Protocol of the Session on March 3, 2011

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber diese Rede enthielt auch Passagen, die zu Recht viel Kritik auf sich gezogen haben.

Ich möchte mit dem Thema Rassismus und Islamophobie anfangen. Wenn Herr Erdogan davor warnt, hat er natürlich Recht. Wer wollte ihm darin widersprechen, dass das negative Dinge sind? Aber er tut das in einem Duktus, der Deutschland so erscheinen lässt, als ob Menschen mit türkischem Migrationshintergrund hier tagtäglich Repression und Verfolgung ausgesetzt wären. Damit zeichnet er wirklich ein Zerrbild unseres Landes. Das ärgert mich. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das ärgert mich maßlos,

(Beifall bei der FDP und der CDU)

auch wenn wir da natürlich Probleme haben. Aber die Art und Weise, wie er das dargestellt hat, die ärgert mich wirklich.

Diese Äußerungen zum Thema Religionsfreiheit und zum Thema Menschenrechte werden unglaubwürdig, wenn sie von dem Ministerpräsidenten eines Landes kommen, das in diesen Punkten noch großen Nachholbedarf hat.

(Beifall bei FDP und der CDU)

Auch wenn die Türkei in den vergangenen Jahren viele Fortschritte erzielt hat, so ist sie dennoch für Deutschland kein Musterland für Menschenrechte und Religionsfreiheit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Diese Kritik muss sich Herr Erdogan schon entgegenhalten lassen. Es ist unglaubwürdig, wenn er so etwas sagt.

Nun zum schwerwiegendsten Punkt, und ich denke, damit kommen wir auch zum Kern der integrationspolitischen Debatte. Herr Merz, auch Sie schätze ich sehr, aber ich muss sagen: Auch Ihre Rede hat das Thema verfehlt.

(Beifall bei FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Sie haben sich sehr stark auf den Aspekt des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft konzentriert. Das war aber gar nicht der Punkt. Denn Herr Erdogan hat ausdrücklich die Menschen mit türkischem Migrationshintergrund einbezogen, die bereits die deutsche Staatsbürgerschaft haben.

(Horst Klee (CDU): Genau!)

Deswegen sage ich: Herr Merz, es tut mir leid, sonst sehr große Sympathie – aber hier hat Ihre Rede das Thema verfehlt.

Zur Veranschaulichung des Sachverhaltes möchte ich Ihnen von einem Ereignis berichten, das sich in der letzten Woche am Wahlkampfstand meiner Parteifreunde in Frankfurt zugetragen hat. Dort stand ein Kandidat für die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, der türkische Eltern hat, und wurde von einem Deutschen – offensichtlich ohne Migrationshintergrund – mit den Worten angesprochen: Ja, Sie als Türke. – Darauf hat er natürlich gesagt: Ich bin Deutscher. Das Gespräch ging dann ein biss chen hin und her. Schließlich hat der interessierte Herr meinem Kollegen zugestanden: Ja, gut, Sie sind also Deutscher – sagen wir so: Sie sind Türke mit deutschem Pass.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist Diskriminierung!)

Das ist ein Ausdruck dessen, dass die Realität bei vielen Menschen in diesem Land noch nicht angekommen ist.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der CDU)

In Gesprächen mit deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund höre ich immer wieder, dass sie das nervt, immer wieder auf ihren Migrationshintergrund reduziert zu werden, und es immer heißt: Ja, ja, du hast einen deutschen Pass, aber letzten Endes bist du doch ein Türke, ein Kroate, ein Marokkaner, was auch immer.

In der Ablehnung dieser Entwicklung sollten wir uns doch alle einig sein. Wir sollten diese Menschen als ganz normale Deutsche betrachten, wie alle anderen auch.

(Beifall bei der FDP, der CDU, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der SPD)

Aber diese Entwicklung wird torpediert, wenn ein türkischer Ministerpräsident alle paar Jahre in diesem Land vorbeikommt und sagt: Ihr könnt einen deutschen Pass haben, ihr könnt euch integrieren, wie ihr wollt – aber für mich werdet ihr immer Türken bleiben. Das ist doch genau das Ärgerliche an dieser Debatte.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist das gleiche Lied wie bei Herrn Irmer!)

Deswegen muss ich sagen: Die Kritik an Herrn Erdogan ist berechtigt – so sehr seine Erfolge an anderer Stelle auch nicht zu bestreiten sind.

Zum Abschluss. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns doch alle einig. Integration erfordert Offenheit und Aufnahmebereitschaft der Aufnahmegesellschaft – und natürlich auch Offenheit und Anstrengung der Zugewanderten.

Deswegen möchte ich mit einem Zitat von Georg August Zinn schließen. Er hat diese Wechselseitigkeit des Prozesses sehr schön ausgedrückt und gesagt: Hesse ist, wer Hesse sein will. – Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der FDP, der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Mick, vielen Dank. – Herr Al-Wazir, Sie haben jetzt das Wort und sprechen für Ihre Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Mick, ich kann alles unterschreiben, was Sie gesagt haben, wirklich alles.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der CDU und der FDP sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Solche Reden, wie sie Herr Erdogan gehalten hat, bringen die Integration in Deutschland keinen Millimeter voran.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Im Gegenteil!)

Dazu gehört allerdings auch: Weder diese Reden alle drei Jahre in Köln oder Düsseldorf bringt die Integration voran, noch bringt der „Wetzlar-Kurier“ jeden Monat die Integration voran.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Ich sage das sehr bewusst, denn warum diskutieren wir dieses Thema hier überhaupt?

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Da gibt es einen rechtskonservativen türkischen Ministerpräsidenten, und im Juni sind Wahlen in der Türkei. Also macht er hier Wahlkampf. Denn ein Teil derer, die noch die türkische Staatsbürgerschaft haben, sind auch wahlberechtigt.

Natürlich gibt es dann eine Reaktion des rechtskonservativen Teils des Hessischen Landtags auf den rechtskonservativen türkischen Ministerpräsidenten – weil nämlich Ende März Landtagswahlen in drei Ländern und Kommunalwahlen in Hessen stattfinden.

Was haben die beiden gemeinsam?

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Mehr, als sie voneinander denken. Beide haben gemeinsam, dass sie Wahlkampf machen wollen und dass solche Debatten die Integration nicht voranbringen. Denn am Ende gibt es keine konkreten Ergebnisse.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit es ganz klar ist: Die Kommunikationssprache in Deutschland ist Deutsch. Wer kein Deutsch kann und dauerhaft in diesem Land lebt, der bekommt Probleme in der Schule, am Arbeitsplatz – er bekommt Probleme in der Kommunikation, in der Gesellschaft, übrigens auch zwischen den unterschiedlichen Migrantengruppen. Es ist völlig klar: Ohne Deutsch geht es hier nicht.

Zweiter Punkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Fremdsprachenkenntnisse sind für das Leben in der globalisierten Welt ebenfalls von Vorteil.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Auch darin müssen wir uns einig sein. Deswegen sage ich sehr deutlich: Wir müssen alles dafür tun, dass die Menschen in Deutschland Deutsch können. Aber wir sollten die Herkunftssprache nicht als Ballast sehen, sondern im guten Fall auch als Chance zur Zwei- und Mehrsprachigkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Janine Wissler und Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen sage ich: Das, was Herr Erdogan zur Assimilation gesagt hat, ist schlichter Unfug. Ich zitiere an diesem Punkt meinen Bundesvorsitzenden Cem Özdemir: „Es kann keinen Zwang zur Assimilation geben, aber ein Recht darauf. Kein Staat, kein Politiker, weder Frau Merkel, noch Herr Erdogan, hat den Bürgerinnen und Bürgern vorzuschreiben, ob sie religiös sein sollen oder welche Sprache sie mit ihren Kindern sprechen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das gilt aber in alle Richtungen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)