Wir stimmen nun noch über die beiden Anträge ab. Zunächst stimmen wir über Tagesordnungspunkt 62, Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Nein zur atomaren Kaltreserve, Drucks. 18/4349, ab. Wer diesem die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, GRÜNE und LINKE. Gegenstimmen? – CDU und FDP. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Ich komme nun zu Tagesordnungspunkt 65, Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend keine nukleare Kaltreserve, Drucks. 18/4354. Wer diesem die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU, SPD, FDP und GRÜNE. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Fraktion DIE LINKE. Damit ist dieser Antrag angenommen.
Wir sind nun am Ende der Tagesordnung vor der Mittagspause angelangt. Wir treffen uns um 14 Uhr wieder. Ich unterbreche die Sitzung und weise darauf hin, dass zunächst der Setzpunkt der GRÜNEN drankommt – für alle, die sich auf Reden oder Ähnliches vorbereiten. Guten Appetit.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich darf die unterbrochene Sitzung wieder eröffnen. Wir fahren mit Tagesordnungspunkt 36 fort:
Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend wirkungsvolle Maßnahmen zur Euro-Stabilisierung umsetzen – für Eurobonds mit klaren Bedingungen – Drucks. 18/4312 –
Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Beteiligungsrechte der Länder bei der Ausgestaltung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und beim Euro-Plus-Pakt (EPP) – Drucks. 18/4316 –
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich ihr Vorsitzender, Herr Al-Wazir, zu Wort gemeldet. Herr Al-Wazir, bitte schön.
Der Weg, der vor uns liegt, wird nicht leicht sein. Er erfordert Härte gegen uns selbst, gute Nerven und eine Politik, die sich jeder Lage, ungeachtet der Schwierigkeit der anstehenden Probleme, elastisch anzupassen vermag.
Das europäische Einigungsprojekt war und ist eines der größten Friedens- und Wohlstandsprojekte der jüngeren Geschichte. Vielleicht sollten wir uns in diesen Tagen daran erinnern, dass das niemals Realität geworden wäre, wenn nicht verantwortungsvolle Politikerinnen und Politiker den Mut gehabt hätten. Ihnen war die Vision eines vereinten friedlichen Europas stets wichtiger als die Zahlen kurzlebiger Blitzumfragen oder tagespolitischer Populismus.
Sie hatten den Mut und die Kraft, auch gegen anfängliche Widerstände beharrlich die notwendigen Integrationsschritte zu erklären und für Unterstützung zu werben.
Mit Blick auf die gegenwärtige Bundesregierung, mit Blick auf Angela Merkel und Guido Westerwelle kann man geradezu Sehnsucht nach dem europapolitischen Mut eines Konrad Adenauers oder eines Helmut Kohls bekommen.
Wir erleben gerade, dass die Europäische Union durch unseriöse Haushaltspolitik einzelner Staaten der EU, durch die Folgen der Weltwirtschaftskrise, aber auch durch teilweise unverantwortliche Spekulationen an den Finanzmärkten eine ihrer schwersten Bewährungsproben erlebt. Es geht in diesen Tagen um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, ob der europäische Einigungsprozess weitergeht oder die Europäische Union langfristig auseinanderbricht. Hinsichtlich dieser Frage sind Mut und Orientierung gefragt. Genau an diesem Mut und an dieser Orientierung fehlt es Schwarz-Gelb und dieser Bundesregierung.
Manche in der CDU und leider fast alle in der FDP vergessen in ihrer gegenwärtigen Orientierungslosigkeit, wie viel die Bundesrepublik Deutschland der europäischen Integration zu verdanken hat. Ohne europäische Einheit hätte es auch keine deutsche Einheit gegeben. Ohne Wirtschafts- und Währungsunion hätte es auch keine Exportrekorde Deutschlands gegeben. Daran muss in diesen Zeiten immer wieder erinnert werden.
Es geht um die Frage, ob allein das freie Spiel der Marktkräfte über das Wohl und Wehe Europas bestimmt oder ob es uns gelingt, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger das Primat der Politik zu verteidigen bzw. zurückzuerobern. Wir müssen den europäischen und globalen Finanzmärkten eine handlungsfähige europäische Finanzund Wirtschaftspolitik gegenüberstellen.
Natürlich müssen wir die berechtigten Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen. Wir müssen sie umfassend informieren. Es geht darum, besser zu erklären, was getan wird und warum es getan wird.
Wir müssen zügig die notwendigen Entscheidungen treffen, um die Europäische Union und den Euro zu verteidigen. Wir müssen von den Staaten der Eurozone, die finanzielle Schwierigkeiten haben, umfassende Reformanstrengungen verlangen und vor allem deren Umsetzung kontrollieren und sicherstellen. Diese Staaten brauchen bei ihrem schmerzhaften Reformprozess die Sicherheit, auf die Solidarität aller europäischen Staaten zählen zu können.
Zu dieser Solidarität, und zwar in unserem gemeinsamen Interesse, gehört, dass endlich unter klaren Bedingungen gemeinsame europäische Anleihen, die sogenannten Eurobonds, auf den Weg gebracht werden. Manche sehen in den Eurobonds eine Gefahr. Wir sehen in ihnen eine Chance, wenn sie mit klaren Bedingungen verknüpft werden. Sie können eine Chance für die dringend nötige seriöse Haushaltspolitik der Zukunft sein, nämlich einer mit vertretbaren Einsparungen, mit Effizienzsteigerungen und auch den notwendigen Einnahmeerhöhungen. Das muss die Bedingung sein. Es darf in den Problemstaaten kein „Weiter so“ geben.
Falls diese niedrigen Zinssätze dafür sorgen würden, wieder der Versuchung der billigen Schulden zu erliegen, wären auch wir gegen Eurobonds. Wenn es uns aber gelingt, klare Bedingungen durchzusetzen, dann sind die Eurobonds vielleicht das einzige realistische Mittel, mit dem man die Problemstaaten jemals wieder in die Lage versetzen könnte, nicht dem Teufelskreis der immer weiter steigenden Zinsen und der dadurch immer drastischeren Sparmaßnahmen zu erliegen. In letzter Konsequenz würden sie dann nämlich von einer zusammenbrechenden Wirtschaft erdrückt.
Wenn diese Bedingungen erfüllt wären, dann könnte die Krise auch eine Chance für die Europäische Union und damit für die Bundesrepublik Deutschland sein.
Die Krise begann in Griechenland. Manche in der CDU und der FPD geben jetzt die Kassandra. Ich möchte Ihren Blick einmal auf die Fundamentaldaten lenken.
Der Euroraum in seiner Gesamtheit hat im Jahr 2010 eine Staatsschuldenquote von 85,4 % des gemeinsamen Bruttoinlandsprodukts gehabt. Zum Vergleich sage ich: Die USA lagen letztes Jahr bei 92 %.
Die Neuverschuldung lag im Euroraum im Jahr 2010 bei 6 % des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Die USA
Sie wissen, dass Deutschland nicht bei der Gesamtverschuldung, aber bei der Neuverschuldung momentan deutlich besser als die USA dasteht. Es kann also auf keinen Fall mit den Fakten erklärt werden, warum die jährliche Rendite von zehnjährigen Staatsanleihen der USA derzeit bei der Rendite der Bundesanleihen bei etwas über 2 % liegt. Vor der aktuellen Zuspitzung der Krise rentierten Bundesanleihen sogar um die 3 %.
Ein Blick auf diese Fundamentaldaten zeigt, dass die Horrorszenarien immens steigender Zinslasten für Deutschland durch Eurobonds schlichtweg Unfug sind.
Es gibt bereits europäische Anlagen, für die gemeinsam garantiert wird. Der Europäische Stabilitätsfonds, besser bekannt als Rettungsschirm, refinanziert sich – das ist der Stand von gestern – zu einem Zinssatz von 3,0 %. Das ist exakt die Rendite, zu der auch Anleihen des Landes Hessen am gestrigen Tag notierten. Die Europäische Investitionsbank, die seit Langem verbürgte Anleihen ausgibt, refinanziert sich – das ist ebenfalls der Stand von gestern – zu einem Zinssatz von 2,9 %. Das ist exakt die Rendite, die eine zehnjährige Bundesanleihe Ende Juni eingebracht hat.
Deswegen rufe ich von diese Stelle aus alle realen und selbst ernannten Experten auf, mit den durch nichts hinterlegten Horrormeldungen endlich Schluss zu machen.
Ich füge hinzu, weil sich gestern der Bundespräsident kritisch zu den Ankäufen von Staatsanleihen der Europäischen Zentralbank geäußert hat: Man kann diese Kritik teilen, die spannende Frage lautet jedoch, warum die EZB das macht. Unsere Antwort lautet: Weil das eigentlich Nötige, nämlich gemeinsame europäische Anleihen, bisher nicht passiert ist.
Hätte die Bundesregierung im März vor eineinhalb Jahren, als das griechische Problem begann, beherzt gehandelt, dann wäre es höchstwahrscheinlich nie zur europäischen Währungskrise gekommen, und so ganz nebenbei: Die Bewältigung dieser Krise wäre für uns alle deutlich billiger geworden.
Schwarz-Gelb hat damals nicht gehandelt, weil es an Mut fehlte. Die Verzagtheit regierte, und man hoffte, vor der Landtagswahl in NRW nichts mehr tun zu müssen. Das Ergebnis zeigt, dass fehlender Mut richtig teuer wird, und Herrn Rüttgers hat es am Ende auch nicht geholfen.