Protocol of the Session on March 2, 2011

(Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie lesen Sie denn vor?)

Eine solche Debatte wenige Wochen vor der Kommunalwahl hat die unterschiedlichsten Facetten. Sie offenbart unterschiedlichste Nervositätsgrade, sie offenbart die Hoffnungen der einen, wieder stärkste Kommunalpartei in diesem Land zu werden, die in den letzten Wochen von Umfrage zu Umfrage ein bisschen abgeschwächt wurden. Dabei wurden die Maßstäbe so nach unten geredet, dass mittlerweile das Erreichen der 5-%-Hürde schon als Erfolg gewertet werden kann.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Reden Sie von sich?)

Das sind alles Diskussionspunkte, die eine solche Debatte im Vorfeld prägen. Deswegen will ich mich an der Vergangenheitsbewältigung nur sehr rudimentär beteiligen und nur einen Punkt ansprechen, weil er in der Sache völlig falsch ist. Der Vortrag, bei den 50 Millionen €, die aus den Überschüssen des Jahres 2010 für das Antischlaglochprogramm mobilisiert worden sind, handele es sich um denselben Betrag, der bereits der vorgezogenen Spitzab rechnung zugeführt worden sei, ist schlicht falsch. Sowohl

Sie, Herr Schäfer-Gümbel, als auch Sie, Herr Al-Wazir, haben das hier vorgetragen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, das stimmt nicht!)

Das widerspricht schlicht und ergreifend der Wahrheit. Herr Kollege Kaufmann, vielleicht haben Sie nicht allen Teilen zugehört; es ist aber schlicht und ergreifend so, dass es weitere 50 Millionen € sind, die zusätzlich für die vorgezogene Spitzabrechnung im Jahr 2011 eingesetzt werden. Das will ich an der Stelle klar und deutlich gesagt haben.

(Beifall bei der CDU – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich verstehe den KFA ja! – Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Es kann doch kein Zweifel und kein Streit darüber bestehen, dass es den Kommunen in Deutschland, aber auch den Kommunen in Hessen im Moment alles andere als gut geht. Ich finde den Streit darüber, ob es nun an der einen oder anderen Maßnahme, oder an der einen oder anderen Regierung hänge – verzeihen Sie –, etwas kleinkariert. Da muss man sich die Zahlen noch einmal verdeutlichen. Wenn ich mir die Prognosen der Steuerschätzung vom Mai 2008 anschaue und sie mit den aktuellen, schon verbesserten Prognosen vergleiche, dann ist eine Differenz für Bund, Länder und Gemeinden zusammen, auf das Jahr 2011 gerechnet, von 80 Milliarden € zu verzeichnen.

Die Annahme, die man teilweise aus der kommunalen Familie hören konnte, im Zusammenwirken von Konjunkturprogrammen werde die Finanzkrise an den Kommunen vorbeigehen, ist ein Irrglaube. 80 Milliarden € jedes Jahr weniger spüren alle staatlichen Ebenen. Deswegen kracht und ächzt es im Bundeshaushalt, deswegen haben wir ein beträchtliches Defizit – ein beträchtlich höheres Defizit, als wir gehabt hätten, wenn die Steuerentwicklung der Jahre 2007 und 2008 so weitergegangen wäre –, und deswegen haben auch die Kommunen ihre Probleme. Meine Damen und Herren, es geht allen staatlichen Ebenen im Moment signifikant schlechter als vor der großen Wirtschaftskrise. Das ist auch kein Wunder; wenn die Wirtschaft in einem Jahr um 5 % zusammenbricht, dann merken wir das alle.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deswegen sind Krokodilstränen für die eine oder andere staatliche Ebene unangebracht.

(Sigrid Erfurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann dürfen keine Steuern gesenkt werden!)

Wir sollten versuchen, über Zukunftsperspektiven zu reden. Die Zukunftsperspektiven sind besser, als sie von manchen Betroffenen – was ich verstehe – gemalt werden, wenn ich mir nur anschaue, wie sich die Gewerbesteuer entwickelt hat. Wir sind nach einem dramatischen Einbruch der Gewerbesteuereinnahmen quartalsweise auf 600 Millionen € in Hessen im letzten Quartal des Jahres 2010 wieder auf dem Stand des dritten Quartals des Jahres 2008. Ende des Jahres 2010 haben wir weit über 1 Milliarde € Gewerbesteuereinnahmen gehabt. Das ist das, was hessische kommunale Finanzen und hessische kommunale Einnahmen in besonderer Weise auszeichnet. Das führt im Übrigen auch zur Belastung im Länderfinanzausgleich. Die Gewerbesteuerstärke beginnt in Hessen wieder in einer ganz besonderen Weise Platz zu greifen, und das ist ein gutes Zeichen für die weitere Steuerentwicklung auf der kommunalen Ebene.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deswegen sind die Zukunftsprognosen, wenn ich mir anschaue, wie sich die Landessteuereinnahmen einerseits und die kommunalen Steuern andererseits vermutlich entwickeln werden – wahrscheinlich wird die Steigerung der kommunalen Steuereinnahmen größer ausfallen als die der Landessteuereinnahmen –, gar nicht so schlecht. Das liegt daran, dass die Gewerbesteuer ein Treiber der nächsten Zeit sein wird. Wenn ich dann hinzuaddiere, dass durch die Entscheidungen im Zuge des Hartz-IV-Kompromisses die Grundsicherung von 4 Milliarden € mit steigender Tendenz vom Bund übernommen wird, ist das eine zusätzliche Perspektive. Das ist im Übrigen vom Bund nicht nur im Zusammenhang mit Hartz IV in die Diskussion gebracht worden, diese Frage stand schon längst auf der Tagesordnung der Kommission zur Gemeindefinanzreform. Ich selbst bin Mitglied dieser Kommission. Das war ein Angebot des Bundes an die Kommunen.

Diese Geschichte ist ein relativ fester Baustein gewesen, der dann herausgelöst wurde, um ein anderes Problem zu lösen. Diese Entwicklung war klar vorgezeichnet, bevor sie im Zuge der Hartz-IV-Reform aufgegriffen worden ist. Das ist ein wichtiger Baustein, denn er bringt gerade denjenigen Kommunen, die Sozialleistungsträger sind, in besonderer Weise eine neue Perspektive.

Lassen Sie mich einen weiteren Punkt aufgreifen, bei dem ich mich wundere, dass er bisher in der Debatte keine Rolle gespielt hat. Die Erkenntnisse der Haushaltsstrukturkommission, die in mancher Debatte immer wieder erörtert worden sind, haben eines deutlich gezeigt: Wir haben auf der kommunalen Ebene hinsichtlich der Sozialausgaben einen beträchtlichen Handlungsbedarf. Hessische Kommunen geben im Vergleich zu allen anderen Vergleichs- und Wettbewerbsländern gerade im Süden pro Kopf der Bevölkerung viel mehr aus als die dortigen Kommunen. Selbst wenn ich die Fallzahlen berücksichtige, also pro Kopf des Hilfeempfängers, geben sie immer noch etwa 500 Millionen € im Jahr mehr aus, bei Anwendung des gleichen Bundesgesetzes. Das muss Fragen auslösen. 500 Millionen € im Jahr sind eine beträchtliche Summe. Wir werden in Partnerschaft mit den Kommunen zu Antworten kommen müssen. Nur dann haben wir eine Chance, im Wettbewerb der Kommunen bundesweit einen weiteren Beitrag zur Entschuldung der hessischen Kommunen zu leisten.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn ich das alles zusammenrechne, von Konjunkturprogramm über Schutzschirm bis zu Konsolidierungspotenzial, glaube ich, dass die hessischen Kommunen sehr gute Zukunftsperspektiven haben. Wir alle gehen im Moment gemeinsam durch eine erhebliche finanzielle Durststrecke. Da müssen wir durch, daraus müssen wir die Konsequenzen ziehen, und wir müssen akzeptieren, dass es einige Jahre gibt, in denen manche politischen Geschichten, die man gern verwirklicht hätte, zurückstellt werden müssen. Das trifft alle Ebenen: Bund, Länder und Gemeinden. Danach haben wir mit steigenden Steuereinnahmen eine gute Perspektive auf eine bessere Politikgestaltung. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank Herr Dr. Schäfer. – Wir treten in eine zweite Diskussionsrunde mit fünf Minuten Redezeit ein. Als Ers ter redet Herr Schmitt für die SPD-Fraktion.

(Zuruf des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Debatte hat eine Wendung genommen, die ganz interessant ist, nämlich zu der Frage, inwieweit durch die Hartz-IV-Gesetzgebung und den erzielten Kompromiss die Kommunen entlastet werden. Der Ministerpräsident, der bis dahin an der Debatte nicht teilgenommen hat, hat sich dann zu Wort gemeldet, nachdem der Vorwurf des Kollegen Tarek Al-Wazir in der Welt war, die Hessische Landesregierung sei im Vermittlungsverfahren überhaupt nicht dazu gekommen, die Position der Landesregierung einzubringen, weil sie im Bundesrat dem Gesetz zugestimmt habe.

Der Ministerpräsident hat dann dargestellt, es sei einvernehmlich gewesen, dass die Position des Landes eingebracht werde. Herr Kollege Rentsch hat gesagt, es sei einvernehmlich im Bundesrat gewesen, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wurde.

Ich habe hier das Protokoll der 878. Sitzung des Bundesrates vom 17. Dezember 2010 zum Tagesordnungspunkt 2, Gesetzentwurf zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Im Protokoll ist eine Rede des hessischen Ministers Grüttner aufgeführt. Herr Grüttner hat in dieser Rede sehr stark dafür geworben, dass das Gesetz in seiner Ursprungsfassung, wie es von der Ministerin von der Leyen vorgelegt worden ist, beschlossen wird. Herr Grüttner hat gesagt – das ist auf Seite 497 des Protokolls zu lesen, damit auch die Fußnoten stimmen –:

Deswegen wäre es gut, es nicht mit unsinnigen Forderungen zu befrachten, sondern verantwortungsvoll im Sinne derer zu handeln, denen wir helfen wollen, und ihm zuzustimmen.

Das war am Ende auch das Abstimmungsverhalten des Landes Hessen. Das Land Hessen wollte und hat der Ursprungsfassung des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs zugestimmt, der alles das nicht beinhaltet hat, zu dem es jetzt gekommen ist, nämlich am Ende die Kommunen zu entlasten – eine ganz zentrale Frage.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann das mit dem Abstimmungsverhalten weiter belegen. Es gab einen Antrag der Länder Rheinland-Pfalz, Berlin, Brandenburg, Bremen und Nordrhein-Westfalen auf Anrufung des Vermittlungsausschusses. Über diesen Antrag ist abgestimmt worden. Er hat keine Mehrheit gefunden. Es war nur eine Minderheit. Auch da war das Abstimmungsverhalten des Landes Hessen klar. Herr Ministerpräsident Bouffier, deswegen stelle ich fest, das, was Sie vorhin in der Debatte gesagt haben, ist falsch. Ihrem Vorgänger Koch wäre ein solcher formaler Fehler niemals unterlaufen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist an dieser Stelle typisch, wie der Ministerpräsident versucht, sich dieser Debatte zu entziehen, wo die Lan

desregierung am Ende eben nicht die kommunalen Interessen wahrgenommen hat,

(Florian Rentsch (FDP): Quatsch!)

sondern aus parteitaktischen Gründen bereit war, einen Vorschlag umzusetzen, der am Ende nicht den Erfolg erzielt hat, wie es hier der Fall ist. Deswegen sage ich abschließend – Finanzminister Dr. Schäfer kann sagen, was er will –, die Auffassung haben Sie doch in Ihren eigenen Reihen, wenn Sie mit Kommunalpolitikern von der CDU oder auch von der FDP sprechen. Die Enttäuschung, ja die Wut, ich muss schon sagen, die Verzweiflung über das, was die Landesregierung den Kommunen in vielen Bereichen, natürlich auch auf dem finanziellen Sektor, antut, ist sehr groß.

Sie erleben mittlerweile diese Stellungnahmen nicht nur unter vier Augen, sondern sie sind auch öffentlich. Zum Beispiel hat der Landrat des Kreises Bergstraße – Parteikollege von Dr. Schäfer – angekündigt, gegen die Landesregierung klagen zu wollen. Meine Damen und Herren, glauben Sie denn wirklich, dass Sie mit der Nummer durchkommen wollen, das Bild zu stellen, die Hessische Landesregierung sei kommunalfreundlich? Gleichzeitig wollen Parteikollegen von Ihnen vor dem Staatsgerichtshof gegen dieses Land wegen unzureichender Finanzausstattung klagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wenn Sie Ihre eigenen Reihen nicht überzeugen können, wie wollen Sie dann die Bevölkerung überzeugen? So war auch Ihre Rede. Die Frage, welche Zuweisung es am Ende gibt oder ob hessische Kommunen besser als die in anderen Ländern ausgestattet sind, entscheidet sich maßgeblich an dem Kommunalisierungsgrad, d. h. wie viele Aufgaben die Kommunen zu erfüllen haben.

Es gibt einen ganz interessanten Streitpunkt. Die Haushaltsstrukturkommission hat es nicht geleistet. Es gibt erhebliche Widersprüche der kommunalen Seite. Die sagen: Dieses Berechnungsmodell ist falsch, weil z. B. die Eigenbetriebe nicht eingerechnet worden sind.

Sie müssen aber zum Schluss kommen.

Ein Beispiel aus meinem Kreis. Unser Eigenbetrieb Gebäudewirtschaft ist mit 200 Millionen € belastet. Wenn Sie dies nicht einberechnen, haben Sie ein ganz falsches Ergebnis über die finanzielle Situation der Kommune. Deswegen ist Ihr Berechnungsmodell zu Recht zu kritisieren. Diese Regierung ist kommunalfeindlich. Leider versucht das auch noch der Ministerpräsident zu kaschieren. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Schmitt. – Als Nächster spricht Herr Kaufmann für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, wir wissen alle, am 27. März ist Kommunalwahl. Heute ist die letzte Plenarwoche vor diesem Termin. Deshalb hat die größere Regierungsfraktion zur Primetime, das ist die Spitzenzeit der Woche in der Wahrnehmung, nämlich Mittwoch um 9 Uhr, den Setzpunkt gegriffen und einen Antrag mit dem wunderbaren Titel „Land stärkt Kommunen in Hessen – Entwicklung weiter aufwärtsgerichtet“ gestellt.

(Günter Schork (CDU): Sehr richtig!)

Also wollten Sie – und wollen es immer noch – das wunderbare Aufbruchsignal nach dem Motto setzen: Jetzt heraus und an die Wahlurnen, die CDU wird es schon richten.

(Demonstrativer Beifall bei der CDU – Günter Schork (CDU): So ist es!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion, irgendwo bin ich doch einigermaßen erschüttert, wie Ihr politisches Feeling völlig danebengegangen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wer diese Debatte dann nach dem Motto „Männer auf verlorenem Posten“ mit dem verehrten Kollegen Schork aus dem Kreis Groß-Gerau eröffnet, wo die CDU mit Sicherheit nicht viel zu gewinnen hat, und mit ihm schon einmal loslegt, wo es alle anderen Fraktionen immerhin so wichtig nehmen, dass sich ihre Fraktionsvorsitzenden zu diesem Thema äußern,

(Beifall des Abg. Gerhard Merz (SPD) – Peter Beuth (CDU): Hochmut kommt vor dem Fall!)