Protocol of the Session on February 22, 2011

Wir wollen nicht, dass an jeder Hausecke eine Videokamera hängt. Der allergrößte Teil der Menschen sind nämlich unbescholtene Bürgerinnen und Bürger, die wir nicht der Maßnahme der staatlichen Videoüberwachung aussetzen wollen. Herr Innenminister, das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Denn Sie stellen die Nutzung dieses Instruments permanent in den Raum.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Innenminister, Sie haben das selbst gesagt. Ich glaube, wenn man ruhiger über dieses Thema redet, wird man feststellen, dass es einen Unterschied zwischen dem Verhindern der Straftaten und dem nachträglichen Aufklären der Straftaten gibt. Dabei geht es auch um die Frage der Einsätze. Ist es so, dass durch die Videoüberwachung die Kriminalität tatsächlich zurückgeht? Lassen Sie das doch bitte einmal empirisch untersuchen. Da gibt es durchaus unterschiedliche Erfahrungen.

Da geht es um die Verlagerung der Delikte in andere Gebiete, etwa in Wohnquartiere. Ob wir das unbedingt wollen, ist auch zu fragen.

Herr Innenminister, da sollte nicht schwarz-weiß gemalt werden. Vielmehr sollte auch in dem Bereich, bei dem es wirklich um tief greifende Eingriffe in Grundrechte für unbescholtene Bürgerinnen und Bürger geht, vielleicht einmal mit weniger Schaum vor dem Mund, aber dafür mit mehr Inhalt diskutiert werden. Dazu rate ich.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Es wundert mich schon, dass die Kolleginnen und Kollegen der FDP dazu gar nichts mehr gesagt haben. Ich

glaube, dass wir uns hinsichtlich der Videoüberwachung in guter Gesellschaft befinden. Ich sage das noch einmal ausdrücklich: Wir befinden uns da in Gesellschaft des Datenschutzbeauftragten, in der Gesellschaft der Bürgerrechtler und in Gesellschaft von Menschen wie Gerhart Rudolf Baum, Burkhard Hirsch oder Hildegard Hamm-Brücher. Das alles sind ehemalige Urgesteine der FDP, die sich heute umdrehen würden, wenn sie sehen würden, wie Sie mit den Grund- und Freiheitsrechten der Menschen umgehen.

Im Übrigen wird die Videoüberwachung auch innerhalb der Bevölkerung sehr unterschiedlich diskutiert. Viele Bürgerinnen und Bürger wollen gerade diese Form der Überwachung nicht an jeder Ecke und nicht in jedem öffentlichen Raum haben. Herr Innenminister, lassen Sie uns daher differenziert darüber reden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ich komme jetzt auf das Stichwort „Kennzeichenlesegeräte“ zu sprechen. Auch da ist vielleicht ein Blick auf das, was dahinter steht, angezeigt.

Ja, auch da sehen wir die Dinge in der Tat anders. Im Übrigen befinden wir uns auch da in guter Gesellschaft. Wir befinden uns da nämlich in der guten Gesellschaft der Richter des Bundesverfassungsgerichts. Wenn Sie sich einmal anschauen würden, wie das Bundesverfassungsgericht seinerzeit entschieden hat, würden Sie das vielleicht entdecken.

Ich möchte zitieren. Das Bundesverfassungsgericht sagt:

Die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht

die Betonung liegt auf dem folgenden Wort –

anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist im Übrigen nicht gewahrt, wenn die gesetzliche Ermächtigung die automatisierte Erfassung und Auswertung von Kraftfahrzeugkennzeichen ermöglicht, ohne dass

aufpassen –

konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken von Rechtsgutgefährdungen oder verletzungen einen Anlass zur Einrichtung der Kennzeichenerfassung geben.

Wir befinden uns also in guter Gesellschaft, nämlich der der Richter des Bundesverfassungsgerichts. Es hat für den Einsatz der Kennzeichenlesegeräte relativ enge Grenzen gesetzt. Sie sollten doch einmal zu dem, was Sie im Jahr 2009 ins Gesetz geschrieben haben, etwas zur Kenntnis nehmen. Ich kann mich noch daran erinnern: Der ehemalige Innenminister und heutige Ministerpräsident hat damals auf die Entgegnung unserer Fraktion gesagt: Das ist alles Quatsch. Es ist alles Unsinn, was die Fraktion hier vorträgt. Das, was ich vorlege, ist verfassungskonform.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gesetz, das Sie 2009 verabschiedet haben, wurde vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt.

(Nancy Faeser (SPD): So ist es!)

Das war eine krachende Niederlage. Sich hierhin zu stellen und so zu tun, als könnten alle, die gegen Kennzeichenlesegeräte sind oder die zu den Kfz-Kennzeichenle

segeräten eine differenzierte Auffassung haben, nicht mehr ganz klar denken, ist geradezu absurd. Meine Damen und Herren, Sie sollten sich vielleicht einmal genauer die Grundzüge der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage anschauen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Thorsten Schä- fer-Gümbel und Nancy Faeser (SPD) – Zuruf)

Verehrter Herr Justizminister, es ist schön, dass Sie sich zu Wort melden.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ruft Herr Hahn wieder herein, oder was? Das dürfen Sie nicht!)

Aber auch da kann man sagen, dass der Gesetzentwurf natürlich nichtig war, weshalb wir im Jahr 2010 eine weitere Anhörung hatten. In dieser weiteren Anhörung wurde dieser Themenkomplex wieder eindringlich diskutiert. Meine Damen und Herren, das, was Sie als Gesetz verabschiedet haben, entspricht eben nicht den Regeln, die das Bundesverfassungsgericht aufgeschrieben hat. Ich will noch einmal daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht sagt, dass der Einsatz anlassbezogen sein muss. Außerdem muss es zur Abwehr konkreter Gefahrenlagen angeordnet werden.

Gleichzeitig kann man in der Presseverlautbarung des Innenministeriums Folgendes lesen. Dort steht geschrieben:

Die Kennzeichen-Scanner würden jetzt auch nicht mehr rund um die Uhr, sondern zeitlich begrenzt und punktuell an Brennpunkten wie Ein- und Ausfallstraßen eingesetzt, wo durchreisende Straftäter erfahrungsgemäß durchkämen.

Das entspricht nicht dem Prinzip, das das Bundesverfassungsgericht für den Einsatz der Kennzeichenlesegeräte eingeführt hat. Von daher haben wir bei dieser Frage eine sehr kritische Haltung. Wie ich schon gesagt habe, befinden wir uns da in guter Gesellschaft. Wir lehnen diese Art des tiefen Eingriffs in die Bürger- und Freiheitsrechte ab.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für uns ist innere Sicherheit kein Selbstzweck. Ein Höchstmaß an Sicherheit für die Menschen zu gewährleisten ist ein hohes Gut. Das muss aber so geschehen, dass die Bürger- und Freiheitsrechte der Menschen geringstmöglich eingeschränkt werden. Hier die richtige Balance zu finden ist die Kunst. Diese Debatte ist es wert, geführt zu werden.

Es hilft aber nicht, jeden Tag eine andere Sau hinsichtlich der Sicherheitspolitik durch den Ort zu treiben, wie Sie es mit Videoüberwachung, Kennzeichenlesegeräten, Onlinedurchsuchung und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung tun. Ich habe damit nur einiges von dem genannt, was Sie in den letzten Jahren debattiert und eingeführt haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Einsatz all dieser technischen Mittel stellt starke und vom Bundesverfassungsgericht auch so festgestellte Eingriffe in die Grundrechte dar. Die Frage, die sich stellt, ist doch, ob die Abwehr einer Gefahr solche Eingriffe in die Grundrechte rechtfertigt. Für diese Eingriffe hat das Bundesverfassungsgericht hohe Hürden aufgestellt.

Ich erinnere noch einmal an den Satz von Benjamin Frank lin. Den sollten wir uns öfter auf der Zunge zergehen lassen:

Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.

Dieser Satz hat nach wie vor Gültigkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zur FDP habe ich schon einiges gesagt. Ich wollte eigentlich nur, damit es im Protokoll steht, auch noch die Presseerklärung der FDP zu diesem Thema erwähnen. Aufgrund der fortgeschrittenen Redezeit tue ich das jetzt nicht. Aber das ist schon einigermaßen erstaunlich. Der eine oder andere sollte das vielleicht einmal auf der Internetseite nachlesen.

Herr Kollege Greilich, die FDP spielt sich wirklich nur noch zur Schutzmacht derjenigen auf, die Ihrer Partei wohlgesonnen sind. Für das, wofür Sie früher eingetreten sind, nämlich für die Menschen und für die Bürger- und Freiheitsrechte, stehen Sie schon lange nicht mehr ein. Das kann man aus Ihrer Erklärung sehr gut ableiten.

Das entspricht auch der Tradition. Jörg-Uwe Hahn war seinerzeit der Anführer der Truppe innerhalb der FDP, die den großen Lauschangriff durchgesetzt hat. Das geschah gegen den erklärten Willen der ehemaligen Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Das hat auch dazu geführt, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger dann zurückgetreten ist. Wer das weiß, weiß, dass die Bürger- und Freiheitsrechte bei der FDP in Hessen keine große Rolle spielen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zum Abschluss meiner Rede noch einen Punkt aufgreifen, den der Herr Innenminister, so finde ich, sehr fragwürdig vorgetragen hat. Dabei geht es um die Frage des Personalaufbaus und des Personaleinsatzes.

Herr Innenminister, ich finde allen Ernstes, da sollten Sie einmal die Kirche im Dorf lassen. Ich will Ihnen zugestehen, dass im letzten Jahr 550 Anwärter eingestellt wurden. Das geschah auch in dem vorhergehenden Jahr. Herr Innenminister, ab dem Jahr 2008 wurde das gemacht.

Aber Sie verschweigen immer gern, dass wir im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ einen Abbau von ca. 1.000 Stellen bei der hessischen Polizei hatten. Sie haben ca. 600 Stellen bei den Tarifbeschäftigten abgebaut. Wenn Sie sich dann einmal die Statistik anschauen, was die Ruhestandsversetzungen auf der einen Seite und die Einstellungen auf der anderen Seite angeht, dann will ich Ihnen kurz einmal sagen, wie das seit 2003, nämlich seit der „Operation düstere Zukunft“ – –

Herr Frömmrich, das müsste jetzt sehr kurz sein, weil die Redezeit um ist. Also bitte Schlusssatz.

Ich habe es befürchtet, Herr Präsident. Ich will das auch tun. – Von 2003 bis 2010, obwohl Sie in den Jahren von

2008 bis heute 550 eingestellt haben, per saldo ein Minus von 178 Stellen.

(Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aha!)

Rechnen Sie die 1.200 aus der „Operation düstere Zukunft“ hinzu, rechnen Sie die 600 Tarifbeschäftigten dazu, Herr Innenminister, dann ist es wirklich ein schlechter Scherz, wenn Sie sich hier vorne hinstellen und uns erzählen, dass bei der Polizei zusätzliche Stellen geschaffen worden seien. Das ist nicht so.

Sie sollten in der inneren Sicherheit vielleicht weniger auf Sprechblasen vertrauen und mehr die inhaltliche Auseinandersetzung suchen. Dazu sind wir gern bereit, insbesondere zu der Frage der Balance von innerer Sicherheit und Bürger- und Freiheitsrechten. Aber das wollen Sie gar nicht; denn diese ganze Regierungserklärung steht nur deshalb auf der Tagesordnung, weil am 27. März in Hessen Kommunalwahlen sind. – Herzlichen Dank.