Protocol of the Session on December 16, 2010

Wir haben den Antrag auf Zulassung. Die bisherige Rechtslage ist unbefriedigend. Das sind 3 %. Die FDP will 2 %. Die GRÜNEN wollen 1 %. Was macht die SPD? – Logisch: 0,5 % steht in ihrem Änderungsantrag.

(Nancy Faeser (SPD): Das war auch das Ergebnis der Anhörung, Herr Blechschmidt!)

Wir haben das Quorum für die Herbeiführung eines Volksentscheides. Wir wollen das belassen. Was machen die GRÜNEN? – Die GRÜNEN wollen ein Quorum von 10 %. Herr Dr. Jürgens hat das ausgeführt. Was macht die SPD? – 5 %, und dann betreibt sie noch ein bisschen Kosmetik dazu. Aber es bleibt bei den 5 %. Das ist wieder eine Unterbietung.

Wir haben das Quorum für das Zustandekommen des Volksbegehrens nach der bisherigen Rechtslage. Die CDU und die FDP wollen keine Änderung. Die GRÜNEN wollen keine Änderung. Hier werden GRÜNE sowie CDU und FDP von der SPD überholt. Sie wollen eine Absenkung auf 5 % und eine Mindestgesamtbeteiligung von 15 %. Das Gleiche gilt für die Eintragungsfristen. Die Frist soll 14 Tage betragen. Da gibt es die Gesetzeslage. CDU und FDP wollen zwei Monate. Die GRÜNEN wollen drei Monate. Die SPD hat hier gar keinen Vorschlag gemacht, weil sie das noch nicht entdeckt hat. Jetzt kommen die LINKEN und wollen vier bis sechs Monate.

Bei der Beschaffung der Eintragungslisten gibt es eine bisherige Rechtslage. CDU und FDP wollen keine Veränderung. Die SPD hat keinen eigenen Vorschlag. Die GRÜNEN wollen die Beschaffung der Eintragungslisten in die Zuständigkeit des Landeswahlleiters nehmen.

Dann gibt es die Einführung einer Volksinitiative. Da gibt es die bisherige Rechtslage. Diese sieht eine Volksinitiative nicht vor. CDU und FDP wollen eine Volksinitiative gemäß § 3 Abs. 2 ihres Gesetzentwurfes.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Jetzt wird es interessant. Hier fällt GRÜNEN und SPD nichts ein. Sie machen keinen Vorschlag. Dann fängt der Jahrmarkt bei den Kosten wieder an. Nach der bisherigen Rechtslage fallen sie den Antragstellern zur Last. CDU und FDP wollen keine Veränderung. Die SPD hat auch keinen Vorschlag. Die GRÜNEN sagen: Na ja, da soll das Land eben alles tragen.

Langer Rede kurzer Sinn: Das, was wir hier diskutieren, ist nach unserer Auffassung eine wirklich bessere Teilhabe der Bürger, die realistisch ist, die keiner Verfassungsänderung bedarf und die dem Rechnung trägt, was wir wollen. Wir als CDU und FDP machen das Unterbieten von Quoren und sonstigen Faktoren nicht mit, sondern wir unterstützen unseren Gesetzentwurf. Deshalb werden wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, und wir werden den Änderungsvorschlägen nicht zustimmen. Herr Dr. Wilken, Ihrem Antrag werden wir ebenso nicht zustimmen. – Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Blechschmidt. – Für die Landesregierung hat nun Herr Wintermeyer das Wort.

(Zuruf von der FDP: Großartig! – Beifall bei der FDP)

Vielen Dank für den Vorabbeifall. – Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen! Es ist in Hessen guter Brauch der Landesregierung Überlegungen zur Änderung unserer Landesverfassung zunächst dem Landtag zu überlassen. Das hat Kollege Rhein, den ich heute vertreten darf, bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs so gehalten, über den wir heute abzustimmen haben. Ich werde mich heute hier auch nicht anders verhalten.

Erlauben Sie mir aber, auf Fragen aufmerksam zu machen, die bei dem euphorischen Werben für eine ausgeweitete Volksgesetzgebung kaum angesprochen werden. Zugleich sollen sie deutlich machen, warum die Landesregierung den verfassungsändernden Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Dr. Jürgens, mit einiger Skepsis betrachtet.

Bei einem Gesetzentwurf, der das von der Verfassung festgelegte Abstimmungsquorum für das Volksbegehren herabsetzen will, ist es in erster Linie der Landtag selbst, der von dieser Änderung betroffen wäre. Er verändert die Funktion des Landtags als Gesetzgebungsorgan. Unsere Verfassung hat im Jahr 1946 sehr präzise Vorstellungen über die Verteilung von Zuständigkeiten zur Gesetzgebung formuliert. Sieht man davon ab, dass eine Verfassungsänderung – das kennen Sie alle – nur über Volksab

stimmung zustande kommt, so hält sich unsere Verfassung im Übrigen bei der Gesetzgebung durch das Volk sehr zurück.

Meine Damen und Herren, es ist also einfach nicht richtig, wenn behauptet wird, unsere Verfassung habe sich für einen Vorrang der Volksgesetzgebung entschieden und diese dem Landtag gleichsam als Gesetzgebungsorgan vorgestellt. Das in der Tat hohe Quorum von einem Fünftel der Stimmberechtigten, also 875.000 Hessen, ist doch kein Zufall. Ich darf aus den Verfassungsberatungen des Jahres 1946 einmal zitieren:

Meine Fraktion hat grundsätzlich nichts gegen den Volksentscheid einzuwenden. Wir legen allerdings Wert darauf, dass die Bedingungen, unter denen ein Volksbegehren zustande kommen kann, sehr verschärft werden, damit tatsächlich kein Missbrauch mit dieser Möglichkeit betrieben werden kann.

(Zurufe von der CDU: Hört, hört! – So ist das!)

In dem Zitat, das ich Ihnen hier vortrage, heißt es weiter:

Das heißt: Die Zahl der Unterschriften muss so hoch sein, dass tatsächlich nur in entscheidenden Dingen, wenn ein bestimmter Prozentsatz des Volkes sich dafür ausspricht, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war ein Zitat des Abg. Bauer – nicht von der CDU, er lebte damals noch gar nicht, sondern ein Zitat des Abg. Bauer von der KPD.

(Zurufe von der CDU: Uiuiui!)

Meine Damen und Herren, es war die SPD, die dem zugestimmt und den geltenden Art. 124 formuliert hat. Das alles lässt sich in Ruhe nachlesen. Die Mütter und Väter unserer Verfassung hatten also eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie die Gesetzgebungszuständigkeit zwischen dem Parlament und den Wählerinnen und den Wählern tatsächlich verteilt sein sollte. Wer glaubt, diese Gewichtsverteilung ändern zu müssen, schwächt ganz offensichtlich die Position des Landtags. Deshalb ist es seine ureigenste Aufgabe – damit komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück –, sich ohne Mitwirkung der Landesregierung über diese Konsequenz hier in diesem Haus und die weiteren Folgen klar zu werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist richtig, dass es in Hessen noch kein erfolgreiches Volksbegehren gegeben hat. Das hat vorhin Herr Dr. Jürgens angesprochen. Aber die Gründe sind ganz unterschiedlich. Man sollte wirklich noch einmal ehrlich darauf zurückschauen. Das Volksbegehren von 1981 gegen die Startbahn West war schlicht verfassungswidrig und konnte deswegen nicht zugelassen werden. Andere Volksbegehren sind im Sande verlaufen. Nur ein Volksbegehren, nämlich dasjenige von 1966 für die Einführung der Briefwahl, ist tatsächlich an dem Quorum von einem Fünftel gescheitert. Sein Ziel – das gehört der Ehrlichkeit halber auch dazu – hat es dann aber mit der Änderung des Wahlrechts trotzdem erreicht. Wie man glauben kann, aus dieser sehr übersichtlichen Geschichte ein Argument gegen das geltende Einleitungsquorum herleiten zu können, ist für mich jedenfalls schlechthin unerfindlich.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Völlig übersehen wird Folgendes: Niemand fragt bisher nach der Qualität und den Wirkungen der so beschlosse

nen Volksgesetze. Es liegt in der Natur des Verfahrens, dass sie vorab nicht fachlich geprüft werden können. Es gibt für sie weder im Vorhinein eine belastbare Gesetzesfolgenabschätzung noch eine nachträgliche Evaluierung. Natürlich könnte es das Parlament, also dieses Haus hier, wieder aufheben oder ändern. Aber seien Sie ehrlich: Das Parlament wird doch stattdessen versuchen, so lange wie möglich mit diesem Gesetz zu leben, um die Wählerinnen und Wähler nicht zu verärgern. Das führt mich wieder zu meiner Eingangsfrage zurück: Will der Hessische Landtag das wirklich?

Für mich wirft eine Intensivierung der Volksgesetzgebung auch Fragen nach der demokratischen Legitimation auf. Demokratische Herrschaft ist Herrschaft auf Zeit.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!)

Sie wird für jede Wahlperiode neu begründet. Ein besseres Kontrollmittel des Wählers und der Wählerin als die Wahl selbst ist doch schwer vorstellbar.

(Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Meine Damen und Herren, volksbeschlossene Gesetze erheben dagegen den Anspruch auf ewige Dauer; zumin dest kenne ich keinen Volksentscheid, der das Ergebnis eines früheren Volksentscheids wieder aufgehoben hätte. Müsste sich auch das Parlament mit einem solchen Versteinerungsprozess abfinden, ohne ihn durch die Aufhebung oder Änderung des vom Volk beschlossenen Gesetzes beenden zu können, bekämen wir zutiefst problematische Verhältnisse.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Alexander Bauer (CDU): Spannend, wie die Schweiz das macht!)

Eine Augenblicksmehrheit könnte nachfolgende Generationen an ihre Entscheidungen binden, ohne sich für sie – vor wem auch? – rechtfertigen zu müssen.

Meine Damen und Herren, ich mache keinen Hehl daraus, dass ich, wie Sie bemerkt haben, das Instrument der Volksgesetzgebung mit einiger Nüchternheit betrachte. Dabei habe ich nicht vergessen, dass in der Enquetekommission zur Änderung der Hessischen Verfassung auch Vorschläge entwickelt worden sind, um das heute diskutierte Quorum von einem Fünftel auf ein Achtel herabzusetzen. Schließlich war ich daran auch selbst, und das nicht nur zufällig, beteiligt. Damals ging es jedoch um mehr als nur eine punktuelle Änderung der Verfassung. Vor allem aber sollte dieses Achtel der Stimmberechtigten, nach heutiger Zählung etwa 547.000 Wählerinnen und Wähler, zwar einen Volksentscheid herbeiführen können; die Mehrheit der in diesem Volksentscheid abgegebenen Stimmen sollte aber nur dann genügen, wenn sie einem Viertel der Stimmberechtigten entsprach. Das Ergebnis des Volksentscheids hätte also durch etwa eine Million Stimmen legitimiert werden müssen.

Eine solche Sicherung sieht der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht vor. Die Mehrheit der abgegebenen Stimmen kann also unverändert, und seien sie noch so wenige, einem einmal volksbegehrten Gesetz zum Erfolg verhelfen. Er begnügt sich für den Volksentscheid mit einer Anzahl von Wählerstimmen, mit der sich eine parlamentarische Mehrheit zur Unterstützung desselben Gesetzes niemals herstellen ließe. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.

Meine Damen und Herren, wir sollten, statt in diesem einzelnen Punkt Hand an die Verfassung zu legen, zukünftig

besser über die Frage sprechen, wie wir es regeln – ich habe einige Hinweise gegeben – und einen guten Kompromiss wählen können. Der Ihnen bekannte Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen setzt nicht an der Verfassung, sondern an dem Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid an.

Herr Wintermeyer, gestatten Sie mir kurz die freundliche Bemerkung, dass die für die Fraktionen vereinbarte Redezeit bereits abgelaufen ist.

(Leif Blum (FDP): Jetzt lassen Sie ihn doch mal!)

Das will ich ja.

Frau Präsidentin, wenn ich schon für den Kollegen Rhein reden darf, dann tue ich das auch gern und gern lange.

(Heiterkeit)

Ich darf Ihnen aber versprechen, dass ich höchstens noch eine Minute brauche.

Der Ihnen bekannte Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen setzt nicht an der Verfassung, sondern an dem Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid an. Sie haben ihn ausführlich beraten. Dabei haben Sie feststellen können, dass er das Verfahren der Zulassung eines Volksbegehrens deutlich vereinfacht und erleichtert. Ich halte das für einen guten Schritt in eine Richtung, von der ich meine, dass sie auch die richtige ist.

(Beifall des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Geben Sie den Wählerinnen und Wählern, aber auch dem Parlament Gelegenheit, zunächst diese Vereinfachungen zu erproben und mit ihnen Erfahrungen zu sammeln. Ob es zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll oder geboten erscheint, aufgrund dieser Erfahrung die Verfassung zu ändern, wird sich dann zeigen müssen, und hierüber wird dieses Haus zu entscheiden haben. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Leif Blum (FDP): Großartig!)