Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Hessischen OFFENSIVGesetzes und zur Änderung der Verordnung über die Schiedsstelle nach § 80 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch – Drucks. 18/3725 –
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Hessischen OFFENSIV-Gesetzes sollen jetzt im Landesrecht die Konsequenzen aus den weitreichenden Rechtsänderungen des letzten Jahres zur Neuorganisation der Trägerschaft im Bereich des SGB II gezogen werden. Sie erinnern sich sicherlich alle noch an die jahrelangen schwierigen Diskussionen, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2007 die damaligen Argen für verfassungswidrig erklärt hatte. Anfang 2010 schien der Weg für eine verfassungsrechtliche Absicherung von Argen und Optionen endgültig versperrt. Hessen hat sich in dieser Situation aber gerade nicht mit der drohenden, nämlich der schlechtesten aller denkbaren Lösungen abgefunden.
Stattdessen hat die Landesregierung in einem gemeinsamen Schreiben des damaligen Ministerpräsidenten Koch, des stellvertretenden Ministerpräsidenten Hahn und meines Amtsvorgängers Anfang Februar 2010 an Bundesministerin von der Leyen klar Position bezogen. Die von der Bundesregierung angestrebte getrennte Aufgabenwahrnehmung und die bloße einfach-gesetzliche Entfristung der Zulassungen der bestehenden Optionskommunen wurde als völlig inakzeptabel abgelehnt und damit der entscheidende Anstoß für den dann erreichten Kompromiss gegeben. Dieser Erfolg kann nach meiner Überzeugung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Auf der Grundlage des neuen Art. 91e Grundgesetz können die Argen, jetzt „gemeinsame Einrichtungen“ genannt, ihre Arbeit fortsetzen und – dies ist ganz entscheidend – weiterhin Leistungen aus einer Hand erbringen. Die Option hat die ihr zukommende Anerkennung erfahren und ist als Reform der dauerhaften Aufgabenerledigung und unter Absicherung der Finanzierung in die Verfassung aufgenommen worden. Darüber hinaus ist nun auch eine begrenzte Ausweitung der Zahl der Optionskommunen von bislang bundesweit 69 auf 110 möglich. Natürlich hätten wir uns noch eine weitere Ausweitung gewünscht, aber dies war nicht zu erreichen. Trotzdem freut mich dies als Mitglied der Hessischen Landesregierung, denn Hessen hat sich als Wegbereiter der Option stets mit allem Nachdruck für dieses Erfolgsmodell eingesetzt. Hessen ist und bleibt Optionsland Nummer eins.
Hier schließt sich dann auch der Kreis zu den landesrechtlichen Konsequenzen aus der bundesrechtlichen Rechtsänderung. In der Praxis müssen diese zum Teil schon jetzt vollzogen werden. Die bisher schon bestehenden Optionen sind bereits entfristet worden. Aktuell geht es jetzt um die Zulassung der neuen Optionskommunen. Wie Sie sicherlich wissen, erhält Hessen drei neue Optionen, auf die sich fünf Kommunen beworben haben. Deren Konzepte für eine alleinige Aufgabenwahrnehmung werden im Sozialministerium gerade bewertet. Bis zum 31. März muss dann dem Bundesarbeitsministerium die Rangfolge mitgeteilt werden.
Meine Damen und Herren, ein weiterer wesentlicher Erfolg bei den Verhandlungen zur Neuorganisation war die Verhinderung der vom Bund immer wieder vehement geforderten Aufsicht über die Optionskommunen. Stattdessen bleibt es bei der Aufsicht des Landes. Hinzu kommen nun die Zielvereinbarungen als neues und modernes Steuerungsinstrument. Die hieraus für das OFFENSIVGesetz entstehenden Folgen sind besonders weitreichend. Weil das Land die Kommunen notfalls zur Zielerreichung anhalten muss, muss die bisherige Aufgabenwahrnehmung in kommunaler Selbstverwaltung aufgegeben und die Fachaufsicht eingeführt werden.
Die bislang im OFFENSIV-Gesetz vorgesehene Rechtsaufsicht reicht dazu nicht aus. Ein Verstoß gegen eine Zielvereinbarung ist eben nur ein Verstoß gegen eine bilaterale Vereinbarung, aber kein Rechtsverstoß, sodass insoweit mit den Mitteln der Rechtsaufsicht an dieser Stelle nichts zu erreichen gewesen wäre. Selbstverständlich sollen aber die aus Sicht des Landes unverändert wichtigen Spielräume der Kommunen weiter erhalten bleiben. An unserer Überzeugung, dass aufgrund der kommunalen Kompetenzen vor Ort die besten Hilfen angeboten werden können, hat sich bisher nicht das Geringste geändert.
Zielvereinbarungen enthalten nur allgemeine Vorgaben und überlassen damit die Art und Weise der Zielerreichung immer, natürlich im Rahmen des Gesetzes, dem Träger vor Ort. Fachaufsichtliche Weisungen sollen und werden sicherlich nur als Ultima Ratio im absoluten Ausnahmefall zum Einsatz kommen.
Die Kosten der Unterkunft bleiben übrigens Selbstverwaltungsaufgabe. Hier kommt es speziell auf die Einzelkompetenzen der Kommunen an. Das gilt auch, egal, ob man es Satzung oder Pauschale nennt. Ich erkläre gleich noch zwei Sätze zum Änderungsbedarf. Wir haben die gemeinsamen Einrichtungen in den Kommunen erst gar nicht verpflichtet, zu den Kosten der Unterkunft Zielvereinbarungen abzuschließen. Bei den Optionskommunen konnte darauf im OFFENSIV-Gesetz nicht verzichtet werden, weil das SGB II Zielvereinbarungen zu allen Leistungen vorsieht. Bei derartigen Zielvereinbarungen werden wir aber sicherlich sehr zurückhaltend sein.
Schließlich noch ein Wort zu den gemeinsamen Einrichtungen organisierter Kommunen. Hier schreibt das SGB II keine Zielvereinbarung vor. In Hessen werden wir nach Zulassung von drei weiteren Optionskommunen 16 Optionskommunen und 10 gemeinsame Einrichtungen haben. Um hier einen Gleichklang sicherzustellen, ist es erforderlich, den Abschluss von Zielvereinbarungen grundsätzlich auch gegenüber kommunalen Trägern in gemeinsamen Einrichtungen vorzusehen und die Fachaufsicht einzuführen. Genau dies sieht dieser Gesetzentwurf vor.
Es gibt noch eine Reihe von weiteren Änderungen. Beispielsweise wollen wir, damit Hessen nach wie vor als Optionsland Nummer eins – –
Herr Minister, gestatten Sie mir, bevor Sie die alle detailliert vorlesen, den Hinweis, dass die für die Fraktionen vereinbarte Redezeit bereits abgelaufen ist.
Frau Präsidentin, eine Minute noch. – Damit Hessen auch weiterhin nach außen hin Optionsland Nummer eins bleiben kann, sieht das Gesetz vor, dass die Option „kommunales Jobcenter“ heißt und weitere Zusätze erhalten bleiben, damit eine Entscheidung zwischen Optionskommunen und Jobcentern überhaupt möglich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele weitere Einzelheiten können Sie dem Gesetzentwurf entnehmen. Allerdings ist durch den Kompromiss in der vorletzten Woche zu SGB II noch einiges an Änderungen notwendig. Dabei geht es um die Fragestellung von Satzungen oder Pauschallösungen bei den Kosten der Unterkunft im Hinblick auf das Bildungs- und Teilhabepaket. Insofern werden wir in den anstehenden Beratungen die Fraktionen bitten, Änderungsanträge einzubringen, die dem aktuellen Bedarf der jetzt auf Bundesebene verabschiedeten Gesetzgebung Rechnung tragen. Ich denke, dass wir mit diesem Gesetzentwurf unser Modell als Optionsland Hessen fortschreiben können. – Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss.
Vielen Dank, Herr Grüttner, für die Einbringung. – Nun hat sich zunächst Herr Kollege Decker für die SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Die vereinbarte Redezeit beträgt fünf Minuten.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der heute vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung befasst sich im Wesentlichen mit der notwendigen und logischen Anpassung an die neue Rechtsgrundlage. Die verfassungsrechtlichen Gründe für die Änderung und Anpassung sind uns hinlänglich bekannt. Herr Minister Grüttner ist eben darauf eingegangen. Insofern hat das, was wir heute hier behandeln, den Charakter eines zu ändernden hessischen Ausführungsgesetzes. Warum das Ganze im Jahr 2004 im Übrigen Hessisches OFFENSIV-Gesetz genannt worden ist, war uns schon damals ziemlich schleierhaft. Das war ein bisschen wie eine große Bonbonniere, die saure Drops enthält. Aber lassen wir das dahingestellt sein.
Garantiert nicht sonderlich offensiv waren jedenfalls die Bundesregierung und CDU und FDP, als es im vergangenen Jahr darum ging, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts schnellstmöglich eine neue Rechtsgrundlage für die Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen zu schaffen. Wir erinnern uns noch alle daran, wie lange das auf dieser Seite blockiert worden ist. Eine
Zeit lang hatten wir den Eindruck, dass auch hier die Regierung und die Regierungsfraktionen zum Jagen getragen werden mussten. Aber Gott sei Dank konnten wir sehr schnell feststellen – das will ich an der Stelle ausdrücklich konzedieren, wie ich das schon in einem Redebeitrag vor einem Jahr gesagt habe –, dass Sie sich unserer Position angeschlossen haben.
Dass der erste Gesetzentwurf von Frau von der Leyen, der völlig verfehlt war, nicht zum Zuge gekommen ist, hatte seinen Grund in zwei Personen. Die eine war Hubertus Heil, die andere Roland Koch. Das war eindeutig so. Deswegen kam das am Ende nicht zum Tragen. Wir wollten damals wie heute gut funktionierende Jobcenter und Optionskommunen.
Qualifizierung, gute Bildung und faire Löhne für gute Arbeit, das sind für uns nach wie vor die Merkmale einer fairen Arbeitsmarktpolitik. Das haben wir vorhin schon ausreichend debattiert. Dass buchstäblich kurz vor Toresschluss ein Kompromiss zustande gekommen ist für 6,5 Millionen Leistungsempfänger und für 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ist ein gutes Zeichen.
Willi, das ist schön –, die auch eine Reihe von Verbesserungen mit sich bringen, tragen sicherlich maßgeblich auch unsere Handschrift. – Ich freue mich über den tosenden Applaus auf meiner Seite.
Es muss aber auch in unser aller Interesse liegen, diese vernünftig und zielführend umzusetzen. Auch die moderate Ausweitung der Anzahl der Optionskommunen hat unsere Unterstützung gefunden. Was die Frage anbelangt: „Arbeitsgemeinschaften oder Optionskommunen?“ – es heißt jetzt kommunale Jobcenter –, gilt für uns aber nach wie vor: Entscheidend ist, was den betroffenen Menschen vor Ort am besten hilft. Danach muss sich die Organisationsform richten.
Notwendig und hilfreich wäre es jedoch, wenn wir alsbald vergleichbare Zahlen und Messgrößen hätten. Erst dann lässt sich nach unserer Auffassung ein verlässliches Urteil darüber abgeben, was die bessere Organisationsform ist. Das ist nicht ganz einfach. Das wissen wir. Das wäre möglicherweise eine Aufgabe für das Sozialministerium, weil dort die Fäden zusammenlaufen.
Meine Damen und Herren, ich will aber nicht ausschließen, dass wir auch nach einer solchen Kennzahlenprüfung, wenn wir sie irgendwann haben, feststellen: „Es gibt keine Ideallösung“, sondern dass es in der einen Gebietskörperschaft mit einer Arbeitsgemeinschaft besser geht und in der anderen nach wie vor mit der Optionskommune.
Wichtig aber ist in jedem Fall eines: Die kommunalen Träger dürfen durch diese Neuregelung nicht durch zusätzlichen Verwaltungsaufwand, durch unnötiges Kompetenzgerangel oder einengende starre Direktiven des Bundes oder der obersten Landesbehörde in ihrer eigentlichen Tätigkeit behindert werden.
Wir gehen davon aus, dass den kommunalen Trägern in der Praxis bei der Umsetzung der Zielvereinbarungen und allem, was damit zusammenhängt, tatsächlich die notwendigen Spielräume bleiben, wie sie in der Begründung zu dem Gesetzentwurf dargestellt werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Decker. – Das Wort hat nun Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Seit etwa 15 Jahren durchläuft der deutsche Sozialstaat einen tief greifenden Umbau. Der aktive Sozialstaat wandelt sich zum aktivierenden Sozialstaat. Dieser Umbau ist noch nicht an sein Ende gekommen. Mehr noch: Die rechtskonservativen Parteien versuchen, das Prinzip der sogenannten Aktivierung vom Feld der Arbeitslosenvorsorge auch auf die Gebiete der Seniorenpolitik und der Familienpolitik auszudehnen.
Im Zuge des Umbaus zum aktivierenden Sozialstaat wird die Daseinsvorsorge zurückgefahren. Zur Vorbereitung des Umbaus vom aktiven zum aktivierenden Staat musste den Menschen jahrelang eingeredet werden, die Arbeitslosen seien unfähig, unwillig zur Arbeit bzw. schlicht faul, kurz: Wer arbeitslos sei, sei daran nicht nur selbst schuld, sondern fühle sich in der Arbeitslosigkeit sogar noch wohl. Auch gebe es gar keine Anreize zur Aufnahme von Arbeit. Wir haben das auch hier heute wieder erleben können.
Hier einige Meilensteine der in diese Richtung gehenden populistischen Hirnwäsche. Es begann unter Kohl: „Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, dass wir unser Land als einen kollektiven Freizeitpark organisieren“, erzählte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl bereits im Oktober 1993 in einer Regierungserklärung zum Standort Deutschland. „Wenn Sie sich waschen und rasieren, finden Sie auch einen Job.“ Dieser Ausspruch des damaligen SPD-Vorsitzenden zu einem Arbeitslosen bei einem Wahlkampftermin im Dezember 2006 bleibt unvergessen.
„Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein. An einem solchen Denken kann Deutschland scheitern“, schreibt Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle im Februar 2010 in einem Beitrag für die „Welt“.
An diesen Ausfällen und Unterstellungen war die hessische CDU unter Koch maßgeblich beteiligt, und sie war und ist maßgeblich am Rück- und Umbau des Sozialstaats beteiligt.
Im August 2001 fuhr Koch nach Wisconsin, und in den folgenden Monaten ließ er das OFFENSIV-Gesetz ausarbeiten.
Am 1. Mai 2002 gab Koch in einer Pressekonferenz die Stoßrichtung des ausgearbeiteten Gesetzes vor. Da war die Rede vom Missbrauch staatlicher Leistungen, und es hieß, nach der Verabschiedung dieses Gesetzes werde sich keiner auf Kosten der anderen bereichern. Aufgrund des
Umfangs der Sozialleistungen, die ohne Gegenleistung zu haben seien, fehlten die Anreize zur Arbeitsaufnahme. Es war vom „Sprungbrett statt Hängematte“ die Rede.
Bis heute hat sich an diesem Duktus nichts geändert. Wir müssen das Gesetz jetzt ändern, weil die Ausführung Ihrer Organisationsumstellung auch handwerklich schlecht gemacht war – so schlecht, dass das Verfassungsgericht sie einkassiert hat.
Dem soll jetzt auch in Hessen Rechnung getragen werden. Die Optionskommunen sollten evaluiert werden, und es sollte genau untersucht werden, ob sie tatsächlich eine bessere Vermittlungsarbeit leisten. Jahrelang waren die in den hessischen Optionskommunen erhobenen Zahlen nicht vergleichbar und Hessen ein weißer Fleck auf der Karte der Vergleichbarkeit. Tatsächliche Zahlen über Erwerbslose und Menschen in Maßnahmen waren nicht verlässlich vorhanden. Ein eindeutiges Ergebnis ist bei dieser Auswertung nicht herausgekommen. Jetzt aber wird gehandelt, und zwar nach dem Prinzip: Wir experimentieren weiter, aber eben ohne Klausel. – Nicht mit uns.
Meine Damen und Herren, „OFFENSIV“ steht für: optimal fördern und fordern, engagierter Service in Vermittlungsagenturen. Dieses Gesetz hilft nicht, die 200.000 Erwerbslosen auf die vorhandenen 30.000 offenen Stellen zu verteilen. Es hilft nicht, weiter zu aktivieren und zu fordern. Es hilft nicht einmal mehr, zu fördern.
Wir brauchen eine grundlegend andere Arbeitsmarktpolitik. Wir brauchen eine Begrenzung der 400-Euro-Jobs. Wir brauchen die Begrenzung von Leiharbeit. Wir brauchen keine Ausweitung der Lebensarbeitszeit. Wir brauchen mehr und nicht weniger Beschäftigte im öffentlichen Dienst.