Unter Berücksichtigung und Umsetzung dieser Kriterien hat die Bundesjustizministerin am 17. Januar 2011 ein Eckpunktepapier vorgelegt, das zu lesen sich in der Tat lohnt. Ich würde auch allen empfehlen, die es hier kritisieren, es zunächst einmal anzuschauen. Danach soll die Speicherung von Verbindungsdaten solcher Personen möglich werden, die Anlass dazu gegeben haben. Im Vordergrund steht das unter anderem in den USA und in Kanada erfolgreich erprobte Quick-Freeze-Verfahren, also das Einfrieren von angefallenen Daten, wenn ein konkreter Anhaltspunkt, ein echter Verdachtsfall vorliegt. Der Zugriff, also die Verwertung dieser aus konkretem Anlass eingefrorenen sichergestellten Daten durch Polizei und Staatsanwaltschaft, bedarf dann eines richterlichen Beschlusses. Das ist ein Verfahren, mit dem Liberale gut leben können; denn so werden unbescholtene Bürger vor anlasslosen Eingriffen in ihre Grundrechte geschützt, und gleichzeitig wird den Belangen sowohl der Strafverfolgung wie auch der Gefahrenabwehr Rechnung getragen.
So kann bei konkretem Verdacht die Identität eines potenziellen Straftäters ermittelt werden, ohne dass wie bei der Vorratsdatenspeicherung die gesamte telekommunizierende Bevölkerung unter Generalverdacht gestellt werden muss.
Nun will ich ein Problem nicht ausklammern, das wir noch gemeinsam mit unserem Koalitionspartner lösen müssen. Das Quick-Freeze-Verfahren läuft ins Leere, wenn es nichts mehr einzufrieren gibt, weil nichts da ist, was man einfrieren könnte. Ich darf einmal das Bild gebrauchen, dass eine leere Tiefkühltruhe nur Strom frisst, aber keinen Nutzen hat. Deshalb müssen wir zunächst einmal klären, ob es dieses Problem überhaupt tatsächlich gibt; denn da gibt es unterschiedliche Aussagen.
Der Bundesinnenminister behauptet das immer wieder, aber nach Angaben beispielsweise bei der Deutschen Telekom ist es eben nicht so, dass Verkehrsdaten im Zeitalter von Prepaidkarten und Flatrates von den Unternehmen nicht mehr für eigene Zwecke gespeichert werden. Wenn sich die Annahme des Bundesinnenministers allerdings bestätigen sollte, müssen wir uns in der Tat etwas einfallen lassen, und für diesen Fall warte ich auf verfassungskonforme Vorschläge, sowohl des Bundesinnenministers wie auch der Innenministerkonferenz. Wenn solche Vorschläge vorliegen, werden wir als Liberale diese sorgfältig prüfen.
Ich will zum Schluss noch darauf hinweisen, dass uns der Bundesdatenschutzbeauftragte, eine sicherlich allseits geschätzte Institution, eine denkbare Richtung angegeben hat. Er hat zur Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung ein Quick-Freeze-plus vorgeschlagen. Danach wäre für ihn eine Speicherung der Verbindungsdaten für wenige Tage, probeweise für eine oder zwei Wochen, vorstellbar.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen. Selbstverständlich brauchen Strafverfolgungs
behörden Daten, um Beweise zu erheben. Deswegen ist es in einem bestimmten Umfang gerechtfertigt, wenn Telekommunikationsdaten gespeichert werden, aber eben nicht auf Teufel komm raus und ohne Anlass. Was wir brauchen, ist ein System zur schnellen Sicherstellung und gezielten Aufzeichnung von Verkehrsdaten, wenn ein konkreter Anlass vorliegt.
Es ist eben effektiver, gezielte Ermittlungen anzustellen, als wahllos Daten über das Kommunikations-, Bewegungs- und Internetnutzungsverhalten der gesamten Bevölkerung anzuhäufen.
Damit komme ich zum Schluss. Zum Schutz der Grundrechte gehört nämlich auch, dass wir bei Maßnahmen zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr nur so weit in die Privatsphäre der Bürger eingreifen, wie es unbedingt erforderlich ist. Meine Damen und Herren aus den anderen Fraktionen, vor allem von den GRÜNEN, die sich immer rühmen, sich um den Datenschutz und Sonstiges besonders verdient machen zu wollen, gehen Sie einmal ab von wohlfeilen Lippenbekenntnissen, legen Sie konkrete Vorschläge vor, wie man diesen in der Tat vorhandenen Zielkonflikt sauber lösen kann. Wir tun das, wir werden unserer Verantwortung gerecht. Tun Sie es auch.
(Beifall bei der FDP und der CDU – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wie den Großen Lauschangriff!)
Schönen Dank, Herr Kollege Greilich. – Für die Landesregierung hat Herr Innenminister Rhein das Wort. Bitte schön, Herr Innenminister.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man jetzt die Diskussion verfolgt – ich hatte eine Stunde lang Zeit, bis auf diese kleine Veranstaltung da oben, wahrscheinlich von der Linkspartei initiiert –,
dann muss man sich schon einmal auf der Zunge zergehen lassen, was da von den GRÜNEN, aber auch von den Nachfolgern der SED kommt, die eine ganz eigene Erfahrung mit dem Sammeln von Daten gehabt haben. Herr van Ooyen, da muss man schon sagen: Gut, dass in diesem Land CDU und FDP für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger verantwortlich sind.
Wissen Sie, wenn man sich genau anschaut, was Sie hier alles gesagt haben, dann wird man sehr schnell feststellen, dass es Ihnen überhaupt nicht um die Sache geht. Es geht Ihnen wie immer nicht um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, sondern es geht Ihnen von den GRÜNEN und insbesondere von der Linkspartei einzig und allein darum, einen Keil zwischen die Koalition, zwischen Schwarz-Gelb in Hessen zu treiben.
In der Tat, wir sind in der Frage, wie mit Verbindungsdaten zur Verbrechensbekämpfung und deren Mindestspeicherfrist umgegangen werden soll, nicht in jedem Detail einer Meinung. Das kommt bei uns selten vor. Aber ich finde, das ist in einer Demokratie und in einer funktionierenden Koalition mit sehr selbstbewussten und gleichberechtigten Partnern ein ganz normaler Vorgang. Wissen Sie, was uns, CDU und FDP, von Ihnen unterscheidet? Uns unterscheidet, dass wir uns in der Frage zum Wohl der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger auseinandersetzen und um die beste Lösung kämpfen.
frage ich Sie: Wo sind eigentlich Ihre Ideen? Sie bezeichnen sich doch als Innovationspartei. Wo sind denn Ihre Ansätze, um das Problem, das offenkundig besteht, seriös zu lösen? Es ist wie immer: Sie irrlichtern durch eine sicherheitspolitisches Nirwana. Wenn es darum geht, einmal Farbe zu bekennen oder eine klare Aussage zu machen, ist Fehlanzeige. Es ist bei Ihnen in dieser Frage wie immer.
Meine Damen und Herren, wir wissen spätestens seit den sogenannten Sauerland-Attentätern in Medebach, dass wir im Fokus terroristischer Attentäter stehen. Wir wissen, dass wir kein Rückzugsraum mehr sind. Wir wissen, dass wir durchaus im Fadenkreuz sind. Wir wissen, dass es jederzeit so weit kommen kann, dass hier ein Anschlag stattfindet. Was ist in Medebach passiert, was hat sich dort zusammengebraut? Sie hatten Kenntnis über den Bau von Sprengvorrichtungen. Sie hatten als mögliche Anschlagziele Diskotheken von Amerikanern besucht, Flughäfen, Fastfood-Restaurants ausgeschaut usw., riesige Mengen an Sprengstoff gesammelt. Fakt ist, dass es die deutschen Sicherheitsbehörden hinbekommen haben, durch umfangreiche und monatelange länderübergreifende Ermittlungen und durch operative Maßnahmen, diesen Terroranschlag zu verhindern.
Das ist nur ein Fall von mittlerweile mehreren, der aufzeigt, welche Bedrohung der islamistische Terrorismus auch für Deutschland darstellt. Meine feste Überzeugung ist, dass wir den Herausforderungen des Terrorismus, der organisierten Kriminalität und anderen Kriminalitätserscheinungen im Zusammenhang mit Informationstechnik nur dann wirkungsvoll begegnen können, wenn es Möglichkeiten gibt, eben auch Vorratsdaten zu speichern.
Es gibt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 – einzelne Abgeordnete haben schon darauf hingewiesen, ich will es deswegen nicht vertiefen –, dass die Regelungen des Telekommunikationsgesetzes und der Strafprozessordnung über die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar sind. Aber das Bundesverfassungsgericht hat auch betont – Frau Faeser, ich bin sehr dankbar, dass Sie darauf hingewiesen haben –, dass eine Speicherungspflicht in dem vorgesehen Umfang nicht von vornherein schlichtweg verfassungswidrig sei, sondern dass es an einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausge
Diese Entscheidung, die wir ohne Frage ernst zu nehmen haben – es ist die Entscheidung unseres obersten Gerichts –, hat natürlich weitreichende Folgen für die polizeiliche Arbeit. Das muss man wissen. Deswegen kann man nicht einfach so hingehen – Frau Enslin, bei aller Sympathie, und Herr Schaus, bei mittlerweile immer mehr wachsender Sympathie, muss ich zugeben –
und sagen, das sei alles aus der Luft gegriffen, und irgendwelche Sicherheitsbehörden würden sich irgendetwas ausdenken. Es gibt einen großen Bericht: Stand der statistischen Datenerhebung im BKA. Ich will Ihnen einmal zwei Fälle vortragen – mit Blick auf die Uhr versuche ich, es kürzer zu machen –, die sehr deutlich machen, wie real die Fälle sind und wie real die Probleme sind.
In einem Ermittlungsverfahren des Landeskriminalamtes wegen eines Auftragsmordes zum Nachteil eines Taxifahrers wurden umfangreiche Verbindungs- und Funkzellendaten erhoben, gemäß § 100g StPO. Über die Bewertung der Daten des Täterhandys konnten die Täter letztlich überführt und die Tatzeit eingegrenzt werden, und es konnte zudem der mutmaßliche Anstifter der Tat identifiziert werden, weil er von dem Haupttäter in der Vor- und Nachphase der Straftat mehrfach angerufen worden ist.
Die Nachvollziehbarkeit der Täteraktivitäten hat neben der Spurenlage mit einer ganz hohen Gewichtung zur Verurteilung der beiden ausführenden Täter und auch des Anstifters wegen Mordes bzw. Anstiftung zum Mord geführt. Der wesentliche Ermittlungsansatz war die Auswertung der Vorratsdaten.
Das Gleiche gilt für einen anderen Fall aus dem Jahr 2009, als es in Babenhausen zu einem Doppelmord gekommen ist. Hier hat einer einen Schalldämpfer verwendet. Es ist nachgewiesen worden, dass er sich genau diesen Schalldämpfer und die Baubeschreibung im Internet besorgt hat. Nur mit der Feststellung der IP-Adresse ist es möglich gewesen, eben diesen Fall aufzuklären.
Ich könnte Ihnen eine große Anzahl weiterer Fälle genau in diesem Zusammenhang nennen. Ich finde, die beiden Beispiele machen klar und deutlich, dass die Vorratsdatenspeicherung oftmals der einzige Ermittlungsansatz der Sicherheitsbehörden für schwerwiegende Straftaten ist. Es gilt ganz besonders vor dem Hintergrund der Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus, dass rückwirkend erhobene Kommunikations- und Standortdaten unabdingbar sind.
Meine Damen und Herren, für mich steht völlig außer Frage – deswegen werden Sie auch keinen Spalt zwischen diese Koalition treiben –, dass die Sicherheitsbehörden hier ausschließlich und ohne den geringsten Zweifel im Rahmen von Recht und Gesetz handeln müssen, im Rahmen von Recht und Gesetz an Informationen gelangen dürfen, selbstverständlich nach der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010. Das ist doch völlig klar, darüber braucht man überhaupt nicht zu diskutieren.
Dennoch sage ich: Mir erscheint es schon wichtig, dass wir in der Debatte eben nicht den Blick für die eigentliche Bedrohung verlieren. Wir dürfen in der Debatte eben nicht den Blick für die Realitäten verlieren. Es ist nicht der Staat, der die Freiheiten bedroht, sondern es sind weltweit agierende und zu Gewalt entschlossene Terrornetzwerke.
Es ist doch völliger Unsinn, wenn man sich hierhin stellt und den Eindruck erweckt, als zögen die Schaffung neuer staatlicher Befugnisse und die stärkere Vernetzung von Sicherheitsbehörden zwangsläufig nach und nach den Verlust von bürgerlichen Freiheiten nach sich, so als seien wir auf dem Weg in einen Polizeistaat. Das ist doch völliger Unsinn. – Herr Schaus, dass Sie nicken, ist im Grunde empörend.
Was geschehen muss, ist, dass wir staatliche Handlungsmöglichkeiten an neue Freiheitsräume anpassen, damit der Staat seine Kernaufgabe wahrnehmen kann, nämlich Sicherheit zu schaffen und damit Freiheit für Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Das müssen wir hinbekommen. Sicherheit ist Freiheit, und das ist das Spannungsverhältnis, das wir hinbekommen müssen.
Ich sage auch noch sehr deutlich: In unserer freiheitlich verfassten Ordnung gibt es keinen Gegensatz zwischen dem Staat, der die Freiheit und Autonomie seiner Bürger schafft, und dem Staat, der Sicherheit schafft. Deswegen bringt es ganz wenig, Herr Frömmrich und Frau Enslin, wenn man die Diskussion so führt, wie Sie sie führen: Die eine Seite ist ausschließlich der Anwalt der Freiheit, schwingt sich auf zum Anwalt der Freiheit, geht aber stillschweigend davon aus, dass diejenigen, die die Sicherheit zu betreiben haben, schon irgendwie dafür sorgen werden, dass es in unserem Land sicher ist. – Das ist zu einfach, so einfach kann man es sich nicht machen.
Ich bin außergewöhnlich zuversichtlich, dass die Koalition, genauso wie wir es bei der Sicherungsverwahrung hinbekommen haben, einen brauchbaren, rechtsstaatlich einwandfreien und den Buchstaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entsprechenden Vorschlag vorlegen wird.
Deswegen begrüße ich es sehr – und ich sage das im Hessischen Landtag klipp und klar und deutlich –, dass die Bundesjustizministerin jetzt einen Vorschlag vorgelegt hat. Es ist ein Vorschlag, den wir jetzt umfassend prüfen und diskutieren. Am Ende werden wir uns auf der Basis dieses Eckpunktepapiers definitiv zusammenfinden. Was nicht geht, ist, dass wir deswegen noch mehr Zeit verstreichen lassen. Wir sind aufgefordert, zu handeln; da haben Sie vollkommen recht. Wir sind den Bürgerinnen und Bürgern eine verantwortungsbewusste Sicherheitsvorsorge schuldig. Ich bin sehr sicher, dass wir mit dieser Koalition auf Bundesebene genau das hinbekommen, und wir werden in Hessen das Nötige dafür leisten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Aufgrund der Vorfälle, die zu Beginn dieser Debatte auf der Besuchertribüne stattgefunden haben – Vorgänge, die nichts mit einer repräsentativen Demokratie zu tun ha ben –, und aufgrund der Tatsache, dass der begründete Verdacht besteht, dass Abgeordnete dieses Hauses daran