Protocol of the Session on December 15, 2011

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Aber dringend!)

Als Beispiel möchte ich das Aussteigerprogramm IKARus nennen, das seit dem Jahr 2002 sehr erfolgreich läuft. Seit dem Jahr 2007 ist das „Beratungsnetzwerk Hessen – Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“ unter Einbeziehung zahlreicher staatlicher Institutionen sowie öffentlicher und freier Träger gegen den Rechtsextremismus aktiv. Ich nenne das seit Ende 2009 laufende hessische Modellprojekt „Rote Linie – Hilfen zum Ausstieg vor dem Einstieg“. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Projekte im Rahmen lokaler Aktionspläne durch das Programm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns zusammenstehen. Lassen Sie sich nicht von der Versuchung mitreißen, die Front der Demokraten im Kampf gegen den braunen Schmutz für vermeintlich kurzfristige politische Vorteile durch aktionistische Maßnahmen aufzuweichen. Lassen Sie uns gemeinsam die Botschaft sen

den: Die demokratischen Parteien im Hessischen Landtag, ob sie nun CDU, SPD, FDP oder GRÜNE heißen, lassen sich in dieser Frage nicht auseinanderdividieren.

Hessen ist ein Land der Freiheit. Hier haben Neonazis keine Chance.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): So ein Quatsch!)

Zur Geschäftsordnung erhält Herr Abg. Schaus das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Abg. Greilich hat uns eben in der Debatte über die Nazimorde und den Terror als Extremisten bezeichnet. – Ja, klatschen Sie ruhig. – Ich halte das für unerhört. Ich finde, diese Gleichsetzung ist angetan, darüber im Ältestenrat zu diskutieren. Deswegen beantrage ich die Unterbrechung der Sitzung und die Einberufung des Ältestenrates.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, erst einmal sitzen zu bleiben. Das wird eine längere Sache werden. Die Protokollantin, die das aufgeschrieben hat, ist erst vor Kurzem in ihr Zimmer gegangen. Ich gehe davon aus, dass 15 bis 20 Minuten vergehen werden, bis der Protokollauszug vorliegen kann. Vor diesem Hintergrund muss ich, es sei denn, es gibt während der Pause ein anderslautendes Zeichen, die Sitzung für 30 Minuten unterbrechen. – Danke schön.

Ich berufe den Ältestenrat ein, und zwar mit Beginn in einer Viertelstunde. In 15 Minuten wird die Sitzung des Ältestenrates sein, die etwa 15 Minuten dauern wird. Das macht eine Unterbrechung von einer halben Stunde.

(Unterbrechung von 16:33 bis 17:28 Uhr)

Ich eröffne die Sitzung. Zunächst einmal gestatte ich Herrn Abg. Greilich, zu uns zu sprechen. Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe vorhin in meiner Rede wörtlich gesagt: „wie das vor allem die Extremisten hier im Hause fordern“. Die Wortwahl „Extremisten hier im Hause“ war unangemessen. Dafür entschuldige ich mich.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, zunächst einmal stelle ich fest, dass sich Herr Greilich mit seinen Worten entschuldigt hat.

Ich will grundsätzlich zum Verlauf der Sitzung des Ältestenrates und zum Verlauf der Debatte Folgendes feststellen:

Es haben sich im Rahmen der Diskussion die unterschiedlichen Auffassungen auch dahin gehend ergeben, nach welchen Kriterien die Erteilung eines Ordnungsrufs erfolgen soll oder nicht. Der Unterschied ist die Frage: Erteilt der amtierende Präsident einen Ordnungsruf aufgrund eines gesprochenen Wortes, das dazu Anlass gibt, also eines eindeutig feststellbaren Vorgangs, oder erteilt er den Ordnungsruf auch aufgrund einer von ihm vorzunehmenden Einschätzung, welche Wirkung eine Aussage eines Abgeordneten auf Abgeordnete des Hauses haben könnte oder hat? – Ich will hinzufügen: Diese Diskussion hat nicht zu einem Konsens geführt.

Ich habe aufgrund der langen Diskussion, die geführt worden ist, auch keine zusätzlichen Interpretationen eines objektiven Tatbestands bekommen. Aber ich habe sehr viele Hinweise auf Betroffenheiten auf beiden Seiten des Hauses bekommen. Wir haben über zwei Äußerungen gesprochen: eine, die hier moniert worden ist, die zur Unterbrechung der Sitzung geführt hat, nämlich die Äußerung des Kollegen Greilich, der dazu jetzt Stellung genommen hat. Außerdem haben wir uns mit einer anderen Äußerung beschäftigt.

Ich habe aufgrund dieser Debatte festgehalten, dass ich vor den Empfindungen der Abgeordneten großen Respekt habe, die sich aufgrund von Äußerungen von Kollegen, die hier reden, persönlich betroffen fühlen. Ich habe um Verständnis dafür gebeten, dass ich mich bei der Frage, ob ich gemäß Geschäftsordnung einen Ordnungsruf erteile oder nicht, an Kriterien halten muss, die nicht meiner persönlichen Empfindung entsprechen. Deswegen habe ich darauf verzichtet, einen Ordnungsruf zu erteilen.

Ich habe allerdings darauf hingewiesen, das tue ich auch jetzt hier, unbeschadet der Entschuldigung von Herrn Kollegen Greilich: Ich glaube, wir müssen es endlich gemeinsam schaffen, derartige Debatten in so sensiblen Problemfeldern wie dem, was wir hier zur Rede stehen haben, so zu führen, dass wir auch bei unseren Reden darüber nachdenken, was wir bei anderen Kollegen an Empfindungen auslösen. Das ist das Minimum dessen, was die Leistung eines Abgeordneten im Hessischen Landtag in einer solchen Debatte sein muss.

Deswegen sage ich: Es ist zweifelsohne zu rügen, wenn solche Äußerungen fallen. Es ist noch nicht so, wie ich gesagt habe, dass der Ordnungsruf fällig gewesen wäre.

Wenn wir eine Debatte über den Rechtsextremismus in Deutschland und zu den Mordfällen, die damit zusammenhängen, führen und die Hoffnung haben, dass wir da draußen eine Wirkung erzeugen, und uns dann in teilweise missverständlichen Äußerungen ergehen, die schlichtweg zu solchen Sitzungen führen wie der jetzigen, dann ist der Prozess der Hilfe dieses Landes beim Kampf gegen den Rechtsextremismus geradezu zwecklos.

Deswegen bitte ich das ganze Haus, sich in Zukunft in dieser Frage prinzipiell, ohne dass ich Einzelne nenne, sehr klar zu besinnen, dass gerade in solchen Debatten jedes Wort, jeder Satz auf die berühmte Goldwaage zu legen ist. Ich bitte Sie, sich in Zukunft danach zu verhalten.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie bei Abge- ordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich darf nun die Debatte fortsetzen und erteile Herrn Kollegen Frömmrich für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es fällt jetzt nach der Unterbrechung schwer, sich wieder in diesen Themenbereich einzufinden. Ich finde es nicht angemessen, dass wir hier über einen Themenkomplex diskutieren, der viele Menschen in diesem Lande berührt, der sich darum dreht, dass in den letzten Jahren in Deutschland eine blutige Spur von Rechtsextremisten durch Deutschland gelegt worden ist und zehn Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund und die Polizeikollegin aus Heilbronn mit einem rechtsterroristischen Hintergrund ermordet worden sind, und wir als Hessischer Landtag nicht in der Lage sind, eine geordnete Debatte zu diesem Thema zu führen. Ich muss sagen, das macht mich in der Tat etwas ratlos.

Wir haben es mit Taten des Rechtsterrorismus zu tun. In der letzten Plenarwoche haben wir zu diesem Thema einen, wie ich meine, guten Entschließungsantrag gefasst. Wir haben als Hessischer Landtag gesagt, dass diese rechtsterroristischen Attentate Attentate auch auf uns, auf die freie und offene Gesellschaft sind, dass wir sie zutiefst verurteilen und dass unsere Gedanken bei denen sind, die Menschen verloren haben, Freunde, Bekannte, Eltern, und dass wir zutiefst beschämt darüber sind. Wir haben gesagt:

Der Landtag fordert eine rasche, vollständige und rückhaltlose Aufklärung der durch die Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ begangenen Straftaten und aller sie begleitenden Umstände. Die Parlamentarische Kontrollkommission für den Verfassungsschutz sowie der Innenausschuss werden mit der parlamentarischen Aufarbeitung der Vorgänge betraut. Die Rolle der Polizei, der Justiz und der Verfassungsschutzbehörden sowie die Wirksamkeit der parlamentarischen Kontrolle sind dabei von besonderer Bedeutung.

Ich fand, dass diese Entschließung, die wir hier getroffen haben, umfangreich war. Deswegen habe ich mich ein bisschen gewundert, dass wir jetzt einen Antrag von der Fraktion DIE LINKE vorgelegt bekommen haben, der die Tonalität dieses Antrags ein bisschen verändert. Aber es ist natürlich das gute Recht der Fraktionen, Anträge vorzulegen. Es ist natürlich auch das Recht der Fraktionen, das zu bewerten. Die Kolleginnen und Kollegen haben das gerade schon getan.

Auch der Deutsche Bundestag hat eine umfangreiche Entschließung zu diesen Vorgängen beschlossen, die im Antrag der Fraktion DIE LINKE erwähnt worden ist.

Meine Damen und Herren, lassen wir Revue passieren, was in den letzten Jahren geschehen ist. Ich habe nachgeschlagen, mit wie vielen Anträgen wir uns in diesem Hause in den letzten Jahren beschäftigt haben, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigen. Wir haben eine Fülle von Entschließungsanträgen gehabt. Ich kann mich erinnern, dass wir hier eine große Anhörung über Extremismus und Gewalt gehabt haben, die hochkarätig besetzt war und wo wir versucht haben, Wege zu finden, wie man aus dieser Spirale herauskommt und wie man die auffängt, die bedroht sind, in diese Rechtsecke abzugleiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass wir eigentlich genug Anträge haben. Wir müssen endlich darüber reden, welche Konsequenzen dies für unser Land hat. Das ist die Aufgabe, die wir in Zukunft haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Welche Konsequenzen hat dieses Handeln für uns als Politik? Was heißt das als Auftrag an die, die mit Bildung befasst sind, bei uns? Was heißt das für Schulträger, was heißt das für außerschulische Bildung, was heißt das für Jugendarbeit? Wie können wir mit diesem Phänomen des Rechtsextremismus umgehen? Was heißt es dafür, wie wir Zivilgesellschaft stärken, sich in diesem Bereich stärker zu engagieren?

Dazu gehört auch – das will ich deutlich sagen –, dass man die zivilgesellschaftlichen Institutionen bei ihrer Arbeit gegen Rechtsextremismus nicht behindert, wie das in Teilen über die Extremismusklausel im Bund gemacht wird, sondern dass man zivilgesellschaftliche Institutionen im Kampf gegen Rechtsextremismus unterstützt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht in dieser Debatte auch darum, die Frage zu stellen: Wie haben Sicherheitsbehörden in unserem Land gearbeitet? Welche Fehler und welches Versagen müssen wir Sicherheitsbehörden vorwerfen? Warum wurde Rechtsextremismus bei der Untersuchung der Taten ausgeklammert? Warum wurde nicht dahin geschaut? Warum wurde dieser rechtsextremistische Hintergrund nicht durchleuchtet?

Es ist die Frage, warum die Sicherheitsbehörden nicht ordentlich zusammengearbeitet haben. Warum haben Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder und die Verfassungsschutzbehörden sich nicht ordentlich über diese Hintergründe ausgetauscht?

Es geht auch um die V-Mann-Problematik. Wir haben das in einem ersten Durchlauf schon in der Parlamentarischen Kontrollkommission besprochen. Aber ich glaube, auch die Problematik der V-Leute gehört auf die Tagesordnung und muss diskutiert werden. Wenn es so ist, wie aus Thüringen berichtet wird, dass mit dem Bezahlen der V-Leute des Verfassungsschutzes rechtsextremistische Strukturen zum Teil zu fast 100 % finanziert werden, dann muss man sich die Frage stellen, ob diese V-Leute der Vergangenheit angehören müssen, ob man sich nicht von diesem Institut verabschiedet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es gehört auch dazu, dass wir über die Opfer reden. Diese Opfer sind zum Teil nach ihrem Tod gesellschaftlich geächtet worden, weil man nicht begreifen wollte, dass sie Opfer sind, sondern weil man als Sicherheitsbehörden immer nachgeforscht hat, ob die Opfer nicht auch Täter waren, ob sie in ausländerextremistische Straftaten verwickelt waren, ob sie mit Drogen gehandelt und in mafiösen Zusammenhängen waren. Ich glaube, hier haben wir etwas aufzuarbeiten. Ich glaube auch, dass sich der Staat bei den Opfern und bei den Hinterbliebenen entschuldigen muss; denn dieses Handeln war vollkommen unangemessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich glaube auch, dass wir, wenn wir Aufklärung betreiben – ich bin rückhaltlos da

für, wie wir das in unserem Antrag beschrieben haben –, ganz deutlich sagen müssen, dass diese Aufklärung nicht so aussehen kann, dass wir das in der Parlamentarischen Kontrollkommission hinter verschlossenen Türen machen, sondern diese Aufklärung muss öffentlich stattfinden, weil es ein öffentliches Interesse gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dieses öffentliche Interesse gibt es nicht nur bei uns in der Bundesrepublik Deutschland, sondern gerade in der Türkei wird sehr genau darauf geachtet, wie wir mit der Aufarbeitung dieser Terrortaten umgehen. Von daher gehört eine öffentliche Aufklärung dazu, und deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass unsere Fraktion im Deutschen Bundestag die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses beantragt hat, damit diese Dinge in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Denn nur so kann man aus den Fehlern, die gemacht worden sind, lernen. Nur so kann man Sicherheitsbehörden dazu bringen, dass das in Zukunft nicht mehr passiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zur Aufarbeitung gehört aber auch, dass man sich darüber Gedanken macht, dass man bei solchen Taten nicht immer mit gewissen Reflexen arbeitet. Es gibt Reflexe in die eine Richtung, dass man über Verbote von Parteien nachdenkt. Ich will durchaus sagen, dass ich sehr viel Verständnis für die habe, die nach diesen ekelhaften Verbrechen sagen, man muss irgendwie reagieren, und wenn es nur ist, dass man die Partei verbietet, die man ideologisch damit in Verbindung bringt.

Aber ich finde, man sollte das nicht reflexhaft tun; denn ein solches Verbot muss vor dem Bundesverfassungsgericht tragen, und die Hürden für ein Parteiverbot sind bei uns in der Bundesrepublik Deutschland sehr hoch. Sie sind so hoch, weil wir aus unserer Vergangenheit gelernt haben, weil die Väter und Mütter des Grundgesetzes ganz bewusst die Hürde für ein Parteiverbot hoch gelegt haben. Deswegen dürfen wir es uns nicht erlauben, dass ein erneuter Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Denn das würde die NPD stärken. Es würde sie reinwaschen, und das kann keiner von uns wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)