaus. Der vorliegende Änderungsantrag der LINKEN zeigt, wohin dies führt.

(Zuruf des Abg. Jan Schalauske (DIE LINKE))

Richtig wäre es hingegen, solche Gedenk- und Erinnerungstage mit anspruchsvollen Veranstaltungen zu würdigen und den Themen den Raum und den Rahmen zu geben, den sie verdienen. Da bin ich mit dem Kollegen Roth vollständig einig.

Die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland haben sich darauf verständigt, gemeinsam an das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017 zu erinnern und durch das Reformationsgedenken die Einheit im Glauben sichtbar zu machen.

(Zuruf des Abg. Jan Schalauske (DIE LINKE) – Gegenrufe der Abg. Gerhard Merz und Stephan Grüger (SPD))

Damit wird insbesondere, auch das hat Kollege Roth dargelegt, die katholische Kirche der Tatsache gerecht, welch immense Bedeutung die Reformation für den Katholizismus hatte und hat.

Deswegen stelle ich fest, dass es keiner Anträge wie des vorliegenden bedarf, die als Setzpunkte die Plenarsitzung füllen. Die Debatte in diesem Landtag ist der falsche Platz und die falsche Form.