Protocol of the Session on March 2, 2011

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir, die Fraktionen der vier demokratischen Parteien in diesem Landtag, die das Gesetz verabschiedet haben, haben heute einen Entschließungsantrag vorgelegt, um der hessischen Bevölkerung noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass am 27. März darüber abgestimmt wird, ob die Schuldenbremse, die für das Land Hessen ab 2020 gelten soll, in die Hessische Verfassung aufgenommen werden soll.

Wir rufen Sie auf: Nehmen Sie an der Abstimmung teil, und stimmen Sie für die Aufnahme der Schuldenbremse in die Hessische Verfassung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

In den letzten 40 Jahren hat es die Politik niemals geschafft, in den Jahren, in denen die Wirtschaft gut gelaufen ist, in den Haushalten keine neuen Schulden zu machen. Unabhängig davon, wer regiert hat, und unabhängig davon, welche Parteienkonstellation es in der Regierung gab, übrigens auch unabhängig davon, ob es hohe Steuern und ob es die Vermögensteuer oder nicht gab, es wurden immer neue Schulden gemacht.

Wir sagen ganz deutlich: Dauerhaft sind neue Schulden eine Bedrohung für die künftigen Generationen. Neue Schulden schränken die Handlungsfähigkeit künftiger Generationen auf Dauer ein. Das ist nicht gerecht. Das muss gestoppt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Wir wollen mit der Aufnahme der Schuldenbremse in die Hessische Verfassung auch einen Vertrag mit den Bürgern des Landes Hessen darüber schließen, dass ab dem Jahr 2020 keine neuen Schulden gemacht werden. Ich sage hier auch ganz deutlich: Die Entscheidung, die hier getroffen wird, ist keine Entscheidung, radikal zu sparen oder die Steuern zu erhöhen. Vor der Klammer ist es zunächst einmal die Entscheidung dafür, keine neuen Schulden mehr zu machen. Das heißt, dass wir mit dem Geld auskommen müssen, das wir einnehmen.

Ich sage aber auch sehr deutlich, dass sich die Mitglieder der Fraktionen der CDU und der FDP sehr klar dafür entschieden haben, dass zunächst einmal alle Ausgaben darauf überprüft werden müssen, ob die Ausgaben, die wir heute tätigen, notwendig sind und ob dort Einsparungen möglich sind. Diesen Anspruch an die Haushalte müssen wir als Politiker eigentlich haben. Denn erst wenn wir konsequent geschaut haben, wo wir einsparen können, kann die Frage beantwortet werden, ob die Einnahmen ausreichen.

Jede Erhöhung der Einnahmen führt automatisch dazu, dass die Sparanstrengungen zurückgestellt werden. Das wäre kontraproduktiv und würde wieder zu dem alten Trott zurückführen, dass man doch mehr Geld ausgibt, als man einnimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Ich möchte auch noch eines deutlich sagen. Denn die LINKEN distanzieren sich davon. Sie wollen mit Schulden weitermachen. Sie lehnen die Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung ab.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wir wollen die Einnahmen erhöhen!)

Ich will Ihnen eindeutig sagen: Schulden machen ist bequemer. Das ist klar. Deswegen hat die Politik in den letzten 40 Jahren eher Schulden gemacht.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Es geht gar nicht um bequeme Politik!)

Sie haben ein Thema angesprochen, das ich hier ganz besonders erwähnen möchte. Alle vier Fraktionen, die für Annahme des Gesetzesentwurfs gestimmt haben, haben gemeinsam zusätzlich noch dafür gesorgt, dass in einen Artikel der Hessischen Verfassung aufgenommen werden wird, dass die kommunale Seite besonders berücksichtigt werden soll. Das betrifft Art. 137 der Hessischen Verfassung.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Herr Milde, das steht in der Verfassung schon drin!)

Das ist also die Erinnerung daran, dass die kommunale Ebene finanziell immer ordentlich ausgestattet sein muss.

Ich sage sehr deutlich, dass wir einen schlanken Staat wollen. Wir wollen auf Ausgaben verzichten, wenn die Bürger in eigener Verantwortung für sich selbst sorgen können. Dazu gehört auch, dass wir uns nicht mehr immer nur an dem Wünschenswerten orientieren dürfen. Vielmehr müssen wir uns künftig an dem Bezahlbaren orientieren.

Wir glauben, dass es diesen Grundkonsens in der Bevölkerung geben muss, dass man keine zusätzlichen Schulden machen darf. In den öffentlichen Haushalten gibt es noch vieles, bei dem wir einmal ernsthaft darüber nachdenken müssen, ob es in dieser Form wirklich notwendig ist.

Dass sich das Problem in den nächsten Jahren noch verschärfen wird, wird durch die demografische Entwicklung noch einmal deutlich gemacht. Immer weniger Arbeitnehmer werden dann die Schulden, die wir machen, zurückzahlen müssen. Das wird so nicht möglich sein. Wir brauchen den Paradigmenwechsel, den übrigens Karlheinz Weimar ab dem Jahr 2003 mit den hessischen Haushalten eingeleitet hat. Wir müssen dafür sorgen, dass der Staat mit dem Geld auskommt, das er einnimmt.

Am 27. März 2011 werden die hessischen Bürgerinnen und Bürger die Gelegenheit haben, bei der Volksabstimmung dafür zu stimmen, dass in Hessen ab dem Jahr 2020

keine neuen Schulden mehr gemacht werden – zum Wohle künftiger Generationen. Wir freuen uns darauf. Wir wünschen uns, dass es dafür eine breite Unterstützung in der Bevölkerung gibt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und bei der FDP)

Jetzt erhält Herr Kollege Kaufmann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Antragsteller! – Gegenruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Die GRÜNEN sind mit uns Antragsteller! Alle sind Antragsteller!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 3. November letzten Jahres bei der Anhörung des Landtags zum Gesetzentwurf über die Aufnahme der Schuldenbremse in die Hessische Verfassung unterstrichen mehrere Wissenschaftler – das war übrigens hier in diesem Saal –, dass eine vernünftige Finanzpolitik keine Schuldenbremse nötig habe. Da es in der Tat keinen Rechtssatz gibt, dem zufolge das Schuldenmachen den öffentlichen Händen vorgeschrieben wäre, ist das verfassungsmäßige Verbot der Neuverschuldung vor allem ein Eingeständnis der Politik, über Jahrzehnte hinweg Finanzwirtschaft bar hinreichender Vernunft gemacht zu haben. Deshalb stellt sich auch die Frage, warum ausgerechnet jetzt mit der neuen Formulierung in der Verfassung die finanzpolitische Verantwortung aufblühen sollte.

Man muss sich gewiss darüber klar werden, dass die Politik auf allen Ebenen ehrlicher werden muss. Man muss nämlich die Maßnahmen, die durchgeführt werden, auch finanzieren. Bislang hat die Politik oft und gerne den Eindruck erweckt, dass der Staat Leistungen erbringen kann, ohne dass dafür bezahlt werden müsste. Das daraus entstandene Dilemma, nicht genug Geld für vermeintliche Notwendigkeiten oder für Wünsche zu haben, wurde einfach durch Verschiebung der Bezahlung auf später gelöst. Es wurde also durch Kreditfinanzierung gelöst.

Anstatt die Einnahmen bedarfsgerecht zu gestalten, also für auskömmliche Steuern und Abgaben zu sorgen, wurde das Schuldenmachen zur Geldquelle Nummer eins für die Länder gemacht. Denn über deren Höhe konnten und können sie immer noch selbst entscheiden.

Jetzt endlich wurde die Erkenntnis weitgehend zum politischen Konsens, dass sich die öffentlichen Hände nicht immer weiter verschulden können. Wir GRÜNE sind sehr dankbar dafür, dass damit einer unserer Kerngedanken, nämlich die Nachhaltigkeit, nun bei den anderen Parteien auch im Rahmen der Finanzpolitik Sympathie gefunden hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrter Herr Kollege Milde, eines muss man allerdings schon anmerken. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ausgerechnet die größten Schuldenmacher in der hessischen Geschichte jetzt am lautesten danach rufen, ihnen jetzt doch endlich Handschellen anzulegen und ihnen ihre Handlungen strikt zu verbieten. Wir GRÜNEN haben die unverantwortliche Schuldenmacherei unter der Verantwortung des langjährigen Finanzministers Karl

heinz Weimar in den letzten Jahren immer wieder in diesem Hause angeprangert. Daran werden Sie sich noch erinnern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Doch unabhängig von den Fehlern und Sünden der Regierungsmehrheit bleibt das Ziel richtig, nämlich dass das Land nicht immer mehr Schulden machen darf, um seine Aufgaben zu erfüllen. Hessen braucht vielmehr genügend Steuereinnahmen vor allem von den Vermögenden, anstatt sich bei ihnen das Geld für hohe Zinsen pumpen zu müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir alle hier im Landtag haben uns über die Grenze zwischen der Regierungsmehrheit und der Opposition hinweg auf den Text und die Erläuterung für die Verfassungsänderung zur Aufnahme der Schuldenbremse verständigt. Wir GRÜNE stehen dazu. Denn damit wird das Prinzip der Nachhaltigkeit auch in der Finanzpolitik ein deutliches Stück vorangebracht werden.

Im Gegensatz zu manch anderer Meinung hier im Saal sehen wir mit der Schuldenbremse nämlich den klaren Auftrag an den Gesetzgeber ebenso wie an die Landesregierung, für auskömmliche Einnahmen des Landes und seiner Kommunen zu sorgen. Diese Verpflichtung steht für uns im Vordergrund, wenn wir sagen: Ja zur Schuldenbremse heißt Ja zur auskömmlichen und gerechten Finanzierung des Staates.

Das sage ich gerade auch in Richtung meines Vorredners, der meinte, die Ausgabenotwendigkeiten des Staates an dem orientieren zu müssen, was vorhanden ist. Herr Kollege Milde, Schuldenbremse heißt nicht – um es noch einmal für alle klar und verständlich zu sagen – alles kaputtzusparen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Schuldenbremse heißt: eine ehrliche Einnahmenpolitik, orientiert an den Aufgaben des Staats, die wir alle erfüllt sehen wollen. Deswegen ist das Ja zur Schuldenbremse das Gegenteil eines Freibriefs zum Sozialabbau. Es ist vielmehr die Aufforderung, endlich die Ungerechtigkeit in der Steuer- und Abgabenpolitik zu beseitigen. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Willi van Ooyen, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor nicht einmal einem Jahr forderte der damalige Ministerpräsident Roland Koch, dass ohne Tabus gespart werden müsse. Dafür schlug er vor, in allen Bereichen, auch bei der Bildung, zu kürzen. Mittlerweile versucht sein Nachfolger im Amt mithilfe von SPD und GRÜNEN, eine Schuldenbremse in der Hessischen Verfassung zu verankern. Dass sich an der Regierungspolitik von Roland Koch auch unter Volker Bouffier nichts geändert hat, machte im letzten Jahr die Kultusministerin Henzler deut

lich, als sie sagte, die Kürzungen in der Bildung seien mit der Schuldenbremse zu rechtfertigen.

Es geht also keinesfalls um eine nachhaltige Finanzpolitik, sondern darum, dem Kürzen Verfassungsrang zu geben. Bei Ihnen gilt schon jetzt das Motto: Wir müssen an der Bildung sparen, damit wir uns Bildung zukünftig noch leisten können, also auf Kosten der nächsten Generation kürzen. – Wer also Schuldenbremse sagt, meint Kürzungen bei den nachfolgenden Generationen. Herr Milde, das ist das Gegenteil von Generationengerechtigkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Was die Schuldenbremse bedeutet, haben wir heute bereits bei den Haushaltsberatungen gesehen. Die Landesregierung kürzt schamlos den Kommunen 344 Millionen € aus dem KFA, um dann festzustellen, dass die Kommunen die üblichen Winterschäden an den Straßen nicht reparieren können.

Damit der Finanzminister seinen sogenannten Konsolidierungspfad für den Landeshaushalt einhalten kann, versucht die Landesregierung, so zu tun, als wäre mit der Schuldenbremse auch der Winter abgeschafft. Gleichzeitig führen wir in Hessen, aber auch im Bund, eine einseitige Debatte, in der die euphorischen Schuldenbremser sozial gerechte Steuern ablehnen. Dabei haben gerade die in den letzten Jahren beschlossenen Steuersenkungen dem Land seit 1998 ein Viertel seiner Staatsschulden eingebrockt. Daran, dass die Schuldenbremse von der Landesregierung als Vorwand für weitere unsoziale Kürzungen verwendet werden wird, ändert auch die sozialdemokratische Verfassungsprosa – ich muss es so sagen – von Einnahmen- und Ausgabenverantwortung nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Schulden des Landes sind gerade deshalb zustande gekommen, weil mit immer mehr Steuergeschenken die politisch Verantwortlichen ihre Einnahmenverantwortung nicht wahrgenommen haben. Dass sich daran etwas ändern soll, wenn in der Verfassung eine Schuldenbremse steht, sehe ich nicht. Im Gegenteil, Sie versuchen doch immer noch, den Eindruck zu erwecken, dass ein Steuersystem, wie es unter Helmut Kohl noch galt, fast schon Sozialismus sei. Deswegen heißt Schuldenbremse: brutalstmöglicher Sozialabbau.