Protocol of the Session on February 2, 2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie alle ganz herzlich begrüßen. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung: Die Tagesordnungspunkte 1 bis 3, 6, 7, 10, 26, 60 und 64 sind erledigt.

Wir tagen heute vereinbarungsgemäß bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von zwei Stunden.

Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 46, das ist der Setzpunkt der SPD: Beschlussempfehlung und Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses zu dem Antrag der SPD betreffend Umsetzung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in der Leiharbeit. Danach folgt Tagesordnungspunkt 30: Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Bekenntnis zu Freiheit, Demokratie und sozialer Marktwirtschaft und Distanzierung von abwegigen Vorstellungen der Landtagsabgeordneten Ypsilanti und der Bundesvorsitzenden der LINKEN Lötzsch. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 23.

Hinweis: Im Anschluss an die Plenarsitzung gegen 18 Uhr kommt der Kulturpolitische Ausschuss in Raum 204 M zu einer Sitzung zusammen.

Damit kommen wir zum Setzpunkt der SPD. Ich rufe Tagesordnungspunkt 46 auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Sozialpolitischen Ausschusses zu dem Antrag der Abg. Dr. Spies, Decker, Merz, Müller (Schwalmstadt), Roth (SPD) und Fraktion betreffend Umsetzung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in der Leiharbeit – Drucks. 18/3625 zu Drucks. 18/2702 –

Die Redezeit beträgt zehn Minuten. Zu Wort gemeldet hat sich Herr Kollege Decker. Bitte schön, Herr Decker, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Man braucht wirklich einen langen Atem, um endlich das auf den Weg zu bringen, was für dieses Land und Millionen betroffener Menschen unumgänglich und bitter notwendig ist. Es geht um nichts Geringeres als um echte Chancengleichheit und um mehr Wohlstand für alle.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Es geht darum, endlich soziale Mindeststandards zu gewährleisten, Bildungschancen zu eröffnen und die Chance der Neuregelung der Grundsicherung zu nutzen, damit es Arbeitnehmern, Leistungsempfängern und ihren Familien besser geht. Meine Damen und Herren, dieser sozialen Verantwortung kann sich in diesem Haus keiner mehr entziehen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die Uhr läuft, und die Zeitbombe auf dem deutschen Arbeitsmarkt tickt unüberhörbar. Europa rückt zusammen, und ab Mai greift die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dann haben auch alle Menschen aus den neuen EU-Mitgliedstaaten Mittel- und Osteuropas die Freiheit, in jedem Land der EU mit gleichen Rechten und Pflichten zu leben und zu arbeiten. Diese Freiheit bietet Chancen für die so

ziale und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und in Europa – das haben auch Sie so gewollt, meine Damen und Herren –, aber sie muss politisch begleitet werden, um allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland Schutz zu bieten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir haben den Eindruck, an diesem Willen mangelt es der CDU und der FDP in der Bundesregierung und ihren Bundestagsfraktionen nach wie vor. Auch in diesem Haus gab es bei diesem so elementar wichtigen Reformschritt bisher aus unserer Sicht kaum Bewegung. Deshalb werden wir nicht müde, in diesen Tagen und Wochen mit Fug und Recht und aller Kraft zu sagen, was wir für die betroffenen Menschen erreichen wollen. Wir fordern, um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern, muss die Maxime gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Erfahrungen aus anderen EU-Staaten, die die Freizügigkeit nicht eingeschränkt haben, zeigen uns, wie wichtig klare Regel zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen sind, um Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern. Aufgrund der teilweise enormen Einkommensunterschiede werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten mit Sicherheit bereit sein, zu wesentlich schlechteren Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland zu arbeiten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch in diesem Haus muss jetzt jeder begreifen, dass wir Regeln brauchen, die Lohn- und Sozialdumping verhindern.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Zu diesen Regeln gehört noch etwas anderes, etwas, das längst überfällig ist und das Grundübel an der Wurzel packt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verlangen, endlich den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Zudem müssen alle Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen werden, damit Mindestlohn und Tarifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden können. Nur so kann gewährleistet werden, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland bei uns zu den gleichen Mindestlöhnen beschäftigt werden wie deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Es muss doch in dieser führenden Wirtschaftsnation Deutschland möglich sein, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihrer täglichen Arbeit und dem Lohn leben können, ohne auf staatliche Transferleistungen angewiesen zu sein. Das sind unsere Steuermilliarden.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir sind im Übrigen auch dafür, zukünftig besser zu kontrollieren, ob Tarifverträge auch tatsächlich eingehalten werden, die in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen werden. Betriebsräte müssen ein Mitbestimmungsrecht bei der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen von entsandten Arbeitnehmern erhalten. Meine Damen und Herren, wenn wir gerade nach Europa bli

cken: Eine soziale Fortschrittsklausel im EU-Recht muss verbindlich klarstellen, dass die Europäische Union nicht nur dem wirtschaftlichen, sondern auch dem sozialen Fortschritt verpflichtet ist. Soziale Grundrechte sind im Zweifel wichtiger als unbegrenzte wirtschaftliche Freiheiten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wenden wir den Blick wieder zurück nach innen auf den aktuellen Stand der Hartz-IVVerhandlungen. Immerhin gibt es eine Verständigung in Teilbereichen. Das ist gut so. Der vor allem auf Druck der SPD erzielte Kompromiss beim Bildungspaket ist zweifellos ein wichtiger Schritt. Insbesondere dass auf unseren Vorschlag hin jetzt auch die Kinder von Wohngeldempfängern Geld und Leistungen aus dem Bildungspaket erhalten, das ist aus unserer Sicht ein wesentlicher Fortschritt. Damit profitieren Kinder von Geringverdienern beispielsweise ebenso von dem kostenlosen Mittagessen wie von der Finanzierung von Nachhilfe und etlichem mehr. Das beseitigt aus unserer Sicht den Nachteil von Geringverdienern gegenüber Grundsicherungsempfängern. Auch das ist ein wichtiger Schritt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Schauen wir aber einmal auf das Detail. Was ist denn nun mit den Fahrtkosten zur weiterführenden Schule nach der Klasse 10? Das sind immerhin 40, 50 € oder mehr im Monat; die tun den betroffenen Eltern weh. Das weiß jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt hat. Wie man jetzt hört, will Frau von der Leyen diese Leistungen nun im Rahmen des SGB II regeln. Im Klartext heißt das: für Kinder von Hartz-IV-Empfängern Ja, für Kinder von Geringverdienern Nein. – Wie gewonnen, so zerronnen, das kann nicht gerecht sein.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wir begrüßen weiterhin ausdrücklich einen aufgrund des Drucks der SPD erzielten Fortschritts, nämlich den, dass die Bundesregierung von ihrer Absicht Abstand genommen hat, die Arbeitsagentur mit der praktischen Umsetzung des Bildungspakets zu beauftragen. Das sollen die Kommunen machen. Sie kennen sich vor Ort in den Netzwerken aus. Das reduziert den Verwaltungsaufwand, und das Geld kommt direkt bei den Familien an. Das ist gut so.

Was uns von Anfang an immer schleierhaft gewesen is:, wie Frau von der Leyen auf die Idee kommen konnte, die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltungen über die Nachhilfe von Schülerinnen und Schülern entscheiden zu lassen. Dass das nicht funktionieren konnte, war jedem klar, der darüber nachgedacht hat.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die dafür notwendigen Stellen können wir uns jetzt sparen. Auch diese Stellen sind in den Schulen besser aufgehoben und bitter nötig. Meine Damen und Herren, damit können wir vor allem Schulen mit vielen Schulabbrechern und großen sozialen Problemen mit ausreichend vielen Schulsozialarbeitern versorgen. Das ist aus unserer Sicht allemal besser.

(Beifall bei der SPD)

Aber diese beiden Einzelkompromisse reichen nicht, um eine der schwersten sozialen Schieflagen dieser Republik zu beseitigen.

Wenn wir neben einem gerechten Bildungspaket und einer transparenten Berechnungsmethode für die Regelsätze – die von 20 % der Einkommen und nicht, wie es jetzt zugrunde gelegt worden ist, von 15 % einschließlich der Aufstocker ausgeht – auch gleichen Lohn für gleiche Arbeit und einen Mindestlohn fordern, dann ist das für uns keine übertriebene Maximalforderung. Meine Damen und Herren, für uns ist das der einzig vernünftige und richtige Weg, diese soziale Schieflage ein für alle Mal zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Meine Damen und Herren, wir als Sozialdemokraten wollen eine Gesamtlösung. Aber wir haben Zweifel, dass Schwarz-Gelb in diesem Punkt überhaupt verhandlungsfähig ist. Beim Thema Leiharbeit und Mindestlohn haben CDU, CSU und FDP bisher so agiert, als wären hier drei unterschiedliche Verhandlungspartner zugange – und nicht eine Koalition, die in die gleiche Richtung will.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Frau von der Leyen hat in dieser Frage bisher wohl ohne Prokura gehandelt. Wir können uns durchaus vorstellen – das sage ich dieser Seite des Hauses –, dieses Thema mit der Union gemeinsam durchzusetzen. Wir wissen, auch auf Ihrer Seite gibt es inzwischen nicht wenige, die Fair Play auch in der Leiharbeit für wichtig halten.

Aber die FDP hat hier nach wie vor eine Blockiererfunktion. Die können wir schlichtweg nicht verstehen.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Denn wenn wir mit einzelnen Kollegen reden, hört man etwas ganz anderes.

Meine Damen und Herren, wir haben den nachhaltigen Eindruck, dass auch bei diesem Punkt die Kanzlerin und Frau von der Leyen ihren Laden nicht im Griff haben. Das scheint eines der Grundprobleme zu sein.

Meine Damen und Herren, ich sage hier und heute eines: Wer noch nicht einmal bereit ist, zumindest in der Leiharbeit Mindestlöhne einzuführen und den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ zu beherzigen, nimmt grobe Unfairness auf dem Arbeitsmarkt bewusst in Kauf und gefährdet auf Dauer den sozialen Frieden in diesem Land.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Wenn sich Union und FDP in den nächsten Tagen nicht bewegen, können diese Verhandlungen scheitern. Das ist richtig.

Kommen Sie uns jetzt bitte nicht – auch die nachfolgenden Redner – mit der Nummer, die SPD sei der Blockierer. Diesen Hut ziehen wir uns nicht auf.