Protocol of the Session on August 30, 2017

Das habe ich gesagt.

Bei mir laufen nur 7:30, deswegen frage ich einmal nach.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir heute zum Thema gemacht haben, ist natürlich auch das Thema einer nicht gehaltenen Regierungserklärung. Wir haben, als das in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, die spannende Erklärung des Kultusministeriums bekommen, man sei schon vor Monaten von der Staatskanzlei gebeten worden, darauf zu verzichten, jetzt diese Regierungserklärung abzugeben. Für mich ist das nur ein Zeichen, keine Begründung, aber ein Zeichen dafür, dass man in der Staatskanzlei schon vor Monaten gewusst hat, dass das vor der Bundestagswahl ein schlechtes Thema für die Koalition ist.

(Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN)

Deshalb wollten Sie sich vor der Erörterung dieses Themas drücken. Das lassen wir Ihnen natürlich nicht durchgehen.

(Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mist, jetzt haben Sie uns ertappt!)

Frau Kollegin Dorn, früher hat man von den GRÜNEN dazu auch etwas anderes gehört. – Dass in der ersten Regierungserklärung nach den Ferien ein Ausblick auf das anstehende Schuljahr gegeben und das Thema Bildung in den Mittelpunkt gestellt wird, war im Hessischen Landtag seit Jahrzehnten eine feste Tradition. Offensichtlich möchten CDU und GRÜNE rund vier Wochen vor der Bundestagswahl dieses Thema aufgrund der schwierigen Situation an Hessens Schulen am liebsten unter den Tisch fallen lassen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Ich kann das ein Stück weit verstehen, wenn man sich solche Zeitungsschlagzeilen anschaut wie: „Hilferuf aus dem Klassenzimmer“, oder: „Qualifiziertes Personal fehlt“, um eine andere Schlagzeile zu nennen. Das ging zu diesem Schuljahresbeginn in Hessen quer durch alle Medien. Das ist natürlich wenig erfreulich für eine Regierung sowie für einen Kultusminister, der das zu verantworten hat. Die inhaltlich dünne und wenig ambitionierte Regierungserklärung von Minister Al-Wazir gestern konnte sicherlich nicht rechtfertigen, dass die Zukunft der Bildung in Hessen schlicht von der Agenda verbannt werden sollte.

(Beifall bei der FDP – Holger Bellino (CDU): Nicht so arrogant, Herr Kollege!)

Wir haben deshalb – Herr Kollege Bellino – diese Debatte auf die Tagesordnung gesetzt; denn das Schuljahr 2017/ 2018, das ist deutlich geworden, wird von einem erheblichen Mangel an Lehrern geprägt, und die Belastungssituation an Hessens Schulen wird noch weiter verschärft. Nicht nur deshalb steht für uns fest, dass die schulische Zukunft unserer Kinder einen größeren politischen Stellenwert haben muss als grüne Fantastereien zur Förderung des Zufußgehens. Schade, dass der zuständige Fußgehminister nicht da ist.

(Beifall bei der FDP)

Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nach dreieinhalb Jahren schwarz-grüner Schulpolitik in Hessen Zeit für eine Bilanz. Dieser Schuljahresstart – das kann man festhalten – ist der vorläufige Höhepunkt des Versagens dieser Koalition in der Schulpolitik.

(Beifall bei der FDP – Holger Bellino (CDU): Oh Mannomann!)

Jahrelang – Herr Kollege Bellino, Sie wissen das besser, als es aus Ihren Zwischenrufen deutlich wird – wurde die Situation in Hessen immer besser. Daran haben wir gearbeitet. Daran haben sowohl die Kultusministerin Doris Henzler als auch die Kultusministerin Nicola Beer gearbeitet, und vorher haben schon andere die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Was erleben wir aber jetzt seit dreieinhalb Jahren? Seit dreieinhalb Jahren der Versprechungen gab es erst Stagnation. Es gab ein paar zusätzliche, zwingend notwendige Lehrerstellen, die man nicht einmal ordentlich besetzen konnte. Jetzt haben wir eine zunehmende Verschlechterung. Man muss wirklich sagen, die Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Sie fahren die Schulen in Hessen an die Wand.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen sage ich sehr deutlich: Machen Sie die Augen auf. 100 unbesetzte Grundschullehrerstellen sind ja nur die

Spitze des Eisbergs. Die Überlastungsanzeigen, die Hilferufe aus den Schulen dürfen Sie nicht ignorieren. Was haben Sie denn mit den etlichen zusätzlichen Millionen Euro der Steuerzahler und den zusätzlichen Stellen gemacht? Das alles ist in Ihrem untauglichen Versuch versickert, grüne Fantastereien mit unzureichenden Ressourcen umzusetzen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, das ist zum Schaden aller Lehrerinnen und Lehrer; vor allem ist es zum Schaden aller unserer Schülerinnen und Schüler. Der Anfang wurde markiert durch das grüne Wunschkind „Bildungsgipfel“, das von Unionspolitikern alsbald, schon nach dem abgepressten Start, hinter vorgehaltener Hand verflucht wurde. Die Zeit von unzähligen, im Wesentlichen ehrenamtlich tätigen, gutwilligen Vertretern, endlose Diskussionsschleifen und die Vergeudung der Ressourcen des Ministeriums sind Legende gewesen, bevor Sie dann irgendwann kleinlaut das Scheitern dieses Gipfels eingestanden haben. Was ist geblieben? – Heiße Luft und warme Worte sowie Selbstbeweihräucherung in jeder Plenarrunde, während es in den Schulen brennt.

(Holger Bellino (CDU): Wie viele Lehrer haben wir denn?)

Ich kann hierzu aus dem Brief einer Grundschullehrerin zitieren – ich habe ihn hier schon einmal in eine Debatte eingebracht –, die darauf hinweist, wie die Situation ist. Sie beschreibt, dass 13 regulär eingeschulte Schülerinnen und Schüler fünf Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf beinhalten, ohne dass dort eine Entlastung gegeben wird. Ich habe auch den Brief mitgebracht, den Sie bereits kennen; es ist exemplarisch ein Brief des Gesamtpersonalrats der Lehrerinnen und Lehrer meines heimatlichen Schulamts, in dem ganz klar festgestellt wird:

Angesichts dieser Entwicklung stellt der Gesamtpersonalrat fest, dass die ausgelobten Ziele der Landesregierung konterkariert wurden. … Zurzeit findet Inklusion unter widrigsten Bedingungen statt.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

„Unter widrigsten Bedingungen“, lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen, Herr Kollege Bellino. – Er endet mit der Feststellung:

Unter diesen Umständen wird Inklusion zur Sackgasse, und Schülerinnen und Schüler mit einem Förderbedarf werden in die allgemeinbildenden Schulen gezwungen!

Herr Minister, es ist eben nicht damit getan, ausgesuchten Schulen immer neue Gütesiegel zu verteilen. Schauen Sie sich die Probleme vor Ort an. Hören Sie auf die Praktiker, die mit den von Ihnen zu verantwortenden Rahmenbedingungen zurechtkommen müssen. Der Anfang vom Ende war, das sollte man noch einmal in Erinnerung rufen, die Verschiebung von Lehrerstellen aus Gymnasien und Grundschulen im Jahr 2015. 160 Lehrerstellen für den Oberstufenunterricht haben Sie den Gymnasien und beruflichen Gymnasien abgenommen; 147 Stellen wurden aus dem Grundschulunterricht abgezogen. Heute fehlen die Grundschullehrer, um die versprochene Unterrichtsabdeckung von 105 % zu gewährleisten.

Ich räume ein, Sie haben die Betreuungsangebote am Nachmittag ein Stück weit verbessert, aber Fortschritte im

echten Ganztagsschulbereich sind sehr überschaubar. Aber, das will ich wiederholen, weil dies der entscheidende Punkt ist: Die eigentliche Katastrophe, die Sie herbeiführen, ist Ihre Inklusionspolitik. Es bleibt dabei: Sie versuchen es mit der Brechstange; Sie versuchen, Inklusion an der Regelschule mit Gewalt und ohne Rücksicht darauf einzuführen, ob die notwendigen Voraussetzungen vorliegen. Davor können Sie doch nicht die Augen verschließen. Sie können einen schweren Inklusionsfall in einer Klasse nicht beschulen, wenn Sie für den Unterricht in dieser Klasse drei oder vier zusätzliche Stunden zur Verfügung stellen. Das reicht einfach nicht. Das reicht einfach nicht, um das zu machen.

(Beifall bei der FDP)

Damit leisten Sie sowohl den Schülerinnen und Schülern mit als auch ohne Inklusionsbedarf einen Bärendienst.

Abgesehen von dem viel zu engen Begriff der Inklusion – auf ein Wort zu Hochbegabten wartet man bei dieser Koalition vergeblich – nehmen Sie den Schülerinnen und Schülern mit besonderem Förderbedarf die Chance auf optimale Beschulung an einer geeigneten Förderschule. Darauf hat der Personalrat bereits hingewiesen.

Wir beobachten stattdessen ein landesweites Sterben der Förderschulen. Der Minister rühmt sich noch zum Schuljahresanfang des Rückgangs der Zahl von Lehrerstellen an Förderschulen. Grund sind die übersteigerten Inklusionsfantasien insbesondere des grünen Koalitionspartners, die zum Schaden aller Schülerinnen und Schüler mit unzureichenden Ressourcen vorangetrieben werden.

(Beifall bei der FDP)

Ich kann Sie nur auffordern: Korrigieren Sie endlich Ihre falsche Politik.

Ich könnte jetzt noch einiges zum Umgang mit Migranten sagen. Da hat es gute Ansätze gegeben, die von Nicola Beer zusammen mit dem damaligen Staatssekretär Lorz entwickelt und 2014/2015 erstmals umgesetzt worden sind. Jetzt sind sie stehen geblieben. Die Hinweise aus der Praxis werden von Ihren Verwaltungsmitarbeitern im Ministerium entweder nicht verstanden oder aus grundsätzlichen Erwägungen, weil das Geld fehlt, das die Landesregierung an anderen Stellen – das haben wir heute schon debattiert – in den Wahlkampf investiert und mit vollen Händen zum Fenster hinauswirft, ignoriert.

All diese Probleme nehmen Sie nicht zur Kenntnis. Sie versuchen, sie wegzudiskutieren. Das Thema Digitalisierung und die Fehlanzeige, wenn es darum geht, unsere Schulen zukunftsfähig zu machen, kann ich auch nur streifen, weil die Zeit zu kurz ist. Bei der Regierungserklärung, die nach der Bundestagswahl endlich kommen soll, können wir uns gegebenenfalls etwas ausführlicher darüber unterhalten.

(Beifall bei der FDP – Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Schauen wir mal!)

Einen Punkt möchte ich auf jeden Fall noch ansprechen, weil er von entscheidender Bedeutung ist und deutlich macht, wo diese Koalition nicht vorankommt und ihre Hausaufgaben nicht macht.

Wir haben lange diskutiert, auch vor der letzten Landtagswahl, in Koalitionsrunden endloser Art, über die Frage, wie wir einen tauglichen Schulversuch für das Praxissemester machen können. Herr Kollege Irmer erinnert sich

an die Diskussionen. Wir haben damals schon gesagt, dass das Ganze nur funktionieren kann, wenn man es sinnvoll begleitet, wenn es an den Schulen ausreichend Mentoren gibt. So, wie es jetzt gemacht wird, kann es nicht funktionieren. Nicht umsonst wird uns jede Phase der Evaluation, die es bislang gibt, vorenthalten. Sie halten die Sachen unter Verschluss, wahrscheinlich, weil nichts Vernünftiges dabei herauskommt. Was wir brauchen, ist eine Implementierung des Praxisbezugs in der ersten Phase der Lehrerbildung.

(Beifall bei der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Minister, das hat die Koalition nicht nur in dem ansonsten gescheiterten Bildungsgipfel versprochen, sie hat es immer wieder versprochen. Was haben wir im Praxistest? – Absolute Fehlanzeige. Die Reform der Lehrerbildung dieser Koalition beschränkt sich darauf, dass Stechkartensysteme zur besseren Kontrolle der Mitarbeiter in den Studienseminaren eingeführt werden. Das passt in das Bild, das Sie abgeben: keine Kultur des Vertrauens in Ihre Mitarbeiter in der Lehrerbildung, in der Schulverwaltung und in die Lehrerinnen und Lehrer.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Greilich, jetzt sind auch die zehn Minuten abgelaufen.

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Der Ministerpräsident ist nicht da. Herr Minister als Vertreter der Landesregierung, meine Damen und Herren von der Koalition, nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ihre Experimente gescheitert sind. Besinnen Sie sich auf das Wohl der Schülerinnen und Schüler in unserem Land, korrigieren Sie Ihre Fehler, machen Sie unser Schulsystem zukunftsfähig, legen Sie Ihre parteipolitisch eingefärbten Sonnenbrillen ab, geben Sie den Schulen Freiheit, und bringen Sie allen Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, vor allem unseren Lehrerinnen und Lehrern, Vertrauen entgegen, das Vertrauen, das sie verdienen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Faulhaber, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Kultusminister, verehrter Herr Greilich! Heute wird eine lange Tradition gebrochen. Die erste Plenarwoche nach dem Start des neuen Schuljahres wird ohne bildungspolitische Regierungserklärung stattfinden. Ist das nicht verwunderlich? – Vor allem auch deshalb, weil der Herr Kultusminister seine Regierungserklärung in einer seiner Pressekonferenzen schon angekündigt hatte.

(Günter Rudolph (SPD): Er ist zurückgepfiffen worden!)

Warum gibt es also keine bildungspolitische Regierungserklärung? – Vielleicht, weil es an den hessischen Schulen gar nicht so gut läuft, wie es hier immer dargestellt wird. Vielleicht, weil derzeit Wahlkampf ist und Ihrerseits kein Interesse an einer kritischen Debatte besteht. Darauf könnte man jedenfalls kommen.