Protocol of the Session on November 16, 2011

Es wird die kürzeste Geschichte, die es in der hessischen Landespolitik jemals gegeben hat.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das ist Ihre Hoffnung!)

Herr Ministerpräsident, nein, aus unserer Sicht ist es anders. Als Bundesland Hessen verlieren wir in vielen Bereichen gerade den Anschluss an andere Bundesländer. Wir verspielen Chancen für ein lebenswerteres, für ein sozialeres Hessen und übrigens auch für zukunftsfähige Arbeitsplätze in diesem Land.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Herr Ministerpräsident, zu Ihren Zahlen. Sie rühmen sich dafür, dass wir im ersten Halbjahr dieses Jahres das höchste Wachstum in der Geschichte des Landes Hessen hatten. Der spannende Punkt ist aber, dass jedes Bundesland im ersten Halbjahr dieses Jahres das höchste Wachstum in der jeweiligen Geschichte hatte, weil wir nämlich im Jahre 2009/10 eine Wirtschaftskrise und eine Rezession hatten, wie es sie noch nie in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt gegeben hatte. Insofern ist der Vergleich am Ende das Spannende.

Sie rühmen sich eines Beschäftigungsrekords. Auch da ist die spannende Frage, wie das in den anderen Bundesländern aussieht. Wir stellen fest, die Bundesrepublik Deutschland hat insgesamt so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftige wie noch nie in ihrer Geschichte.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber freuen wir uns miteinander. Nur ist die spannende Frage, wie es eigentlich im Vergleich ist. Ich muss Ihnen sagen: Bayern und Baden-Württemberg, wo wir früher immer darum gekämpft haben, wer unter diesen dreien der Beste ist, sind inzwischen bei der Arbeitslosenquote meilenweit voraus. Rheinland-Pfalz, das immer hin

ter uns war, hat uns inzwischen auf Dauer überholt. Dort ist die Situation sehr viel besser. Das hat es früher nicht gegeben, Herr Ministerpräsident.

Zur Arbeitslosenquote will ich noch einen Punkt nennen. Wir freuen uns darüber, wenn die Quote niedrig ist. Aber was uns umtreibt, ist, dass in dieser Arbeitslosenquote nicht die ganze Wahrheit steckt. Wir haben nämlich inzwischen viele, viele Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die erwerbstätig sind, die teilweise Vollzeit arbeiten und die trotzdem Geld vom Amt bekommen.

Da müsste sich doch eigentlich eine Hessische Landesregierung – Sie haben so viel von der Vergangenheit geredet – einmal die Frage stellen, was sie dazu beitragen kann, dass diese Situation besser wird. Ich kann mich erinnern, dass Roland Koch einmal hier stand und das Optionsmodell gepriesen hat. Er hat gesagt, dass sich gerade im Bereich der Langzeitarbeitslosen hier in Hessen jemand etwas vorgenommen hat. Die spannende Frage ist doch, wo wir jetzt stehen. Was ist eigentlich Ihre Antwort auf diesen Punkt? Ich habe dazu nichts gehört.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben auch an diesem Punkt die Frage, was in der Realität passiert und was eigentlich Ihre Antwort ist. Sie haben den Energiegipfel angesprochen. Ich stelle fest, Hessen hat bei der Energiewende zwölf Jahre verloren. Weil wir nicht wollen, dass Hessen noch weitere Jahre verliert, sind wir bereit, in der Sache inhaltlich mitzuarbeiten, damit wir diesen Rückstand, in den wir dank Ihrer Politik geraten sind, jetzt nicht noch größer werden lassen, sondern aufholen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): So viel Vernunft?)

Herr Ministerpräsident, aber die spannende Frage haben Sie nicht beantwortet, ob nämlich noch zwei weitere Jahre verloren gehen oder ob Sie sich jetzt einmal durchsetzen und das, worauf sich der Energiegipfel geeinigt hat, dass nämlich die Kommunen eine Rolle bei dieser Energiewende übernehmen, auch seine Entsprechung in der realen Umsetzung der hessischen Landespolitik findet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Ich werde Sie erinnern!)

Herr Wagner, gestern hat im Innenausschuss der Kollege Greilich in der ihm eigenen Bescheidenheit gesagt, man könne keine Anhörung machen, weil nichts vorliege.

Ich bin gespannt darauf, was Schwarz-Gelb nach sieben Monaten Diskussion, nach zwölf verlorenen Jahren in dieser Frage auf die Reihe bringt. Herr Ministerpräsident, dann kommt es wirklich darauf an, nicht mehr nur Sprechblasen abzusondern, sondern sich vielleicht einmal gegenüber einem Koalitionspartner durchzusetzen, der nur noch im Angstbeißen gut ist, der sich verhält wie ein Ertrinkender und nichts mehr hinbekommt, was am Ende dazu führt, dass diese Energiewende endlich auch in Hessen stattfinden kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Denn wir wollen, dass die Wertschöpfung in diesem Land stattfindet, wir wollen, dass die Arbeitsplätze in diesem Land existieren, und wir wollen auch unseren Beitrag zur Energiesicherheit in diesem Land leisten.

Herr Ministerpräsident, Sie haben über zukunftsfähige Wirtschaftspolitik geredet. Da will ich sagen: Ihr Zukunftsfonds macht uns ein bisschen Sorgen. Denn das Erste, was Ihnen dazu immer einfällt, ist der Landesstraßenbau. Da können Sie einen Schwarzen und einen Gelben in Hessen wecken und sagen: zukunftsfähige Wirtschaftspolitik. – Dann sagt er: Beton ausgießen in der Landschaft hilft. – Herr Wagner, das ist keine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Vor 20 Jahren! Das ist uralt! Phrasen der Achtzigerjahre!)

Nein, das ist nicht uralt. Ich will Ihnen sagen, was uralt ist. Uralt ist Ihr Verständnis von Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Wenn das – das war der einzige Bereich, wo Sie über Zukunft geredet haben –, was Sie in diesem Haushalt an Zukunft haben, allein am Zukunftsfonds hängt, haben wir ein Problem. Denn was machen Sie, wenn die Einnahmen nicht kommen? Ich kenne das alte Polizeipräsidium Frankfurt ziemlich genau. Denn das haben wir zu unserer Regierungszeit – das ist nun leider wirklich schon lange her – dreimal im Haushalt verkauft. Das Problem ist: Es hat leider nie stattgefunden. Die spannende Frage ist doch: Herr Ministerpräsident, was machen Sie, wenn dieser Verkauf nicht stattfindet, wenn alles, was Sie über Zukunft erzählt haben, nur an diesem einen Immobilienverkauf hängt? Darauf hätten wir gerne eine Antwort gehabt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ministerpräsident Volker Bouffier: LOEWE-Pro- gramm!)

Ich kann gerne das LOEWE-Programm nehmen. Aber wenn die ganze Finanzierung von dem, was Sie für Zukunft halten, daran hängt, dass ein Immobiliengeschäft klappt, dann haben wir ein Problem in diesem Bundesland.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur zukunftsfähigen Wirtschaftspolitik. Herr Wagner hat gerade dazwischengerufen: „uralt“. Wir haben hier vor zehn Jahren angefangen, uns den Mund fusselig zu reden, dass die Breitbandinfrastruktur und die Datenautobahnen die Autobahnen der Zukunft sind. Sie haben das damals für Unsinn gehalten. Sie haben uns sogar in Person und Gestalt von Alois Rhiel die Sprechblasen vorgesetzt, die wir heute noch von der FDP hören, nach dem Motto: „Alles privat vor Staat“. Das Problem ist nur: Wir haben im ländlichen Raum ein Marktversagen, weil die Privaten nur dahin gehen, wo es sich lohnt. Jetzt stellen wir uns vor, wir hätten vor zehn Jahren, sagen wir, 10 % des Geldes, das Sie völlig ohne Sinn und Verstand in Kassel-Calden verbuddeln, für die Breitbandinfrastruktur in diesem Land ausgegeben. Wir wären heute das Flächenland mit der besten Breitbandvernetzung in der Bundesrepublik Deutschland – wenn man damals das Richtige getan hätte. Deswegen erzählen Sie uns bitte nicht, was zukunftsfähige Infrastrukturpolitik ist, sondern lösen Sie sich von Ihren Glaubenssätzen aus den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben viel über die Bildungspolitik gehört. Herr Ministerpräsident, da haben Sie gesagt, ich solle sagen, wie das damals war – Ihre Geschichten aus dem Kartoffel

krieg – mit den Stellenstreichungen usw. Das kann ich Ihnen relativ deutlich sagen: Wir haben die Schulabteilung beim RP aufgelöst und haben gesagt, es würde reichen, Stellen in diesem Bereich aus der Verwaltung herauszunehmen. Ich habe schon vor zehn Jahren gesagt: „Das war ein Fehler.“ Wir waren in der Lage, diesen Fehler im Nachhinein einzugestehen. Jetzt ist die spannende Frage: Herr Ministerpräsident, sind Sie in der Lage, Ihre Fehler einzugestehen?

(Peter Beuth (CDU): 2.000 Lehrer mehr bei den Schülerzahlen!)

Herr Generalsekretär der Hessen-CDU, die BundesCDU hat gestern einen historischen Beschluss gefasst.

(Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja!)

Sie hat sich im Kern für ein Zwei-Säulen-Modell aus Gymnasium auf der einen Seite und einer Oberschule auf der anderen Seite entschieden. Bei allen Unterschieden im Detail: Wir fühlen uns ein wenig an eine Grundidee der hessischen GRÜNEN erinnert,

(Florian Rentsch (FDP): Natürlich!)

hier Gymnasium, dort die neue Schule. Das hat Herr Irmer noch als die Vorstufe des Kommunismus bezeichnet. Jetzt vertritt es Angela Merkel.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Für den ist das fast das Gleiche!)

Wir könnten jetzt also theoretisch zu dem kommen, was um uns herum passiert, was in Nordrhein-Westfalen passiert, was in Bremen passiert, was im Saarland passiert: dass wir jetzt nämlich zu einem Schulfrieden kommen könnten, der diesen jahrzehntelangen Schulkampf beendet, der endlich dafür sorgt, dass wir uns um die inhaltlichen Probleme im Bildungswesen kümmern und keine ideologischen Schlachten von vorgestern mehr schlagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Möglichkeit bestünde jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir nicht in Hessen wären.

(Peter Beuth (CDU): Das ist so dummes Zeug!)

Denn in Hessen sitzen in der CDU-Fraktion leider die letzten versprengten Haufen der sich in Auflösung befindlichen Armeen des Schulkampfes. Die sitzen da immer noch in ihren Schützengräben und singen: „Dem Alfred Dregger, dem haben wir es geschworen.“

(Heiterkeit und Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Problem ist, dass Sie damit keines der Probleme von heute lösen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beuth (CDU): Substanzlose und dümmliche Polemik!)

Die Kühlerfigur auf dem Rolls-Royce heißt Emily. Die Kühlerfigur auf Hans-Jürgen Irmers rostigem Bollerwagen heißt Doris. Das Ergebnis von zweieinhalb Jahren schwarz-gelber Bildungspolitik ist: Sie machen die schwarze Verweigerungshaltung für jede Zukunftsfrage in der Bildungspolitik mit, und Sie geben nur noch die Kühlerfigur für das ab, was Hans-Jürgen Irmer mit seinem rostigen Bollerwagen an bildungspolitischen Schulkämpfen der Vergangenheit weiterführt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Das hat ein großer Staatsmann in einem anderen Zusammenhang gesagt. Das Leben wird Sie nicht bestrafen. Aber die Wählerinnen und Wähler werden Sie bestrafen. Das Problem ist nur: In der Zwischenzeit bestrafen Sie Hessen. Das ist das Traurige an der gegenwärtigen Agonie schwarz-gelber Landespolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)