Protocol of the Session on November 17, 2010

Natürlich ist es so, dass man, abhängig davon, wo man politisch herkommt, unterschiedliche Auffassungen darüber hat, was die wirklichen Probleme sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aufgabe des Parlaments, sowohl der Koalitionsfraktionen als auch der Oppositionsfraktionen, ist es, die Regierung zu kontrollieren und im Zweifel darauf hinzuweisen, was die wirklichen Probleme sind und wo keine Antworten gegeben werden. Ich will Ihnen einmal sagen, wo aus unserer Sicht die Probleme des Landes Hessen am Ende des Jahres 2010 mit Ausblick auf das nächste Jahr sind. Die Frage ist: Werden wir als Land Hessen, diejenigen, die die Verantwortung im Parlament und in der Regierung tragen – diese Frage muss im Parlament gestellt werden –, der Verantwortung z. B. für die nachfolgenden Generationen, für die Umwelt und für die Begrenzung des Klimawandels gerecht? Antwort: leider nein.

Frau Ministerin, Sie sind noch nicht so lange für diesen Bereich verantwortlich. Wir haben eine unglaubliche Masse schöner Broschüren, wir haben viele Konferenzen, wir haben sozusagen ziemlich viel Verpackung – da wirkt noch Dirk Metz nach –, aber erschreckend wenig Inhalt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Präsident Norbert Kartmann über- nimmt den Vorsitz.)

Ich will ausdrücklich anerkennen, dass Sie sich jetzt Gedanken über die Frage machen, ob man Landesgebäude sanieren kann; das ist in Ordnung. Aber auf die Frage: „Hat diese Regierung irgendeine Idee davon, wie ein anderer Umgang mit natürlichen Ressourcen stattfinden soll, wie wir die Energiewende schaffen?“, lautet die Antwort: leider nein. Im Gegenteil: Sie machen es noch schlimmer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Energiepolitik ist die alte Umweltministerin genau an dieser Frage gescheitert und jetzt zur privaten Krankenversicherung geflüchtet. Die spannende Frage lautet doch: Wie kommen wir mit den erneuerbaren Energien in Hessen voran? Hat es bei den Fortschrittsfeinden, den Dagegen-Parteien CDU und FDP, in den letzten zwölf Monaten einen Lerneffekt gegeben oder nicht?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Antwort: absolute Fehlanzeige. Im Gegenteil: Wir erleben ein energiepolitisches Dinosauriertum. Frau Puttrich, wissen Sie, es war geradezu abenteuerlich, die Situation in der letzten Woche zu erleben, als der niedersächsische Umweltminister gesagt hat, vielleicht sollten nicht alle Castortransporte nach Gorleben gehen, wo sie doch an Phi lippsburg und Biblis vorbeifahren. Frau Puttrich antwortete sofort reflexhaft: Mit mir nicht. – Am selben Tag sagte aber auch der Ministerpräsident, na ja, man müsse vielleicht auch das Gespräch suchen. Er will alle zusammenführen. Offenbar hat er aber den Unterschied zwischen

Zwischenlager und Endlager nicht verstanden. Damit wurde uns ein sehr tiefer Blick gestattet.

Was Sie damit offenbart haben, ist: Sie sind diejenigen, die den Energiekonzernen unglaubliche Gewinne zusätzlich verschaffen wollen. Sie sind diejenigen, die die Laufzeiten von Atomkraftwerken ausdrücklich verlängern wollen, und offenbaren an einer solchen Frage, dass Sie überhaupt keine Ahnung haben, wo der Müll hin soll. – Deutlicher kann man Versagen nicht dokumentieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Wir haben die Frage zu beantworten, ob diese Landesregierung ihren Teil dazu beiträgt, dass alle Menschen in Hessen eine Chance auf Teilhabe haben, und zwar alle Menschen in Hessen. Der Ministerpräsident hat mit seiner Jubelrede und seiner Hoffnung, dass Wachstum alles löst, ausdrücklich nicht recht gehabt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie müssen doch sehen, dass sich diese Gesellschaft auseinanderentwickelt. Der Glaube, dass alle die wirkliche Chance auf soziale Mobilität haben, dass man durch Anstrengungen auch die Mitte der Gesellschaft erreichen kann, ist bei bestimmten Gruppen dieser Gesellschaft aus guten Gründen nicht mehr vorhanden. Der Ministerpräsident hat gesagt, er sei dafür, dass derjenige, der arbeitet, am Ende des Tages mehr hat als derjenige, der nicht arbeitet. Denken Sie das doch bitte einmal zu Ende. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wieso kann man dann gegen Mindestlöhne sein? Das müssen Sie erklären.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Volker Bouffier hat unglaublich viel über Bundespolitik, über Konjunkturprogramme und alles, was dazugehört, geredet. Die spannende Frage ist doch: Haben Sie außer der Tatsache, dass Sie nach einem Jahr gemerkt haben, dass ein Sozialministerium auch „Sozialministerium“ heißen muss, verstanden, dass es eine Aufgabe von Landespolitik ist, dafür zu sorgen, dass Teilhabe auch auf dem Arbeitsmarkt stattfindet?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Aus der Shell Jugendstudie ist zu entnehmen, dass 80 % der Jugendlichen optimistisch in die Zukunft schauen. 20 % der Jugendlichen haben jetzt schon keine Hoffnung mehr darauf, dass sie in diesem Leben etwas werden. Sie haben zehn Jahre nach PISA die Risikogruppe nicht relevant verkleinert – liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind übrigens genau diese 20 %.

Wenn ich mir anschaue, welche Arbeitsmarktprogramme von der schwarz-gelben Bundesregierung gerade weggestrichen werden, warte ich immer noch auf den Aufschrei eines verantwortlichen Ressortministers, der sagt: Wir haben an diesem Punkt eine Aufgabe, und wir können diese Leute nicht einfach im Regen stehen lassen.

Sie haben ja recht, es ist wunderbar, dass wir inzwischen in Hessen eine Arbeitslosenquote von unter 6 % haben. Sie müssen sich aber auch Gedanken machen, wie es eigentlich seien kann, dass wir zwar jetzt eine Arbeitslosenquote haben, die relativ niedrig ist, aber die Quote der Arbeitslosengeld-II-Empfänger deutlich höher ist als derjenigen, die in der Statistik enthalten sind. Wir haben die verrückte

Situation, dass inzwischen ein relevanter Teil der Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfänger erwerbstätig ist, aber die Erwerbsarbeit nicht zum Leben reicht. Darauf muss man doch eine Antwort geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE))

Lieber Herr Kollege Wilken, das ist nicht das Ergebnis unserer Politik. Schönen Gruß an Herrn Peters, er war damals Vorsitzender der IG Metall. Er hat die Mindestlöhne damals verhindert. Inzwischen haben auch sie dazugelernt.

(Florian Rentsch (FDP): Oh!)

Ja, das ist so.

(Florian Rentsch (FDP): Das ist generös!)

Das ist übrigens auch eine Frage der Integrationsdebatte, die wir hier zu führen haben. Die Frage lautet nämlich: Kommen wir jenseits modellhafter Regionen, denen man ein bisschen Geld gibt, damit sie ihre gute Arbeit noch ein bisschen besser machen können, dazu, dass auch die Landesregierung in diesem Punkt aktiv wird? Die Enquetekommission „Migration und Integration“ dieses Landtags hat am letzten Freitag getagt. Sie hat in dieser Sitzung sehr interessante Zahlen präsentiert bekommen, nämlich wie viel Prozent der Arbeitslosengeld-II-Empfängerinnen und -Empfänger Migrationshintergrund haben. Außerdem wurde auch dargestellt, wie viele von denjenigen gute Abschlüsse haben, die aber in diesem Land nicht anerkannt werden. Ich warte immer noch darauf, dass der Integrationsminister in dieser Frage endlich aktiv wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Jürgen Banzer (CDU))

Herr Banzer, ein halbes Glas voll ist aber immer noch nicht ein ganzes Glas voll. Ich warte darauf, dass etwas passiert. Ich warte auch darauf, dass man jenseits der Überschriften und Bekenntnisse, die sich so schön anhören, auch einmal konkret wird.

Ich sage es hier in dieses Parlament hinein – der Integrationsminister ist entschuldigt –: Wir haben jetzt bald den zweiten Jahrestag dieser Koalition. Wir warten noch immer auf die Antwort auf die Frage, wie wir islamischen Religionsunterricht oder islamische Religionskunde in diesem Land organisieren wollen. Wir warten auf diese Antwort. Wer sich darüber beschwert, dass in Hinterhofmoscheen irgendetwas passiert, was im Zweifel nicht kontrolliert werden kann, muss die Frage beantworten, was sein Angebot in dieser Frage zur Integration ist. Diese Frage werden wir Ihnen in den nächsten Wochen und Monaten verstärkt stellen.

Frau Kultusministerin, am Samstag haben Sie eine ziemlich vernichtende Bilanz ausgestellt bekommen. Denn nach zwei Jahren im Amt hat Ihre Partei in den Augen der Bürgerinnen und Bürger eine geringere Kompetenz in der Bildung als vor Ihrem Amtsantritt.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Aber ich glaube, dass wir jenseits dieser Frage ernsthaft eine Antwort darauf geben müssen: Wie kriegen wir es hin, Schülerinnen und Schüler, unabhängig von der sozialen Herkunft ihrer Eltern, bestmöglich zu fördern? Wir reden jetzt seit über zehn Jahren, seit dem PISA-Schock,

über diese Frage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter dem Strich sind wir, wenn man diese zehn Jahre zurückblickt, ziemlich wenig vorangekommen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will, dass wir angesichts der Tatsache, dass wir jetzt weniger als 4 % Anmeldungen auf die Hauptschule haben, angesichts der Tatsache, dass die Risikogruppe immer noch nicht kleiner geworden ist, endlich relevante Ergebnisse sehen. Da ist eine Kultusministerin in der Verantwortung, sich gegen die Ideologen in der Union durchzusetzen. Da ist ein Ministerpräsident in der Verantwortung, der ausdrücklich sagt, dass er für alle Verantwortung hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir warten darauf, dass es endlich Bewegung gibt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Das gilt im Übrigen auch für die Hochschulen. Wenn wir eine Ministerin haben, die als einzige Antwort auf doppelte Jahrgänge wegen G 8, auf den Wegfall der Wehrpflicht und auf den gewünschten Zuwachs an Studierenden nur die Kürzung von 30 Millionen € aus dem Hochschulpakt hat, dann ist das, vorsichtig ausgedrückt, nicht nur zu wenig, sondern dann geht es sogar in die falsche Richtung. Auch da warten wir auf Antworten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Herr Ministerpräsident, Stichwort: Wirtschaftspolitik. Was ist eigentlich in Ihrer Sicht eine moderne Wirtschaftspolitik? Sie haben Nordhessen angesprochen. Ja, es ist ein außerordentlicher Tag gewesen – das ist nicht mehr das Landesarbeitsamt, die heißen jetzt Regionaldirektion Hessen der Bundesagentur für Arbeit –, als veröffentlicht wurde, dass erstmals seit Menschengedenken die Arbeitslosenquote im Regierungsbezirk Kassel geringer war als die Arbeitslosenquote im Regierungsbezirk Darmstadt. Das ist wirklich ein Tag gewesen, den sich viele rot im Kalender anstreichen sollten. Herr Ministerpräsident, jetzt frage ich Sie: Woher kommt das eigentlich?

(Florian Rentsch (FDP): Durch Sie bestimmt nicht!)

Jetzt sagt der Kollege Rentsch: „Durch Sie bestimmt nicht!“

(Florian Rentsch (FDP): Seitdem Sie in der Opposition sind, läuft es doch!)

Herr Kollege Rentsch, ich sage meinen Leuten immer: Nehmt euch kein Beispiel an der FDP. Findet euch selbst nicht zu großartig. Das endet im Absturz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aber, Herr Kollege Rentsch, an Kassel-Calden kann es nicht liegen; denn Kassel-Calden hat bisher nur einen Bauzaun und sonst nichts. An der A 44 kann es nicht liegen; denn das sind 4,4 km, die in der Mitte liegen, ohne Anschluss nach rechts und nach links. Daran kann es auch nicht liegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch an der A 49 kann es wohl nicht liegen, lieber Kollege Rentsch. Also an all dem, was wir seit Jahren hören, was unabdingbar für Nordhessen ist, kann es nicht liegen;

denn da ist seit elf Jahren nichts passiert – was ich nicht kritisiere.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Walter Arnold (CDU): Das ist doch falsch!)

Herr Arnold, ich sage Ihnen, woran es liegen könnte. Ich sage in aller Bescheidenheit: Das könnte schon etwas mit den GRÜNEN zu tun haben.