Protocol of the Session on April 13, 2011

Wir kritisieren, dass wir noch nicht komplett grünes Licht haben. Aber das ist ein Diskussionsprozess. Bei den Eckpunkten ist klar, in welche Richtung sie gehen sollen. Sie werden auch weit getragen. Es wurde vom Kollegen Spies angeregt, es gebe eine Phalanx zwischen einer Fraktion, deren Name ich nicht nennen muss, und uns. Herr Kollege Spies, das ist nicht ganz richtig. Das wissen Sie auch.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Wenn auch nicht ganz falsch!)

Ich habe vorhin etwas aufgehorcht, als die Kollegin Schott, die noch im Raum war – da hinten ist sie, hallo, Frau Schott –,

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

gesagt hat, die MVZ seien eine Idee der SED gewesen, und das seien die Polikliniken. Dann hätte Ulla Schmidt SED-Ideen umgesetzt, Herr Kollege Spies. Vielleicht sollten Sie das nachher einmal klarstellen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Ich finde es insofern ganz spannend, denn wer einmal mit DDR-Bürgern zu tun hatte, die sich einmal über die „hohe Versorgungsqualität“ in einer Poliklinik beschwert haben, wo der Mangel verwaltet worden ist, wo die Lebenserwartung niedriger war, und dann diese Modelle als positive Beispiele herausstellt, der sollte sich schämen. Das muss ich wirklich sagen. Das ist wirklich peinlich.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich glaube, dass das ganze Paket, das wir jetzt hoffentlich weitgehend erhalten, dazu führen wird, dass wir es schaffen können

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

es ist ein erster Schritt dorthin –, lokale, regionale Lösungen zu ermöglichen. Das ist das Ziel, das wir haben.

Es ist auch richtig, dass die Länder eingebunden werden, denn wir bekommen auch Beschwerden. Wir sind diejenigen, die da unterwegs sind. Ich glaube, darüber gibt es zwischen den Fraktionen auch keinen Dissens. Die Länder müssen hier mehr Möglichkeiten haben. Es bestätigt sich auch in dieser Debatte – ich werde gleich noch sagen, was die Kassenärztliche Bundesvereinigung jetzt lobt –, dass die zentralen Lösungen, wie sie uns immer als einzig wahre Möglichkeit vorgebetet werden, nicht die richtigen sind.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Wir brauchen unterschiedliche Maßnahmen. Ich glaube, darüber gibt es zwischen den Fraktionen auch keinen Dissens. Die Bundesländer müssen ihre spezifischen Probleme – Hessen ist anders strukturiert als Baden-Würt

temberg oder Mecklenburg-Vorpommern – auch abbilden können.

Ich habe mich gefreut, dass die Pläne der Koalition in Berlin bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Unterstützung finden. Ich glaube, dass dort verschiedene Sachen angedacht werden, die notwendig sind.

Ich will eine konkrete Maßnahme herausgreifen, die für Ärzte wirklich ein großes Problem ist. Es kann nicht sein, dass man, wenn man in einer ländlichen Region Hausarzt ist, mit einer Patientenschaft, die im Vergleich zu den Patienten in den Ballungsgebieten deutlich älter ist, mit vielen Chronikern, denen man viele Medikamente verschreiben muss – es müssen keine Chroniker sein bei den speziellen Regelungen –, jedes Quartal Gefahr läuft, in den Arzneimittelregress zu kommen. Deshalb ist es richtig, dass auch hier diskutiert wird, was man da verändern kann. Das Thema „Beratung vor Regress“, das ganz konkret auf dem Tisch liegt, birgt wirkliche Vorteile, wenn wir dorthin kommen würden. Denn so kann es nicht bleiben. Es kann nicht sein, dass ein Arzt dafür bestraft wird, wenn er seine Arbeit tut, nur weil er in einer Gegend lebt,

(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Herr Kollege Spies, wo möglicherweise mehr ältere Patienten zu Hause sind. Das darf nicht zu einer Bestrafung führen.

(Beifall bei der FDP – Dr. Thomas Spies (SPD): Das wurde er auch nie!)

Herr Kollege Spies, doch. Man merkt an diesen Zwischenrufen, dass Sie selten als niedergelassener Arzt gearbeitet haben.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Das wird er nicht und wurde er nie!)

Ich würde Ihnen raten: Wir machen gerne einmal eine gemeinsame Tour.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Im Unterschied zu Ihnen, der Sie als niedergelassener Arzt tätig sind, oder was?)

Herr Kollege Spies, nein. Aber ich rede mit niedergelassenen Ärzten. Das sollten auch Sie tun. Das hilft. Das Gespräch kann Vorurteile abbauen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Meine Damen und Herren, deshalb müssen wir weg von solchen Abschreckungsmechanismen, wie wir sie in den letzten Jahren, gerade auch von Ulla Schmidt eingeführt, genutzt haben. Ich glaube, deshalb ist das, was wir heute diskutieren, der Einstieg in eine neue Form der Steuerung – bitte Kurzintervention –, was wir von Landesseite tun können. Ich sage aber auch: Ich will, dass wir in diesen Diskussionsprozess auch die Ärzte, die Kassenärztliche Vereinigung konkret einbinden.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Ralf-Norbert Bartelt (CDU))

Wir müssen diejenigen mit einbinden, die letztendlich von der öffentlichen Hand damit beauftragt worden sind, den Sicherstellungsauftrag zu organisieren. Körperschaft des öffentlichen Rechts ist man nicht ohne Grund. Das wird man, wenn man eine staatliche Aufgabe in diesem Bereich übernimmt. Deshalb ist es richtig – das hat Stefan Grüttner ausgeführt; das wird er sicherlich in seiner Rede gleich wiederholen –, dass wir den Konsens und die Zusammen

arbeit mit den Playern brauchen, die diese Aufgabe zu übernehmen haben. Wir werden sie dabei unterstützen. Wir werden sie aber auch hartnäckig unterstützen – das darf ich auch sagen –, weil wir den Anspruch haben, in unserem Bundesland eine gute ärztliche Versorgung sicherzustellen. Diesem Anspruch werden wir in den nächsten Monaten sicherlich noch konkrete Maßnahmen folgen lassen. Ich bin mir sicher, dass dann auch die Wähler in Hessen sehen werden, dass wir bei diesem Thema zwischen Landesebene und Bundesebene viel erreicht haben. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Wort hat Herr Staatsminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin sehr dankbar für die Debatte, die in vielen Teilen eine große Gemeinsamkeit zum Vorschein bringt. Dass die Entwicklungen von Mittwoch bis Freitag letzter Woche anscheinend genutzt werden müssen, um an dieser Stelle politische Positionierungen vorzunehmen, gehört zur politischen Diskussion. Das ist fast selbstverständlich. Aber ich finde, dazu gehört es dann auch, die Genese dieser Diskussion, und warum wir überhaupt darüber diskutieren können, darzustellen.

Wir haben auf der einen Seite eine bundesgesetzliche Regelung zur Versorgung. Dies ist auf der Bundesebene wiederum an den Gemeinsamen Bundesausschuss übertragen, in dem die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Krankenkassen, die bundesaufsichtlich organisiert sind, versuchen, quer über Deutschland hinweg Bedarfszahlen für die Versorgung mit Ärzten festzulegen. Das ist die bisher geltende Regelung.

Wir haben auf der anderen Seite Länder, die einen grundgesetzlichen Auftrag haben, auch für die Daseinsfürsorge in ihren Ländern zu sorgen. Zur Daseinsfürsorge gehört selbstverständlich auch die richtige und ordnungsgemäße Versorgung mit Ärzten quer über das Land. Bisher hatten die Länder aber überhaupt keine Einflussmöglichkeiten darauf. Denn sie hatten auch keine Chance, Einfluss zu nehmen auf das, was auf der Bundesebene zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Krankenkassen organisiert ist, und auf das, was in den Ländern zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen und den in Hessen tätigen Krankenkassen organisiert ist. Trotzdem sind die Probleme mit der ärztlichen Versorgung bei den Bürgermeistern, bei den Landtagsabgeordneten, bei den Stadtverordneten, bei den Kreistagsabgeordneten, aber auch bei der Landesregierung angesprochen worden.

Es war ein etwas mühsamer Prozess, gar keine Frage, den Bundesgesundheitsminister mit einem gemeinsamen Beschluss aller Länder vom Sommer letzten Jahres dazu zu bringen, sich dieser Problematik anzunehmen und – wir wissen, was das heißt – sich auf einen Weg zu begeben, eigene Kompetenzen und Kompetenzen des Bundestages abzugeben.

Ich will an dieser Stelle auch sagen, dass der Versuch fehlgeht, die Kritik an dem Bundesgesundheitsminister dergestalt darzustellen, dass er keine Sanktionsfähigkeiten hat, dass er keine Chance gehabt hat, sich durchzusetzen;

denn er hat in dieser Entwicklung einen nicht unbeträchtlichen Anteil daran gehabt, dass die Länder immer die Chance hatten, zusammenzubleiben, da er kompromissfähig gewesen ist, da er eingesehen hat, dass er eigene Kompetenzen auch im Interesse der Sache abgeben muss. Er hat es an dieser Stelle immerhin geschafft, zumindest die Regierungsfraktionen des Bundestages von CDU/CSU und FDP ein großes Stück mitzunehmen.

(Zuruf der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist – ich will auch das sehr deutlich sagen – noch nicht genug gelungen. Die Eckpunkte, die der Bundesgesundheitsminister mit den Ländern ausgehandelt hat, sind ein Kompromiss. Der ist im Übrigen von allen Ländern getragen worden. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Länder es in einem nächsten Schritt schaffen, die Bundestagsfraktionen davon zu überzeugen, diese Schritte mitzugehen und ihnen zu verdeutlichen, dass es in der Tat kaum möglich ist, über eine bundesweite Bedarfsplanung nicht nur regionale Versorgungsengpässe zu identifizieren, sondern auch zu Lösungen zu kommen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Unabhängig davon, wie die Gespräche jetzt weitergehen, will ich an der Stelle sagen, was wir schon jetzt erreicht haben. Das Erste ist, dass die Bedarfszahlen, die über 20 Jahre alt sind, der Vergangenheit angehören, dass der Gemeinsame Bundesausschuss auf Bundesebene nur einen Rahmenplan vorgibt, dass es gesetzlich vorgeschrieben werden kann, dass die Landesausschüsse davon abweichen können und – jetzt kommt das Entscheidende; auch dies ist bisher konzertiert – dass die Länder die Chance haben, in den Landesausschüssen so mitzuwirken, dass sie nicht nur die Rechtsaufsicht haben, nicht nur Beschlüsse beanstanden können, sondern auch ein Initiativ- und ein Mitspracherecht haben, um sich der regional unterschiedlichen Versorgungsgrade oder Problemstellungen in der Region anzunehmen.

Wir werden in einem ersten Schritt schon darauf achten, dass die Selbstverwaltungskörperschaften ihren Aufgaben auch nachkommen, dass sie als Ärzte und als Kassen versuchen, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein. Wir werden sie anschubsen, dass sie sich dieser Verantwortung bewusst sind. Dieses Recht hatten wir bisher nicht. Wenn wir dann merken, dass es immer noch nicht klappt, haben wir sogar die Chance, Auflagen und letztendlich auch Ersatzvornahmen vorzunehmen. All dies ist schon Konsens, und zwar zwischen den Bundestagsfraktionen, dem Bundesgesundheitsminister und den Ländern. Also tun wir nicht so, als ob wir bei der Frage so weit vom Konsens entfernt seien.

Einige Punkte, die für die Länder wichtig sind, sind noch offen, unbestreitbar. Das ist die Frage, wie wir mit Selektivverträgen umgehen – wenn es also um spezielle, nicht allgemeine ärztliche Versorgungsverträge geht, sondern spezielle Arztgruppen betrifft, Fachgruppen. Auch die Frage, wie sich dort die Einbindung in die Notdienste zu gestalten hat, ist noch offen. Offen ist noch die Frage, wie unser Recht zur Teilnahme – das wir als Länder bisher überhaupt noch nicht hatten und das im Übrigen auch der Bund nicht hat – im Gemeinsamen Bundesausschuss im Hinblick auf die Bedarfsplanung noch weiter ausgestaltet werden kann.

Mit Sicherheit ist auch noch die Frage offen: Bekommen wir – wenn wir mit den Kostenträgern tatsächlich verhan

deln – Landesbevollmächtigte der Krankenkassen, die der Bundesaufsicht unterstehen, die eine entsprechende Abschlussvollmacht haben, sodass wir mit ihnen Verträge schließen können?

Diese Punkte sind noch offen, das ist gar keine Frage. Aber wir haben schon unglaublich viel erreicht. Es war ein Prozess des Kompromisses – des Kompromissfindens und -schließens, des Aufeinander-Zugehens. Da mussten sich alle Seiten bewegen: Bundestagsfraktionen, Bundesgesundheitsminister und Länder. Wenn Bundesgesundheitsminister und Länder sich jetzt schon einmal so weit zusammengefunden haben, dass die einig sind, dann werden wir es auch gemeinsam schaffen, die Bundestagsfraktionen davon zu überzeugen, dass das der richtige Weg ist.

Dies allein reicht immer noch nicht aus.

Im Übrigen sind viele Dinge richtig gesagt worden. Frau Schulz-Asche, ich bin mit Ihnen einer Meinung, dass nicht allein die Anzahl der Studienplätze – im allgemeinmedizinischen Bereich genauso wie im fachärztlichen Bereich – ausreichend ist, um eine zukünftige ausreichende Versorgung zu garantieren. Wir brauchen vielmehr eine Reihe weiterer Anreize, damit sich Medizinerinnen und Mediziner nach dem Studium niederlassen.

Auch da ist schon vieles vereinbart worden. In Zukunft wird es eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geben. Wir haben längere Pausen für Kindererziehung oder für die Pflege von Angehörigen vereinbart. Wir haben bereits vereinbart, dass wir in Zukunft nicht mehr nur starre Zulassungen von 50 % oder 100 % haben, sondern dass auch andere Zulassungsgrade möglich sind.

Wir haben vereinbart, dass die Residenzpflicht endet und ich beispielsweise in einem Ballungsgebiet leben und wohnen kann, aber im ländlichen Gebiet arbeiten und die Praxis betreiben kann.