Herr Kollege Dr. Wilken, Ihnen ist schon klar, dass die nächste Chance für eine Verfassungsänderung erst bei der nächsten Wahl 2013 besteht und wir bis dahin „still ruht der See“ haben?
Herr Dr. Jürgens, das ist mir durchaus bekannt. Glauben Sie, dass sich unser Abstimmungsverhalten vielleicht auch etwas verändert darstellen würde, wenn es eine Chance in diesem Haus gäbe, dass wir mit unseren Stimmen die Mehrheit hätten. Ich glaube, dieser Illusion sitzen wir alle nicht auf.
Meine Damen und Herren, wir müssen darüber nachdenken, ob die Wiederholungssperren, die im Moment im Gesetz über Volksbegehren und Volksentscheid vorgesehen sind, notwendig oder sinnvoll sind. Und wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir zu einer echten Verzahnung von einer Volksinitiative und der parlamentarischen Diskussion kommen. Wir meinen, dass diese Verzahnung bereits in der ersten Stufe notwendig ist, also eine Behandlung einer Volksinitiative hier im Hause notwendig ist und im ersten Schritt durchgeführt werden muss.
Wir müssen uns darüber unterhalten, wie Unterschriften gesammelt werden. Dabei müssen wir nicht nur im Blick haben, wie Kommunalverwaltungen möglichst unaufwendig arbeiten können, sondern wir müssen auch im Blick haben, mit welcher besten Methode Bürgerinnen und Bürger – erstens – informiert werden können und – zweitens – sich unaufwendig beteiligen können.
Das letzte Stichwort von meiner Seite in dieser Diskussion ist die Informiertheit. Sicherlich ist es notwendig, dass in der dritten Verfahrensstufe von Volksbegehren bzw. Volksentscheid an die Bürgerinnen und Bürger ein Informationsheft gesendet wird, das erläutert, worüber denn entschieden werden soll.
Nach der gestrigen Diskussion wage ich hierzu die Anmerkung: Eine solche Informationsschrift soll das Problem darstellen und nicht einseitig zu einer bestimmten Problemlösung aufrufen. Sie soll das Für und Wider der anstehenden Entscheidungen abwägen, damit sich Bürger informiert entscheiden können. – Ich bedanke mich.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ist die parlamentarische Demokratie aus gutem Grund in unserem Rechtssystem gestärkt worden. Seit mehr als einem halben Jahrhundert bildet sie Grundlage für Frieden und Wohlstand.
Die Väter und Mütter der Hessischen Verfassung haben sich klar für ein parlamentarisches System ausgesprochen, unter bestimmten Voraussetzungen aber auch Ausnahmen für Möglichkeiten der direkten Demokratie vorgesehen.
Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis wollen wir beibehalten. Denn die parlamentarische Demokratie ist ein Erfolgsmodell, das durchaus Elemente der Bürgerbeteiligung verträgt. Deshalb bekennen wir uns zur repräsentativen Demokratie und werden auch den Koalitionsvertrag umsetzen, der zugleich die Möglichkeiten für mehr direkte Demokratie vorsieht.
Deshalb haben wir als Koalitionsfraktionen einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid eingebracht, der vorsieht, das Quorum für die notwendigen Unterschriften zur Zulassung eines Volksbegehrens von mindestens 3 % auf 2 % zu senken. Damit sinkt die Zahl der erforderlichen Unterschriften der Stimmberechtigten von derzeit über 131.000 auf dann rund 87.000.
Nach unseren Vorstellungen soll es in Zukunft auch zwei Monate Zeit geben, innerhalb derer sich die Stimmberechtigten für das Volksbegehren eintragen können – statt nur zwei Wochen wie bisher. Somit verbleibt mehr Zeit, um die Mehrheit für ein bestimmtes Anliegen zu gewinnen.
Es ist auch eine Selbstverpflichtung für den Landtag vorgesehen, sich mit dem Volksbegehren beschäftigen zu müssen, sobald das Zulassungsquorum von 2 % erreicht ist.
Meine Damen und Herren, damit haben 2 % der Wahlberechtigten das gleiche Recht wie eine Fraktion im Hessischen Landtag.
Dieses neue Recht der Volksinitiative, das wir vorsehen, ist ein wichtiger und bedeutender Beitrag zu mehr direkter Demokratie in Hessen.
Was wir aber nicht haben wollen, das ist ein Bieterwettbewerb um die niedrigsten Quoren und die weitreichends ten Verfassungsänderungen, wie ihn Oppositionsfraktionen anstreben.
Herr Bauer, haben Sie auch zur Kenntnis genommen, dass bei der Anhörung alle Sachverständigen, wirklich alle Sachverständigen gesagt haben, dass das, was Sie vorhaben, völlig unzureichend ist, um bei einer geänderten Verfassung ein Volksbegehren tatsächlich zu ermöglichen?
Wir halten unsere Maßnahmen für einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung zu mehr direkter Demokratie. Beim derzeitigen Sachstand halten wir das für den richtigen Schritt und für ausreichend.
Wir halten es nämlich für richtig – das ist vielleicht auch eine Antwort auf diese Frage, die weiter geht –, dass die Entscheidungen, die für alle Bürgerinnen und Bürger in Hessen gelten und mit denen sich dann auch der Landtag befasst, mindestens auch von einem erheblichen Teil der Bürgerinnen und Bürger unterstützt werden müssen. Nach unserer Verfassung ist es derzeit ein Fünftel.
Es darf nicht sein – das ist eine weitere Antwort auf Ihre Frage –, dass eine kleine Minderheit über das bestimmt, was die Mehrheit betrifft.
Wenn ein politisches Thema die Bürgerinnen und Bürger nicht zur Unterschrift motiviert, dann nutzt es auch nicht, die Quoren so weit zu senken, bis am Ende nur noch die Unterschriften des Initiators und seines Kegelklubs genügen. Das ist unsere Auffassung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist billige Polemik!)
Meine Damen und Herren, das ist nicht der Sinn der direkten Demokratie. Auch Bürgerentscheidungen müssen von einer repräsentativen Mehrheit legitimiert sein.
Letztendlich können die Elemente der direkten Demokratie immer nur Ergänzung, niemals aber Ersatz für das parlamentarische System sein.
Dennoch ist es selbstverständlich notwendig, auf das zu hören, was Bürger wollen – gerade bei Großprojekten. Deshalb haben wir beispielsweise das Mediationsverfahren zum Ausbau des Frankfurter Flughafens unterstützt. Und deshalb wollen wir auch die Schuldenbremse in der Hessischen Verfassung durch eine Volksabstimmung legitimieren.
Meine Damen und Herren, gegenwärtig ist es sehr beliebt, all diejenigen zu unterstützen, die Politik auf der Straße machen. Aber es darf durchaus bezweifelt werden, ob das die Demokratie stärkt. Es ist auch zweifelhaft, ob die Opposition über alles glücklich ist, was in den vergangenen Monaten beispielsweise in der Schweiz per Volksentscheid entschieden wurde.
Vorsicht auch, wenn ich Stuttgart 21 als Musterbeispiel für eine Bürgerbeteiligung nehme. Der Vergleich der Umfragen vor der Schlichtung und heute ist ein ganz deutlicher
Beleg dafür, wie schnell sich Stimmungsbilder drehen können – obwohl sich an der Sachlage kaum etwas geändert hat.
Solche Stimmungsschwankungen gibt es immer wieder. Sie sollten keinesfalls Grundlage für weitreichende politische Entscheidungen sein.
Volksentscheide und Volksbegehren sind nicht das Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit. Meine Damen und Herren, der Parlamentarismus mag manchmal langweilig und schwerfällig erscheinen. Es liegt aber auch in unserer Hand, das zu ändern. Alles in allem aber trägt der Parlamentarismus im besten Falle auch zur Reflexion und zur Rationalisierung bei.
Selbstverständlich sind nicht nur Politiker, sondern ist jeder Bürger, der sich engagiert und politisch interessiert, in der Demokratie wichtig. Die Möglichkeiten, diesem politischen Engagement Ausdruck zu geben, sind schon jetzt sehr vielseitig.
Unser Gesetzentwurf, den wir noch beraten werden, sieht vor, wie diese Balance nach unserer Auffassung gehalten werden kann. Entscheidungen sollen nämlich immer von einer repräsentativen Mehrheit der Bevölkerung legitimiert sein – sei es im Landtag oder durch Volksbegehren. Denn nur dann können Gesetzesvorhaben für die Demokratie insgesamt förderlich sein und allen Bürgerinnen und Bürgern in Hessen zum Vorteil gereichen. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Bauer, das Problem ist, dass Sie einen Gesetzentwurf in den Hessischen Landtag eingebracht haben, sich hier hinstellen und jetzt sagen: Man muss die Bürger mehr beteiligen. – Das schreiben Sie in Pressemitteilungen, und Sie geben uns hier recht, wenn wir verlangen, dem Bürger mehr Stimme zu geben. Dann aber sagen Sie, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht tatsächlich mitentscheiden dürfen.
Das ist ein Problem, ein großes Problem, denn damit frustrieren Sie die Bürgerinnen und Bürger noch mehr.