Wir dürfen das nie vergessen, und wir müssen vor allem auch an die Generation nach uns denken. Wir haben die Zeit zum Teil noch erlebt – ich nicht mehr mit Jahrgang 1955 –, aber über die Erzählungen unserer Eltern waren wir noch Miterlebnisgeneration. Für die Menschen jedoch, die heute aufwachsen, ist der Holocaust eine Zeitgeschichte, genauso wie Kriege in der mittleren und neueren Zeit.
Zu vermitteln, dass uns das sehr viel unmittelbarer angeht, ist und bleibt unsere ständige Aufgabe. Die Warnung von Richard von Weizsäcker müssen wir ernst nehmen.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)
Ich bin Menschen wie Fritz Bauer, der hessischer Generalstaatsanwalt war – wir Hessen haben also einen besonderen Bezug dazu –, wirklich ausgesprochen dankbar, dass er damals mutig und gegen viele Widerstände diesen Weg der Aufarbeitung gegangen ist.
Wenn man sich mit dem damaligen Geschehen beschäftigt, dann stellt man fest, dass das kein leichter Weg war. Er ist von vielen Seiten angefeindet worden. Er hat anonyme Drohungen erhalten. Er wurde wirklich persönlich bedroht, ist aber standhaft geblieben.
Damit hat er Menschen wie mir und anderen aus meiner Generation geholfen, draußen in der Welt unbefangen deutsche Positionen zu vertreten. Wir wissen, dass wir uns vor der Vergangenheit nicht weggeduckt haben, sondern wir haben uns dieser Vergangenheit gestellt.
Deswegen freue ich mich, dass das Bundesland Hessen das Bundesland ist, das diese beiden Holocaust-Professuren eingerichtet hat. Herr Wissenschaftsminister, ich finde, dabei ist sehr sensibel und umsichtig vorgegangen worden. Die Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut ist eine gerechte Würdigung dieses Instituts und gibt diesem Institut auch Stabilität, weil nun eine Hochschullehrerin dahinter steht. Die Aufarbeitung der Literatur ist getragen von einer Stiftung, die dies auf Dauer unterstützen kann. Auch das ist ein Beitrag. Das halte ich nicht für selbstverständlich, sondern das ist ein Grund, dass wir uns als Landtag gemeinsam dahinter versammeln können. Wir können als Hessen auch ein wenig stolz darauf sein, dass wir das erste Bundesland sind, das derartige Professuren eingerichtet hat. Dabei ist sensibel vorgegangen worden, und die finanzielle Ausstattung ist auskömmlich. Ich glaube, darauf kann der gesamte Landtag stolz sein.
(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und der FDP)
Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch 70 Jahre nach dem Ende der Hitler-Diktatur und der Verfolgung der Juden ist es weiterhin unsere Aufgabe, vielleicht sogar fast noch mehr als vor 50 Jahren, nicht nur der Erinnerung eine Kultur zu geben, sondern uns auch der Aufarbeitung, also der Erarbeitung der Fakten der HitlerDiktatur, zu widmen.
Hierzu ist in der Vergangenheit von Hessen aus schon vieles geleistet worden. Ich will auf Kleinigkeiten hinweisen, von denen ich weiß, dass sie gerade im Staate Israel sehr positiv aufgenommen worden sind. Da ist die Vereinbarung, die vor etwa vier oder fünf Jahren das Hessische Kultusministerium – Dorothea Henzler war damals die Ministerin – mit Yad Vashem zum Thema Lehrerfortbildung abgeschlossen hat. Fritz Bauer ist vorhin von Jürgen Banzer zu Recht angesprochen worden.
Da ist der Jahrestag des ersten Auschwitz-Prozesses in der hessischen Justiz. Ich sage an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich herzlichen Dank an die Professorinnen und Professoren sowie die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Marburger Universität, die dies entsprechend aufgearbeitet haben, die sich in die Archive begeben und festgestellt haben, was viele von uns schon erahnt haben: dass gerade die sogenannte unabhängige Justiz ganz groß in dieses Netz eingebunden wurde bzw. sich hat einbinden lassen. Wir haben das durch eine Wanderausstellung zunächst unter meiner und dann unter der Ägide meiner Nachfolgerin in ganz Hessen gezeigt, um deutlich zu machen, dass die Justiz damals auch Täter war, und zwar bei vielen Aspekten, von denen man sich hat gar nicht vorstellen können, dass man als dritte Gewalt Täter sein kann.
Wir haben in Hessen das Fritz Bauer Institut, eine Einrichtung, die bereits über viele Jahrzehnte hinweg erfolgreich an der Aufarbeitung und an der Erinnerungskultur gearbeitet hat. Ich erinnere an Herrn Krause-Vilmar, der nicht nur das Institut in einer sehr schwierigen Zeit geleitet hat, sondern darüber hinaus auch die Gedenkstätte Guxhagen.
Ich wiederhole an dieser Stelle für meine Fraktion eine Forderung, die wir schon lange Zeit erheben, die bisher aber leider noch nicht umgesetzt worden ist: Jede hessische Schülerin und jeder hessische Schüler hat pflichtgemäß einmal während der Schullaufbahn eine Gedenkstätte in Hessen zu besuchen. Vielleicht schaffen wir es irgendwann einmal, dies in die Lehrpläne einzubinden.
Als Mitglied des Kuratoriums erinnere ich auch an die Arbeit des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, überall sind in den letzten Monaten Veränderungen vorgenommen worden, weil – und das ist das bisschen Wasser, das ich in den Wein hineinschütten möchte – eines nicht geschafft wurde, nämlich Raphael Gross in Hessen zu halten. Das ist schade. Ich weiß, dass Boris Rhein und ich uns darüber einig sind. Wir reden seit drei Jahren darüber. Es ist schade, dass es nicht etwas zügiger geklappt hat.
Jetzt kann man sagen: Liebe Hessen, seid einmal ein bisschen bescheiden. Raphael Gross macht jetzt etwas noch Wichtigeres. Er ist seit einigen Monaten Chef des Deutschen Historischen Museums in Berlin und hat damit eine über Hessen hinausgehende Aufgabe.
Ich will uns allen deutlich machen: Wäre dieser Schritt, von dem wir gerade reden, vor eineinhalb Jahren bereits möglich gewesen bzw. durchgesetzt worden,
dann wäre Raphael Gross nach meiner Einschätzung mit hundertprozentiger Sicherheit in Hessen geblieben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gleichwohl schätzen wir und schätze auch ich ganz persönlich Frau Steinbacher und auch die neue Direktorin des Jüdischen Museums in Frankfurt.
Ich will nur darauf hinweisen: Hier ist schon vor langer Zeit in Hessen etwas angelegt worden, und jetzt gehen wir einen nächsten Schritt, den wir Liberale voll und ganz unterstützen. Wir halten auch die Kombination für gut, auf der einen Seite in Frankfurt staatliche Unterstützung und auf der anderen Seite in Gießen private Unterstützung durch die Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung zu Lich zu gewähren.
Meine Damen und Herren, diesen nächsten Schritt gehen wir gerne mit. Wir möchten aber auch darauf hinweisen, dass der Weg nicht erst jetzt beginnt. Die Aufarbeitungsund Erinnerungskultur in Hessen hat bereits einen großen Vorlauf hinter sich. Das ist gut so für die Vergangenheit, und das ist hoffentlich auch gut so für die Zukunft. – Vielen herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Einrichtung der bundesweit ersten Holocaust-Professur an der Frankfurter Goethe-Universität in Zusammenarbeit mit dem Fritz Bauer Institut sowie einer zweiten an der Universität Gießen ist ein wichtiges Signal, das wir sehr begrüßen. Die Holocaust-Professur stellt sich damit in die Tradition von Fritz Bauer, der als Staatsanwalt in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen einen ganz maßgeblichen Beitrag zur juristischen Aufarbeitung des Naziregimes geleistet hat, und zwar gegen größte Widerstände in der damaligen Justiz.
Auch mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust, nach dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden, bleibt es eine notwendige Aufgabe, das Unfassbare zu erforschen, wissenschaftlich aufzuarbeiten, die Geschichten der Opfer zu erzählen und die Täter zu benennen.
Die Auseinandersetzung mit unserer … Vergangenheit erfordert gewiss ein Wissen um Fakten, aber das genügt nicht, nötig ist auch der Versuch ihrer Deu
Dazu können die Lehrstühle für Holocaust-Forschung – der Lehrstuhl von Frau Prof. Dr. Steinbacher in Frankfurt und der Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Feuchert in Gießen – einen wichtigen Beitrag leisten beim Erinnern und auch dabei, Lehren für die Zukunft zu ziehen. Denn die Aufarbeitung des Holocaust und des Dritten Reichs ist weder wissenschaftlich noch politisch, noch juristisch beendet.
Es darf keinen Schlussstrich unter der deutschen Geschichte und ihrer Aufarbeitung geben. Das deutlich auszusprechen ist besonders wichtig in einer Zeit, in der von der AfD, einer Partei, die mittlerweile in 13 Landtagen sitzt, das „Aufbrechen der Erinnerungskultur“ gefordert wird und in der Herr Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin als ein „Mahnmal der Schande“ bezeichnet, das sich die Deutschen in ihrer Hauptstadt „gepflanzt“ hätten, und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert. Diesen Aussagen, solchen Versuchen des Geschichtsrevisionismus, muss laut und entschieden widersprochen werden.
Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah, und warum es geschah.
An dieser Stelle sollten wir auch die wertvolle Arbeit in den Gedenkstätten und in den Museen, der VVN sowie der vielen lokalen Stolperstein-Initiativen würdigen, die ebenfalls einen ganz entscheidenden Beitrag zur Erinnerungskultur leisten – gerade angesichts der Tatsache, dass es nur noch wenige Überlebende des Holocaust gibt.
Mit Sybille Steinbacher übernimmt eine Wissenschaftlerin den Lehrstuhl in Frankfurt, die intensiv zu Dachau und Auschwitz geforscht hat und die immer wieder anmahnt, dass sich das Erinnern nicht in Gedenkritualen erschöpfen darf. Unter anderem im Rahmen der „Dachauer Symposien“ hat sie sich auch mit den aktuellen Gefahren durch rechte Gewalt und den Traditionslinien der NS-Zeit beschäftigt, die bis in die Gegenwart reichen.
Lesenswert ist z. B. ihr erst kürzlich erschienener und von ihr herausgegebener Sammelband zum NSU und zur Geschichte des Rechtsterrorismus in Deutschland. Darin schreibt sie:
Dass eine rechtsterroristische Organisation unter dem Namen „Nationalistischer Untergrund“ zwischen 1998 und 2011 unentdeckt in Deutschland mindestens zehn Morde begangen, mehrere Sprengstoffanschläge und Banküberfälle verübt und unter Migranten und Migrantinnen Angst geschürt hat, ist der atemverschlagende Verweis darauf, wie präsent die Geschichte des Dritten Reiches und wie wenig entwickelt das Bewusstsein für ihre Virulenz ist.
Erinnerungskultur bedeutet auch, angesichts aktueller Gefahren wachsam zu sein und jeder Form des Rassismus,
des Antisemitismus und des Faschismus entschieden entgegenzutreten – im Alltag sowie bei Aufmärschen durch breite Bündnisse und Mobilisierungen.
Das gilt gerade in einer Zeit, in der rassistische und faschistische Strömungen in vielen Ländern Europas Zulauf haben, in der die Gewalt und der Terror von rechts zunehmen, in der Migranten, Flüchtlinge, Juden und Muslime zunehmend Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt sind. Das sind Angriffe auf die Demokratie insgesamt, der sich alle Demokratinnen und Demokraten entgegenstellen müssen. Gerade in einer solchen Zeit ist die Einrichtung von zwei Holocaust-Professuren ein richtiges und wichtiges Signal – weit über die Wissenschaft hinaus.
In diesem Sinne will ich enden mit den Worten des Resistance-Kämpfers und Frankfurter Antifaschisten Peter Gingold:
Zu viel an Not und Tod, an KZ-Qualen, an Verwüstung und Vernichtung, an millionenfachem Mord hat der Faschismus gebracht, sodass es nichts Wichtigeres geben kann als Aufstehen gegen jede Erscheinung von Rassismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Neofaschismus und Militarismus.