Protocol of the Session on May 17, 2011

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dies funktioniert aber nur mit einer Kombination aus Konsolidierung und Sparsamkeit, auf der anderen Seite mit einer funktionierenden wirtschaftlichen Gesamtlage. Sie sehen, welche Volatilität, aber auch welche dramatischen Hebel in der Entwicklung der Steuereinnahmen von den Wirtschaftswachstumsimpulsen sowohl nach oben wie auch nach unten ausgehen.

Deshalb: Trotz aller sich aufhellender Perspektiven kann ich nur davor warnen, zu glauben, dass die Notwendigkeit konsequenter Konsolidierung jetzt erledigt sei. Vergleicht man die Steuerschätzung des Mai 2008 – das ist gerade einmal drei Jahre her – mit den aktuellen, schon besseren Zahlen, liegt das, was wir jetzt optimistisch erwarten, für die gesamtstaatliche Ebene immer noch 64 Milliarden € unter der Schätzmarke von 2008 für 2011. 64 Milliarden € – das ist ein beträchtliches Wort und zeigt: Wenn wir uns nur einmal einen Moment der Fantasie hingeben, wir hätten diesen Betrag eingenommen, würden wir über die Realisierung der Schuldenbremse vermutlich nicht mehr so diskutieren müssen, weil wir in Hessen und in vielen anderen Bundesländern in der Nähe der Nulllinie wären.

Das zeigt, welche dramatischen Auswirkungen die Finanz- und Wirtschaftskrise hatte, an deren Ende wir uns befinden. Wir nähern uns gerade erst wieder den Einnahmen des Jahres 2008, also wir befinden uns am Ende einer Talsohle, am Beginn eines Wiederaufstiegs, aber keineswegs in der Phase neuen ökonomischen Reichtums.

(Lothar Quanz (SPD): Herr Minister, die Einnahmenseite!)

Meine Damen und Herren, deshalb muss man sehr vorsichtig sein mit dem Glauben, dass diese Prognosen sozusagen vorweggenommene Realität seien. Die Halbwertszeit dieser Prognosen und Schätzungen ist bei der Volatilität der Entwicklung in den letzten Jahren immer kürzer gewesen. Denken Sie nur an die ungelöste Staatsschuldenproblematik in Teilen Europas, an die konjunkturellen Überhitzungsgefahren in Asien, insbesondere in China, oder an die politischen Umwälzungen im Nahen Osten, um nur drei Punkte zu nennen, die Risikofaktoren exogener Art darstellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Steuereinnahmen werden nur dann auch tatsächlich kräftig sprudeln, wenn es gelingt, die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin auf Wachstumskurs zu halten. Deshalb müssen wir alles unternehmen, was Wachstum erzielt, und alles unterlassen, was Wachstum verhindert.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Bei aller Freude über das, was an Mehrerwartungen realisierbar vor der Tür stehen könnte, dürfen wir nicht übersehen, dass sich der Landeshaushalt einer Vielzahl von zwangsläufigen Mehrbelastungen gegenüber sieht. Tarifund Besoldungserhöhungen gehören ebenso dazu wie die

hohe Dynamik der Versorgungs- und Beihilfeausgaben. Lassen Sie mich wenige Zahlen nennen, die aber zeigen, welche Dramatik da in den nächsten Jahren auf uns zukommt. So steigen die Versorgungsausgaben von knapp 2 Milliarden € im Jahr 2010 binnen zehn Jahren auf 3 Milliarden €, also um 50 %, bis 2030 auf knapp 4 Mil liarden € und bis zum Jahr 2050 auf rund 5 Milliarden €. Das ist eine Steigerung um mehr als das Doppelte.

Noch dramatischer sehen die Prognosen bei den Beihilfeleistungen aus. Bei den Beihilfeleistungen für die Versorgungsempfänger ist im besagten Zeitraum mit einer Verzehnfachung zu rechnen. Während wir im Moment für unsere Versorgungsempfängerinnen und -empfänger Beihilfeaufwendungen von unter 300 Millionen € im Jahr haben, werden es im Jahr 2050 nach unseren Prognosen 2,7 Milliarden € sein.

Hinzu kommt, dass das Land als Wirtschaftsstandort, bei der Bildung, der Wissenschaft und Forschung wettbewerbsfähig bleiben muss. Ich habe damit nur einige Felder genannt. Das wird keineswegs zum Nulltarif zu haben sein und muss zudem gerade bei der Bildung auch im Lichte der demografischen Entwicklung gesehen werden. So haben wir zurzeit im Kultusetat aufgrund der Zahl der Schüler einen höheren Bedarf, der im Haushalt berücksichtigt werden muss und in den vergangenen Jahren stets berücksichtigt wurde. In den Jahren ab 2015 gibt es allerdings aufgrund der Entwicklung der Schülerzahlen die Möglichkeit, mithilfe der sogenannten demografischen Rendite stärker zu konsolidieren. Auch diese Entwicklung wird im Haushalt abgebildet werden müssen.

Über die Einzelheiten befinden sich die Kultusministerin und ich noch in einem sehr engagierten Dialog. Ich bin mir ganz sicher, dass wir am Ende zu einem sehr ordentlichen Ergebnis kommen werden. Sie wird für ihre Belange in besonderer Weise einzutreten und zu kämpfen haben. Das tut sie.

Wir werden versuchen, unsere Aufgaben zu lösen. Wir werden dann, wie im letzten Jahr auch, gemeinschaftlich ein Ergebnis präsentieren, das die Anforderungen an die Bildungspolitik, aber auch die Anforderungen hinsichtlich der Haushaltskonsolidierung in Einklang bringen wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Schließlich darf man auch nicht übersehen, dass die steigenden Einnahmen des Landes, die überproportional sind, auch zu steigenden Belastungen durch Zahlungen in die Ausgleichssysteme führen. Damit stehen diese Einnahmen nur zum Teil zur Rückführung der Nettoneuverschuldung zur Verfügung.

Wir werden deshalb nicht umhinkommen, den Prozess der Aufgaben- und Ausgabenkritik des Landes fortzusetzen. Wichtige Anhalts- und Anknüpfungspunkte bieten in diesem Kontext sicherlich die Ergebnisse der Haushaltsstrukturkommission. Wir brauchen einen sehr breiten politischen Dialog darüber, wie wir uns die dabei gewonnenen Erkenntnisse – übrigens auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung – zunutze machen können.

Die Landesregierung hat unter meinem Vorsitz den Kabinettausschuss „Nachhaltige Haushaltsstruktur in Hessen“ ins Leben gerufen. Ich bin ausgesprochen dankbar dafür, dass sich nach den Beratungen im Haushaltsausschuss abzeichnet, dass sich auch die Fraktionen des Hessischen Landtags mit diesem Bericht intensiv auseinandersetzen werden. Der weitere Weg zum Haushalt ohne Nettokreditaufnahme ist aus meiner Sicht zu wichtig, um ihn durch

ausschließlich parteipolitisch motivierte Sandkastenspiele zu zerreden oder gar zu gefährden.

Dass die alten Reflexe noch da sind, hat die Diskussion rund um die Steuerschätzung eindrucksvoll gezeigt. Sie wurden 40 Jahre lang geübt. Noch bevor ich die hessischen Zahlen der Öffentlichkeit überhaupt zugänglich machen konnte, gab es schon einen rasanten öffentlichen Wettbewerb der Opposition, wofür man das Geld ausgegeben könnte. Meine Damen und Herren, wenn man mit dem ernst genommen werden will, was man sich hinsichtlich der Nachhaltigkeit, des Sanierens und der Haushaltskonsolidierung auf die Fahnen schreibt, muss man das als Allererstes lassen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Ob darüber hinaus durch eine kurzfristige Neuordnung des Länderfinanzausgleichs eine zusätzliche Entlastung des Landeshaushalts erreicht werden kann, lässt sich heute noch nicht absehen, zumal sich nach der politischen Neuorientierung in Baden-Württemberg die dortige Landesregierung noch nicht abschließend hinsichtlich der Fragen einer gemeinsamen Klage und eines gemeinsamen weiteren Vorgehens positioniert hat. Aber wir werden unseren Kurs gemeinsam mit den bayerischen Kolleginnen und Kollegen fortsetzen und hoffen, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg eine Einschätzung zu den Interessen ihres Landes in der Art finden wird, wie wir das erhoffen und wie es sich in manchen Äußerungen auch andeutet.

Alles in allem bleibt es jedoch bei der relativ einfachen Wahrheit: Die derzeit bestehende Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben wird sich in den kommenden Jahren nur schließen, wenn die Einnahmen dauerhaft stärker als die Ausgaben wachsen. Das ist eine Binsenweisheit. Je höher das Wachstum der Einnahmen ist, umso höher kann damit auch die zulässige Steigerung der Ausgaben ausfallen.

Die zweite Wahrheit lautet daher: Um eine auskömmliche Einnahmeentwicklung sicherzustellen, bedarf es vor allem einer nachhaltigen Politik des wirtschaftlichen Wachstums. Die Politik des Bundes und der Länder ist gefordert, durch die entsprechenden Weichenstellungen die erforderlichen Rahmenbedingungen zu ermöglichen.

Die aktuelle Steuerschätzung zeigt eindrucksvoll, von welch zentraler Bedeutung das Wirtschaftswachstum für unser Land ist. Wir diskutieren über manche Einsparbeträge sehr hart. Dabei muss man sehen, in welchem Verhältnis sich die konjunkturelle Dynamik in unserer Steuerschätzung niederschlägt. Da ist also die erste Priorität bei dem, was wir tun müssen, um die Einnahmen zu sichern. Manche Diskussion um Einnahmepotenziale durch gesetzgeberische Maßnahmen wirkt im Verhältnis zu dem klein, was wirtschaftliches Wachstum in der Haushaltspolitik ermöglicht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Auf unserer Agenda steht selbstverständlich auch das notwendige Ausführungsgesetz zur Schuldenbremse. Bekanntlich haben sich die Fraktionen, die die Verfassungsänderung getragen haben, dankenswerterweise bereits auf Eckpunkte für ein Ausführungsgesetz verständigt. Damit wurden die inhaltlichen Grundlagen für die weiteren parlamentarischen Beratungen gelegt. Die Tücken werden beim späteren Verfahren sicherlich manchmal im Detail liegen. Ich würde mich aber freuen, wenn der kooperative und konstruktive Stil, mit dem wir diese Gespräche in der Vorweihnachtszeit nicht nur unter dem Gesichts

punkt der Feier mit dem Tannenbaum, so hoffe ich, geführt haben, fortgesetzt werden könnte.

(Florian Rentsch (FDP): An uns wird es nicht liegen!)

Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, dass die Landesregierung aus ihrer Verantwortung heraus tätig werden wird. Sie wird einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Meiner Ansicht nach sollten wir das Jahr 2012 gemeinsam für eine abschließende parlamentarische Beratung nutzen. Aber das wird, nachdem wir den Gesetzentwurf vorgelegt haben, am Ende in Ihrer gemeinsamen parlamentarischen Verantwortung liegen.

Mit einer zentralen Frage müssen wir uns noch beschäftigen. Das verspricht, auch inhaltlich spannend zu werden. Sie lautet: Wie hoch darf künftig die konjunkturbedingte Verschuldung sein? Wie viel Schulden dürfen wir aufgrund der schwankenden Konjunktur noch aufnehmen, die wir danach sofort zurückzahlen müssen?

Bei dem Konjunkturbereinigungsverfahren, das Gegenstand vielfacher wissenschaftlicher Betrachtung ist, sollten wir uns auf ein Verfahren verständigen – das ist die Einschätzung der Landesregierung, die wir auch im Verfahren zur Verfassungsänderung wegen der Schuldenbremse bereits deutlich gemacht haben –, das möglichst viele außer uns auch verwenden. Es sollte ein Verfahren sein, das sowohl im Bund als auch in den Ländern nach Möglichkeit einheitlich verwendet wird. Es bietet sich an, ein Verfahren zu wählen, das sich mit der europäischen Ebene in besonderer Weise im Einklang befindet.

In der Sache gibt es einen Wegweiser. Insofern gibt es auch dort einen Erkenntnisfortschritt. Das ist die Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den sogenannten Not leidenden Ländern Berlin, Bremen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein über die Gewährung von Konsolidierungshilfen des Bundes. Da hat man sich auf das Konjunkturbereinigungsverfahren verständigt, das auch auf der europäischen Ebene Verwendung findet. Es liegt also nahe, sich bei dieser Frage so zu positionieren.

Ich komme zum Schluss meiner Rede: Dem 27. März 2011 wird am Ende in der Geschichte unseres Landes ein herausragender Stellenwert zukommen. Da bin ich mir sehr sicher. Das Abstimmungsergebnis der hessischen Bürgerinnen und Bürger zur Schuldenbremse bedeutet eine großartige Ermutigung für all diejenigen, die sich in besonderer Weise gegen das stetige Anwachsen der Staatsverschuldung aussprechen.

Es liegt im Interesse der künftigen Generationen, die Herausforderungen zu bewältigen, die daraus entstehen. Die Grundlage dafür ist ein Verfassungsgebot, das niemand mehr ignorieren kann. Das werden alle politischen Mehrheiten, wie sie auch nach Wahlen zu diesem Haus jemals aussehen werden, zu berücksichtigen haben. Ich glaube, dass das deshalb eine Entscheidung ist, die weit über den Tag der Abstimmung hinaus trägt und tragen wird.

Die Hessische Landesregierung, das darf ich Ihnen versichern, ist fest entschlossen, ihren Beitrag zur Erreichung des Verfassungsziels zu leisten, und zwar ohne Wenn und Aber.

Im Sinne der Sparsamkeit für das Land Hessen, und um die Bereitschaft der Hessischen Landesregierung zum Sparen zu zeigen, habe ich meine Redezeit um drei Minuten unterschritten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU – Anhal- tender Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Finanzminister. Damit können wir unseren heutigen Sportempfang drei Minuten früher beginnen.

(Günter Rudolph (SPD): Wenn es keine Kurzintervention gibt!)

Das liegt an der Opposition.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Nicht nur! – Günter Rudolph (SPD): Das liegt daran, was die Regierung sagt!)

Ich rufe zur Debatte auf und erteile als erstem Redner Herrn Kollegen Schmitt von der SPD das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch wir teilen die Auffassung des Finanzministers, dass die deutliche Mehrheit zur Einführung einer Schuldenbremse in die Hessische Verfassung zu begrüßen ist. Damit gehen Auftrag und Verpflichtung für den Landtag und die Landesregierung einher, dieses klare Votum auch in die Tagespolitik umzusetzen. Gleichzeitig zeigt aber die Ablehnung von fast 30 % der abgegebenen Stimmen, dass es Besorgnis bei Bürgerinnen und Bürgern gibt. Bei den Debatten, die ich geführt habe, war dies die Besorgnis, dass es zu nicht vertretbaren Einschränkungen in wichtigen Feldern der Landespolitik kommen könnte. Es war auch die Besorgnis vorhanden, dass die Volksabstimmung als Legitimation dazu missbraucht wird, um im Sinne neoliberaler Politikkonzepte Schritt für Schritt die Staatstätigkeit einzustellen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deshalb darf ich für meine Fraktion feststellen, dass mit der erfolgten Verfassungsänderung die Verpflichtung von Landesregierung und Landtag einhergeht, für ausreichende Einnahmen zu sorgen. Damit wird in der Hessischen Verfassung verankert, dass Grundlage einer aufgabengerechten Staatsführung ausreichende Einnahmen sind. Erstmals in einer Verfassung in Deutschland ist dieser Hinweis auf die Einnahmeverantwortung enthalten.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Entschuldigung, Herr Abgeordneter. – Herr Rudolph, es ist richtig, dass man nicht stören sollte. Ich bekomme das aber wegen der Lautstärke nicht ganz mit. – Ich bitte um Entschuldigung, Herr Kollege Reif. Sie mögen bitte Platz nehmen, um den wichtigen Ausführungen des Kollegen Schmitt zu folgen. Danke schön.

Der Finanzminister hatte angekündigt, dass er mit der Kultusministerin in einen Dialog über die Kürzungen treten will; das muss man ein bisschen verstehen. – Also: Erstmals ist in einer deutschen Verfassung die Einnahmeverantwortung verankert worden. Das ist durch die Volksabstimmung geschehen. Damit gehen auch wichtige Verpflichtungen einher. Herr Finanzminister, deswegen bin ich darüber ziemlich enttäuscht, dass Sie über diese Frage der Einnahmeverantwortung der Landesregierung kein Wort gefunden haben.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die Formulierung der Verfassungsänderung macht nämlich deutlich, dass das Schuldenverbot nicht als einseitige Aufforderung misszuverstehen ist, staatliche Aufgaben einzuschränken und schwere Einschnitte vorzunehmen. Die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Aufgabenwahrnehmung ist gerade mit dieser Formulierung nicht infrage gestellt, sondern das Gegenteil ist der Fall.