Protocol of the Session on August 25, 2011

Dann kann Rot-Grün entscheiden, ob und in welcher Form man dort ein Reservekraftwerk braucht. Verhindern Sie also, dass ein Kernkraftwerk zur Kaltreserve wird, indem Sie auf die Landesregierung in Baden-Württemberg einwirken, entsprechend zu handeln.

Ich sage aber auch: Wir dürfen das Risiko nicht eingehen, dass uns irgendwann der Strom fehlt. Wir sind eine Gesellschaft, die Strom braucht. Die Bürger, aber vor allen Dingen unsere Wirtschaft, die Arbeitsplätze brauchen Strom. Von daher müssen wir das Thema Kaltreserve objektiv angehen, aber immer auch unter der Voraussetzung: Wir wollen alles andere geprüft haben, wir wollen alles andere untersucht haben, ehe wir über das Thema Kernenergie als Kaltreserve reden.

Lassen Sie mich noch vier Punkte aufgreifen, die ich nicht unkommentiert stehen lassen will:

Erstens. Die Behauptung der SPD-Fraktion, die Landesregierung würde Biblis B als Kaltreserve geradezu anbieten, ist absoluter Quatsch. Die Landesregierung hat sich im Bundesrat frühzeitig positioniert.

Zweitens. Die Behauptung, die Landesregierung würde die Profitinteressen irgendwelcher Unternehmen vertreten, ist völliger Schwachsinn. Ich weise das deutlich zurück.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Lachen und Zurufe von der SPD)

Der Tenor Ihres Antrages in der Aktuellen Stunde deutet darauf hin.

Drittens. Die Sicherheit der Menschen steht bei der Nutzung der Kernenergie immer an erster Stelle. Das gilt für den Kraftwerksbetrieb, für die Kaltreserve, aber auch für den Rückbau. Sicherheit hat immer höchste Priorität. Ich weise daher Unterstellungen zurück – wenn sie denn so gemeint sein sollten –, dass die CDU die Sicherheit nicht berücksichtige, nicht an die erste Stelle setze.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Viertens. Auch beim Rückbau geht Sicherheit vor Schnelligkeit. Wir wissen, dass in den Gebäuden in Biblis derzeit noch radioaktives Material vorhanden ist. Das kann nicht ohne Weiteres irgendwohin gebracht werden. Das Material muss abklingen. Deshalb: Sicherheit vor Schnelligkeit auch beim Rückbau. Auch wir wollen, dass für das AKW Biblis baldmöglichst Alternativen geschaffen werden, sei es durch andere Kraftwerke, sei es durch andere Maßnahmen, und dass baldmöglichst zurückgebaut wird. Ich betone aber noch einmal: Sicherheit geht vor Schnelligkeit.

Herr Kollege Stephan, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Ein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Ich erlaube mir, bei Herrn Kaufmann zu klauen und hier zu sagen: Das Thema Kernenergie ist in Deutschland durch; es taugt nicht mehr zur politischen Profilbildung.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Hammann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind sehr erfreut darüber, dass Frau Puttrich offensichtlich doch noch die Kurve bekommen hat. Am Montag hat sie öffentlich verkündet, sie sehe eine atomare Kaltreserve als nicht vermittelbar an. Die Entscheidung, dies öffentlich zu verkünden, hat aber sehr lange auf sich warten lassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Frau Puttrich, die beiden Länder der Südschiene, Bayern und Baden-Württemberg, waren da wesentlich schneller. Herr Söder für Bayern und Herr Untersteller für BadenWürttemberg haben schon vor Wochen gesagt: „Wir wollen kein Atomkraftwerk als Kaltreserve haben.“ Ich hätte

mir von der Hessischen Landesregierung gewünscht, dass sie dieses Thema offensiv aufgreifen und vertreten würde; denn uns war immer wichtig, dass die Sicherheit der Menschen an erster Stelle steht und die Diskussion, ob ein Atomkraftwerk als Kaltreserve genutzt wird, daher absurd ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, wir nehmen Sie beim Wort, nachdem Sie sich öffentlich positioniert haben. Das heißt nämlich auch, Sie wurden zu einer Stellungnahme aufgefordert; der Bund will von Ihnen wissen, wie Sie sich hinsichtlich des Atomkraftwerks in Biblis verhalten. Die Bundesnetzagentur fordert von Ihnen explizit eine Darstellung. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie ganz deutlich machen: Die Hessen wollen Biblis nicht als Kaltreserve haben. – Wir fordern von Ihnen, dass Sie sich gegenüber der Bundesnetzagentur dafür einsetzen, dass Biblis auf keinen Fall als Kaltreserve genutzt wird und dass auch bundesweit kein Atomkraftwerk als Kaltreserve herangezogen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Für zwei Winter soll eine Kaltreserve herangezogen werden. Der Grund wurde schon genannt: Es könnte zu Stromengpässen oder zu einer Überschreitung der Gesamtlast in Deutschland, etwas über 80 GW, kommen. Obwohl das in den letzten zehn Jahren überhaupt nicht vorgekommen ist

(Zurufe der CDU: Da war ja genug Energie auf dem Markt!)

und im letzten Jahr während drei Spitzenlaststunden 78 GW nachgefragt wurden, muss man sich Gedanken über eine Kaltreserve machen. Aber aufgrund der fehlenden Datenlage kann man heute noch gar keine eindeutige Erklärung abgegeben. Wir werfen der Bundesregierung vor, dass sie seit vielen Jahren in diesem Bereich keine Erhebungen veranlasst hat. Wir wissen nicht, wie viel an Kaltreserve in der Bundesrepublik Deutschland vorhanden ist. Wenn ich auf den Standort Staudinger schaue, dann sehe ich, dass dort ein Gaskraftwerk mit einer Leistung von 622 MW steht. Es wird kaum hinzugeschaltet. Das ist nur ein Beispiel für viele Kraftwerke, die überall in Deutschland zu finden sind, Kraftwerke, die zugeschaltet werden können. Sie sind klimafreundlich, und sie sind schnell regelbar.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Kraftwerke in Mainz haben signalisiert, dass der 1977 in Betrieb gegangene gasbefeuerte Kombikraftwerksblock ebenfalls als Reserve vorhanden ist. Das heißt, wir haben bundesweit möglicherweise sehr viele Kaltreserven und bräuchten keine Diskussion darüber zu führen, ob wir Atomkraftwerke als Kaltreserve brauchen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Stephan (CDU): Das macht doch die Bundesnetzagentur! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich fordere deshalb die Landesregierung auf, sich in diesem Bereich zu engagieren. Wenn Sie eine Stellungnahme abgeben, dann weisen Sie bitte auch auf die freien Kapazitäten hin, die wir in Hessen haben. Das ist eine wichtige Aufgabe, die die Atomaufsicht in Hessen zu leisten hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein Kraftwerk, das als Reservekraftwerk zur Verfügung gestellt wird,

muss wirtschaftlich und sicher betrieben werden. Es muss regulierbar sein. Es muss schnell einspringen können. Wir alle wissen, dass Atomkraftwerke die schwerfälligsten Kraftwerke sind. Diese Debatte haben wir schon vor der Sommerpause geführt. Man kann ein Atomkraftwerk nicht schnell hinzuschalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wenn es als Kaltreserve genutzt wird, dann bedeutet das, es kann – je nach Betriebszustand – bis zu mehreren Wochen dauern, bis eine Stromversorgung wirklich gewährleistet werden kann. Einzig und allein ein flexibles Gaskraftwerk ist in der Lage, schnell Energie einzuspeisen. Das geht sogar aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage hervor, die ich an die Landesregierung gerichtet habe. Die sollten Sie sich noch einmal anschauen.

Ich würde gern auf einen weiteren Punkt eingehen. Wenn man auf den Standort Biblis schaut und eine Diskussion um Biblis B führt, dann muss man wissen: Biblis B kann ohne Biblis A nicht funktionieren. Wir haben immer kritisiert, dass es keine externe Notstandswarte gibt. Die gegenseitige Steuerung war Grundlage des Notstandskonzepts. Das heißt, wenn Biblis B im Stand-by-Betrieb gehalten würde, dann hätte das zur Folge, dass auch Block A betriebsbereit sein müsste, denn bei einem Notfall müsste Biblis A Biblis B in einen sicheren Zustand überführen können.

(Zurufe von der CDU)

Frau Kollegin Hammann, ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Ich komme gerne zum Schluss. – Das heißt, beide Kraftwerke müssten am Netz bleiben – ein unglaubliches Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung.

Die Menschen wollen keine Atomkraftwerke haben. Sie fordern eine Politik der Nutzung erneuerbarer Energien, und wir fordern Sie auf: Begleiten Sie uns auf diesem Weg; wir haben dazu Vorschläge gemacht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Pläne, eines der stillgelegten Atomkraftwerke als sogenannte Kaltreserve für Versorgungsengpässe betriebsbereit zu halten, sind sowohl aus technischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen absurd und daher abzulehnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Betrieb eines Atomkraftwerks ist zu unflexibel, als dass es im Bedarfsfall schnell einspringen könnte. Frau Ministerin, das gilt im Übrigen auch für Kohlekraftwerke, die Sie jetzt verstärkt als sogenannte Brückentechnologie

fordern. Wenn man eine Brücke baut, versucht man normalerweise, den kürzesten Weg zur anderen Seite zu finden. Bei der Hessischen Landesregierung ist das leider anders. Sie würden eine Brücke von Wiesbaden nach Mainz vermutlich über Kassel führen lassen, damit die Menschen erst einmal möglichst lange in die falsche Richtung fahren, bevor sie sich auf den richtigen Weg machen.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ihr Festhalten, zuerst an Atomkraftwerken, jetzt an Kohlekraftwerken, ist nichts anderes. Das ist nämlich keine Brücke zu erneuerbaren Energien, sondern ein Umweg. Dadurch wird der Umstieg auf erneuerbare Energien nicht beschleunigt, sondern erschwert.

Atomkraftwerke sind für den Kurzzeitbetrieb nicht geeignet. Sie lohnen sich nur dann, wenn sie durchgängig in Betrieb sind. Das wollen wir nicht.

Je nachdem wie der Reservebetrieb gestaltet wäre, würde das Hochfahren eines Atomreaktors zwei bis 14 Tage dauern. Hinzu kommt, dass die Brennstäbe dauerhaft gekühlt werden müssten. Das heißt, es gäbe Zeiten, in denen ein Atomkraftwerk Strom verbrauchen würde, ohne selbst welchen zu produzieren. Das ist einfach absurd.

Biblis B für den Reservebetrieb vorzusehen wäre zudem völlig falsch, weil dieses AKW enorm störanfällig ist und nicht mehr den geltenden Sicherheitsvorschriften entspricht. Etwa ein Viertel aller meldepflichtigen Ereignisse beim Anfahren, die seit 1991 in den 17 deutschen AKW zu verzeichnen waren, entfielen auf Biblis B, und es wäre deshalb hanebüchen, ausgerechnet Biblis B zur Kaltreserve machen zu wollen.

Offensichtlich sieht auch die Landesregierung das so. Frau Ministerin, lassen Sie sich davon nicht beirren; aber wir LINKE begrüßen ausdrücklich, dass Sie sich jetzt auch öffentlich dazu geäußert haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Problem wäre auch, dass Biblis A nicht zurückgebaut werden könnte, weil es als externe Notstandswarte für Biblis B fungiert. Man darf auch nicht vergessen, dass die großen Vier über 80 % der Stromerzeugung kontrollieren. Das heißt, dass die großen Vier selbst bestimmen können, wann Engpässe auftreten: durch Kapazitätszurückhaltung und Nichtauslastung von Kraftwerken.