Protocol of the Session on November 18, 2010

Das Problem besteht nicht zwischen den Generationen, zwischen Alt und Jung, wie Sie uns immer als Begründung zur Schuldenbremse weismachen wollen, sondern aufgrund der Rolle der Staatseinnahmen und der Zinszahlungen zwischen Arm und Reich, und zwar in der jetzigen Generation.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt also eine sozial gerechte Steuerpolitik zu entwickeln, wurden weitere Steuersenkungen umgesetzt, von denen vor allem Unternehmen und Reiche profitiert haben. Das sind Erfahrungen, von denen in der Anhörung berichtet wurde.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Wir sagen ganz klar: Gerade weniger wohlhabende Menschen sind im besonderen Maße von staatlichen Maßnahmen und Leistungen abhängig. Die LINKE sagt aus all diesen Gründen zur Schuldenbremse Nein, ohne wenn und aber. Deshalb werden wir die Menschen mobilisieren, am 27. März 2011 Nein zur Hessenbremse zu sagen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Schönen Dank, Herr van Ooyen. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Schmitt das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst einmal will ich zum Beitrag von Willi van Ooyen festhalten, dass durch die Änderung des Grundgesetzes die Schuldenbremse gilt. Sie schreibt vor: null Verschuldung für die Länder. Deswegen kann man sehr grundsätzlich darüber diskutieren, ob wir das noch einmal in die Hessische Verfassung schreiben müssen, wenn das im Grundgesetz geregelt wird.

Wir haben auch Bedenken hinsichtlich des Zeitpunkts vorgetragen – es soll mit der Kommunalwahl darüber abgestimmt werden –, weil in Schleswig-Holstein eine Klage anhängig ist, die genau diese Frage überprüfen soll, nämlich ob mit der Grundgesetzregelung in die Länderautonomie eingegriffen wird. Das haben wir bei allen Gesprächen deutlich gemacht. Das habe ich auch hier bei der letzten Runde deutlich gemacht. Die Mehrheit von FDP und CDU ist davon aber nicht abzubringen. Deswegen müssen wir uns verhalten.

Deswegen haben wir als Sozialdemokraten auch einen Änderungsantrag eingebracht. Natürlich galt unsere besondere Aufmerksamkeit bei der Anhörung der Antwort auf die Frage, wie diese Änderungen von den Interessenverbänden und den Sachverständigen beurteilt werden.

Vorab gab es ein interessantes Ergebnis. Kein Sachverständiger hat erklärt, die Schuldenbremse sei eine Einladung für Steuersenkungen, sondern alle haben das Gegenteil gesagt, nämlich für Steuersenkungen ist kein Platz. Ich möchte nur einmal diesen Hinweis geben, der übrigens in mehrere Richtungen geht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in unserem Änderungsantrag eine für uns zentrale Frage aufgegriffen: Wie müssen wir damit umgehen, wenn eine solche Schuldenregelung kommt? Denn aus unserer Sicht wird es natürlich zu einem Druck auf die Ausgabenseite kommen. Dazu sage ich nachher noch etwas, auch anhand von Zahlen. Wir sind aber auch der Meinung, dass unser Staat seit Jahren unterfinanziert ist, und zwar alle staatlichen Ebenen. Wenn dann eine Schuldenbremse hinzukommt, ist die Frage, was das bedeutet. Bedeutet das nicht möglicherweise, dass dann unsere Staatsziele, die in der Hessischen Verfassung stehen, für die übrigens auch das Volk abgestimmt hat, für die wir sogar hoffentlich gemeinsam tagtäglich kämpfen, unter Druck geraten, nämlich: Wie gestalten wir Bildung aus? Wie erreichen wir öffentliche Investitionen?

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Wie erreichen wir innere Sicherheit? Wie erreichen wir Umweltschutz? Außerdem gibt es besondere Formulierungen zum Denkmalschutz, nämlich Schutz und Pflege der Landschaft und der Denkmäler. Wie erreichen wir all diese Ziele in unserer Verfassung? Unsere Sorge ist es – die bringe ich hier auch noch einmal zum Ausdruck –, dass diese Staatsziele, die uns sehr, sehr wichtig sind, unter Druck geraten, wenn man nur auf die Ausgabenseite schaut.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen keinen Staat, der ausblutet, der seine Staatsziele nicht erfüllen kann. Wir wollen ein handlungsfähiges Hessen, das für gute Bildung sorgt, das innere Sicherheit garantiert, das soziale Sicherheit garantiert und das auch die öffentlichen Investitionen finanzieren kann.

Die Anhörung hat auch deutlich gemacht – das ist übrigens auch in den beiden Beiträgen eben zum Ausdruck gekommen –, dass es insbesondere bei den Gewerkschaften, aber auch bei den Sozialverbänden erhebliche Ängste gibt, ob unter der Vorgabe der Schuldenbremse, mit einer Verstärkung durch eine Volksabstimmung, in der Hessischen Verfassung die Ausgabenseite so unter Druck kommt, dass dann die Staatsziele gefährdet werden. Ich finde, diese Frage muss man ernst nehmen. Deswegen haben wir unseren Änderungsantrag eingebracht, der versucht, bei Geltung dieser Schuldenbremse auch den Staatszielen gerecht zu werden, und der einen Fokus darauf richtet, dass wir als Staat, als Landtag und auch die Landesregierung eine Verantwortung dafür haben, dass ausreichende Einnahmen zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen will ich Ihnen die Dimension darstellen. Seit elf Jahren, seit Sie regieren – ich spreche die Koalitionsabgeordneten an –, gibt es keinen ausgeglichenen Haushalt. Die niedrigste Nettoneuverschuldung hatten wir 2006 mit 582 Millionen €. Die höchste Nettoneuverschuldung – ich rechne bewusst die Krisenjahre 2009 bis 2011 heraus – hatten wir 2002 mit dem Nachtragshaushalt mit fast 2 Milliarden €. In den Normaljahren 2004 und 2005 hatten wir ein Nettofinanzierungsdefizit von 700 Millionen €.

Ich sage das bewusst, damit wir alle die Dimensionen sehen. Angenommen, in einem Normaljahr hätte die Nullverschuldung begonnen: Schauen Sie sich einmal die Haushalte von 2004 bis 2006 an. Fragen Sie sich einmal selbst, ob es leicht ist, aus diesen Haushalten 700 Millionen € herauszustreichen. Deswegen müssen wir auch über die Einnahmeseite reden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen kann ich nur noch einmal an Sie appellieren; denn es wird ein gemeinsames Problem sein. Sie wollen weiterregieren. Wir wollen regieren. Die Fesseln gelten in mehrerlei Hinsicht. Denjenigen, die Ängste haben – ich sage: berechtigte Ängste –, muss klargemacht werden: Ja, wir haben auch für die Einnahmen eine Verantwortung. Wir kämpfen dafür, dass die Staatsziele auch unter Geltung der Schuldenbremse erreicht werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Natürlich ist auch klar, man kann einen Staat nicht mit einer Vereinskasse vergleichen. Die Vereinskasse muss immer im Plus sein. Ein Staat hat auch die Notwendigkeit der konjunkturellen Steuerung. Das Konjunkturprogramm, das wir gemeinsam, unterstützt von der SPD, gemacht haben, war ein Ausdruck davon. Deswegen war auch Ergebnis der Anhörung, dass wir eine starke Flexibilität brauchen. Deswegen stellt sich auch die Frage nach der Ausgestaltung der Schuldenbremse. Es liegen Papiere vor. Aber es liegt noch nichts dazu vor, wie das volkswirtschaftlich ausgestaltet wird. Auch das gibt noch einmal einen Hinweis darauf: Wir hätten das nicht zur Kommunalwahl gebraucht. Wir hätten gerade dazu vielleicht noch die eine oder andere Überlegung anstellen müssen. Deswegen sage ich Ihnen: Es gibt noch einiges zu regeln. Wir werden weiter in Gesprächen bleiben. Aber wir haben, wie gesagt, auch unsere Vorstellungen, wie die Ausgestaltung auf Länderebene aussehen muss.

Ich will eines anfügen. In den nächsten Tagen wird die Frage sehr wichtig sein, wie Sie es mit dem schrittweisen Abbau halten. Es kann nämlich nicht sein, dass jetzt noch zwei, drei, vier Jahre Vollgas – wenn man von Bremse redet – gegeben wird und dann die nachfolgenden Regierungen in den Haushaltsjahren 2018 oder 2019 voll bremsen müssen, dass die Reifen richtig quietschen und rauchen. Meine Damen und Herren, das geht nicht. Da sind Sie von der Koalition gefordert, endlich einen Vorschlag vorzulegen, den wir die ganze Zeit eingefordert haben. Wir haben einen Änderungsantrag eingebracht.

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Unser Änderungsantrag sieht einen schrittweisen Aufbau vor, parallel zum Grundgesetz. Auch da werden wir achtgeben. Denn eines kann nicht sein: die Schuldenbremse in der Verfassung einzufordern, aber in der aktuellen Tagespolitik das Gegenteil zu tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vielen Dank, Herr Kollege Schmitt. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich Frau Erfurth gemeldet. Bitte schön.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Milde, ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört. Sie haben noch einmal resümiert, wie wir gemeinsam daran arbeiten sollten, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. Wenn Sie uns im letzten Jahr aufmerksam beobachtet haben, dann werden Sie und andere deutlich erkannt haben, dass meine Fraktion sehr ernsthaft am Thema Schuldenbremse gearbeitet hat und arbeitet und das Thema sehr, sehr ernst nimmt.

Ich will es Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen. Wir haben im Januar dieses Jahres ein Konzept vorgelegt: „Hessens Weg aus der Schuldenfalle“. Wir haben eine Fraktionsanhörung dazu durchgeführt. Als die Regierungsfraktionen den Gesetzentwurf vorgelegt haben, haben wir beantragt, im Plenarsaal eine große Anhörung mit Vertretern der Finanzwissenschaft und Verfassungsrechtlern sowie Vertretern der gesellschaftlichen Gruppen durchzuführen, um ein Stimmungsbild zu bekommen und auch um eine möglichst breite Debatte in der Gesellschaft über die Schuldenbremse auszulösen.

Wir haben dann in der letzten Woche ein umfassendes Konzept vorgelegt, aus dem sich unsere Vorschläge zur Umsetzung der Schuldenbremse ergeben. An dem Punkt – das sage ich durchaus mit Stolz – sind wir weiter als die Fraktionen von CDU und FDP.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben Ihnen einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf von CDU und FDP vorgelegt, in dem all unsere Vorstellungen zusammenfließen. Nun werden die Regierungsfraktionen nicht müde, zu verkünden, dass sie die Schuldenbremse auf jeden Fall in der Hessischen Verfassung haben wollen. Was uns allerdings fehlt, ist: Herr Milde, Sie erklären noch nicht, wie Sie das Ziel erreichen wollen, und das haben Sie auch heute wieder nicht getan. Sie haben gesagt, das machten Sie dann im Haushaltsvollzug. Ich finde, an dem Punkt müssen wir ein bisschen präziser werden. Wir können den Menschen doch nicht sagen: Wir versprechen euch, dass wir ab 2020 keine Schulden mehr machen, aber wie wir dahin kommen, das lasst mal unsere Sorge sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Im Finanzplan steht alles drin!)

Herr Milde, „im Finanzplan steht alles drin“.

(Lachen bei der SPD)

Dazu möchte ich doch einmal den ehemaligen Finanzminister Weimar zitieren, der gesagt hat: Das ist ein Märchenbuch, das mach ich Ihnen in fünf Minuten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Milde, also bitte, ich glaube, wir sollten uns da erns ter nehmen, und das wissen Sie auch. Wir sollten da erns ter sein. Wir sollten da mit dem nötigen Ernst herangehen und auch die Bedenken der Menschen ernst nehmen. Das ist der Punkt.

Wir haben in der Anhörung insbesondere von Vertretern der sozialen und gesellschaftlichen Gruppen – es waren nicht nur die Sozialverbände – gehört, dass sie Ängste haben, dass dann am unteren Ende der Gesellschaft gekürzt wird und wichtige Bereiche nicht mehr finanziert werden. Meine Damen und Herren von der CDU und besonders auch meine Herren von der FDP, diese Bedenken müssen wir ernst nehmen und bearbeiten. Ich denke, wir müssen noch einmal ein Stück an dem Gesetzentwurf arbeiten und ernsthafte Versuche unternehmen, da zusammenzukommen.

Wir haben uns ja der Mühe unterzogen, basierend auf dem Haushaltsentwurf 2011, den die Landesregierung vorgelegt hat, einmal zu schauen, wo denn Einsparpotenziale und Effizienzgewinne möglich sind. Ich kann Ihnen versichern, dass das keine spaßige Veranstaltung war. Das war sehr ernst, und es war auch mit sehr großen Diskussionen darüber verbunden, wo wir denn reingehen und wo wir das denn machen. All dieser Schweiß und dieses Bemühen haben nicht dazu geführt, dass wir die Schere schließen konnten, jedenfalls nicht mit dem, was wir an der Hand hatten. Daher müssen Sie doch einmal anerkennen, dass sich dieses Schließen der Lücke nur dann realisieren lassen wird, wenn man auch über Einnahmeerhöhungen, über die Einnahmeseite nachdenkt. Das müssen Sie, glaube ich, sehr ernsthaft in den Blick nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Finanzwissenschaftler, die im Rahmen der Anhörung im Plenarsaal referiert haben, haben gesagt – Herr Kollege Schmitt hat schon darauf hingewiesen –, dass die staatlichen Ebenen zum großen Teil unterfinanziert seien und dass man dazu kommen müsse, dass wieder mehr Einnahmen in die Kassen kämen. Es mag einmal dahingestellt sein, auf welchem Weg man dazu kommt. Das müssen nicht immer Steuererhöhungen im klassischen Sinne sein. Das können Rahmenbedingungen sein, die eine Landesregierung stellen kann. Das kann auch sein, indem man sich darum bemüht, bestehende Gesetze richtig auszuführen, indem man sich beispielsweise darum bemüht, Steuerschlupflöcher zu schließen und den Vollzug der Steuer ordnungsgemäß durchzuführen. All das wird letztlich aber nicht reichen, um im Jahre 2020 zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen.

Ich möchte Ihnen noch einmal die Worte von Herrn Prof. Dr. Thomas Lenk vom Institut für Öffentliche Finanzen an der Universität Leipzig in Erinnerung rufen. Prof. Lenk hat deutlich gemacht, dass die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte das Gebot der Stunde sei. Darüber hinaus sei es unumgänglich, über Einnahmeerhöhungen und Ausgabensenkungen nachzudenken. Dieser Dreiklang, den wir Ihnen seit Januar dieses Jahres erzählen, spiegelt sich also auch hier wider. Und, auch das hat er hinzugefügt: Es verbiete sich, über Steuersenkungen nachzudenken.

Meine Damen und Herren, diese Überlegungen sind in unseren Gesetzentwurf eingeflossen. Wir schlagen Ihnen daher vor, die Einnahmeseite im Gesetz mit zu beleuchten und festzulegen, dass sich der Hessische Landtag und auch die Hessische Landesregierung um Einnahmen kümmern müssen; und wir schlagen Ihnen vor, einen verbindlichen Abbaupfad festzulegen, der festschreibt, wie das strukturelle Defizit abzubauen ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Damit soll deutlich werden, und das finde ich einen wesentlichen Punkt, dass der Schuldenabbau rasch beginnen muss und nicht beliebig, nach Gutdünken oder nach dem Motto: „Wir werden dann vielleicht einmal sehen“, von den jeweiligen Mehrheiten nach hinten geschoben werden kann. Nein, wenn wir Ernst machen wollen, dann müssen wir jetzt anfangen, und wir müssen mit dem Schuldenabbau jetzt und mit verbindlichen Schritten beginnen. Das muss sich auch in der Verfassungsänderung widerspiegeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir stellen erfreut fest, dass unsere grüne Forderung zum Schutzwall der Kommunen auf große Zustimmung trifft. Dazu wird es eine Formulierung im Gesetzentwurf geben, die die Bedenken der Kommunen aufgreift und sie vor Eingriffen in ihre Hoheitsrechte schützen und auch sicherstellen soll, dass sie nicht unter der Schuldenbremse leiden werden.