Protocol of the Session on August 31, 2017

(Beifall bei der SPD)

Zur Erwiderung, Herr Kollege Bocklet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz, zu der Frage, wer hier was wozu kommentieren darf: Wir sind alle frei gewählte Abgeordnete. Offensichtlich tun Ihnen meine Entgegnungen weh. Ich will Ihnen in zwei Bemerkungen sagen, was ich meine.

Erstens. Sie behaupten, Sie hätten hier nur Fragen gestellt, Fragen um der Fragen willen. Keiner im Saal, außer Ihnen, ist von solcher Naivität geprägt, das zu glauben.

(Gerhard Merz (SPD): Eine Große Anfrage ist eine Große Anfrage!)

Sie haben von Anfang an, auch gestern, der Landesregierung vorgeworfen, sie hätte keine Ahnung davon, wie die Situation der Platzbetreuung in Hessen ist. Die Landesregierung wisse nicht, worum es gehe und wie die Situation draußen sei. Das wiederholen Sie mantraartig auf jeder Podiumsdiskussion. Mit dieser Großen Anfrage wollten Sie dokumentieren, dass die Landesregierung keine Ahnung hat. Das Problem ist, dass es denjenigen auf die Füße fällt, die dafür zuständig sind.

Wenn Sie jetzt von den Landkreisen sprechen, dann erwidere ich, dass ich in der Kürze der Zeit nicht die Gelegenheit hatte, alle Städte und Gemeinden aufzuzählen, in denen auch die Sozialdemokraten zuständig sind. Den Spaß können wir uns machen. Wir haben in Hessen 426 Gemeinden. Darunter wird es auch eine große Anzahl von sozialdemokratisch geführten Städten und Gemeinden geben. Sie gewinnen ja auch oft Bürgermeisterwahlen. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen einmal so eine Liste mit einem Überblick, wo Sie regieren und wo es offensichtlich mit der Bedarfsplanung auch nicht klappt.

Wenn Sie nur Fragen über Fragen stellen, wollen Sie den Eindruck erwecken, die Landesregierung habe keine Ahnung. Dann gilt gleiches Recht für alle. Wenn dem so wäre, dann wäre es zutreffender, die Menschen zu fragen, die

zuständig sind. Machen Sie doch diesen Druck bei Ihren sozialdemokratischen Kollegen, damit sie endlich die Zahlen liefern. Dann wüssten wir tatsächlich auch noch mehr.

Sie wollten zwar den Eindruck erwecken, die Landesregierung habe keine Ahnung. Es ist doch austauschbar, in welchem Bereich CDU, SPD oder GRÜNE regieren. Vor Ort sind andere zuständig. Ihre Große Anfrage ist schlicht und ergreifend in sich zusammengefallen, weil benannt worden ist, was zu benennen ist. Sonst hätten Sie doch jede einzelne Zeile zitiert, was skandalös ist. Skandalöses ist aber darin nicht zu finden.

Was als Botschaft übrig bleibt, ist: Erstens macht die Landesregierung eine ganze Menge. Das stinkt Ihnen. Zweitens. Die Landesregierung sieht noch weitere Handlungsfelder und wird sie angehen. Das stinkt Ihnen auch. Und Sie sagen, Opposition sei auch nicht immer Mist. – Wie Kollege Boddenberg es gesagt hat, sage ich es auch: Bleiben Sie in der Opposition, wir machen weiter so, solides Regieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sa- bine Waschke (SPD): Hochmut kommt vor dem Fall!)

Das Wort in der Debatte hat Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Bocklet, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema dieses Tagesordnungspunkts wäre durchaus angemessener. Zu diesem Thema gibt es eine Menge zu sagen, statt sich hier merkwürdige Wortschlachten mit dem Kollegen Merz zu liefern, nur um zu sehen, wer der bessere und schnellere Rhetoriker ist. Inhaltlich gibt es hier wirklich eine Menge Beratungsbedarf. Den kann man vonseiten der Regierungsfraktionen durchaus so gestalten, dass man die Stellen, an denen die Regierung glaubt, sie habe ihr Soll erfüllt, gut hervorhebt. Dem spricht nichts entgegen. Es bleibt für uns noch genug Raum für Kritik übrig; denn es gibt noch genügend Kritik. Mit der sollte man auch souverän umgehen können.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Es würde einer Regierung und den sie tragenden Fraktionen auch gut anstehen, dass sie Kritik ertragen können, dass sie damit umgehen, darauf reagieren und Abhilfe schaffen. Da gibt es immer noch ganz schön viel Luft nach oben; denn nur Arroganz allein hilft nicht.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Frau Wiesmann, ich würde gerne an das Ende Ihrer Rede anknüpfen. Sie haben gesagt, dass Sie es höchst bedenklich finden, wenn Kinder unter einem Jahr 45 Stunden und mehr betreut werden. Ich bin da ganz an Ihrer Seite. Ich finde es auch nicht erstrebenswert. Ich finde es auch nicht erstrebenswert bei Kindern über einem Jahr. Ich weiß auch nicht, ob ich es bei Zweijährigen oder bei Dreijährigen erstrebenswert finde.

Ich glaube, dass Kinderbetreuung eine wichtige Einrichtung, auch eine Bildungseinrichtung ist. Ich bin überzeugt davon, dass die Kinderbetreuung Kindern viel mit auf den Weg gibt.

Ich bin auch der Meinung, wie Sie gesagt haben, dass Eltern und Kinder gern mehr Zeit miteinander verbringen wollen. Aber dann nehmen Sie doch auf die mögliche Reise mit, dass es in der Regel zwei Gründe dafür gibt, warum Kinder so lange betreut werden.

Das eine ist schlicht und ergreifend die Arbeitsplatzsituation der Menschen einschließlich der Wegesituation und der inzwischen vielfach gleichwertigen Karriereplanung von Männern und Frauen. Wenn Frauen es sich nicht leisten können, länger als ein halbes Jahr auszusteigen, ohne einen solchen Karriereknick hinnehmen zu müssen, dass sie ihn nie wieder aufholen können, dann gibt es in dieser Gesellschaft noch viel Aufholarbeit für Frauen am Arbeitsmarkt.

Das zweite Thema ist schlicht und ergreifend die Einkommenssituation der Familien, die es sich nicht leisten können, weniger Einkommen zu haben. Wir haben diese Woche an einem parlamentarischen Abend ganz viel über Entwicklung der Arbeit und Arbeit für null gehört. Ich glaube, wir können ernsthaft wieder über Arbeitszeitverkürzungen nachdenken. Das sollten wir auch tun. Denn dann haben die Familien eine Chance, ihre Kinder betreuen zu lassen und sie trotzdem noch selbst zu erziehen. Das ist nämlich kein Widerspruch. Denn wenn man nicht den ganzen Tag damit verbringen muss, zur Arbeit zu hechten, zu arbeiten, zur Kita zu hechten, zum Einkaufen zu hechten, dann schafft man es auch noch, das zusammen zu packen.

Wenn Sie das mit auf den Weg nehmen, dann wäre das eine gute Situation. Wenn wir das gemeinsam erreichen können, dann ist es großartig für die Familien, für die Eltern und insbesondere für die Kinder. Das sollte das Ziel sein. Denn dann muss kein Kind mehr über 40 Stunden betreut werden. Das kann in Wirklichkeit niemand wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will jetzt nicht noch einmal die Debatte über beantwortete oder nicht beantwortete Fragen aufmachen. Wir haben einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, mindestens bis zum Beginn der Schulpflicht. Immerhin ist bekannt, dass ein Viertel der unter Dreijährigen und 83 % der über Dreijährigen in einer Kindertageseinrichtung betreut werden.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Landkreis Kassel – das möchte ich einmal sagen, denn ich komme da her – demnächst fast 100 % der zweijährigen Kinder in einer frühkindlichen Bildung haben will. Diese Anstrengung verdient aus unserer Sicht Hochachtung, wenn man das damit vergleicht, dass es ansonsten nur 54 % sind.

Die Bemühungen der Träger und Kommunen, mehr Kinder ab dem ersten Lebensjahr in den Einrichtungen zu betreuen, verdient Unterstützung durch das Land. Alle Kreise haben hier Bedarf angemeldet. Kinder können so frühzeitig die Erfahrung einer größeren Gemeinschaft machen, und sie werden von gut ausgebildeten Fachkräften gefördert. Wir brauchen also mehr Plätze für die Kinder und für die Eltern.

Ein weiteres zentrales Thema liegt bei der Qualität der frühkindlichen Bildung, und das ist der Einsatz von genügend gut qualifiziertem Personal. Es ist durchaus positiv, dass das pädagogische Personal innerhalb von acht Jahren

um ein Viertel mehr geworden ist. Allerdings sind die Herausforderungen auch viel größer geworden. Es gibt mehr Kinder unter drei Jahren, eine höhere Betreuungsquote, und die Kinder sind mehr Stunden in der Kita. Auch das braucht mehr Personal. Inklusion braucht mehr Personal, Sprachförderung braucht mehr Personal. Da bleibt nicht mehr viel für die Qualitätsverbesserung übrig.

Es ist ja eher so, dass in den Kommunen, die Schwierigkeiten mit ihrem Haushaltsausgleich oder den Schulden haben, seit der Einführung des Hessischen KiföG der Personalschlüssel reduziert wird. Dies führt aber zu einer hohen Belastung des Personals, das sich dann entweder eine andere Arbeitsstelle sucht oder die Arbeitszeit reduziert. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Ein Siebtel der Fachkräfte ist auch noch befristet angestellt, was nicht zur Arbeitszufriedenheit und Kontinuität beiträgt. Besonders peinlich ist die Antwort auf die Frage nach dem Fachkräftebedarf und danach, wie ihn die Landesregierung decken will. Erst einmal weiß sie nicht, wie viele gebraucht werden. Ich werde Ihnen diese Arbeit nicht abnehmen.

(Minister Stefan Grüttner: Brauchen Sie auch nicht!)

Dass Sie das aber in Ihrem Ministerium nicht leisten können, kann ich nicht glauben. Dabei hat sich die Landesregierung bereits bei der demografischen Rendite der Schulen verrechnet. Ich habe es bereits gestern und auch in der Vergangenheit gesagt: Wir werden den Fachkräftemangel nicht beheben, wenn wir nicht die Bedingungen in der frühkindlichen Bildung verbessern.

Dazu gehört die Bezahlung, auch die Möglichkeit, die Ausbildung zu durchlaufen, ohne dass die Familien dadurch finanziell zu stark belastet werden. Dazu gehört aber in erster Linie ein gutes Arbeitsklima mit einer hohen Personalkontinuität und einer guten Personalausstattung.

Wenn man bei der Arbeit immer auf dem Zahnfleisch läuft, kommt es schneller zu Erkrankungen, damit zu Mehrbelastungen der Kolleginnen und in der Folge zu chronischen Erkrankungen und Kündigungen oder zu Berufswechseln. Damit tun wir uns einen Bärendienst.

Somit kommen wir zu einem zweiten Ziel. Die Kitas brauchen eine ausreichende Personalausstattung. Das KiföG muss dringend in Bezug auf die Leitungsfreistellung und die mittelbare pädagogische Arbeit nachgebessert werden. Das muss endlich passieren. Alle sind sich darin einig.

(Gerhard Merz (SPD): Ja!)

Interessant sind auch die Betreuungszeiten. Mehr als ein Drittel, genauer gesagt, 36 %, sind für mehr als 45 Stunden in der Woche angemeldet. Das wäre dann ein Ganztagsplatz, der offensichtlich auch eine Ganztagsarbeit möglich macht. Die Zahlen steigen aber auch.

Mindestens 56 % der Eltern werden auch im nächsten Kitajahr Elternbeiträge leisten müssen. Da wird es sicher auch einmal eine Gemeinde geben, die den Eltern auch die restliche Zeit beitragsfrei stellt. Aber die Mehrheit der Gemeinden wird eher die Beiträge für die restliche Zeit erhöhen. Da brauchen wir uns doch gar nichts vorzumachen. Es wird auch ein paar Kinder geben, die dann exakt auf die sechs Stunden angemeldet werden. Auch das werden wir erleben, und das hat dann sicherlich auch wieder etwas mit Geld zu tun.

Es bleiben aber immer große Unterschiede in Bezug auf die Elternbeiträge im Land. Bei den unter Dreijährigen gibt es Unterschiede zwischen 75 und 700 € im Monat. Bei den über Dreijährigen kostet der teuerste Platz ohne Verpflegungsgeld 300 €. Gleiche oder auch nur ähnliche Lebensverhältnisse stellt das Land mit dieser Politik nun einmal definitiv nicht her – auch nicht nach der Neuregelung.

Witzig finde ich auch die Bemerkung, dass über die Ausweitung der Beitragsfreistellung „im Gesamtkontext der Entwicklungen und Anforderungen in der frühkindlichen Bildung und Erziehung entschieden werden“ müsse.

(Gerhard Merz (SPD): Ja!)

Da war nicht die frühkindliche Entwicklung der Maßstab, sondern der Bundestagswahlkampf und die Landtagswahl im nächsten Jahr. Das ist so eindeutig wie das Amen in der Kirche. Das kann man aus den Zeitabläufen sehr genau herauslesen.

Deshalb ist das dritte Ziel, Kitas kostenfrei zu machen, damit es für Eltern keine finanzielle Frage mehr ist, ob ihr Kind die Vorteile der vorschulischen Bildung nutzen kann oder nicht. „Kostenfrei“ bedeutet dann ernsthaft kostenfrei und nicht nur ein Teil, ein bisschen und nur für bestimmte Bereiche.

Wer trägt denn die Kosten? – Ich hoffe, wir sind uns einig, dass überwiegend die Kommunen die Kosten tragen. Aus dem Evaluationsbericht wissen wir, dass es durchschnittlich 59 % bei den kommunalen Einrichtungen sind. Bei den freien Trägern sind es knapp 50 %. An manchen Orten sind es aber bis zu 75 % der Kosten. Auch wenn das KiföG die Kommunen prozentual leicht entlastet, steigen die Aufwendungen in den Kommunen durch die Bereitstellung von mehr Plätzen und Angeboten. Das ist aber ihre gesetzliche Pflicht.

Wie sieht es mit der Gegenfinanzierung dieser Verpflichtung aus? – Die Regierungsfraktionen und die Landesregierung werden jetzt wieder mit nichtssagenden Summen um sich werfen – nur verbal selbstverständlich, nicht mit Geldscheinen.

Aber es ist nicht einmal ersichtlich, welche Mittel vom Land und welche vom Bund kommen. Es ist doch keine Nettigkeit, dass das Land die Kinderbetreuung finanziell unterstützt. Schließlich hat es die Aufgabe, die kommunale Selbstverwaltung zu finanzieren und nicht vollständig auszubluten und die Kommunen zu Taschengeldempfängern zu degradieren, wie es mit Schutzschirm und Hessenkasse gemacht wird. Denn weder aus Gewerbe- noch aus Grundsteuern und auch nicht aus den Elternbeiträgen ist eine gute frühkindliche Bildung zu finanzieren.

Immerhin steht in Art. 137 Abs. 5 zum Thema kommunale Selbstverwaltung – und das muss man dann auch dazusagen, wenn Sie immer wieder sagen, die Kommunen seien verantwortlich –:

Der Staat hat den Gemeinden und Gemeindeverbänden die zur Durchführung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Geldmittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern. Er stellt ihnen für ihre freiwillige und öffentliche Tätigkeit in eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung.

Das ist der Gegenpart zu Ihrer Aussage, das sei kommunale Selbstverwaltung. Sie haben die Verpflichtung, sie finanziell auszustatten.

(Beifall bei der LINKEN)